Ein Blick in die zahlreichen Hundehalter-, Hundetrainer- und sonstigen Hundeexpertenforen im Internet lässt einen daran zweifeln, dass die Worte „gut" und „Tierarzt" überhaupt auf einen gemeinsamen Behandlungstisch passen. Auf den Tierarzt zu schimpfen scheint „in" zu sein. Wie in jedem Berufszweig gibt es natürlich auch unter den Tierärzten schwarze Schafe, aber eben auch viele weiße und gescheckte mit dem Herzen am rechten Fleck und der Leidenschaft und dem Idealismus für diesen Beruf im Arztkoffer. Wie man diese findet, erklärt Tierärztin, Hundeexpertin und WUFF-Autorin Sophie Strodtbeck im folgenden Artikel.
Manchmal hilft es, sich Frust von der Seele zu schreiben. Und gefrustet bin nicht nur ich, sondern sind zunehmend auch viele meiner TierärztekollegInnen. Warum? Weil man als Tierarzt immer öfter das Gefühl hat, der Prügelknabe der Hundehalternation zu sein. Ein Blick auf Facebook oder in die zahlreichen Expertenhundehalterforen offenbart zum Beispiel, dass Tierärzte allesamt von der Futtermittelindustrie gekauft seien – und von der Pharmalobby gleich dazu. (Notiz 1: ich muss mal überprüfen, ob ich damals die falsche Kontonummer angegeben habe … Zahlungen sind nämlich bisher ausgeblieben …).
Sinn und Unsinn von Impfungen
Außerdem impfen Tierärzte durch die Hundekörbe hinweg alles, was nicht bei 3 auf dem Baum ist und leben allesamt sehr gut davon. Jawohl: Impfungen dienen einzig und alleine der Urlaubskasse des Tierarztes, ansonsten ist ihr Nutzen sehr gering. Parvo, Staupe und Co. sind eher zufällig fast ausgestorben. Oder sind die zugehörigen Erreger an Impfdurchbrüchen gestorben?
Sicherlich kann und sollte man über den Sinn und Unsinn von Impfungen diskutieren. Ich impfe meine Hunde nicht gegen alles, und die Seniorenfraktion bekommt nur noch die Tollwutimpfung. Aber meine Hunde sind mehr oder weniger in einer Praxis aufgewachsen und haben sowieso eine Resistenz gegen alles, was da so kreucht und fleucht. Aber die Tendenz, gar nicht mehr zu impfen, finde ich persönlich höchst gefährlich! Viele der Erkrankungen, die durch Impfprogramme zurückgegangen sind, treten wieder häufiger auf. Importe von ungeimpften Tieren aus dem südlichen Ausland oder vom „Polenmarkt" tun ihr Übriges dazu. Wer, wie ich, schon viele Tiere an Krankheiten wie Parvovirose und Staupe elendig hat sterben sehen, wird sicherlich seine Einstellungen zu Impfungen und zu Tierärzten, die diese nicht ohne Grund empfehlen, noch mal überdenken. Und als Grund zählt hier nicht die Urlaubskasse!
„Dr. Google" weiß es besser?
Apropos Hundehalterexpertenforen. Diese gibt es inzwischen so zahlreich, dass man eigentlich gar keine Tierärzte mehr braucht, denn das Fernstudium in Foren ist der derzeit praktizierten Ausbildung der Impflobbyisten und Hunde-mit-Trockenfutter-Töter sowieso doggenhoch überlegen. So ist es inzwischen mehr Regel als Ausnahme, dass der Hundehalter mit fertiger Diagnose in der Praxis auftaucht, weil „Dr. Google" die Diagnose bereits gestellt hat. Und wehe, wenn der Kollege es dann wagt, weitere diagnostische Maßnahmen zu ergreifen oder gar zu einer anderen Diagnose zu kommen, dann greift wieder Vorurteil Nummer 2. Zur Erinnerung: das war das mit der Pharmalobby …
Mir ist zu Ohren gekommen, dass ganz verwegene Tierarztexemplare sogar von Tierschutzvereinen Geld für ihre tierärztliche Arbeit verlangen. Wenn sie das tun, haben sie aber definitiv – so die Meinung vieler – ihren Beruf verfehlt. Und das ist in diesem Zusammenhang noch eine freundliche Aussage. Vielleicht sollte ich dem Schlüsselnotdienst nachts um 3 Uhr auch mal erzählen, dass a) vier Tierschutzhunde hier leben, dass ich b) lange Zeit im Pflegeheim gearbeitet habe und c) ehrenamtlich Ameisen auf die andere Straßenseite begleite? Ob ihn das wohl beeindruckt? Ich finde, das wären ausreichende Gründe, mir kostenlos ein neues Schloss einzubauen. Und ob mein Mobilfunkanbieter überhaupt schon weiß, dass ich mit meinem Handy auch schon in Sachen Tierschutz telefoniert habe? (Notiz 2: Mobilfunkanbieter und andere informieren!)
