Wolfsforschungszentrum: – Menschen als Zieheltern für Wolfs- und Hundewelpen

Das Wolfsforschungszentrum (Wolf Science Center WSC) im niederösterreichischen Ernstbrunn beschäftigt sich mit den kognitiven und kooperativen Fähigkeiten von ­Wölfen und Hunden, vor allem im Zusammenhang mit ihren Sozialbe­ziehungen zu Art­genossen und zu menschlichen ­Sozialpartnern. Wir konnten die LeiterInnen des WSC dafür gewinnen, in einer exklusiven Serie für WUFF die Arbeit des Zentrums, seine Wölfe, Hunde und Menschen vorzustellen. Am Beginn dieser Serie steht die Aufzucht der Wolfswelpen.

Einfühlsam, liebevoll und kompetent von menschlichen Zieh­eltern aufgezogene Wolfswelpen werden zu kooperativen und selbstbewussten Partnern in der ­Wissenschaft. Zu Vergleichszwecken ziehen wir auch Hundewelpen am Wolfsforschungszentrum gleichartig auf, per Flasche und menschlicher Zuwendung ab Tag 10. Bei Wölfen ist dieser frühe Start der Handaufzucht deswegen nötig, da sie nur so Vertrauen in Menschen entwickeln. Und bei unseren Hunden ist dies nötig, weil wir es bei den Wölfen auch so machen. Denn hält man das soziale Umfeld während der Entwicklung ­konstant, kann man davon aus­gehen, dass festgestellte Unterschiede ­zwischen Wölfen und Hunden vor allem auf den genetischen Hintergrund zurückzuführen sind.

Wölfe und Menschen „ticken" ­ähnlich
Bevor wir uns darüber Gedanken machen, warum menschliche Zieheltern für Wolfs- und Hundewelpen tatsächlich sozialer Elternersatz sein können, liegen uns ein paar Bemerkungen zur Natur des Menschen am Herzen. Wölfe, Menschen und Hunde sind in allen ihren Merkmalen – ­Körperbau, Physiologie und Psyche – nur als soziale Tiere zu verstehen. Und diese soziale Orientierung schließt beim Menschen die Beziehung zu anderen Tierarten mit ein. Menschen sind "biophil", wie es Edward Wilson formulierte. Das ist besonders bei Kleinkindern zu bemerken, die sich überall in der Welt am meisten für Tiere interessieren. Und das zeigt auch die menschliche Frühgeschichte: alle unsere Jäger und Sammler-Vorfahren waren "Animisten", glaubten also an eine beseelte Natur. Und sie trafen bereits vor sehr langer Zeit auf Wölfe.

Genetische Daten zeigen, dass Menschen und Wölfe bereits zusammen sind, seit unsere Vorfahren vor etwa 60.000 Jahren Afrika verließen und dass die heutigen Hundetypen vor etwa 16.000 Jahren durch Selektion auf Zahmheit und im Zuge des Sesshaft-Werdens der dortigen Menschen im Gebiet des heutigen Zentralchinas entstanden. Früh schon entstanden langbeinige Hunde für die Hetzjagd und molosserartige für den Kriegseinsatz. Was daran erinnert, dass Menschen und Wölfe unter anderem ihre wenig nette Neigung teilen, zwar sehr freundlich innerhalb der Gruppe zu kooperieren, etwa beim Jagen und Aufziehen des Nachwuchses, gleichzeitig aber oft grausam jene zu bekämpfen, die nicht zur eigenen Gruppe gehören. Dass Wölfe und Menschen recht ähnlich „ticken", ist wahrscheinlich der Hauptgrund, ­warum wir heute mit Hunden unterwegs sind.

Keine Kultur ohne Hunde
Wie dem auch sei – jedenfalls entstand auf der Nordhalbkugel keine Kultur des Homo sapiens ohne Beisein des Hundes. Diese lange historische Beziehung zwischen Wolf und Mensch und die langsame Hundwerdung lässt die Vermutung keimen, dass es sich bei dieser Beziehung um mehr handelt, als um eine reine Versklavung eines Wildtieres durch Domestikation. Tatsächlich zeigt uns die moderne Verhaltens-und Neurobiologie, dass Menschen viele ihrer sozialen Mechanismen, Bedürfnisse und Neigungen mit anderen Säugetieren teilen, schon aufgrund der gemeinsamen evolutionären Geschichte. So blieb das so genannte "soziale Netzwerk" im Zwischenhirn-Hirnstammbereich über die gesamte Wirbeltier-Stammesgeschichte nahezu unverändert und steuert immer noch das instinktive Sozialverhalten selbst der Menschen. Teil dieses Netzwerks bildet das Oxytocin-System, welches bei den Säugetieren zunächst den Zusammenhalt zwischen Mutter und Kind sichert und in Folge auch Geschlechtspartner und sogar enge Freunde aneinander bindet. Dieses System wird auch ­zwischen HandaufzieherInnen und ihren Welpen oder zwischen Menschen und ihren Hunden aktiviert. Es trifft also nicht zu, dass wir Menschen mit unserem Nähebedürfnis Hunde sozial missbrauchen würden. Das Bedürfnis nach sozialer Nähe besteht in relativ symmetrischer Weise auf beiden Seiten.

