„Wie die Herrin, so die Hündin …“ – Projektion von Persönlichkeitsmerkmalen des Menschen auf seinen Hund

Von Dr. Hans Mosser

Den Spruch „wie der Herr, so’s G’scherr" kennt fast jeder Mensch, ob er Hunde hat oder nicht. Den „Vorläufer" dieses Sprichworts, auf den sich schon Platon bezieht, kennt hingegen kaum jemand. So sagt der große Philosoph der Antike in einem seiner ­Werke: „Denn nicht nur die Hunde sind nach dem Sprichworte ganz wie ihre Herrinnen, ­sondern auch Pferde und Esel." Dass das Wesen von Menschen auf das Wesen ihrer Tiere ­„abfärbt", weiß man also doch schon sehr lange. Eine wissenschaftliche Studie hat sich nun mit einem Thema befasst, das gut dazu passt: Die Projektion eigener Persönlichkeitsmerkmale auf den Hund. Mehr darüber und auch kritische Bemerkungen dazu von WUFF-Herausgeber Dr. Hans Mosser.

Anthropomorphismus bzw. Vermenschlichung ist das Zuschreiben menschlicher Charakteristika, vor allem von Gefühlen, auf Tiere, so eine gängige Definition. In ihr steckt allerdings – unausgesprochen – die Aussage, dass Gefühle ausschließlich der Mensch habe. Das aber wird ja nun durch die Alltagserfahrungen mit unserem Vierbeiner eindeutig widerlegt.

Man braucht ja nur das kleine Gedanken­experiment machen und die – in meinen Augen völlig falsche – Aussage zunächst zumindest hypothetisch akzeptieren, dass also nur Menschen Gefühle haben, Hunde bzw. andere nichtmenschliche Lebewesen aber nicht. Ja, aber wie nennen wir dann das, was wir Tag für Tag bei unserem Hund sehen? Wenn Wuffi sich freut, wenn wir die Leine in die Hand nehmen, weil er weiß, jetzt geht‘s nach draußen, dann dürfen wir das nicht Freude nennen? Ja aber, wie dann nennen? Oh, allein schon meine Aussage, dass der Hund etwas „weiß", also sein Gassigehen gedanklich vorwegnimmt (sonst würde er sich ja nicht freuen), könnte als Vermensch­lichung des Hundes durch mich denunziert werden. Sie sehen, wir bewegen uns auf scheinbar dünnem Eis.

Oder wie ist das, wenn Wuffi weiß, dass er diesmal nicht mitgehen darf, und einen Blick aufsetzt, der jeden Stein erweichen könnte? Etwa kein Gefühl des Hundes? Und auch das kein Gefühl beim Hund, wenn noch nicht sicher ist, ob er mitdarf oder nicht? Glauben Sie mir, er spürt, wenn Sie selbst noch am Über­­legen sind. Und wie sehen sein Blick und sein Verhalten dann aus? Könnte der Hund dabei nicht ein bestimmtes Gefühl haben?

Natürlich haben Hunde Gefühle und natürlich nennen wir sie analog den unseren. Und in Wahrheit ist die eingangs vorgestellte Definition von Vermenschlichung durch den derzeitigen Stand der Wissenschaften völlig überholt, ist schlichtweg ein Unsinn und stammt aus einer Zeit, in der tierisches Leben auf bloße Reflexe reduziert wurde.

Komplexe Gefühle bei Mensch und Hund
Die Psychologinnen Christina Brown und Julia McLean, ­Wissenschaftlerinnen der Arcadia University (Glenside, Pennsylvania), untersuchten in einer Studie (Brown 2015), ob Menschen, die sich häufiger schuldig und/oder einsamer fühlen als andere Menschen, diese an sich komplexen Gefühle auch Hunden häufiger zuordnen. Anders gesagt, geht es um die Frage, ob Menschen ihre eigenen psychologischen Erlebnisse und Erfahrungen auf Hunde projizieren. Oder ganz allgemein und auch von dieser Studie absehend stellt sich die Frage: Projizieren Menschen eigene Persönlichkeitsmerkmale auf ihre Vierbeiner? Und wenn das so ist, ergibt sich die zweite Frage: Wie reagieren ihre Hunde? ­Welchen Einfluss hat das auf sie?

