Zwischen Sofa und Rennbahn? – Gedanken zur Haltung von Galgos

Von Wolfgang Geissler

Die Zahl der Galgos Españoles nimmt in Mitteleuropa stark zu, meist kommen die Hunde über Tierschutzorganisationen aus Spanien zu uns. Nicht selten landen diese Hunde dann wieder in Tierheimen, weil ihre Halter völlig überfordert sind. Der Tod ihres Galgos Alonso war für Familie Geißler Anlass, ihre Erfahrungen und Gedanken zur Haltung dieser spanischen Jagdhunderasse – und zur Hunde­haltung generell – niederzuschreiben. Quasi als das letzte Vermächtnis Alonsos und als Quintessenz dessen, was Familie Geißler durch ihn gelernt hat. In memoriam Alonso Bol de Henares …

Die Bestimmung des Galgo Español ist die eines Hetzhundes für die Hasenjagd auf Sicht im Ge­lände. Galgos Españoles sind seit Jahrhunderten auf ­Wendigkeit, Geländetauglichkeit, Ausdauer und Jagderfolg selektiert worden. Dazu zeichnen sie sich durch ­taktische Intelligenz und Eigeninitiative aus. Sie entwickeln auf der Jagd eigene Strategien und handeln dabei stets ohne Anweisungen von Seiten des Menschen. Sie sind schnelle, ausdauernde Läufer und sehr beharrliche Jäger, die über mehrere Minuten hinweg ohne nachzulassen eine Beute verfolgen können. Im Gegensatz zum explosiven Kurzstreckensprinter Greyhound läuft ein echter Galgo Español längere Zeit mit nahezu gleich bleibender ­Geschwindigkeit. Während einer langen Hetze von fünf Minuten Dauer ­können bei ca. 55 km/h bis zu 4,5 Kilometer Laufstrecke zurück gelegt werden.

Wenn also der Galgo Español in seinem „ersten Leben" als Jagdhund in Spanien die Möglichkeit zum freien Laufen erhält, dann eben zur völlig eigenständigen Jagd. Und dann eventuell noch beim Streunen mit all seinen Risiken und Gefahren für Leib und Leben.

Galgo-gerechte Haltung in unseren Städten?

Abgesehen von den oft empörenden Haltungs-, Aus­musterungs- und sonstigen Lebensumständen, ist das der Erfahrungshintergrund vieler Galgos, die nach Deutschland und Österreich vermittelt werden. Hier ist die Lage dann so, dass zwar keine unmittelbaren Gefahren mehr bestehen, gnadenlos misshandelt oder umgebracht zu werden, dass aber Tiere in der technisierten menschlichen Gesellschaft generell als Fremdkörper gelten, die nur toleriert ­werden, wenn sie in ihren Lebensäußerungen total unauffällig ­bleiben. Es stellt sich daher wirklich die Frage, wieso gerade Deutschland und Österreich und deren Bewohner so ge­eignet dafür sein sollen, derartige Jagdhunde in großer Anzahl aufzunehmen!

Nach den pragmatischen Nutzern des reinen Gebrauchswertes der Hunde in Spanien kommen bei uns nun Leute mit anderen Motiven zum Zuge. Für die Einen sind Tierschutz-Galgos nur lieb und dankbar und brauchen nichts als einen kuscheligen Platz auf dem Sofa und ab und zu einen Lauf am Fahrrad oder einen kurzen Sprint auf der Hundewiese. Grund für diese Darstellung ist offensichtlich das angestrebte erhebende Gefühl, möglichst viele „arme Socken" vermittelt zu haben. Andere, deren Denken im Umfeld der Windhundzucht verwurzelt ist, sehen für die aus ­Spanien geretteten Windhunde das „non plus ultra" im Bahn­rennen oder Coursing, als Ersatz für die fehlende Möglichkeit, ­weiterhin der Berufung als Hetzjäger nachzugehen. ­Demnach sei es eigentlich unzumutbar, einen Windhund seinen „Beruf" nicht in dieser Form ausüben zu lassen. Wer noch nie einen „wirklich glücklichen" Windhund gesehen habe, der könne sich auf Rennbahnen und Coursings davon überzeugen.

Sofa oder Rennbahn?

Eigentlich ist die Absicht ja löblich, zu verhindern, dass Tierschutz-Windhunde an x-beliebige Interessenten verteilt werden, die dann mit ihnen nicht klar kommen und sie als Zwinger- oder Stubenhocker verkümmern lassen oder wieder an Tierheime abgeben. Im Gegensatz zu der einerseits oft bemühten grob vereinfachenden Devise „Hund ist Hund; kennt man einen, kennt man alle" schlägt aber nun das Pendel total in die andere Richtung aus. Das Schlimme ist: offensichtlich wird hier vor lauter elitärem Windhund-Überschwang nicht einmal versucht, einfach den Hund im Windhund zu erkennen. Jeder (Rasse-)Hund ist aber mehr als ein Stück menschlichen Kulturgutes, mehr als ein Werkzeug für einen bestimmten Zweck und hat mehr als nur eine Art von Sinnesorgan!

