Woher kommt der West Highland White Terrier?

Von Dr. Daniel Josten

Wie ein kleiner weißer Jagdhund aus dem schottischen Hochland die Herzen von Menschen in der ganzen Welt eroberte und zum beliebten Spielgefährten und geschätzten Begleiter wurde.

Das Jagen von Otter, Dachs, Fuchs und ähnlichem Getier in den Schafzuchtregionen Schottlands war früher die ­Aufgabe dieser kleinen Arbeitstiere. In der Bezeichnung Terrier, die vom lateinischen Wort für Erde, terra, herstammt, klingt es schon an: Sie wurden in unterirdische Tierbaue geschickt, als Erdhunde – wie die Dackel. Auf Bauernhöfen kamen West Highland White Terrier, kurz Westies, zudem als Bekämpfer lästiger Nage­tiere zum Einsatz.

Anders da schon die übernommenen Funktionen im späten 20. Jahrhundert: Die Westie-Hündin Jenny brachte es 1986 sogar bis zur freien Mitarbeiterin des Hessischen Rundfunks – ganz offiziell mit eigenem Dienstausweis – damit sie mit ihrer Besitzerin ­weiterhin zur Arbeit gehen konnte.

Around the World
Die anhaltende weltumspannende Popularität des Westies lässt sich unter anderem daran erkennen, dass er international gerne auf Briefmarken abgebildet wird. So zierten etwa die arabischen Emirate Adschman und Umm al-Qaiwain schon 1972 Postwertzeichen damit, Äquatorialguinea an der afrikanischen Atlantikküste 1977 und Großbritannien 1978.
Aus der ursprünglichen Heimat der Hunderasse findet sich ein skurriles Beispiel aus dem Jahr 1984: Eine Westie-Marke von Calve Island. Diese Insel gehört zur schottischen Gemeinde Argyll and Bute, ist unbewohnt, in Privatbesitz und bringt eigene Briefmarken heraus.

Ab Mitte der 1990er Jahre scheint ein regelrechter Boom einzusetzen: 1994 veröffentlichen beispielsweise die beiden karibischen Inselstaaten St. ­Vincent & die Grenadinen sowie Antigua & Barbuda eigene Brief­marken mit Westie-Motiv genauso wie ­Tuvalu im Stillen Ozean. 1995 folgt das Mikronesien genannte Inselgebiet im westlichen Pazifik, der Inselstaat São Tomé & Príncipe im Golf von Guinea, im Jahr darauf Gabun in Zentral­afrika und das britische Übersee­gebiet ­Gibraltar, 1997 Turkmenistan in Zentral­asien, Dominica in der Karibik, 1998 Niger in Westafrika, im Jahr 2000 dann Osttimor in Südostasien und schließlich 2001 die britische Kanalinsel Guernsey.

Family Member
Mit seinen niedrigen Läufen wird der Westie zirka 28 Zentimeter hoch. Er wiegt zwischen fünfeinhalb und acht Kilogramm. Heutzutage gilt der einstige Jäger als reiner Begleithund und hat sich wie viele andere Terrier von seinen ursprünglichen Aufgaben entfremdet. Bewahrt hat die Hunderasse dabei aber einige Eigenschaften, die auf ihre einstige Rolle als Arbeitsallrounder zurückgehen: Mut, Selbstbewusstsein, Schärfe, aber ebenso die Sozialverträglichkeit des Meutehundes, die Schwimmfreude des Jägers von Fischottern und die beharrliche Ausdauer des Verfolgers von Füchsen. Da sie auf der Jagd leise einer Fährte zu folgen und erst nach dem Stellen des Beutetiers Laut zu geben hatten, neigen die kleinen aber zähen und zudem pfiffigen Weißen in der Regel nicht zum ­Kläffen. Dennoch ­bellen sie gerne und zeigen ­territoriales Verhalten, können also durchaus gute Bewacher abgeben.