Man könnte in diesem Zusammenhang auch fragen, kommt dem Spruch „Wie der Herr, so’s G‘scherr" Realität zu? Bevor wir uns näher mit der Studie befassen, verweilen wir noch kurz bei diesem doch sehr häufig gebrauchten Sprichwort und dessen Herkunft.

Wie die Herrin, so die Hündin
Der Begriff G’scherr in „Wie der Herr, so’s Gescherr" leitet sich ab vom Geschirr, in das jemand eingespannt ist, im übertragenen Sinn also ein Unter­gebener. So soll dieses Sprichwort abgeleitet sein von dem Zitat „Plane qualis dominus, talis est servus" (Wie der Herr, so auch der Sklave) aus dem ­satirischen Roman Satyricon des römischen Beamten Titus Petronius (15-66 n. Chr.), immerhin also schon bald 2.000 Jahre alt (Pohlke 2006).

Auch die Griechen hatten ein ähnliches Sprichwort, dies allerdings interessanterweise auf die Frau gemünzt, nämlich „Wie die Herrin, so die Hündin" (Singer 1995). Dieses Sprichwort ist noch mehrere Jahrhunderte älter als das vorhin genannte, weil sich schon der große Philosoph der Antike, Platon (427-347 v. Chr.), darauf bezieht, wenn er sagt: „Denn nicht nur die Hunde sind nach dem Sprichworte ganz wie ihre ­Herrinnen, sondern auch Pferde und Esel" (Platon, Der Staat). Ob sich übrigens daraus schließen lassen kann, dass in der griechischen Antike die Frauen für Hündinnen und die Männer für die Rüden zuständig gewesen sein könnten, ist vielleicht kulturgeschichtlich ein bisschen zu gewagt, solange ich nur diese eine Quelle als Beleg anführen kann. Nun, ich bin auch kein Kulturhistoriker, daher wieder zurück zum Thema.

Politische Korrektheit
Ist es politisch inkorrekt, wenn wir Ähnlichkeiten zwischen Gefühlen, oder sagen wir es noch allgemeiner, zwischen psychologischen Zuständen bei Menschen und Tieren (Hunden) annehmen, wenn sie doch so offensichtlich erkennbar sind? Wie anders aber sollten wir solche analogen Gefühle denn bezeichnen als mit den Worten, die uns zur Verfügung stehen. Wir haben keine anderen. Und nur weil wir keine anderen Worte dafür haben, dürfen wir solche, die wir beim Menschen anwenden, nicht auch bei Tieren anwenden? Es darf nicht geben, wofür wir keine Worte haben?

Wenn wir mit anderen Menschen zu tun haben, so können wir recht gut gewisse Persönlichkeitsmerkmale in ihnen erkennen bzw. ihren ­derzeitigen Gefühlszustand abschätzen. Oft erkenne ich ja schon am Gesicht oder der ­Körperhaltung, wie ein Mensch „drauf ist". Ein trauriger, deprimierter Mensch unterscheidet sich nun mal von einem, der in freudiger Erwartung eines positiven Ereignisses ist. Dennoch weiß die Pschologie, dass wir auch eigene Verhaltensmerkmale auf andere Menschen ­projizieren, was wiederum unser Verhalten gegenüber ihnen beeinflussen kann. Vor allem, wenn das Verhalten anderer für uns mehrdeutig ist, besteht Raum für Interpretation. Manche Missverständnisse beruhen dann darauf, dass meine Interpretation (und die daraus resultierende Reaktion) nicht dem entsprechen, was tatsächlich der Fall ist.