Gute Arbeit kostet was
Bei keinem anderen Berufsstand kommt man auf die Idee, ihn zu verteufeln, nur weil er für seine gute Arbeit Geld verlangt. Aber ein Tierarzt darf das offenbar nicht. Der ideale Tierarzt darf also mit Futtermittelherstellern nur per Gericht kommunizieren, muss Impfstoffe meiden wie ein Beaglehalter den Hasen, Diagnosen per Google stellen, gerne nachts bereit sein, unentgeltlich jederzeit aus dem Bett zu springen und private Termine zurückzustellen (Privatleben wird sowieso gänzlich überbewertet!), darf nie im Urlaub sein (wovon auch, wenn er nicht impft oder Futter verkauft?) und sollte am besten auch noch Bioeier legen können. Beratungen, die ja nur Zeit, aber kein Material kosten, müssen natürlich unentgeltlich sein, sollten aber das Minimum von einer Stunde Diskussion über das richtige weitere Vorgehen nicht unterschreiten. Ach ja, als Tierarzt ein Mann zu sein ist bei Hundehalterinnen ein weiterer Marktvorteil.
So einen Tierarzt gibt es nicht? Eben, die sind ja alle gekauft von der bösen Industrie.
Von Engeln und Teufeln
Warum ist es derzeit so ein Hype, auf den Tierärzten rumzuhacken? In der Regel von denjenigen, die nachts um drei anrufen, weil der geliebte Hund seit fünf Tagen einen Pickel am Hintern hat oder ein Furz quer sitzt. Und wehe, wenn der tierärztliche Unhold dann für die Behandlung auch noch etwas verlangt – so er denn nachts um drei freudig aus dem Bett springt, um sich der bereits seit drei Tagen geröteten Analregion des Hundes zu widmen. Und da fragt man sich, wo der Idealismus bleibt? Der ist leider auch keine unbegrenzte Ressource.
Dass es auch unter meinen Kollegen schwarze Schafe gibt – wie in jedem anderen Berufsstand auch – bestreite ich nicht. Ich habe auch selber schon schlechte Erfahrungen gemacht. Genau wie bei diversen Mobilfunkanbietern, Schlüsseldiensten oder sonstigen Dienstleistern. Aber die Pauschalität, mit der auf Tierärzte eingedroschen wird, erschreckt mich immer öfter. Gelobt werden dafür genauso pauschal die Tierheilpraktiker – die ja auch nicht impfen (dürfen). Ob die aber dann auch für die nächtliche Magendrehung oder den Kreuzbandriss zuständig sind, bleibt offen … Das soll nun aber bitte nicht falsch verstanden werden, ich kenne sehr gute Tierheilpraktiker (und auch sehr schlechte, wie in jedem Beruf), aber der Tierheilpraktiker ist in diesem Drama immer der Engel, der Tierarzt immer der Teufel.
