Wie viel Hund braucht Hund? Sozialkontakte, ja oder nein?

Von Regina Röttgen

Der »beste Freund des Menschen« lebt heute meist nur allein und auf seinen Menschen fixiert. Wie viel Kontakt zu Artgenossen braucht der moderne Hund dann überhaupt noch?

Luna geht mit ihrer Halterin durch den Park. Als ihnen ein anderer Hund entgegenkommt, zieht diese die Hündin hektisch weiter. Spikes Halterin hingegen leint ihren Rüden schon in Sichtweite von auf der Hundewiese befindlichen Hunden mit den Worten ab »Na, dann spiel mal schön.« Am Wochenende soll es vielleicht sogar zu einem Rudeltreffen gehen. So wie Luna und Spike ergeht es vielen Hunden. Herrchen und Frauchen scheinen unsicher, ob und wie oft zu wie vielen Hunden der eigene Vierbeiner Kontakt haben sollte. »Entweder sind Hundehalter überängstlich und lassen gar keine Kontakte auf dem Spaziergang zu oder sie lassen den Hund generell ohne Leine zu jedem Hund«, weiß Monika Oehler aus langjähriger Erfahrung als diplomierte tierpsychologische Beraterin. Die Verhaltensbiologin mit Spezialisierung auf Hundeverhalten rät Haltern daher, sich an ihren Hunden zu orientieren. »Ob viel oder wenig Kontakt, Hauptsache ist, dass die Hunde Begegnungen mit Artgenossen auf gute Weise meistern können und dabei entspannt sind.«

Der Kernpunkt des artgenössischen Soziallebens unserer Haushunde liegt für Hundetrainer und Autor Sascha Bartz anders. »Der Hund generiert heute keinerlei Vorteil mehr aus Kontakten zu fremden Hunden.« Daher benötige er im Grunde genommen gar keinen Kontakt zu Artgenossen. Als zunehmend gleichberechtigtes Familienmitglied würde er nur eben auch als solches in seinen Bedürfnissen beurteilt. So würde ihm zum Beispiel ein Verlangen nach Sozialkontakten unterstellt. »Durch Anthropomorphisieren kommt es zwangsläufig zur Fehlinterpretation des hundlichen Verhaltens«, meint Bartz, der sich auf Problemhunde spezialisiert hat. »Für den Menschen ist der Sozialkontakt evolutionsbiologisch eine Erfolgsstory und somit Garant seines Wohlbefindens. Gleiches dem domestizierten Hund nachzusagen ist schlichtweg falsch«, so der Hundetrainer.

Es war einmal ein Rudeltier
Ist die wohlgemeinte Idee von Spikes Halterin, sich und Spike am kommenden Wochenende zu einem gemeinschaftlichen Waldspaziergang anzumelden, vielleicht dann doch keine gute? Nicht ganz unschuldig an diesem menschlichen und letztlich auch hundlichen Dilemma ist die kontrovers diskutierte Frage, ob der Hund ein Rudeltier ist – erlebt doch der Mythos Wolfsleben derzeit eine teils idealisierte Renaissance. Laut Bartz haben die Vorteile eines Rudellebens für den heutigen Hund an Sinn verloren. »Durch seine Domestikation sind dem Hund die evolutionsbiologischen Gründe für eine solche Lebensform quasi abhanden gekommen. Der Vorteil im Überlebenskampf, den diese Lebensform zur Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Stoffwechsel, Fortpflanzung und Sicherheit dem Wolf in freier Wildbahn bietet, spielt im Überlebenskampf des Haushundes keinerlei Rolle mehr.« Daher ist der Hund laut Bartz auch kein Rudeltier mehr. »Das heißt natürlich nicht, dass er nicht in der Lage wäre, in einer rudelähnlichen Gemeinschaft zusammenleben zu können.« Ob dies jedoch seinem Bedürfnis entspreche, bezweifelt der Hundetrainer.