Warum eigentlich soll dies bei einem sozial organisierten Lebewesen wie dem Hund, der sich dem Menschen vor ­langer Zeit angeschlossen hat und seither in engstem Kontakt mit ihm lebt und sich weiterentwickelt, nicht der Fall sein?

Ein Vorwurf lautet, wir hätten mit Tieren keine gemeinsame Sprache, weshalb ihr Verhalten für uns einen so großen Interpretationsspielraum zulässt, dass zwei Menschen dasselbe hundliche Verhalten unterschiedlich bewerten können (Brown 2015). Nun, das ist ja aber nicht auf Hunde beschränkt, sondern gilt ebenfalls für Menschen. Und außerdem erinnere ich mich an eine Studie, über die ich vor langer Zeit in WUFF geschrieben habe, nach ­welcher Hundebellen in unterschiedlichen ­Situationen (Hund alleingelassen und an einen Baum angebunden, Hund ängstlich, Hund aggressiv usw.) von verschiedenen ­Menschen dennoch sehr ähnlich klassifiziert und meist richtig erkannt wurde.

Gehen wir also davon aus, dass unsere Vierbeiner sehr wohl Gefühle haben, und auch solche, die unseren ­ähnlich sind. Wir befinden uns mit dieser ­Ansicht auf gesichertem wissenschaftlichen Boden, was ja auch die folgende Studie voraussetzt.

Schuldgefühl, Einsamkeit und ­Ängstlichkeit
In der Studie von Brown und McLean wurden die drei Merkmale Schuldgefühl, Einsamkeit und Ängstlichkeit beim Menschen untersucht, sowie die Zuordnung dieser Gefühle auf einen ihm fremden Hund. Warum gerade diese drei Merkmale? Der Grund liegt darin, dass diese Gefühle einerseits sowohl einen bloßen Momentanzustand, andererseits aber auch grundsätzliche Persönlichkeitsmerkmale sein können. Zudem würden sie auch einen größeren Interpretationsspielraum zulassen als andere Gefühle, heißt es.

Die Hypothese der Studienautoren war es nun, dass ein gewisser Grad an Projektion vorhanden sein muss, wenn Menschen das mehrdeutige Verhalten eines – für sie bisher unbekannten (!) – Tieres benennen sollen. Dabei ist wichtig anzumerken, dass die Studie als online-Befragung durchgeführt wurde und das mit einem Gefühl zu benennende hundliche Verhalten lediglich beschrieben, aber nicht etwa in einem Video gezeigt wurde. Ein Beispiel für eine solche Frage: „Nach dem Umstoßen eines Tellers, der daraufhin zerbricht, vermeidet der Hund Augenkontakt zum Halter". Anhand einer Skala konnte der Befragte dann bewerten, ob und in ­welchem Ausmaß er diesem ­beschriebenen Verhalten des Hundes eines der drei Gefühle Angst, Schuld­gefühl oder Einsamkeit zuordnet. Und das wurde für eine Reihe von Szenebeschreibungen gemacht, zusammengerechnet und schließlich ein durchschnittlicher Wert ermittelt.

Danach wurde anhand von Fragen festgestellt, für welche der drei Gefühls­zustände der Mensch selbst eher empfänglich ist oder nicht. So wurde bspw. in Bezug auf Einsamkeit die Frage gestellt: „Wie oft haben Sie das Gefühl Gemeinschaft/Kameradschaft (companion­ship) vermisst?

Aus den Antworten in Bezug auf die drei Gefühle Ängstlichkeit, Schuld und Einsamkeit wurden die Studienteilnehmer von den Psychologen entsprechend bewertet und ihre Persönlichkeitsmerkmale verglichen damit, wie sie die beschriebenen Hundeverhaltensszenen benannt haben. Die Hypothese war ja, dass ängstliche Menschen mehrdeutiges hundliches Verhalten eher häufiger als Angst bewerten würden, so wie Menschen mit stärkeren Schuldgefühlen auch Hunden häufiger ein „schlechtes Gewissen" zusprechen usw.