Ihr Charakter zeichnet sich zudem durch Aufmerksamkeit und Spielfreude aus. Einige dieser Eigenschaften machen sie gerade für ihre heute häufige Rolle als Familien­hunde attraktiv. Als ­Terrier benötigt diese Hunderasse aber eine konsequente Erziehung. Denn diese ordnen sich meist nur etwas widerwillig unter. Daneben sind ausreichend Beschäftigung und Bewegung sowie eine gewissenhafte Fellpflege vonnöten. Letzteres beugt vor allem Hautkrankheiten vor. Dafür sind Westies nämlich laut Meinung von Experten wie Dr. Claude Favrot von der Klinik für Kleintiermedizin in Zürich anfällig. Um rassetypischen Erbkrankheiten vorzubeugen, sind zum Beispiel in der Schweiz Augen- und Röntgenuntersuchungen der Hüftgelenke bei eingetragenen Zuchttieren vorgeschrieben.

„Da Modehund, beim Kauf auf verantwortungsvollen Züchter ­achten.“ ­Diese Warnung von Eva-Maria ­Vogeler stammt aus dem Jahr 2006. Ähnliche Äußerungen finden sich vordem zu Beginn der 1990er Jahre als der – nicht zuletzt durch Hundefutterreklame angestoßene – Trend zum West Highland White Terrier auch im deutschen Sprachraum bereits unübersehbar geworden war. In Skandinavien, den USA und selbstverständlich Großbritannien hatte sich schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Vorliebe für diese Hunderasse entwickelt.

Roots …
Im frühen 19. Jahrhundert finden sich etliche Gemälde des Hofmalers der Königin Victoria (1819-1901), Edwin Landseer (1802-1873), mit Hunden, die dem modernen West Highland White Terrier ähneln, so zum Beispiel sein Gemälde „Dignity and ­Impudence“ von 1839. Die Darstellung einer Gruppe von Terriern auf einem Bild Henry Alkens (1785-1851) aus dem Jahr 1820 zeigt ebenfalls ein als Vorgänger heutiger Westies leicht zu identifizierendes Tier.

Als Vorfahren werden der seit Jahrhunderten kultivierte Scottish Terrier sowie die ebenso traditionsreiche Variante Skye Terrier angesehen. Zudem gehören Cairn Terrier zu den Wegebahnern. Das Kreuzen mit ihnen war sogar laut der offiziellen Zuchtregeln für Westies bis 1924 gestattet.
Teils sind Linien dieser Hunderasse bis weit ins 19. Jahrhundert belegbar. Doch die Tradition der Zucht kleiner, weißer Arbeitsterrier reicht weiter zurück. Von jeher traten in den Würfen schottischer Jagdmeuten zuzeiten besonders helle Tiere auf. Hier in Schottland machte dazumal jedoch das Vorurteil die Runde, diese zeigten nicht genügend Härte und seien daher arbeitsuntauglich. Das widerlegen zu wollen, soll bei den Züchtern ein weiterer Ansporn zu einer ­besonders strengen ­Selektion der hellen Hunde gewesen sein. Unter ihnen begegnen uns die Tiere der Gutsherren von ­Drynoch auf der Insel Skye, jene aus dem Hause der Herzöge der Grafschaft Argyll in den südwest­lichen Highlands, die als ­Pittenweem Terrier bekannt gewordenen Hunde des Dr. Americ Edwin Flaxman aus der Region Fife sowie – wiederum aus Argyll – die Poltalloch Terrier des Gutsherrn von Poltalloch, Edward Donald Malcolm (1837-1930).

Letzere gelten weithin als die bedeutendsten Ahnen der West Highland White Terrier unserer Tage. Malcolms Meute setzte sich aus Hunden zusammen, die dem Cairn Terrier ähnelten. Als eins seiner dunkleren Tiere – auf der Jagd mit einem Fuchs verwechselt – erschossen wurde, fällte Malcolm den Entschluss, bei der Jagdterrierzucht fortan zur Gänze auf die Fellfarbe weiß zu setzen. Auf Malcolms Vorschlag geht auch der Name West Highland White Terrier zurück.

