Wolfsforschungszentrum: – Wölfe, Hunde und ihre Menschen

Vor vier Jahren taten sich drei Wissenschaftler zusammen, entschlossen, Hunde und Wölfe in gleicher Weise aufzuziehen, um endlich ihr Sozialverhalten, ihre geistigen Leistungen und ihr Problemlösungsverhalten in fairer Weise vergleichen zu können. Innerhalb weniger Jahre wuchs dieses Wolf Science Center (WSC) im niederösterreichischen Ernstbrunn mit einem engagierten Team wissenschaftlicher Kollegen, Hundetrainern, Studenten und Freiwilligen (geschlechtsneutrale Bezeichnung, denn tatsächlich sind die meisten der Teammitglieder weiblich) zu einer einzigartigen wissenschaftlichen Institution heran, in der Forschung in aller Öffentlichkeit geschieht. Denn Besucher und Beobachter werden nicht nur in Kauf genommen, sie sind vielmehr erwünscht.

Die Idee zur Gründung des WSC fiel nicht einfach vom Himmel. Wie zunehmend Wissenschaftler weltweit waren auch wir, aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln, interessiert an der evolutionären Entwicklung des komplexen Sozialverhaltens und der Intelligenz von Menschen. Und alle drei hatten wir schon mit Hunden gearbeitet. Die ungarische Biologin Dr. Zsófia Virányi verglich in ihrem früheren Wissenschafts­leben die kommunikativen Fähigkeiten von Hunden mit zweieinhalbjährigen Kindern. Zudem hatte sie bereits einen Wolfswelpen bei sich zu Hause aufgezogen, im Rahmen eines Hund-Wolf Vergleichsprojekts der Abteilung für Ethologie der Eötvös Universität in Budapest. Dr. Virányi war und ist besonders daran interessiert, wie Domestikation das Denken der ­Hunde im Vergleich zu Wölfen und ihre Beziehung zu Menschen veränderte.

Prof. Kurt Kotrschal führte zunächst für die Universität Wien die Konrad Lorenz Forschungsstelle in ­Grünau. Dort fliegen seit Konrad Lorenz‘ ­Zeiten Graugänse durchs Tal, Raben treiben ihr (Un)wesen und die vom Aussterben bedrohten ­Waldtrappen wurden neu angesiedelt. Mit einem internationalen Team wurde dort seit über 20 Jahren erforscht, wie Vögel ihr komplexes Sozialleben ­organisieren, welche Rolle dabei ­Hormone spielen und wie sie ihr Sozialleben zu geistigen Hochleistern macht; Mechanismen übrigens, die sie mit anderen Wirbeltieren, einschließlich den Menschen teilen.

Dr. Friederike Range kam aus Deutschland nach Österreich, schon vor etlichen Jahren, nachdem sie ihr Doktorat an der Universität Pennsylvania in den USA abgeschlossen hatte. Dazu war sie Gruppen von Affen im Thai-Regenwald, in Westafrika, gefolgt, um zu beobachten, wie die Jungen ihr soziales Netz entwickeln.

Die Anfänge
Als wir uns vor mehr als vier ­Jahren an der Universität Wien trafen, waren wir sicher, gemeinsam gute Voraus­setzungen mitzubringen für ein spannendes neues Vorhaben; gerade weil wir aus unterschiedlichen Ländern und mit unterschiedlichen Erfahrungen und Interessen an die Sache heran­gingen. Wir waren uns sofort einig, dass wir in gleicher Weise aufgezogene, mit Menschen sozialisierte Wölfe und Hunde brauchten, um heraus­zufinden, wie diese für uns Menschen immer schon so wichtigen Tiere ihre Beziehungen aufbauen und wie sie untereinander und mit uns kommunizieren und kooperieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte es jeder von uns schon mal für sich versucht, ein ­solches Forschungsunternehmen auf die Beine zu stellen. Gemeinsam sollten wir es schließlich schaffen.

