Wüsten, Steppen und wilde Pferde: Auf dem American Discovery Trail durch Nevada

Von Sonja Endlweber

Ende des 19. Jahrhunderts galoppierten die Reiter des Pony Express quer durch Nevada. Heute führt der American Discovery Trail quer durchs Land. Aber ist es auch heute noch möglich, mitten durch diese Steppen und Wüstenlandschaft zu reiten? Sonja Endlweber und Günter Wamser haben sich auf den Weg gemacht. Mit im Team: Charlie, eine junge Border-Aussi Hündin.

Die Zeltplane flattert. Der heftige Wind hat uns schon früh ins Zelt flüchten lassen. Hier, in dieser trockenen Steppenlandschaft, ist er extrem unangenehm, wirbelt Staub auf und peitscht ihn durch die Luft. Jetzt, im Zelt, sind wir wenigstens davor geschützt. Charlie seufzt und streckt sich wohlig. Sie liegt in ihre Decke gekuschelt neben mir und schläft friedlich und sorglos. Kein Wunder. Im Gegensatz zu uns hat sie keine Ahnung davon, dass es am nächsten Tag losgehen soll. Zum ersten Mal seit zwei Jahren werden wir wieder mit unseren Pferden unterwegs sein. Für Charlie beginnt damit ein völlig neues Leben.

Draußen springen die Pferde unruhig umher. Wir hatten versucht, einen windgeschützten Lagerplatz zu finden, doch die wenigen Sträucher der Steppe können dem fauchenden Wind nichts entgegensetzen. Wachsam hebt Charlie den Kopf, lauscht auf die Geräusche von draußen. Anders als ihre Vorgängerin Leni hat Charlie die Pferde sofort in ihrem Rudel akzeptiert und hat nicht die geringste Angst vor ihnen. Es ist nicht ihre erste Nacht im Zelt, doch das erste Mal, dass die Pferde unmittelbar neben dem Zelt in einem Elektrozaun stehen. Und Charlie muss sich erst an die Geräusche gewöhnen. Alles in Ordnung, beruhige ich sie. Dankbar rollt sie sich wieder zusammen.

Während der Nacht legt sich der Wind. Doch nur um Kraft zu sammeln, um am nächsten Morgen noch heftiger zurückzukehren. Wie viele Male sind wir nun schon gemeinsam aufgebrochen, denke ich, während ich die Pferdedecke auf Rustys Rücken festhalte, damit sie nicht davonfliegt, bevor Günter den Sattel auflegen kann, und trotzdem gibt es immer etwas Neues. Kein Aufbruch gleicht dem anderen, nur eines haben sie alle gemeinsam: Immer kribbelt es in meinem Bauch und immer ist es ein Start in ein neues, unbekanntes Abenteuer.

Eine schmale Jeep-Road führt uns durch den Copper Canyon bergauf. Pinien und Wacholdersträucher wachsen am Wegesrand. Ich fröstle und steige ab, um mich beim Gehen aufzuwärmen. Wir hatten uns vor den heißen Tagen in der Wüste Nevadas gefürchtet, doch jetzt ist es erstaunlich kalt für Anfang Mai. Auch die Wettervorhersage für die nächsten Tage klingt nicht gerade kuschelig. Nachts soll das Thermometer noch weit unter den Gefrierpunkt sinken. Trotzdem sind wir erleichtert, dass es so kalt ist. Denn unsere größte Sorge gilt Charlie. Sollte es für sie zu heiß werden, würden wir unseren Ritt durch Nevada sofort beenden. Doch mit den aktuellen Witterungsbedingungen hat Charlie keinerlei Probleme, im Gegenteil. Fröhlich springt sie vor den Pferden her, schnuppert fasziniert hier und dort, und springt trotz der Kälte voll Begeisterung in einen Tümpel, die einzige Wasserstelle, die wir an diesem Tag sehen.

Über 100 Bergketten erstrecken sich in nord-südlicher Ausdehnung in Nevada. Über 28 dieser Bergketten führt der American Discovery Trail auf Höhen von über 3.000 Metern. Doch es sind die Täler dazwischen, die uns Kopfzerbrechen bereiten. Flach und heiß wie Bratpfannen verdampft hier das Wasser der Flüsse, die in den Bergen entspringen. Zurück bleiben staubtrockene Senken, die in der Sonne glänzen, weiß wie Schnee. Auch die feinen blauen Adern in der Karte, die so vielversprechend Wasserläufe skizzieren, sind trocken, selbst jetzt im Frühjahr. »Wann, wenn nicht jetzt, führen sie Wasser?«, frage ich eine Rancherin, die uns in ihrem Jeep begegnet. »Nur in manchen schneereichen Jahren«, antwortet sie und in ihrem Lächeln liegt eine Entschuldigung für dieses so wenig gastfreundliche Land.