Im Rassestandard setzte sich 1907 Malcolms Vorstellung eher kürzerer Schnauzen durch. Damit hatte er seinen Konkurrenten Flaxman ausgestochen. Dessen Hunde hatten ihrer Abstammung wegen nämlich eher längere Gesichter – seine Zucht basierte auf einer ­Vorgängerrasse heutiger Scottish Terrier, den Aberdeen Terriern. Trotzdem hat diese Vorläufer-Linie den heutigen ­Westies wichtige Merkmale vererbt. Als ­Flaxman 1928 starb, gedachte „The British Medical Journal“ seiner als ­„introducer of the breed of white West Highland terriers, which has recently become fashionable.“

Als deren älteste Vorgänger gelten wiederum die Tiere der Herzöge von Argyll. Vor 110 Jahren war der 9. Herzog, John Campbell (1845–1914), erstes Oberhaupt des neu gegründeten West Highland White Terrier Clubs geworden. Doch es heißt, schon im frühen 17. Jahrhundert habe König Jakob I. (1566-1625) sechs weiße Erdhunde aus Argyll erbeten, um sie einem weiteren König zu schenken, jenem von Frankreich nämlich. Unter hohem Sicherheitsaufwand seien die Tiere dann auf dem Seeweg gereist. Wie immer die Ahnenreihe der herzöglichen Zucht seitdem ausgesehen haben mag, unter der Bezeichnung Roseneath Terrier sind weiße Tiere aus diesem Adelshaus früh populär geworden. Als ihr Schöpfer gilt ­George John Douglas Campbell, 8. Herzog von Argyll (1823-1900). Vermutlich haben hier ebenfalls helle Cairn Terrier Eingang gefunden. Einzelheiten bleiben zwar umstritten, einen Hinweis auf die Vorfahren gibt jedoch die von den Herzögen früher selbst gewählte Bezeichnung: White Skye Terrier.

Benannt also nach der Hebriden-Insel vor der schottischen Westküste: In dem um 1910 erschienenen Buch „The power of the Dog“ erwähnt der Autor A. Croxton Smith unter ­anderem, dass einzelne Familien auf Skye ebenfalls altüblich weiße ­Terrier züchteten. Hierzu gehörten die ­Macleods, Gutsherren von Drynoch – und zwar ­mindestens seit dem frühen 18. Jahrhundert. Welche Relevanz den verschiedenen Vorläufer-Zuchtlinien bei der Entstehung der West Highland White Terrier jeweils zukommt, weiß indes auch Smith nicht genau zu sagen.

… to Branches
Das Interesse adliger Kreise an der Zucht der kleinen weißen Hunde zeigt sich ebenfalls darin, dass die Gräfin von Aberdeen die erste war, die den Vorsitz des 1906 ins Leben gerufenen West Highland White Terrier Clubs of England übernahm. Später folgte ihr Malcolm. Die derart kultivierte Organisation und Tradierung der Hundezucht führte dazu, dass seit über hundert Jahren das Andenken an legendäre Rassevertreter wie an regelrechte Berühmtheiten bewahrt wird. Neben den namhaften britischen Zwingern konnten sich bis Anfang der 1990er Jahre ebenfalls solche aus den Niederlanden und Deutschland einen Ruf erarbeiten. In der Schweiz konsolidierte sich die Westiezucht seit Beginn der 1970er, obwohl hier bereits 1926 der erste Wurf verzeichnet und zudem ein Rüde aus Malcolms Zucht importiert worden war.

„Luxus- und Rassehunde gab es an den Adelshöfen schon im Spätmittelalter. Aber erst mit dem Aufstieg des Bürgertums wurde eine Mode daraus. Im 19. und 20. Jahrhundert gründeten sich die Zuchtvereine, und spätestens seitdem kann man den Zeitgeist daran erkennen, welcher Hund ­gerade in Mode ist. Die Pudel-Ära, die ­Dalmatiner-Epoche, dann die ­Weimaraner Republik, die Chihuahua-Jahre … die West-Highland-White-Terrier-Hochphase, die Popularität des Portugiesischen Wasserhundes.“ (Maren Keller)

Das zu einer Zeit vorherrschende Weltbild prägt aber auch den Umgang mit den Tieren selbst. So kommt es mitunter auch beim Westie vor allem auf die zum Anlass passende Frisur an. Dabei hatte bereits Malcolm gewarnt, Ausstellungen dürften nicht dazu­ ­führen, dass die Tiere verweichlichten. Er meinte: „These terriers must be shown in working clothes.“ Immerhin: Puder und Haarspray sind auf Ausstellungen zumindest in der Schweiz nicht mehr erlaubt.

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