Zweibeinchen Candy ist glücklich trotz Handicap – Die Arbeit von Vierbeiner in Not e.V.

Von dogodu-Redaktion

Jedes Tier hat das Recht auf ein artgerechtes Leben. Auch ein Tier, das augenscheinlich nicht perfekt ist, sondern Einschränkungen hat. Trotzdem bleiben Handicap Tiere im Tierheim oder in Pflegestellen oft sitzen. Der Tierschutzverein Vierbeiner in Not e.V. setzt sich daher für die Rettung und Vermittlung von Tieren mit Handicap, vor allem Hunden, ein.

Der Vierbeiner in Not e.V. ist ein junger Verein mit Sitz in Norddeutschland, der von den engagierten Tierschützerinnen Anja Laupichler und Iris Mundigl gegründet wurde. Die beiden lernten sich kennen, als Iris Anja wegen eines behinderten Hundes anrief, für den Anja dringend auf der Suche nach einem Zuhause war. “Ich hatte selbst gesundheitliche Einschränkungen und wollte einem Tier helfen, dem es ähnlich ging”, erzählt Iris. So lernte Iris ihren neuen Handicap Hund Jake und ganz nebenbei noch Anja kennen. Die beiden beschlossen, gemeinsam ehrenamtlich Tierschutz zu leisten und sich für die Vierbeiner einzusetzen, die von anderen so oft übersehen und zurückgelassen werden. Neben der Versorgung, Rettung und Vermittlung von Tieren gehört dazu auch das Unterstützen und Durchführen und Kastrationsaktionen im Ausland wie zum Beispiel Rumänien (Hunde) und Inland (Katzen).

“Heutzutage haben die Menschen so viele Ansprüche. Teilweise bekomme ich von Interessenten lange Listen mit gewünschten Eigenschaften des Hundes. Er solle nicht bellen, gerne Autofahren, gar keinen Jagdtrieb haben, lange alleine bleiben können und noch viel mehr. Aber wir dürfen nicht vergessen: Tiere sind mit uns da, nicht für uns.” – Als 1. Vorsitzende kümmert sich Anja vor allem um die Vermittlungsarbeit. Sie organisiert die Ausreise der Hunde (vor allem aus Rumänien), ihre Verteilung auf Pflegestellen in Deutschland und nach Möglichkeit anschließend auch ihre Vermittlung. Dabei merkt sie, wie die Menschen mehr und mehr Erwartungen an die Tiere stellen. “Dieser Hund ist ja hässlich” oder ähnliche Aussagen bekomme sie dann manchmal zu hören. “Dann kann es schonmal sein, dass ich antworte: Sie sind ja auch kein Model, also wo ist das Problem?”, erzählt Anja schlagfertig.

Die Arbeit mit Handicap Hunden

Die Arbeit ist mit viel Freude, aber auch mit viel Elend verbunden. Hündin Candy wurde aufgefunden, nachdem ihr die Vorderbeine abgehackt wurden, der völlig verängstigten Laura waren die Ohren abgeschnitten worden. Eine weitere Hündin, Afra, war mit ihren Welpen von einem Zug erfasst worden und verlor nicht nur ein Bein, sondern auch all ihre Hundekinder. Gerade in Ländern, in denen es viele Straßenhunde gibt und auch privat gehaltene Hunde oft den ganzen Tag draußen unbeaufsichtigt sind, wie zum Beispiel in Rumänien, werden immer wieder Hunde von Fahrzeugen erfasst und bleiben verletzt liegen. Sie müssen, wenn sie den Unfall überleben, den Rest ihres Lebens kämpfen und werden oft noch öfter weggescheucht als ihre gesunden Vierbeinerkollegen. “Wenn man solche Bilder sieht, hat man schonmal einige schlaflose Nächte”, gibt Anja zu, “aber genau das ist es, was uns antreibt: Das Elend zu beenden.”