Wassermangel
Es ist das Wasser, oder vielmehr der Mangel daran, das eine Reise durch Nevada zu Pferd schwierig, ja fast unmöglich macht. Ende des 19. Jahrhunderts, als der Pony Express quer durchs Land führte, gab es im Abstand von 10-15 Meilen Versorgungsstationen. Damals war es möglich, mit Pferden quer durchs Land zu reiten. Jetzt findet man gerade mal alle hundert Meilen eine Tankstelle. Selbst mit zwei Packpferden können wir nicht genug Wasser für die Pferde transportieren. Auch Charlie hat ihre eigene Trinkflasche in meiner Satteltasche. Wir haben uns informiert, welche Quellen normalerweise um diese Jahreszeit Wasser führen. Eine Garantie ist auch das nicht.

Am späten Nachmittag erreichen wir Cave Lake State Park, wo Wolfgang bereits auf uns wartet. Er begleitet uns als Fotograf durch Nevada und hat unseren Truck vom ersten Camp über den Umweg der Straßen hierhergefahren. Auf der Ladefläche stapeln sich hinter einem riesigen Wasserfass Heuballen und einige Säcke Heu-Cubes. Denn ohne Wasser wächst in Nevada auch kaum Gras.

Günter zerrt den ersten Heuballen vom Pickup. In seinem Gesichtsausdruck entdecke ich dieselbe Skepsis, die auch mich seit Wochen plagt. Seit Jahren sind wir es gewohnt, autark unterwegs zu sein, alles dabei zu haben, was wir brauchen. Eine Art des Reisens, die für uns Freiheit bedeutet. Jetzt reicht es nicht mehr, eine grobe Route zu planen, die wir bei Bedarf einfach verändern können. Jetzt müssen wir an jedem zweiten oder dritten Abend an einem vorgegebenen Treffpunkt ankommen. Denn wir können höchstens für zwei Tage Futter für die Pferde transportieren. Vor allem in den Tälern sind wir darauf angewiesen, den Pickup mit Futter und Wasser zu treffen. Sollte der Truck eines Abends nicht am vereinbarten Ort sein, dann stünden wir vor einem großen Problem.

Besuch der Wildpferde
Die alte Ranger-Station mitten in der White Pine Range hat schon bessere Tage gesehen. Das kleine Holzhäuschen, dessen weißer Anstrich abblättert, steht im Schatten großer, alter Bäume. Dahinter einige Schuppen. Die Gebäude wirken verlassen und verwahrlost. Schade, doch andererseits bieten die alten Tische und Bänke und die große Feuerstelle einen idealen Lagerplatz für uns, an dem wir Günters Geburtstag feiern können. Unsere Pferde bringen wir in dem alten Holzkorral unter. Skeptisch betrachtet Günter den Zaun, der nicht mehr sehr stabil ist. Doch da wir die Pferde mit ausreichend Heu-Cubes füttern, sollten sie keinen Anlass haben, auszubrechen. Zur Feier des Tages machen wir Popcorn am Lagerfeuer. Gerade als die ersten Maiskörner explodieren, bellt Charlie plötzlich. Dann hören wir ein hohes Wiehern. Günter und ich springen gleichzeitig auf. Wir wissen, was los ist. Wir haben die Spuren schon den ganzen Tag gesehen, und rund um die Ranger Station waren sie sehr frisch. Wildpferde!

Rund 80.000 Wildpferde gibt es derzeit in den USA, die Hälfte davon, 40.000 Wildpferde, leben in Nevada. Auch meine beiden Pferde, Rusty und Lightfoot, sind auf den Prärien Nevadas aufgewachsen, bevor sie eingefangen wurden. Bisher hat uns der Anblick der Wildpferde immer begeistert, doch dass sie uns ausgerechnet jetzt, bei Einbruch der Dämmerung in unserem Lager besuchen wollen, gefällt uns gar nicht. Denn wilde Hengste können gegenüber Pferden, die in ihr Gebiet eindringen, aggressiv reagieren.