Im Mai 2008 gründeten wir schließlich den Verein „Wolfsforschungszentrum" (Wolf Science Center). Mit unseren ersten 14 Tage alten schwarzen Wolfswelpen aus dem Tierpark Herberstein zogen wir in ein von uns umgebautes Gehege im ­Cumberland Wildpark in Oberösterreich. Wir adaptierten ein paar kleine Räume und zogen mit den Welpen ein. Lange Tage und Nächte verbrachten wir mit ihnen, fütterten sie mit dem Fläschchen und teilten mit ihnen unsere Matratzen. Wir spielten mit ihnen, unternahmen lange Leinenspaziergänge durch den Park und begannen mit den ersten Tests. Das Ziel war, zu verstehen, wie sie denken, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen und von ­anderen ­lernen. Unsere erste ­Trainerin war Bea ­Belényi, ebenfalls aus Ungarn, von Anfang an Teil unseres Teams. Sie ­trainierte die Welpen, den „touch screen" zu bedienen, indem sie eines von zwei Symbolen mit der Nase berühren sollten und dafür belohnt wurden, wenn sie richtig wählten. Und sie überwachte das frühe Grund­training der Welpen wie „Sitz", „Platz" oder „Pfote geben", was ganz wichtig ist, um die kooperativen Anlagen zu entwickeln, nicht nur bei Hunden.

Wie werden die Wölfe und Hunde gehalten?
Das wichtigste Ziel ist es, vertrauensvolle Beziehungen mit den Tieren zu entwickeln, damit aus jungen Wölfen gute Partner in der Wissenschaft werden. Als Nebeneffekt ist ihnen dadurch hoffentlich weniger langweilig als anderen Gehegewölfen und so neigen sie weniger dazu, im Rudel aggressiv zu werden. Wölfe, die bei ihrer Mutter aufwachsen, beginnen etwa um die vierte Lebenswoche Scheu vor Menschen zu entwickeln, selbst wenn es sich dabei um eine zahme Wölfin handelt. Daher die ­große Bedeutung der frühen Handaufzucht durch den Menschen.

Als Spielpartner und durch die Tests und das Training beschäftigen und entwickeln wir vor allem den Geist der Tiere. Geistige Frühförderung für Wölfe, sozusagen. Leinenspazier­gänge und simulierte Jagden auf dem größten Laufband der Welt (s. WUFF 10/2011) sorgen zudem für einiges an körperlicher Bewegung, sowohl bei den Wölfen als auch den gleichartig aufgezogenen Hunden – und auch bei uns.

Kleinere veterinärmedizinische Behandlungen (Versorgen kleiner Wunden, Medikamente und Injektionen Geben usw.) werden ins tägliche Routinetraining eingebettet, die ­Tiere bemerken sie kaum. Im Zuge der Handaufzucht achten wir auch ­darauf, dass die Welpen und Jungwölfe häufig Besuch von fremden Menschen bekommen. Dies unter ­kontrollierten und entspannten Bedingungen, sodass sie lernen, dass fremde Menschen kein Stress sind, sondern, im Gegenteil, eine interessante soziale Abwechslung. Wir hoffen natürlich, dass unsere Botschaft der Notwendigkeit der geistigen Beschäftigung von Gehegewölfen auch andere Zoos und Wolfsparks erreicht. So denken wir, dass sich unsere Wölfe und Hunde in dieser für sie ­abwechslungsreichen Haltung sehr wohl fühlen. Jeder kann uns dabei unterstützen, etwa durch Adoption eines unserer Wölfe oder Hunde, um einen Teil der nicht unbeträchtlichen Kosten der Haltung, des Trainings und der medizinischen Betreuung unserer Wolfs- und ­Hundepartner zu tragen. Dafür gibt’s dann auch spezielle Informationen und Besuchsrechte.

Unabhängige Spitzenforschung
Ohne Unterstützung durch Private ginge es nicht. Nur so ist Spitzenforschung möglich, die im WSC in Zusammenarbeit mit der Universität Wien, der Veterinärmedizinischen Universität Wien und vielen ­Kollegen weltweit erfolgt. Ein wichtiges Element guter Wissenschaft ist die finanzielle Unabhängigkeit, das Verdienst nicht weniger treuer Sponsoren, Paten und WSC-Mitglieder aus dem Weinviertel, aus Österreich und weltweit. Wir verdienen zudem notwendige Mittel durch Besucherprogramme, etwa Wolfsspaziergänge, „howl nights", Führungen, etc. Und nicht zuletzt unterstützen uns auch die Universitäten und die Öffentliche Hand. Die direkten Forschungskosten decken wir zunehmend über Dritt­mittel, wie etwa eine Forschungs­finanzierung durch das Wissenschaftsministerium, durch den FWF, WWTF und nun auch durch Gelder des European Research Council. Inter­nationale Finanzierung für internationale Forschung eben.

