Wolfsforschungszentrum: – Partner auf gleicher Augenhöhe

Wie arbeitet man mit Wölfen, ohne dass es zum Konflikt zwischen Mensch und Tier kommt, vor allem nicht zu einem Konflikt um die Alphaposition im Rudel? Und wie macht man Wölfe zu Partnern in der Wissenschaft – zu Mitarbeitern, die gerne an Versuchen teilnehmen und ihr Bestes geben? Das sind zwei wichtige Fragen, mit denen wir uns sehr viel beschäftigen, aus Sicherheitsgründen, aber auch im Sinne gültiger Ergebnisse. Dazu entwickelten wir am Wolfsforschungszentrum (WSC, Wolf Science Center) einige Ideen – ob sie aber funktionieren, werden wir wohl erst in ein paar Jahren genauer wissen.

Im Gegensatz zur Familienstruktur von Wölfen im Freiland werden Rudel in Gehegen oft bunt aus Tieren zusammengewürfelt, die nicht miteinander verwandt und unterschiedlich alt sind, so auch im WSC. Vor allem aber haben sie keine Möglichkeit, ihr Rudel zu verlassen, wenn sie einander nicht ausstehen können. Daher etablieren sich im Gehege klare Ranghierarchien zwischen den ­Wölfen. Die Alphas haben gewöhnlich den besten Zugang zu Ressourcen wie Nahrung und Partnern, allerdings ­vielleicht auch etwas ­Verantwortung, sich um ihr Rudel zu kümmern – zumindest haben wir manchmal ­diesen Eindruck.

Viele Leute, die mit Wölfen ­arbeiten, scheinen zu glauben, ihre Wölfe ­dominieren und die Alpharolle im Rudel übernehmen zu müssen. So­lange ­diese Rolle unangefochten bleibt, ist dies auch sicher möglich. Allerdings ist das Problem bei Ranghierarchien, dass jeder gerne den Zugang zu wichtigen Ressourcen hätte und es sich daher lohnt, hin und wieder zu testen, wie fest der Höherrangige eigentlich im Sattel sitzt. Dies macht Sinn, denn der bessere Zugang zu Ressourcen wirkt sich unter natürlichen Bedingungen auf die so genannte „Fitness" eines Tieres aus, was in der Sprache der Biologen bedeutet, dass dieses Indi­viduum mehr Nachkommen als andere zeugt. Es lohnt sich also, sich um diese Alphaposition zu bemühen. Das bedeutet aber nicht, dass es ständig Rangeleien um höhere ­Rangpositionen oder gar um die Alphaposition im Rudel gibt, aber doch, dass die ­meisten Tiere es früher oder später einmal probieren werden.

Aber was mache ich, wenn ein ausgewachsener Wolf mit etwa 50 kg meint, nun sei es an der Zeit, die Alphaposition anzufechten? Persönlich möchten wir nicht wirklich in dieser Position sein. Deshalb versuchen wir auf eine andere Art und Weise mit unseren Tieren umzugehen, nämlich auf gleicher Augenhöhe, mit ­Respekt füreinander. Neben der höheren Sicherheit führt dies auch dazu, dass unsere Wölfe den Kopf frei haben, zum Denken!

Nicht Teil des Rudels, sondern Partner
Das mag vermessen klingen, aber wir versuchen unseren Wölfen und Hunden beizubringen, dass wir ihre Partner sind und nicht Teil ihres Rudels. Grundsätzlich versuchen wir, jegliche Konflikte mit ihnen so weit wie möglich und von Klein auf zu vermeiden und den Tieren einfach Freude an der gemeinsamen Arbeit zu vermitteln. Unsere Wölfe und Hunde werden von klein an täglich trainiert. Sie lernen Sitz, Platz, Pfote geben, sich ­überall anfassen zu lassen und an der ­Leine zu gehen. Sie bekommen dafür Leckerlis und die Gelegenheit, mal etwas anderes als ihre ‚vier Wände’ zu sehen. Natürlich gibt es auch soziale Zu­wendung, und nicht selten ­schätzen es die handaufgezogenen Wölfe und Hunde, mit uns zu schmusen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden.

Niemals aber dominieren wir sie, wir nehmen ihnen nichts weg und setzen sie niemals unter Druck. Das Training und die Übungen fördern den gegenseitigen Respekt und vor allem das Vertrauen zwischen den Tieren und uns. Gemeinsame Arbeit und gemeinsames Erleben schmieden eben zusammen! Aber das gilt ja auch für unsere Beziehungen zu Haushunden. Zusätzlich zu den Übungen nehmen die Tiere regelmäßig an Verhaltenstests teil. Hier müssen sie ihren Grips anstrengen, um sich Futter zu ver­dienen und das gehört sicher mit zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.

All diese Übungen geschehen auf „unserem" Territorium, d.h. entweder im Testgebäude oder bei Spaziergängen. Und hier ist es auch ganz klar, dass die Tiere uns respektieren und zu einem gewissen Grad unsere Kompetenz und Führung akzeptieren. So können wir sie problemlos am Halsband halten. Das ist wichtig, wenn wir zum Beispiel Verhaltenstests machen, bei denen sie sich erst etwas ansehen sollen, bevor sie eine Wahl treffen, und natürlich bei Spaziergängen, bei denen sie sich an uns orientieren sollten. Aber auch hier versuchen wir von körperlicher Dominanz Abstand zu halten – den Unterschied zwischen Dominanz und freiwilliger Mitarbeit haben wir sehr früh zu schätzen gelernt, den kennen offenbar auch unsere Wölfe.

