Wien beißt … Hunde raus aus der Stadt?

Von Gerald Pötz

Im August 2018 wird ein einjähriges Kind auf offener Straße von einem Rottweiler so schwer am Kopf verletzt, so dass es wenige Wochen später im Krankenhaus stirbt. Die Hundehalterin ist mit 1,4 Promille Alkohol im Blut mit ihrem Hund unterwegs. Die Großeltern, die mit dem Kind unterwegs sind, spielen „Engelchen flieg“ , worauf sich der entgegenkommende Rottweiler von der betrunkenen Hundehalterin losreißt. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Die Schlagzeile könnte genauso gut „Betrunkener Autofahrer erfasst Kind auf Schulweg“ lauten, doch es war diesmal kein alkoholisierter Autofahrer, sondern eine alkoholisierte Hundehalterin. Der große Unterschied bei diesem Unfall ist, dass bei dem Unfall mit einem Auto nicht alle Autofahrer in Sippenhaft genommen werden, bei den Hundehaltern jedoch sehr wohl – zumindest will es die Politik so. Es werden Verantwortliche für den öffentlichen Pranger benötigt, man will Sündenböcke vorführen. Nicht das Individuum trägt die Schuld für diesen tragischen Unfall, sondern alle Hundehalter und ihre Hunde sind die Bösen, so will es die Politik. Halt – doch nicht alle Hundehalter, denn das würde zu viele Wählerstimmen kosten. Die Politik in Wien, allen voran die Wiener Tierschutz-Stadträtin Ulli Sima (SPÖ), schießt sich wieder einmal auf die sogenannten Listenhunde ein. Diese kleine Gruppe von Wählern zu verärgern bzw. zu opfern, um die Mehrheit der Wähler zu befriedigen, scheint für sie vertretbar.

Genereller Maulkorb- und Leinenzwang

Stadträtin Ulli Sima veranstaltet kurzerhand einen „runden Tisch“ mit „Experten“ und präsentiert sogleich ihre Forderungen für Wiens Hunde:
Neben einer Alkoholgrenze für Halter von Listenhunden fordert sie eine generelle Maulkorbpflicht und Leinenpflicht für Listenhunde, ausgenommen in den kleinen umzäunten Hundezonen in Wien. Im österreichischen Bundestierschutzgesetz wird allerdings gefordert, dass Hunden eine ausreichende Bewegungsmöglichkeit geboten werden muss. Eingezäunte kleine Hundezonen sind dafür ganz sicher nicht ausreichend. Dass ausgerechnet eine Tierschutz-Stadträtin solch tierschutzrelevante Forderungen stellt, ist befremdlich. Gegenüber dem Österreichischen Hundehalterverband (ÖHV) beteuert Sima: „Ich bin selbst Mutter zweier Kinder und habe null Verständnis und Toleranz gegenüber rücksichtslosen HundehalterInnen.“ Dem können vermutlich fast alle Hundehalter zustimmen, denn in der Realität sieht es tatsächlich so aus, dass sich der Großteil aller Hundehalter rücksichtsvoll gegenüber den Mitmenschen verhält. Auffällig sind immer nur einzelne verantwortungslose Hundehalter – genauso, wie es Autofahrer gibt, die sich betrunken ans Steuer setzen. Sima hat noch weitere Forderungen, wie beispielsweise ein Zuchtverbot für Listenhunde in Wien. Was damit bezweckt werden soll, außer Populismus, ist nicht erkennbar.

Statistiken? Fehlanzeige!

Auf die Frage nach konkreten Zahlen teilt die Stadträtin Sima dem Österr. Hundehalterverband mit: „Wir haben die Strafverfahren in Wien zu Hundebissen der letzten Jahre (von 2015 bis 2018) ausgewertet und dabei festgestellt, dass die Listenhunde ca. 6% der Hundepopulation ausmachen und für 16% der Bisse verantwortlich sind.“ Wie viel das konkret in absoluten Zahlen ist, wird verheimlicht. Auch, wie viele Bisse von anderen Hunden stammen, wird nicht mitgeteilt. Vielleicht, weil es gar keine sicheren Zahlen gibt? Bei Anzeigen wird nach wie vor nicht zwischen schweren Bissverletzungen und harmlosen Kratzern unterschieden. Es wird auch nicht unterschieden, ob eine Verletzung aus einer Hunderauferei stammt, in die der Hundehalter eingegriffen hat. In meinen Augen macht es nämlich sehr wohl einen großen Unterschied, ob ein Hund gezielt, also intentional einen Menschen beißt oder nicht, wie bei einer Hunderauferei, bei welcher der eingreifende Mensch (vorhersehbar!) eine Verletzung abbekommt.

Von der Medizinischen Universität Graz gibt es eine Biss-Statistik aus dem Jahr 2006 (siehe unten), die vom Deutschen Schäferhund, Dobermann und Spitz angeführt wird. Erst an 10. Stelle, fast gleichauf mit dem Pudel, taucht der Rottweiler auf. Natürlich gibt es mehr Dt. Schäferhunde als Rottweiler, aber die Populationsgröße wurde bei dieser Statistik berücksichtigt. Die Hundebissverletzungen stehen also im Verhältnis zur Anzahl der existierenden Hunde einer Rasse. Solche Statistiken sehen Politiker wie Stadträtin Sima wahrscheinlich nicht sehr gerne. Untergraben sie doch die „hochgelobte Liste“ der „gefährlichen“ Hunderassen.