In den vergangenen vier Jahren zogen wir vier Gruppen von Wölfen und drei Hundegruppen auf. Heute leben unsere 15 Wöfe in vier Rudeln, die 13 Hunde in drei Rudeln. Alle unsere Männchen sind vasektomiert, also samenleiterunterbunden. Es gibt also keinen ungewollten Nachwuchs am WSC. In der Regel kommen unsere Wolfswelpen aus Parks in Kanada und den USA, indem wir sie auf­wändig abholen und über den Atlantik ­fliegen. Die Hundewelpen kommen vor allem aus ungarischen Tierheimen. Es ist für uns wichtig, mit genetisch unterschied­lichen Tieren zu arbeiten, da sich Wölfe und Hunde aus ­unterschied­lichen Linien beträchtlich voneinander unterscheiden können. Nur so können wir zu gültigen Aussagen über „Hunde" im Vergleich zu „Wölfen" kommen, nicht nur über bestimmte Hunde und Wölfe.

Leidenschaft und hohe wissenschaftliche Standards
Wissenschaft mit Tieren in ­großen Gehegen und guter Haltung zu be­treiben, erforderte einen erheb­lichen Bau-Aufwand. In Zusammen­arbeit mit dem Wildpark Ernstbrunn, in den wir bereits 2009 übersiedelten, entstanden acht Gehege sowie zwei Test- und ein Aufzuchtgebäude. So entstand gerade mal 40 km nördlich von Wien eine einzigartige Anlage für Wolfs-und Hundeforschung mit insgesamt über 30.000m2 Gehegefläche. Zu den Öffnungszeiten des Parks oder nach Vereinbarung könnnen unsere Besucher das Verhalten von Wölfen und Hunden beobachten und so selber ergründen, worin sie sich unterscheiden. Man kann die besttrainierten, kooperativsten Wölfe der Welt treffen und zusehen, wie sie mit den Trainerinnen und mit uns arbeiten, im Testgebäude oder im Gehege.

Bei uns findet die Wissenschaft nicht im stillen Kämmerchen statt. Und man kann eine ganze Menge über die Tiere und unsere Arbeit erfahren, etwa bei unseren Führungen, bei Wolfsspaziergängen, oder bei eintägigen „foto­shootings" in direkter Begegnung im Gehege.

Was als Leidenschaft von drei Wissen­schaftlern begann, wuchs rasch zu einem Unternehmen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Trotzdem gibt es keine Kompromisse, was die­ wissen­schaftlichen Ziele und Standards, die Tierhaltung und die Öffentlichkeitsarbeit betrifft. Seit 2008 wuchs unser Team ständig. Martina Jirsa etwa managt den Betrieb und ­unsere Trainerriege umfasst Bea Belényi, Rita Takács, Marleen Hentrup und Gale Motter. Alex Reitmayer hält unsere Anlagen in Schuss und Sandra Pecik, Patricia Berner, Laura Huber-Eustachi, ­Andreas Schmidt, sowie unsere so wichtigen ­Freiwilligen betreuen und informieren unsere Besucher.

Das Wolfsforschungszentrum ist ein lebendiger Ort, wo immer etwas los ist, in aller Ernsthaftigkeit, aber jenseits der steifen Würde des wissen­schaftlichen Elfenbeinturms. In Zusammenarbeit mit WUFF wollen wir diese Serie über uns in den nächsten Ausgaben fortsetzen, um Ihnen genauere Einblicke zu geben über unsere Ziele und Methoden, unsere neuesten Forschungsprojekte oder einfach, wie sich das Leben am WSC abspielt. Es ist immer aufregend, wenn auch nicht immer lustig, wie das eben so ist, wenn Menschen unterschiedlichster Herkunft hart an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Wir ­freuen uns aber auch über Ihren Besuch vor Ort und vielleicht wollen Sie ja auch aktiver Teil unseres Teams werden, als Mitglied oder Pate des WSC oder gar als freiwilliger Mitarbeiter. Sollten Sie neugierig geworden sein, empfiehlt es sich, auf unserer Website zu surfen (www.wolfscience.at ).

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