Aufzucht der Welpen
Weil wir mit anderen sozialen Säugetieren, ja sogar mit manchen Vögeln, viele soziale Bedürfnisse teilen, ist es auch möglich, dass Menschen ­passable Zieheltern für Wölfe oder bspw. auch Raben abgeben. Entscheidend, wie bei menschlichen Babys auch, ist die emotionale Beteiligung und das verlässliche und sensible Eingehen auf die Bedürfnisse des Nachwuchses. Funktioniert dies, dann gehen selbstbewusste, stressresis­tente und soziale Zöglinge daraus hervor, mit gutem Urvertrauen Menschen gegenüber. Klappt diese Betreuung aber nicht optimal, ergeben sich daraus nervöse, misstrauische und sozial unsichere Tiere. Dies erklärt auch, warum die Handaufzucht von Tieren immer aufwändig ist. So bedarf es am Wolfsforschungszentrum einer Reihe von AufzieherInnen, die sich periodisch abwechseln, um die Wolfs-und ­Hundebabys über mindestens vier Monate rund um die Uhr zu ­betreuen, vor allem, um permanent da zu sein, falls sie Sicherheit und Rückhalt ­brauchen.

Aber natürlich gibt es auch Artunterschiede. So etwa benötigen menschliche Babys, ja selbst jene Graugans-Gössel, die zu Forschungspartnern an der Konrad Lorenz Forschungsstelle herangezogen werden, die Bindung zu EINER bestimmten Person, um zu sozial sicheren Individuen heranzuwachsen. Bei den Rudellebenden und sozial aufziehenden Wölfen (und auch Hunden) ist dies anders. Die M­utter muss in den ersten drei Wochen Milch geben und die Anogenital­region lecken, damit die Babys urinieren und koten können. Aber bereits mit 3 Wochen verlassen die Welpen den Bau und sozialisieren sich mit den Rudelmitgliedern. Die Beziehung zur Mutter oder zum Elternpaar ist daher weit weniger wichtig als bei Affen, Menschen oder Gänsen. Die Art und Weise, wie wir am WSC Wölfe und Hunde aufziehen, kommt also ihren sozialen Bedürfnissen entgegen und zieht eine starke Bindung, eine so genannte "Primärbeziehung", zum gesamten "Menschenrudel" nach sich. Und natürlich auch mit den sozialen Geschwistern, mit unseren Privat-Hunden, welche an diesen Aufzuchten auch immer beteiligt sind (sie sind von der Kommunikation doch näher am Wolf als wir Menschen), und mit den erwachsenen Wölfen, mit denen die Kleinen regelmäßig schon früh in Kontakt gebracht werden. Sie sollen sich ja dann in die Rudel integrieren.

Spielerisches Lernen
Es ist einer unserer wichtigsten Grundsätze, dass spielerisch schon im Welpenalter Sitz, Platz und auf-Namen-Kommen geübt wird, aber ohne jeglichen Druck, angstfrei und ausschließlich über Belohnung. Wir dominieren unsere Wolfs- und Hunde­welpen nie und vermeiden nach Möglichkeit Konflikte. Gegenstände werden etwa nie einfach weggenommen, sondern allenfalls gegen ein Futterstück ausgetauscht. So werden unsere Tiere zu geistig regen Partnern in und für unsere Wissenschaft. Die erwachsenen Tiere werden in der Regel täglich beschäftigt, es gibt Leinenspaziergänge, Trainings- und Testeinheiten, kurz: unsere ­Tiere werden körperlich und geistig ­beschäftigt, was für solch anspruchsvolle Tiere wie Wölfe und Hunde einen wichtigen Beitrag für eine gute Tierhaltung ­darstellt.

Papier ist geduldig und ersetzt nicht den persönlichen Augenschein. Soll heißen, ein Besuch am Wolfsforschungszentrum im Wildpark Ernstbrunn lohnt sich für alle Wolfs- und Hundefans. In den nächsten Monaten sind dort noch Amarok, Una, ­Chitto und Tala zu bewundern, vier Welpen aus den USA, sowie Wamblee und Kay aus Kanada. Im Spätsommer erfolgt ihre Eingliederung in die bestehenden Rudel aus insgesamt 10 Timber­wölfen und schon im ­Winter werden sie in ihrer Körper­größe kaum mehr von den Erwachsenen zu unterscheiden sein. Für die Welpen können übrigens Paten­schaften übernommen werden, Näheres dazu auf unserer Homepage (www.wolfscience.at ).

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