Hündin Sabra kam ohne Schnauze

Auch Sabra kam als junger Handicap Hund zum Verein. Im August 2018 wurde sie auf der Straße gefunden: Ihr fehlte die halbe Schnauze und sie war abgemagert. “Wir erfuhren, dass auch diese Verletzung von Menschenhand kommt”, sagt Iris, die sich damals dazu entschied, Sabra zu sich zu holen. “Ein junger Mensch war mit Absicht mit einem Motorrad in eine Gruppe Welpen gefahren, darunter war auch Sabra. Sie war die einzige Hündin, die überlebt hatte”. Dabei musste Hündin Sabra leider noch lange warten, bis sie endlich nach Deutschland kommen konnte. Sie wurde krank – so krank, dass nicht klar war, ob sie es überleben würde, geschweige denn, ob sie reisen durfte. Aber im April 2019 war es dann endlich soweit und Sabra kam zu Iris in die Pflegestelle. Entgegen aller Erwartungen war Sabra ein quicklebendiger, fröhlicher Hund. “Wenn wir spazieren waren, waren im ersten Moment viele Leute erstmal von ihrem Anblick abgeschreckt. Aber wenn man sie mal eine kurze Zeit erlebt hat, verliebt man sich einfach in diesen tollen Charakter”, erinnert sich Iris.

Sabra wurde inzwischen mehrfach an der Nase operiert. Nicht aus ästhetischen Gründen, sondern aus gesundheitlichen. Mit der offenen Nase bestand eine ständige hohe Infektionsgefahr. Die Operationen hat Sabra tapfer weggesteckt. Heute sieht die kleine Mischlingshündin, die an einen Golden RetrieverLabrador – Mischling erinnert, noch immer anders aus als ihre Hundekollegen. Das ist ihr aber ganz egal. Sabra liebt das Leben, ist fröhlich, verspielt und einfach nur dankbar. Sie lebt inzwischen bei einer Familie und hat sich gut eingelebt.

Candy hat keine Vorderbeine, aber viel Lebensfreude

Auch der Anblick von Hündin Candy (der die Vorderbeine abgehackt wurden) war zunächst schwer zu ertragen, als das Team von Vierbeiner in Not Bilder und Videos nach ihrem Auffinden sah. “Aber wir wollten nicht wegsehen. Gerade diesen armen Lebewesen muss man doch helfen”, sagt Anja. Und die arme Candy sollte sich noch als eine wahre Erfolgsgeschichte entpuppen. Sie kam nach Deutschland, zu Stefan, der ihr neuer Pflegepapa wurde. Hier hoppelte sie anfangs mehr durch den Garten, als dass sie lief. “Es sah so ähnlich aus, wie bei einem Känguru”, erinnert sich Stefan. So kam sie auf weichem Untergrund wie Rasen zurecht. Aber ein Leben ohne Vorderbeinchen hat natürlich seine Einschränkungen und Beschwerlichkeiten. Schnell wurden also passende Prothesen gefunden. “Wir haben viele Spenden für Candy sammeln können, weil die Prothesen sehr kostspielig waren. Wir haben für ihre gesamte Behandlung ungefähr 2.000 Euro gezahlt. Gott sei Dank gibt es tolle Menschen, die unsere Arbeit mit ihren Spenden überhaupt erst möglich machen”, freut sich Anja.

Es kam der Tag, an dem Candy in ihre neuen Prothesen schlüpfte – sie waren extra für sie angefertigt worden. “Am Anfang war das Tragen der neuen Beinchen für Candy natürlich ungewöhnlich, also haben wir sie langsam daran gewöhnt. Von Tag zu Tag traute sie sich aber mehr zu”, erzählt der stolze ehemalige Pflegevater Stefan, den Candy inzwischen so begeistert hat, dass er ihr richtiges Herrchen geworden ist. Candy wird speziell im Alter noch viel Physiotherapie brauchen, aber bisher kommt sie gut zurecht. “Candy steigt Treppen, rennt, tobt und spielt wie jeder andere Hund. Ihre Lebensfreude ist ansteckend”, freut sich Anja, “und sie ist in jeder Hinsicht eine wahre Erfolgsgeschichte”.