Vielleicht sollte man auch mal was zur Situation der Tierärzte schreiben? Denn entgegen der landläufigen Meinung sind Tierärzte alles andere als Großverdiener. Sie haben allesamt ein sehr langes und sehr teures Studium hinter sich (das leider auch nicht von der Industrie gesponsert wird!), um sich danach als Assistent mehr oder weniger schamlos ausnutzen zu lassen. Das Gehalt unterschreitet vielerorts den gesetzlichen Mindestlohn, wird aber durch Arbeit satt wieder wettgemacht: Arbeitszeiten von 12 Stunden und mehr sind die Regel, nicht die Ausnahme. Dazu kommen unbezahlte Wochenend- und Nachtdienste; denn auch die Pickel am Hintern benötigen natürlich eine sofortige medizinische Behandlung …
Nicht vergessen darf man auch die Investitionen, die ein Tierarzt tätigen muss, um auf dem neuesten Stand der Technik zu sein und um kompetente Diagnosen stellen zu können. Medizinische Geräte wie Ultraschall oder digitale Röntgengeräte toppen die Anschaffungspreise für z.B. einen Neuwagen oft um ein Vielfaches. Auch die Kosten für regelmäßige Fortbildungen sind enorm. All das sollte man bei der Beurteilung der Preise eines Tierarztes immer mit bedenken.
Oft unmenschliche Bedingungen
Ganz ehrlich: ohne Idealismus macht das kein Mensch! Bei Aldi an der Kasse verdient man mehr und einfacher – und lebt nicht so gefährlich: Tierärzte haben von allen Berufsgruppen mit die höchste Selbstmordrate. Das liegt nicht nur am leichten Zugang zu Betäubungsmitteln, sondern an den Arbeitsbedingungen und -zeiten und an der psychischen Belastung. Nach einer im September 2009 veröffentlichten englischen Studie ist das Selbstmordrisiko bei Tierärzten viermal so hoch wie bei der Allgemeinbevölkerung und doppelt so hoch wie bei anderen Heilberufsangehörigen. Daran ändern offenbar auch die vermeintlichen Zahlungen der Industrie nichts …
Trotzdem ist es ein wunderschöner Job, den unter den herrschenden Bedingungen sicherlich keiner macht, der nicht voll dahinter steht und eine Portion Idealismus im Koffer hat. Keiner, den ich kenne, hat sich für das Tiermedizinstudium entschieden, weil ein guter Verdienst lockt, ganz im Gegenteil! Schon im Praktikum vor dem Studium wurde ich vom damaligen Chef gewarnt, vielleicht doch besser „etwas Solides" mit guten Aussichten zu erlernen. Und oft habe ich im Nachhinein an seine Worte denken müssen! Trotzdem habe ich meine Berufswahl keine Sekunde lang bereut, weil ich den Kontakt mit Menschen und Tieren schätze, ein kleines Helfersyndrom mein Eigen nenne und die Abwechslung liebe.
Vielleicht sollte der ein oder andere darüber mal nachdenken, bevor er pauschal urteilt und alle Tierärzte über einen Flohkamm schert! Und seinem Tierarzt für eine gute Behandlung oder die nächtliche Erreichbarkeit einfach mal danke sagen? Das wird jeden Kollegen freuen – mehr als das nicht überwiesene Geld von der Futtermittelindustrie …
Dieser Text soll natürlich genauso wenig pauschal alle Hundehalter in einen Napf werfen, dient aber dazu, mir den Frust von der Seele zu schreiben, die Situation des „Gegenübers" zu verdeutlichen und vielleicht den ein oder anderen mal zum Nachdenken anzuregen.
Wie findet man nun einen guten Tierarzt?
Aber nun zu der entscheidenden Frage: Wie findet man eigentlich einen guten Tierarzt, was sollte man beachten?
Ich kann nur aus meiner Erfahrung als Tierärztin, aber eben auch als ganz normale Hundehalterin schreiben. Ich brauche für mich bzw. meine Hunde keine eierlegende Wollmilchsau. Keiner kann alles und, noch wichtiger, keiner muss alles können! Aber jeder sollte seine eigenen Grenzen erkennen und gegebenfalls an einen Spezialisten überweisen. In der Humanmedizin macht ja auch nicht der Hausarzt die Zähne schön, operiert am Herzen und ist Psychiater und Chirurg in einer Person. Ich erwarte also vom Veterinär meines Vertrauens, dass er eine gute und breite Basis hat, mir aber im Zweifelsfall auch jemanden empfehlen kann, der sich zum Beispiel auf Chirurgie spezialisiert hat oder mir bei Verhaltensproblemen meines Hundes weiterhelfen kann. Ich stehe in fast allen Bereichen des Lebens auf eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, so auch hier.