Im letzten Dämmerlicht sehen wir zwei Hengste, die außerhalb des Korrals mit den Vorderhufen scharren. Im Korral reagiert Dino mit ähnlichem Machtgehabe, während Rusty, Azabache und Lightfoot das Geschehen gebannt aus dem Hintergrund beobachten. Dino ist der kleinste unserer vier Wallache, doch er hat das größte Selbstbewusstsein. Immer wieder geben die Pferde hohe quietschende Laute von sich. Zu gerne würde ich noch länger beobachten, doch der altersschwache Zaun würde weiteren Annäherungen nicht standhalten und wir wollen keine Verletzungen riskieren. Im Dunkeln spannt Günter eine Highline zwischen den Bäumen rund um unser Zelt. Dort binden wir unsere Pferde für die Nacht fest. Immer wieder lauschen wir nachts auf Geräusche von draußen, doch wir bleiben ungestört. Nur die Kälte kriecht in dieser Nacht ganz tief in unsere Schlafsäcke. Das Thermometer sinkt auf minus 15 Grad. Das Wasser in unserer Faltschüssel friert zu einem soliden Eisblock. Ich überlege, ob ich Charlie zudecken soll. Doch sie schläft friedlich auf den Pferdedecken an meinem Fußende. Die Kälte kann ihr nichts anhaben.

Zu Gast auf der historischen Martin Ranch
Einige Tage später sind wir unterwegs zur Martin Ranch. Sie liegt völlig abgelegen mitten in den Bergen der Monitor Ranch. Je näher wir an diesem Abend zur Ranch kommen, umso stärker wird der Schneefall. Doch es könnte kein besseres Wetter geben, um in dieser gemütlichen alten Ranch einzureiten. Vicki, die Senior-Chefin, erwartet uns. Sie hat bereits vor Stunden den großen Holzofen im Bunkhouse – der ehemaligen Schlafbaracke der Arbeiter –für uns geschürt. Dort dürfen wir es uns gemütlich machen und bleiben, solange wir wollen – wie Vicki scherzhaft sagt. »Denn jeder Gast, der in Nevada Niederschlag mitbringt, darf bleiben, solange er will.« Die Martin Ranch wurde 1887 von Vickis Großmutter gegründet. Wenig hat sich seither verändert. »Alles, was jemals hier auf der Ranch war, ist immer noch da«, erklärt Vicki und deutet auf die vielen alten Maschinen und Fahrzeuge, die die Ranch zu einem lebenden Freilichtmuseum machen. Man kann sich gut vorstellen, wie das Leben vor über hundert Jahren hier abgelaufen ist.

Wir haben die Pause dringend nötig, denn Nevada fordert uns: Der starke Wind, die extreme Kälte und die Trockenheit, die unsere Finger rissig macht und auch Charlies Pfoten zusetzt. Morgens und abends creme ich ihre Pfoten ein, um sie vor der Trockenheit zu schützen, doch so wie bei unseren Händen keine Creme mehr gegen die extreme Trockenheit ankommt, so sind auch Charlies Pfoten empfindlich ­geworden. Wir haben Booties – kleine Schühchen – für Charlie dabei, die wir ihr im Notfall anziehen können. Doch eine Pause ist definitiv die bessere Alternative.

Charlie lernt reiten
Bei Schneefall kamen wir auf der Martin Ranch an. Doch innerhalb von zwei Tagen steigen die Tageshöchstwerte um mehr als 30 Grad. Ein nicht untypisches Phänomen für Nevada. Schon seit 5 Uhr morgens sitzen wir wieder im Sattel, bereits um 12 Uhr ist die Hitze kaum mehr erträglich. Kein Lüftchen regt sich, kein Baum bietet Schatten. Gnadenlos brennt die Sonne am wolkenlosen Himmel. Charlie verkriecht sich unter einem der knorrigen Salbeibüsche, der einzigen Vegetation weit und bereit, um wenigstens ein bisschen Schatten zu finden. Genau davor hatten wir Angst gehabt, als wir in Nevada gestartet sind. Schneefall, Kälte, Sandsturm, – all diesen Widrigkeiten hat Charlie fröhlich getrotzt, doch mit der Hitze kann sie nicht umgehen.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass Charlie mit ihren 20 kg zu groß und schwer ist, um bei mir im Sattel zu reiten. Aber wenn es notwendig ist, wird auch das Unmögliche möglich. Als Günter sie zum ersten Mal hochhebt, legt sie sich entspannt vor mir quer über den Sattel, als hätten wir das schon Hunderte Male gemacht, und sieht völlig zufrieden aus. Lightfoot, mein Reitpferd, nimmt den neuen Passagier ebenfalls gelassen. Und ich lasse die Zügel los und halte Charlie fest, Lightfoot weiß auch ohne meine Führung, wo es langgeht.