Rüde Zika hat zwei Pfoten verloren

Der neueste Sorgenfall des Vereins ist Zika. Er kam als gesunder Hund in ein Shelter. Hier verletzte der zweijährige Hund sich an einer Vorder- und einer Hinterpfote. Die Verletzungen wurden nicht oder nicht ausreichend behandelt. Als Ergebnis hat er leider zwei Pfoten verloren. “Zika kommt im August zu uns. Auch ihm wollen wir unbedingt helfen. Wir rechnen mit Kosten von ca. 2.000 Euro”, berichtet Iris, die Zika zu sich nehmen will, bis eine geeignete Pflege- oder Endstelle gefunden ist.

Handicap Hündin Nica sucht Paten

Dann ist da noch die Hündin Nica, Spitzname Knalltüte, die mit einem extremen Hüft- und Wirbelsäulenschaden als Welpe zum Vierbeiner in Not e.V. kam. Nicas Geschichte ist bitter: “Auf Nica wurde wohl mehrfach mit einer Schaufel eingeschlagen. Gott sei Dank hat sie das überlebt”, erzählt Iris. Sie kann trotzdem schnell laufen und lässt sich auch sonst nichts von ihrer Einschränkung anmerken. “Sie ist einfach nur lebensfroh und lustig. Sie trägt hinten einen Schuh, der extra für sie angefertigt wurde”. Mit ihm kann sie jetzt auch über Stock und Stein rennen (ja, rennen!), ohne sich am Fuß zu verletzen. Nica ist allerdings auch ein Sturkopf, und das mit der Stubenreinheit will bisher einfach nicht klappen. Das hat wahrscheinlich gesundheitliche Gründe, denn durch ihren Wirbelsäulen- und Hüftschaden ist die Blase nicht mehr richtig platziert. Mehrere Ärzte haben die Einschätzung gegeben, dass Nica maximal zwei bis drei Jahre Lebenserwartung hat. Deshalb hat ihr Pflegefrauchen Iris sich entschieden, Nica bei sich zu behalten. “Wir sind dringend auf der Suche nach Paten für Nica. Als Pate könnte man einen fixen monatlichen Betrag überweisen, zum Beispiel für Futter. Das ist ideal für Tierfreunde, die sich aus räumlichen oder zeitlichen Gründen keinen eigenen Vierbeiner zulegen können”, erklärt Iris.

Herausforderungen bei Handicap Hunden

Handicap Hunde zu vermitteln, bleibt eine schwere Aufgabe. Auch die Gegebenheiten vor Ort müssen stimmen. Ein Dreibeinchen sollte nicht jeden Tag Treppen steigen müssen, ein Hund mit einer Blasenschwäche sollte am besten Zugang zu einem kleinen Garten haben. Auch ganz aktuell warten wieder viele Handicap Vierbeiner in den Pflegestellen des Vereins. Da ist zum Beispiel die geistig behinderte Hündin Tam Tam – ein echtes Powerpaket, das aber leider eine Hirnmissbildung und in Folge dessen Probleme mit Inkontinenz und dem Gangbild hat. Sie ist aber super lieb und hat ganz viel Energie. Für Menschen, die etwas einfühlsam sind und ihren Powercharakter zu schätzen wissen, ist sie genau die richtige Hündin. Aber auch das schon erwähnte Dreibeinchen Afra wartet noch auf ihre Menschen. Laura, der die Ohren abgeschnitten wurden, ist eine sehr ängstliche Hündin. Ihre zukünftigen Zweibeiner müssen sich ihr Vertrauen und ihre Zuneigung eben erst einmal verdienen. Aber wer kann es ihr verübeln?

Kastrationsprojekte

Um das Tierelend, das in Ländern wie Rumänien herrscht, einzudämmen, beteiligt sich der junge Verein auch an Kastrationsaktionen. Zuletzt wurden im Free Amely 2007 Shelter in Rumänien zahlreiche Hunde und Katzen kastriert. “Die Aktion war ein voller Erfolg”, erzählt Anja stolz, “Wir konnten 51 Katzen und 55 Hunde kastrieren.” Die Tiere werden zum Teil auf der Straße eingefangen, viele private Tierbesitzer nehmen das Angebot aber auch gerne an. “Es bringt nichts, nur die Streuner zu kastrieren. In Ländern wie Rumänien laufen viele Hunde den ganzen Tag frei draußen herum, obwohl sie ein Zuhause haben. In der Zeit vermehren sie sich natürlich mit den anderen unkastrierten Hunden”, merkt Anja an. “Wir können auch nicht jeden Hund nach Deutschland holen. Das löst das Problem nicht, denn eine einzige Hündin und ihre Nachkommen können in nur sechs Jahren 67.000 Welpen hervorbringen. Deshalb legen wir viel Wert auf Kastration. Trotzdem, wenn wir einen Vierbeiner herholen, der vor Ort wenig Chancen hat, dann ist das Thema Chippen und Impfen vor der Einreise natürlich ganz wichtig. Wir müssen den heimischen Tierbestand schützen”, merkt Anja an, “und uns damit ganz klar von einigen impffaulen Organisationen unterscheiden, die einfach unseriös arbeiten.”