Schon bei der Erstellung der Rasselisten in Wien im Jahr 2010 war Sima federführend und die treibende Kraft dahinter. Auf welcher Basis diese willkürliche Auflistung beruhe, wurde von Frau Sima damals mit „hauseigenen Polizeistatistiken“ begründet. Diese angeblichen Polizeistatistiken wurden allerdings – auch auf mehrfache Nachfrage sämtlicher Medien – nie herausgegeben. Ich glaube daher, dass es eine solche Statistik nie gab und die willkürliche Rassenaufzählung einfach von deutschen Bundesländern abgeschrieben wurde. Wie sonst kommt beispielsweise ein Staffordshire Bullterrier auf diese Liste der gefährlichen Hunde? Das ist eine relativ kleinwüchsige Rasse, mit der es nach meinen Informationen in der Vergangenheit keine erwähnenswerten Zwischenfälle gab. Der Schelm, der Böses denkt, könnte jetzt mutmaßen, dass der Staffordshire Bullterrier auf der Liste gelandet ist, weil er einen „so bösen“ Namen trägt. „Staffordshire“ …., wie böse, „Bull“ … klingt auch sehr mächtig, „Terrier“ … die sind ohnehin alle angriffslustig. Unter dem Motto: Ein Hund, der so einen Namen trägt, muss einfach gefährlich sein …<Ironie off>
Nach WUFF-Informationen sollen 2010 auch „echte Hundeexperten“ bei Sima beratend tätig gewesen sein und sie mehrfach darauf hingewiesen haben, dass Rasselisten wissenschaftlich völlig unhaltbar seien, dennoch hat Sima diese eingeführt.

Die Sache mit der Gefährlichkeit

Die Listenhunde sollen also gefährlicher sein als alle anderen Hunde? Mir ist kein einziges Gutachten und keine wissenschaftliche Arbeit bekannt, die dies belegen kann. Jedoch sind mir zahlreiche gegenteilige Erkenntnisse bekannt. So hat die renommierte Genetikerin Dr. Irene Sommerfeld-Stur bereits vor vielen Jahren in WUFF festgestellt: „Ob ein Hund gefährlich ist, hängt von vielen Faktoren ab, der unwichtigste Faktor dabei ist seine Rassezugehörigkeit. Wenn Menschen, aus was immer für Gründen, bewusst einen gefährlichen Hund haben wollen, dann werden sie das erreichen, egal, für welche Rasse sie sich entscheiden. Denn das Potenzial zur Gefährlichkeit hat jeder Hund. Und genauso, wie man aus fast jedem Hund einen sozialverträglichen freundlichen Familienhund machen kann, kann man aus fast jedem Hund einen aggressiven und gefährlichen Hund machen. Rasselisten beziehungsweise rassespezifische Gesetzgebung sind somit nichts anderes als ein billiger aber untauglicher Versuch von Politikern, der Angst der Bevölkerung vor Hunden, die noch dazu durch verzerrte Medienberichterstattung unverhältnismäßig wird, eine Aktion entgegen zu setzen. Ein problematischer Trugschluss dabei ergibt sich zudem daraus, dass die explizite Nennung angeblich besonders gefährlicher Hunderassen alle anderen Rassen als weniger gefährlich erscheinen lässt. Und das wiederum kann zur Folge haben, dass mit Nicht-­Listenhunden sowohl von den Haltern als auch von potenziellen Opfern sorgloser umgegangen wird.“

Der Meinung von echten Experten auf diesem Gebiet, wie Frau Dr. Irene Sommerfeld-Stur eine ist, wurde von Politikern wie Stadträtin Ulli Sima scheinbar kein Gehör geschenkt. Am Rande zu erwähnen ist auch, dass rund 80% aller Beißunfälle im privaten Bereich bzw. familiären Umfeld passieren. Genau da, wo Simas „Maßnahmenpaket“ nicht greift. Jedoch wird die Aggressionsbereitschaft von Hunden steigen, wenn sie keinen artgerechten Auslauf mehr bekommen dürfen und auch sonstige Interaktionen – z.B. mit Artgenossen Sozialkontakte pflegen – durch den permanenten Maulkorbzwang unterbunden werden. Und wo werden sich diese gestressten Hunde dann abreagieren? Genau, im privaten Umfeld. Aber das liegt dann ja nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der verantwortlichen Politiker. Hauptsache, die Straßen werden „von den beißenden Bestien“ gesäubert. Auch wenn ich das Wort „Säuberungsaktion“ ungern in den Mund nehme, so beschleicht mich das Gefühl, dass die Tierschutz-Stadträtin Ulli Sima nicht den Tierschutz (= Tiere schützen) im Sinn hat, sondern vielmehr Wien mittelfristig hundefrei zu bekommen. Zumindest empfinde ich das so. Wir Hundehalter hoffen jedenfalls, dass wir das nicht erleben müssen und eine solche Politikerin bald das politische Feld in diesem Bereich räumt.

Hundebisse nach Rassen

1. Schäferhund       2,8
2. Dobermann        2,7
3. Spitz                    1,8
4. Pekingese            1,5
5. Dachshund          1,3
6. Schnauzer            1,3
7. Collie                    1,3
8. Jagdhund             1,2
9. Pudel                    0,9
10. Rottweiler          0,9
11. Beagle                0,8
12. Terrier                0,6

Der Index ergibt sich aus der Zahl der Bisse verglichen mit der Häufigkeit der jeweiligen Rasse.
Quelle: Medizinische Universität Graz

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