So, wie ein Bloodhuond nicht n u r riechen kann, kann ein Windhund nicht n u r sichthetzen! Und es handelt sich ja stets nicht einfach um normierte Rassevertreter, sondern um lernfähige Individuen, deren jeweilige Bedürfnisse nicht ein für alle Mal gemäß Standard festgelegt sind. Doch der Blickwinkel von Rassezüchtern muss wohl so eng und zweckfixiert sein! Mir drängt sich, nebenbei bemerkt, in diesem Zusammenhang die Frage auf, welchen Sinn ­hierzulande Züchter darin sehen, wenn auch sie noch immer neue solcher Spezialisten heranziehen. Ein Galgo Español z. B. kann und darf hierzulande einfach nicht ­seiner eingangs skizzierten „artgerechten Arbeit" nachgehen! Alternativ orientiert die Zucht sich dann gewöhnlich auf die besondere Betonung der äußerlichen Merkmale, und das ist erwiesenermaflen keine gute Voraussetzung für die Er­haltung einer Rasse auf hohem Leistungs- und Gesundheitsniveau.

Leistungsschau oder Missbrauch des Tieres?

Die Windhundrennbahn und der Coursingplatz mit Wettkämpfen gegen die Uhr sind ganz klar für die Interessen von Menschen gemacht, nicht für die der Hunde. Wenn man es positiv sieht, erfolgt hier die Leistungsschau für die ­Auswahl geeigneter Zuchttiere, damit nicht nur auf Schönheit, ­sondern auch auf Leistung gezüchtet werden kann. Sieht man es nüchterner, dann pflegen hier Menschen das Hobby Hundesport mit dem Tier als Sportgerät und Stellvertreter für den eigenen Ehrgeiz. Aber vielleicht gibt es ja doch ­Hunde, die von sich aus unbedingt Rekorde aufstellen wollen?

Jedenfalls sind Bahnrennen und Coursing mit Animation durch eine künstliche Beute Leistungssport! Der Hund kann dabei gar nicht anders, als mit voller Kraft zu ­rennen, und das nicht etwa zu seinem Spaß. Außerdem ist für einen ­Galgo Español ein solches Rennen über die üblichen 350 Meter (Bahn) bis 800 Meter (Coursing) ­unangemessen, denn was soll ein Spezialist für Mittelstrecken-Crosslauf bei einem Sprintwettbewerb? Auch für die Zuchtauswahl sind diese Prüfungen ungeeignet, denn so würde man den Typ Galgo-Ingles-Español (mit Greyhound-Einkreuzung für Schnelligkeit bei Wettrennen) fördern und nicht den echten Galgo Español. Der soll als Jagdgebrauchshund ja eben nicht immer schön brav und dumm, aber mit Sprintstärke, der von der „Beute" vorgezeichneten Spur nachlaufen, wie es beim Bahnrennen und Kurzstreckencoursing erwünscht ist. Nur gut, dass man keinen Leistungssport betreiben muss, um Spaß am Laufen zu haben. Beim Hund ist das nicht anders.

Wer von den dann bei uns ausgewählten Windhundlieb­habern hat zudem wirklich die Zeit und die Kompetenz, seinen aus Spanien übernommenen Windhund ständig und systematisch zu trainieren, damit er auf der Wettkampfbahn keinen Schaden nimmt? Von den zuvor eingehend zu überprüfenden grundlegenden gesundheitlichen Voraussetzungen einmal ganz abgesehen. Andererseits: was soll ein geübter Hetzjäger tun, wenn man dann nicht ständig und regelmäßig an Rennen und Coursings teilnehmen kann? Wo soll dann der zwar angeblich nicht trainierte aber mit Power kanalisierte Hetztrieb abreagiert werden? Also in diesem Fall vielleicht lieber doch nicht so sehr Kondition und damit Bewegungsdrang aufbauen und nur ab und zu mal am Rennsport teilnehmen? Ist das dann etwa gut für die Gesundheit?

Ein Mensch, der nicht richtig trainiert oder der sich bei einem leistungssportlichen Versuch mangels Training verletzt, ist für seinen Leichtsinn selbst verantwortlich. ­Vielleicht lächelt er trotz Verletzung auch „wirklich ­glücklich", weil er ja den erwünschten Kick erleben durfte. Wer aber seinen Hund in eine solche Situation bringt, nur weil ein edler Sichtjäger angeblich durch schnöde Nasen­arbeit und unanimiertes Rennen nicht artgerecht aus­gelastet wird, der handelt mindestens leichtsinnig und verantwortungslos, auch wenn mancher begeisterte ­Lernwillige vielleicht im Moment gar nicht weiß, was er ­seinem Hund antut.