Für die nächste Kastrationsaktion werden schon Spenden gesammelt. “Viele Menschen wollen helfen. Sehr beliebt sind sogenannte Ausreisepatenschaften, bei denen ein Spender oder eine Spenderin die Ausreisekosten für einen Vierbeiner bezahlt und später über sein Verbleiben in Deutschland auf dem Laufenden gehalten wird. Das sind meistens zwischen 80 und 120 €. Wir freuen uns immer sehr über Ausreisepaten. Die Kastration einer Katze in Rumänien kostet aber nur 20 €, ein Kater 15 € und Hunde 25 €. Aber das Spendensammeln für Kastrationen gestaltet sich leider sehr schwierig. Man möchte ja gerne sehen, welchem Tier man konkret hilft. Aber bei den Kastrationen ist es so, dass wir vorher nicht genau wissen, welche Tiere wir an einem Tag kastrieren können. Wir kündigen die Kastrationsaktion vorher an, und viele private Tierhalter vor Ort entscheiden sich dann an dem Tag, mit ihren Vierbeiner vorbeizukommen. Die Tiere, die wir auf der Straße einfangen können, werden auch sofort kastriert. Daher ist es einfach schwieriger, Spenden für Kastrationsaktionen zu sammeln. Aber nur mit Kastrationen können wir das Tierelend nachhaltig eindämmen. Im besten Fall müssten wir gar keinen Tierschutz mehr betreiben”, merkt Anja an.

Projekt Welpenhaus

Als weiteres Projekt baut der Vierbeiner in Not e.V. bald ein Welpenhaus in Lugoj (Rumänien) am Free Amely 2007 Shelter weiter. Das Fundament war schon gegossen und die Mauern standen, aber dann ging das Geld aus. “Welpenhäuser sind aus Quarantänegründen wichtig. Die ersten Lebenswochen haben die Welpen gar keinen Impfschutz und sind allen Erregern der älteren Straßenvierbeiner schutzlos ausgeliefert. Auch wenn die kleinen ungewollten Welpen Glück haben und im Tierheim abgegeben werden, sterben sie oft in kürzester Zeit an z. B. Parvovirose. Wir wollen das Welpensterben unbedingt beenden”, erklärt Anja. Zusammen mit dem Verein Tierwork e.V. von der bekannten TV-Moderatorin und Autorin Alida Gundlach soll jetzt also endlich das Welpenhaus weitergebaut werden. Es wird ein weiteres Stockwerk draufgesetzt, in dem Zubehör untergebracht werden soll und Ehrenamtliche von außerhalb unterkommen können. Danach muss noch ein Dachstuhl gebaut und das Dach gedeckt werden, damit alle Vierbeiner trocken bleiben. “Auch Fenster, Türen, Bodenbeläge, Elektrik etc. fehlen. Wir rechnen mit Kosten von mindestens 20.000 Euro”, bemerkt Anja, “und da werden wir auf Spenden angewiesen sein.” Aktuell restauriert der Verein gerade zusammen mit dem Verein Straßenhunde Rumänien in Not e.V. einen anderen Welpenunterschlupf in Fâget, der schon drohte, in sich zusammenzufallen. “Wir helfen dort, wo Hilfe gebraucht wird”, erläutert Anja, “Nur so können wir langfristig das Tierleiden beenden.”

Mehr Infos zur Arbeit des Vereins gibt es auf https://vierbeinerinnot.de/

 

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