So haben wir bei unseren ersten Wölfen gedacht, wir könnten durch tägliche Übung die Routine ent­wickeln, dass sie sich auf den Rücken drehen lassen – etwas was Wölfe machen, wenn sie sich einem anderen, ­stärkeren Tier unterwerfen wollen. Für uns ist das allerdings ­deswegen nötig, damit wir sie im Notfall untersuchen und bei kleineren Verletzungen behandeln können. Naja, mit 3 Monaten knurrte der schwarze Aragorn erstmals, als wir ihn auf den Rücken drehten. Daraufhin trainierten wir sehr rasch ein Kommando, nämlich „roll" (von Rollen), wofür sie dann belohnt wurden. Und seitdem wurden wir nie wieder angeknurrt, denn für ein Leckerli legen sich selbst unsere erwachsenen Wölfe problemlos auf den Rücken und lassen sich den Bauch streicheln, was ja auch als angenehm wahrgenommen wird. Auf ­Kommando hin und mit freiwilliger Mitarbeit ­assoziieren die Wölfe das Rückenrollen offenbar nicht mit Dominanzausübung. Es erfordert nur Vertrauen und das sind sie offenbar bereit uns zu geben!

Wir arbeiten also hauptsächlich über freiwillige Mitarbeit, positive Belohnung, Konfliktvermeidung und liebevolle Konsequenz im folgenden Sinn: wenn ein Wolf oder Hund bei der täglichen Arbeit mitmachen möchte und freiwillig in den Testraum kommt, dann sollte er dort allerdings auch bei den entsprechenden Übungen mit­machen und darf erst zum Rudel zurück, wenn er zumindest versucht hat, die Aufgabe zu meistern. In anderen Worten: die Tür bleibt solange zu, bis unser Wolfs-oder Hundepartner beim Training oder beim jeweiligen Test mitgemacht hat. Bisher mussten wir allerdings erst bei 2 Tieren länger im Testraum ausharren, bis sie sich zum Mitarbeiten überzeugen ­ließen – und das waren zwei männliche Teenager: Überrascht? Wahrscheinlich nicht wirklich. Klingt wie Umgang mit Kindern und die Prinzipien sind tatsächlich ähnlich.

Gewöhnlich stehen wir eher vor dem Problem, dass unsere Wölfe und Hunde nicht zurück ins Rudel möchten, so gerne arbeiten sie mit uns.Wenn Sie also im Zuge eines Besuches am WSC einmal sehen, wie ein Wolf oder Hund in der Schleusenanlage zum Testgebäude sitzt, dann meist deswegen, weil er sich weigert zurückzugehen und lieber darauf hofft, nochmals arbeiten zu dürfen. Die männliche Endung ist hier übrigens gerechtfertigt, denn Rüden sind in dieser Beziehung meist sturer als unsere eifrigen Weibchen. Ein Meister dieser Spielchen ist immer wieder Nanuk. Da heißt es dann, Geduld haben.

Anders auf Wolfsterritorium
Anders sieht es allerdings aus, wenn wir zu den Wölfen ins Rudel gehen: Hier sind wir auf dem Territorium, dem Wohngebiet der Wölfe und benehmen uns dort wie freundlich empfangene bis geduldete Besucher. So mischen wir uns nie – auch nicht im Welpenalter – in die Konflikte der Tiere untereinander ein. Das müssen sie sich untereinander ausmachen, was Wölfe gewöhnlich besser schaffen als Hunde. Wenn es laut wird, bedeutet das noch lange nicht gefährlich. So versuchen wir, nicht Teil ihres Sozialgefüges zu werden und eher etwas außen vor zu bleiben. Wir streicheln sie und arbeiten mit ihnen, aber können nicht ihre Probleme lösen, das müssen sie sich untereinander ausmachen. Was nicht bedeutet, dass wir zusehen würden, wenn es zu ernsthaften Auseinandersetzungen oder zu Mobbing kommt. Solche Situationen führten durchaus schon zur Trennung von Rudeln, um ernsthafte Verletzungen zu vermeiden. Wie sich unser Management in Zukunft bewähren wird, wissen wir natürlich noch nicht. Allerdings gab es dieses Jahr während der Ranzzeit keinerlei Aggressionen uns gegenüber und die Tiere waren eher anhänglicher als sonst, gerade unsere wilden Rüden. Und das, obwohl die meisten unserer Wölfe schon erwachsen sind.

Wir haben diese Art des Umgangs nicht neu erfunden. Vielmehr erwiesen sich diese Prinzipien bisher als sinnvoll und sicher im Umgang mit Wölfen. Ein ähnlicher Umgang mit Timberwölfen im Wolfspark (USA) ergab in den letzten 30 Jahren keinen einzigen ernsteren Zwischenfall. Es geht also nicht nur um die Arbeitsbeziehung, sondern auch um die Sicherheit. Fraglich, ob das genaue Nachahmen dieses Umgangs auch für Haushunde sinnvoll ist. Für unsere Hunde im WSC, die ja genauso aufgezogen und gehalten werden wie unsere Wölfe, ist das auf jeden Fall schwieriger als für die Wölfe: sie würden sich wahrscheinlich oft leichter tun, wenn wir ihre sozialen Streitigkeiten für sie lösen würden. So, wie es die meisten Haushunde von ihrem Besitzer auch erwarten.

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