Laut Tierschutzgesetz sind Hunde jedoch sozial lebende Tiere und müssen die Möglichkeit zu Kontakt mit Artgenossen haben. Wie gut dies noch funktioniert, hatte das Institut für Haustierforschung in Kiel vor rund zwei Jahrzehnten anhand einer Gruppe Deutscher Schäferhunde gezeigt (Feddersen- Petersen, 1999, 2000). Im Vergleich zu Wölfen waren diese in ihrer Gruppenstruktur und Kommunikation deutlich weniger differenziert. Es fehlte den Hunden schlichtweg an den nötigen sozialen Strategien. Dennoch waren sie dazu fähig, in dieser Gruppenstruktur zu leben und sich darin zu organisieren. Weitaus mehr Schwierigkeiten, ein funktionierendes Gruppenleben aufrechtzuerhalten, hatte die ebenfalls dort lebende Gruppe Großpudel. »Hunde sind, als vom Wolf abstammend, grundsätzlich genetisch noch immer dafür ausgerüstet, in einer Gruppenstruktur mit Artgenossen zu funktionieren. Abhängig von der Rasse gelingt dies allerdings nur mehr oder weniger gut«, erklärt Verhaltensbiologin Oehler die unterschiedlichen Ergebnisse. Straßenhunde beispielsweise fügten sich selbst gewählt zu Zweier- bis Sechser-Gruppen zusammen. »So verteidigen sie vor allem zusammen Ressourcen und interagieren sozial.« Auch Tiere aus Tierheimen oder Auslandtierschutz könnten in der Regel mit anderen Hunden sehr versiert umgehen. Durch das dauernde Üben entstehe differenziertes Können. »Diese Hunde sind oft viel routinierter im Umgang mit Artgenossen als die Hunde, die in unseren Haushalten aufwachsen«, so Oehler. Unsere meist alleinlebenden Haushunde haben es diesbezüglich besonders schwer. »Sie befinden sich nicht mehr in Situationen, in denen sie die Fähigkeit zum Gruppenleben entwickeln könnten.« Oehlers Fazit lautet daher: »Solitär lebende Hunde sind keine Rudeltiere, da sie nicht mehr darin geübt sind, in einer Gruppe mit Artgenossen zu leben.« Eine pauschal für alle Hunde geltende Aussage hält die Verhaltensbiologin allerdings für unmöglich.

Der Mensch als Sozialpartner
Zweifelsfrei ist bei der Großzahl unserer Hunde anstelle des artgenössischen Sozialpartners mittlerweile der Mensch getreten. Doch es scheint eine Kombination aus mehreren Faktoren zu sein, die das Sozialleben des heutigen Hundes bestimmt: Nicht nur Herkunft, Prägung und Erfahrungen entscheiden, ob und wie viel Kontakt ein Hund zu wem haben möchte. Auch Rasse und der individuelle Charakter spielen laut Verhaltensbiologin Oehler hierbei eine wichtige Rolle. »Hunde sind tendenziell gleichermaßen daran interessiert, mit Menschen und Artgenossen sozial zu interagieren beziehungsweise sie als Sozialpartner zu haben. Manche Hunde bevorzugen es aber, sich an einen Menschen zu binden statt an einen Artgenossen.« Dies mache die Spezies Hund so speziell. »Durch das enge historisch gewachsene Zusammenleben mit dem Menschen sind Hunde als einzige Tierart genetisch darauf fixiert, den Menschen als Sozialpartner zu betrachten«, erklärt Oehler weiter. Ausschlaggebend sei ferner, welche Hunderassen in dem Hund stecken. So sind laut der Verhaltensbiologin in Gruppen arbeitende Jagdhunde, Schlittenhunde und Herdenschutzhunde in der Tendenz selbständiger, mit einem Gruppenleben zufrieden und weniger auf einen menschlichen Sozialpartner fixiert. »Umgekehrt sind Hunderassen, die mit dem Ziel gezüchtet wurden, sehr nahe mit dem Menschen zu leben und feinste Kommandos vom menschlichen Partner auszuführen, eher auch auf diesen als bevorzugten Sozialpartner angewiesen«, differenziert Oehler.