Schwarz-Weiß-Denken

Ich denke, ein Galgo Español braucht, wenn er nun einmal nach Deutschland oder Österreich geraten ist und somit seinen „Beruf" nicht ausüben kann, auch keine ihn eigentlich sinnlos stressenden Animations-Spielchen, mit denen sich die Menschen unterhalten und gleichzeitig ihr Gewissen beruhigen wollen, da der Arbeitslose ja anscheinend einen netten Alibi-Arbeitsersatz bekommt. Denn bräuchte er dies wirklich unbedingt, dann müsste man auch jeden intakten Rüden, der nicht zur Zucht verwendet wird, z.B. mit einer Gummipuppe „wirklich glücklich" machen. Dieser absolute Zweck-Erfüllungs-Anspruch ist genau so extrem, wie es in entgegengesetzter Richtung die verbreitet gängige Praxis der Hundehaltung auch ist: mit der größten Selbstverständlichkeit wird ohne medizinischen Grund kastriert, was das Zeug hält (für manche „Tierfreunde" ist ein nicht kastrierter Hund schon unnormal und als Familienhund fast undenkbar!), Carnivoren werden aus Kosten- und vermensch­lichenden ethischen Gründen zu Körnerfressern umfunktioniert und es wird zur bequemen Handhabung versucht, dem Hund sein Hundsein und seinen individuellen Charakter wegzuclickern.

Man darf ein Lebewesen nicht nach Belieben gegen ­seine Natur zurechtstutzen, aber Leben ist eben auch nicht der Ablauf eines fest vorgegebenen Programms, ist nicht nur „Berufsausübung", sondern jedes Individuum kann und muss einfach die ihm konkret im aktuellen Lebensumfeld zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen. Es kann nicht nur die Wahl geben zwischen schwarz oder weiß, ­Champion-Beschälern oder Kastraten, Leistungsstress oder dem totalen Aus! Was zählt, ist die Möglichkeit für Mensch und Tier, Lust am Leben zu empfinden. Will heißen: Ein Windhund muss nicht auf Teufel komm raus hetzen, er muss auch nicht zum Retriever umprogrammiert werden, ­sondern er muss, möglichst täglich, frei laufen und auch rennen ­können, und er braucht natürlich wohlwollend-konsequente Führung, viel persönliche Zuwendung, entspannte Kontakte zu anderen Hunden und geistige Betätigung. Dazu gehört auch beim Windhund das Erkunden geruchlicher Informa­tionen, denn er ist ein Hund! Wichtig ist, dass sich kein Unterforderungs-Frust aufstaut. Aber: einen konditionierten Hetzer mit dem Aktionsradius eines Galgo Español kann man in einem Land, in dem alle paar hundert Meter ein Elektroweidezaun oder eine von diversen Fahrzeugführern mehr oder weniger rücksichtslos benutzte Straße verläuft, kaum frei herumrennen lassen; eher schon einen Windhund, dem man auch andere Interessensbereiche erschlossen hat, als stets hoch erhobenen Hauptes nach hetzbarer Beute Ausschau zu halten. Fragt sich also, welches Leben für einen Windhund reicher und glücklicher ist, das auf Rennveranstaltungen oder das mit seinen Bezugspersonen und Hunde­kumpels in der Natur, ohne Fixierung auf das Ausleben des Hetztriebes. Dort geeignete Plätze zum Freilauf zu finden ist freilich nicht einfach, und das verleitet dann eben zum Aufsuchen der Stätten für den Windhund-Leistungssport.

Als Alternative besteht jedoch auch die Möglichkeit, öfter mal abwechslungsreiche und ausgiebige Exkursionen in Feld, Wald und Wiesen zu unternehmen, dann aber keine gemütlich-beschaulichen Plauderspaziergänge, kein stupides Rennen am Fahrrad und auch kein Jogging mit Dudelstöpseln in den Ohren und dem Hund stur bei Fuß, sondern flotte Entdeckungstouren, die interessante Eindrücke bieten und in die sich an sicheren und übersichtlichen Orten Freilaufphasen einbauen lassen. Dafür benötigt man dann aber auch deutlich mehr Zeit, Engagement, Lust und Laune, als für einfache Gassi-, Tobe- und Rennrunden. – Wer sich die nicht leisten kann oder will, und wem das zu unspektakulär ist, der sollte besser keinen Tierschutz-Galgo aufnehmen.

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