Unerklärliche stereotype Verhaltensweisen eines Hundes können Teil einer angstvollen Situation des Tieres sein, Veterinäre sprechen von zwanghafter Verhaltensstörung. Diese gibt es in allen möglichen Formen, von exzessivem Schwanzjagen bis zum ständigen Kauen oder Sich-Belecken. Etwa 2% aller Hunde sollen davon betroffen sein. WUFF-Herausgeber Dr. Hans Mosser im Gespräch mit Prof. Andrew Luescher, Verhaltensexperte der Purdue University im US-Bundesstaat Indiana, der die Wirkung humaner Psychopharmaka bei hundlichen Verhaltensstörungen untersucht.
Wie der Direktor der Tierverhaltensklinik der Purdue University in West Lafayette, nördlich von Indianapolis (US Bundesstaat Indiana), Andrew Luescher, berichtet, leiden etwa 2% aller Hunde an zwanghaftem Verhalten. Bei diesen Verhaltensstörungen handelt es sich beispielsweise um exzessives Schwanzjagen, Luftschnappen, ständiges Kauen bei leerem Maul, und monotones Bellen ohne jegliche Änderung der Lautstärke oder Intonation. Luescher hat Hunde mit ernsthaften stereotypen Verhaltensstörungen erlebt, welche ihr tägliches Leben (und das ihrer Halter) deutlich beeinträchtigten. So etwa stoppte ein Hund sofort die Wasseraufnahme, sobald er seinen eigenen Schatten entdeckte. Oder beispielsweise exzessives Sich-Belecken führte zu einem lokalen Hautproblem mit sekundärer Infektion.
Ignoranz des Problems erschwert Therapie
„Je länger die Hundehalter das Verhaltensproblem ihres Vierbeiners ignorieren, umso schwieriger wird die Therapie“, sagte Luescher. „Oft werden solche Verhaltensauffälligkeiten als neurologische Probleme missdeutet, und der Hundehalter bezahlt neurologische Untersuchungen, bevor man entdeckt, dass es sich um ein Verhaltensproblem handelt“. Auf meine Frage, ob er es denn nicht sinnvoll fände, vor jeder Verhaltenstherapie eine mögliche zugrunde liegende neurologische Erkrankung sicher auszuschließen, schränkte der Professor seine Kritik dann auf die Anwendung von teuren Methoden ein, wie Computertomographie, Magnetresonanztomographie oder Lumbalpunktionen („Kreuzstich“ zur Gewinnung von Rückenmarksflüssigkeit für Laboruntersuchungen), die in den USA bei solchen Verhaltensproblemen häufig viel zu schnell eingesetzt würden.
Luescher: „Eine gründliche klinisch-neurologische Untersuchung wird bei solchen Patienten mit zwanghaftem Verhalten von uns natürlich schon durchgeführt.“
Keine Bestrafung zwanghafter Verhaltensstörung!
Luescher betonte, dass es ein großer Fehler sei, wenn Hundehalter ihren Hund für derartige zwanghafte Verhaltensweisen auch noch bestraften. „Die Störung ist ja bereits ein großes angst- und stressbeladenes Problem für den Hund, und eine Bestrafung erhöht Angst und Stress nur unnötig weiter und verschlimmert die Verhaltensstörung.“
In der Tierverhaltensklinik hat Professor Luescher ein brandneues Forschungsprojekt begonnen, das in einer klinischen Studie bei Hunden mit „Zwangsneurosen“ die Wirkung eines Medikamentes untersucht, eines sog. Serotonin Re-Uptake-Hemmers, der bei Menschen erfolgreich angewendet wird. Von zwei Gruppen von zwanghaft verhaltensgestörten Hunden erhält die eine das Medikament und die andere nur ein Placebo (unwirksames Scheinpräparat). Nach 6 Wochen werden die Verhaltensweisen der Hunde beider Gruppen miteinander verglichen. Auf die Frage nach ersten Ergebnissen antwortete Luescher: „Diese klinische Studie läuft noch mehrere Wochen. Da es eine Doppelblindstudie ist, habe ich natürlich keine Ahnung, ob das Medikament gewirkt hat oder nicht. Das wird sich erst nach Beendigung der Studie und der Analyse der Ergebnisse zeigen. Ich habe allerdings schon früher einmal eine ähnliche Studie mit dem Wirkstoff Clomipramine durchgeführt, und meine Kollegin Dr. Hewson und ich haben herausgefunden, dass dieser Stoff eine hohe Wirksamkeit besitzt.“
Ob denn durch den Einsatz dieser Medikamente eine Verhaltenstherapie unnötig würde, frage ich. Luescher: „Nein, denn natürlich ist die Verhaltenstherapie weiterhin erforderlich. Jede pharmakologische Therapie muss stets auch von einer verhaltensmodifizierenden Behandlung begleitet sein!“