Machen Hundetreffen Sinn?
Trifft dann zum Beispiel Luna aus unserem Beispiel gleichzeitig auf Spike und weitere Artgenossen, lassen Probleme meist nicht auf sich warten. Denn: »Viele Hunde sind nicht mehr darin geübt, mit Artgenossen zu kommunizieren«, sagt Oehler. Für die nötige Übung fehle ihnen schlichtweg der Kontakt mit anderen Hunden. Insbesondere organisierte Hundetreffen geraten somit in den Fokus der Kritik. Die angeleinten Hunde sollen sich dort auf ihre Halter konzentrieren, können mit anwesenden Artgenossen weder Kontakt aufnehmen noch ihnen ausweichen. »Dies ist biologisch unnatürlich, aber es entspricht dem realen Alltag in zivilisierten, reizreichen Umgebungen westlicher Gesellschaften«, meint Oehler. Für Hundetrainer Bartz machen organisierte Hundetreffen schlichtweg keinen Sinn für den domestizierten Hund. »Ein Hund nimmt lediglich aus zwei Gründen Kontakt zu fremden Hunden auf: Seine Bedürfnisbefriedigung nach Weitergabe seiner Gene oder Befriedigung seines Bedürfnisses nach Sicherheit.« Schwanzwedelndes aufeinander Zugehen sei nichts anderes als das Interesse zur Aufklärung der Absichten der Konkurrenten. »Für einen nicht erzogenen Hund, der demzufolge selbst die Verantwortung für alles tragen muss, bedeutet ein organisiertes Hundetreffen puren Stress. Denn er wird sich verantwortlich fühlen für das Aufklären der Absichten anderer und das Fernhalten jeglicher Gefahren von sich selbst und seiner Bezugsperson«, führt Bartz aus. Im Idealfall hingegen sei der Hund aufgrund seiner Erziehung von seiner Verantwortung entbunden. Dann habe der Hund auch kein Interesse an Kontakten zu anderen Hunden. »Er wird sie regelrecht ignorieren«, folgert Bartz. Selbst Welpengruppen hält der Hundetrainer für kontraproduktiv. »Dort besteht die Gefahr des Sammelns von negativen Erfahrungen. Für die Entwicklung seiner sozialen Kompetenzen reicht die Beziehung zu seiner Mutter und Geburtsfamilie bis etwa zu seiner zwölften Lebenswoche«, meint der Hundetrainer. Danach sei ausschließlich die Beziehung zu seiner Bezugsperson für den Welpen Entwicklungsgarant all seiner intraspezifischen, interspezifischen und umweltspezifischen Kompetenzen. »Eine Gruppe anderer Hunde ist dafür nicht notwendig. Vielmehr genügt es, im gewöhnlichen Alltag seinem Hund demonstrativ Schutz zu bieten und ihn in entscheidenden Situationen konsequent zu korrigieren.« Seine von ihm selbst zugegebenermaßen etwas pauschal formulierte Empfehlung, Hunde von jeglichen Hundetreffen fernzuhalten, ergibt sich vor allem daraus, dass er es in seiner alltäglichen Praxis vorwiegend mit sogenannten Problemhunden zu tun hat. Bei all diesen Hunden handle es sich um solche, die in ihrem Dispositionsgefüge über einen Beschützerinstinkt verfügen, weshalb sie dazu neigen, sich Artgenossen und auch unbekannten Menschen gegenüber aggressiv zu verhalten. Die Lösung für derartige Problemfälle besteht für Bartz darin, die Hunde von dieser Verantwortung im Rahmen einer Erziehung zu entbinden, denn im Anschluss würden die Hunde keinerlei Interesse mehr an ihren Artgenossen zeigen. Nehmen solche Hunde ohne vorhergehende entsprechende Erziehung allerdings an Hundetreffen teil, manifestieren sich laut Bartz aus dem Beschützerinstinkt heraus unerwünschte und im schlimmsten Fall sogar gefährliche Verhaltensweisen.