Zwei Meilen später erreichen wir Goat Springs. Die Quelle ist umgeben von hohen Bäumen, und zu unserer riesigen Erleichterung gibt es tatsächlich Wasser. Es tröpfelt zwar nur, wird aber in einem großen Tank, der als Rindertränke dient, aufgefangen. Die Pferde trinken gierig und für Charlie ist der Tank ein großartiger Swimmingpool! Uns dient das Wasser darin als Trinkwasser. An diesem Nachmittag studieren wir die Landkarte. Je weiter wir nach Westen kommen, umso flacher wird das Land. Wer Wüsten- und Steppenlandschaften liebt, mag vom Anblick dieser Landschaften begeistert sein, auch Wolfgang ist von den fotografischen Qualitäten der Steppe fasziniert, doch für mich sind die ebenen Täler einfach nur öde, karg und trostlos. Charlie kann zwar kurze Strecken bei mir im Sattel reiten, doch bei dieser Hitze dürfen wir ihr einen Ritt durch die trockenen Täler nicht zumuten.

Es ist immer schwer, von einem Plan abzuweichen. Vor allem, wenn man ihn bereits vor langer Zeit an einem fernen Ort geschmiedet hat. Doch manchmal sind es gerade die Pläne, die man über Bord wirft, die einem die Freiheit zurückgeben. Es war eine Schnapsidee, einmal quer durch Nevada reiten zu wollen. Jeden zweiten Abend den Truck treffen zu müssen, fühlt sich für uns an, als würden wir immer zum Stall zurückkehren, nur dass dieser mobil ist. Wir kommen auf diese Weise nicht in den Flow des Reisens, wie wir es gewohnt sind.

Spontan zeichnen wir drei Kreise auf die Landkarte: Alta Toquima Wilderness, Table Mountain Wilderness und Arc Dome Wilderness. Grüne Flecken, die wir umzingeln. Es sind Wildnisgebiete, die man nur zu Fuß oder auf dem Pferderücken betreten darf. Und genau das werden wir ab jetzt machen. Statt weiter Richtung Westen zu reiten und einem Plan zu folgen, der uns missmutig macht.

Schon nach den ersten Metern vom South Twin Trailhead in die Arc Dome Wildnis wissen wir, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Die Landschaft ist so kontrastreich, so spektakulär, dass es uns den Atem raubt. Aus dem ebenen Tal heben sich plötzlich zerklüftete schwarze Felsen und steile Klippen. Ein schmaler Pfad schlängelt sich über den ersten Bergrücken und führt uns hinab in eine dicht bewachsene Schlucht, deren Felswände links und rechts Hunderte Meter aufragen. Es ist angenehm kühl und ein kleiner Bach fließt, der uns während des gesamten Aufstieges mit Wasser versorgt. Bei jeder Querung legt sich Charlie einfach mitten in den Bach, die Pferde warten geduldig am Ufer.

Als wir bereits nach acht Kilometern unser Lager aufschlagen »müssen«, weil die Weide nur zu einladend ist, haben wir erstmals das Gefühl, wieder wirklich unterwegs zu sein – autark und unabhängig. Alles bisher war Anreise, um endlich anzukommen, auf schmalen Pfaden, auf denen seit Jahren niemand mehr unterwegs war, mitten in der unberührten Natur. Die Handsäge kommt wieder zum Einsatz, um umgefallene Bäume wegzuräumen und Charlie macht ihre ersten Versuche als Spürhund bei der Wegsuche. Es ist spannend zu beobachten, wie sie langsam erkennt, was der Weg und was nur ein Wildwechsel ist. In den Wildnisgebieten sind wir auf Höhen von 2.500 bis 3.000 Metern unterwegs, in einem angenehmen, kühlen Klima.

Wir sind froh, dass wir von unserem ursprünglichen Plan, quer durch Nevada zu reiten, abgewichen sind. Wir wollen so unterwegs sein, dass die Reise für alle passt – Menschen, Pferde und vor allem für Charlie. Fünf Wochen lang waren wir in Nevada unterwegs. Jetzt bereiten wir uns gerade auf die nächste Etappe vor, auf die wir uns schon sehr freuen. Denn 2.300 Kilometer liegen vor uns, die wir auf einem der schönsten und legendärsten Weitwanderwege der USA zurücklegen wollen: dem Pacific Crest Trail, von der Sierra Nevada im Norden Kaliforniens bis hinauf in das Kaskadengebirge in Washington.

 

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