Er sollte sich verständlich ausdrücken, so dass ihm auch ein normaler Hundehalter ohne Pschyrembel (medizinisches Fachwörterbuch) in der Hand folgen kann, und wenn es mal etwas komplizierter wird, sollte er mir die Zusammenhänge trotzdem erklären können.
Er sollte sich Zeit nehmen und auf meine Probleme und Sorgen eingehen, ich zahle dafür natürlich auch gerne etwas mehr!
Von selbst versteht sich, dass man menschlich auf einer Wellenlänge sein sollte, denn was bringt einem ein Spezialist, zu dem man kein Vertrauen hat? Dieses Vertrauen schenke ich ihm dann, wenn er auch unschöne Nachrichten ehrlich, aber sensibel, zur Sprache bringt, wenn es also zum Beispiel darum geht, ob eine Therapie noch im Sinne des Hundes ist, oder ob sie nur dazu dient, den schweren Abschied hinauszuzögern – oder womöglich doch die Urlaubskasse aufzubessern? Dann möchte ich mich auf das aufrichtige Urteil meines Tierarztes verlassen können, auch wenn solche Gespräche oft schmerzen.
Ein bisschen Verständnis für und Wissen über das „Wesen Hund" setze ich voraus. Er sollte also beispielsweise wissen, wie man am besten mit einem extrem unsicheren Kantonisten oder einem Hund, der erst mal seine 42 „Waffen" auf dem Tisch präsentiert, umgeht.
Schön wäre es, wenn ich ihn auch außerhalb der Sprechzeiten im Notfall ans Telefon bekomme, aber das kann eine kleine Ein-Mann-Praxis dauerhaft nicht stemmen. Dafür sollte er sich dann mit kompetenten und empfehlenswerten Kollegen zusammentun, sodass mir sein Anrufbeantworter auch Auskunft darüber geben kann, an wen ich mich im Notfall und außerhalb der Sprechzeiten wenden kann.
Regelmäßige Fortbildungen in verschiedenen Bereichen – zu denen jeder Tierarzt verpflichtet ist! – sollten selbstverständlich sein.
Toll finde ich, wenn der Kollege auch mit anderen Sparten zusammenarbeitet, wie zum Beispiel mit kompetenten Physiotherapeuten oder Tierheilpraktikern. Er sollte also auch alternativen Methoden gegenüber offen sein. Nur, wenn es kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander ist, fühle ich mich gut aufgehoben!
Ein weiterer Aspekt ist für mich, ob er in Notfallsituationen auch mal einen Hausbesuch macht, z.B. um einem Hund (und dessen Halter) den letzten schweren Gang in die Praxis zu ersparen.
Ich habe tatsächlich das Glück, genau so einen Kollegen gefunden zu haben und bin dafür sehr dankbar! Denn ohne eigene Praxis war auch ich lange auf der Suche nach dem richtigen Tierarzt. Ich habe ihn gefunden, es passt alles! Darum geht an dieser Stelle mein herzlicher Dank an den Kollegen meines Vertrauens, der mir und meiner Meute schon öfter zu allen möglichen und unmöglichen Tages- und Nachtzeiten kompetent und einfühlsam zur Seite stand (meine Hunde erkranken leider selten unter der Woche zu normalen Sprechzeiten). Der immer ein offenes Ohr, das Herz am rechten Fleck und tatkräftige Unterstützung von spezialisierten Kollegen hat. Der mir auch schon von weiteren Behandlungen abgeraten hat. Der meinem Dönertier schon mehrfach das Leben gerettet hat. Und den auch meine Hunde mögen …