Jedem Hund das Seine
Verhaltensbiologin Oehler beurteilt Gruppentreffen aus einer anderen Perspektive. Welpengruppen, die laut der Expertin allerdings maximal aus sechs vom Charakter und Alter passenden Teilnehmern bestehen sollten, seien elementar wichtig, damit der Welpe die notwendige gesunde Entwicklung als Hund fortsetzen könne. »Wenn Jungtiere spielen können, sind sie entspannt und sie können die Umwelt in einer positiven Weise wahrnehmen und neue Situationen kennenlernen.« Dass Hunde nach der Welpenzeit weiterhin gut in einer Gruppe miteinander auskommen, hängt laut Oehler nebst Anzahl und Alter auch vom Bekanntheitsgrad unter den Hunden ab. »Hunde, die sich durch die wöchentlichen Trainings von Klein auf schon gut kennen, sind oftmals ein gut eingespieltes Grüppchen.« Neu hinzukommende Teilnehmer müssten sorgfältig und mit Fachwissen in die Gruppe eingeführt werden. »Hatten Hunde als Welpen und Junghunde ausreichend die Möglichkeit, mit ähnlich alten Artgenossen zusammen zu sein, sind sie als erwachsene Hunde gut gerüstet, die Sprache der anderen Hunde interpretieren zu können und sich selbst so zu verhalten, dass Situationen ohne ernsthafte Eskalationen ablaufen.« Fehlt von Klein auf die Möglichkeit mit Hunden interagieren zu können, haben Hunde nach Meinung Oehlers definitiv ein Defizit. »Ihnen fehlt neben dem Menschen, den sie ja sehr lieben, etwas Wichtiges, nämlich die Art der Interaktionen, die nur zwischen Hunden stattfinden können.« Oftmals finden sich dann zumindest ein oder zwei gute Hundekontakte. »Besser ein oder zwei funktionierende Hundekontakte als gar keine«, meint Oehler. Geht es nach Bartz, sind selbst diese unnötig. »Für sein erfolgreiches Überleben benötigt der Hund einen Menschen als Bezugsperson, jedoch keinen Artgenossen.« Ein Vorteil ergäbe sich daraus für ihn nicht. »Im Gegenteil, denn er ist gezwungen, sich die Aufmerksamkeit seiner Bezugsperson teilen zu müssen.«

Auch Oehler möchte keinen Hund zum Kontakt mit Artgenossen zwingen. Für die Verhaltensbiologin ist der Wunsch des einzelnen Hundes ausschlaggebend. Sei ein Hund gerne mit Artgenossen zusammen, sollte er mit weiteren Hunden zusammenleben oder zumindest viele Hundefreunde haben dürfen. Insbesondere Hunde, die von Rassen abstammen, die in der Hunde-Gruppe Aufgaben lösten, seien tendenziell glücklicher, wenn sie einen ähnlichen Typ Hund im gleichen Haushalt hätten. »Viele der heutigen, auf den Menschen fixierten Vierbeiner verlieren allerdings im Alter von allein das Interesse an anderen Hunden«, sagt Oehler und verweist darauf, dass selbst ein gut mit Artgenossen sozialisierter Hund keine Lust auf andere Hunde haben könnte. »Löst er lieber mit seinem Menschen Aufgaben, dann stimmt das für diesen Hund so.« Ein solcher Hund sollte dann aber auch in den Ferien nicht in einer Hundepension untergebracht werden, ­sondern von einer Privatperson betreut werden.

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