Studienergebnisse
Die Ergebnisse der Studie unterstützen nur teilweise die eingangs genannte Hypothese, dass Menschen ihre ­eigenen Persönlichkeitsmerkmale auf mehrdeutiges hundliches Verhalten projizieren. Zwar fand sich eine Korrelation ­zwischen dem Gefühl Schuld bzw. schlechtem Gewissen bei Menschen und ihrer entsprechenden Bewertung des Hundes, auf alle anderen Gefühle traf dies hingegen nicht zu. Im Gegen­teil, Menschen, die sich häufiger einsam ­fühlen, haben dieses Gefühl in der Studie bei den entsprechenden Beschreibungen sogar weniger ­häufig genannt, ja, es bestand sogar eine umgekehrte ­Relation, d.h. je häufiger das Einsamkeitsgefühl beim Menschen, umso seltener wurde es von diesem Menschen beim Hund benannt. Und schließlich beim Gefühl von Angst bzw. Ängstlichkeit bestand überhaupt keine Relation zur Benennung dieses Gefühls bei Hunden. Anders gesagt, Menschen, die zu Ängstlichkeit neigen, halten deswegen Hunde nicht für ängstlicher als Menschen, die diesen Charakterzug nicht haben.

Alles in allem unterstützen die Er­gebnisse dieser Befragungsstudie eher die Gegner der Projektionstheorie, doch haften der Studie auch nicht un­beträchtliche Mängel an, die die ­Bedeutung ihrer Ergebnisse ein­schränken.

Kritik an der Studie
Es gibt nun vier zentrale Kritikpunkte an dieser Studie.

1. Gering: Die Zahl der Teilnehmer an dieser online-Befragung ist mit 41 Personen recht gering.
2. Subjektiv: Was die Teilnehmer bewerten mussten, war lediglich ein von den Autoren beschriebenes hundliches Verhalten, mit entsprechend hohem subjektiven Einfluss der Beschreiber. Besser wäre es gewesen, Videos von diesen hundlichen Ver­haltensweisen zu zeigen.
3. Unrealistisch: Psychologisches Verhalten lässt sich, wie gesagt, sinnvoll nur anhand von Videos, allenfalls von Fotoserien bewerten, wobei stimmliche und nonvokale Merkmale wahrnehmbar sind. Da in der Studie lediglich Beschreibungen, aber keine Videos oder Fotos gezeigt wurden, ist die Situation als relativ unrealistisch zu bewerten.
4. Undifferenziert: Es wurde auch keine Bewertung und Ergebniskorrelation gemacht in Hinblick darauf, ob Studienteilnehmer Hunde haben oder wenigstens Kontakt mit ihnen hatten oder eben nicht. Denn die Interpretation einer Beschreibung variiert in Abhängigkeit davon, ob ich das beschriebene Verhalten bei einem Hund schon einmal tatsächlich gesehen habe oder nicht.

Fazit
Insgesamt trägt diese Studie nach meiner Meinung also nicht zu einer verbesserten Erkenntnis der Fragestellung bei, ob wir Menschen unsere Gefühlszustände, Befindlichkeiten und Charakterzüge auf unsere Vierbeiner projizieren. Festzuhalten ist aber aus unserer Alltagserfahrung, dass unser eigener Zustand natürlich Einfluss hat, wie wir andere Menschen bewerten. Warum sollte es anders sein, wenn wir nichtmenschliche Lebewesen wie unsere Vierbeiner bewerten? Das heißt, unsere normale Erfahrung überholt hier diese wissenschaftliche Studie, wohl aufgrund deren beschriebener ­Mängel. Wenn wir also von dieser Studie nichts Neues gelernt haben, so war für Sie vielleicht doch der Ausflug in die römische und griechische Antike über die Herkunft des eingangs zitierten Sprichwortes von einigem Interesse.
Wie denken Sie darüber? Schreiben Sie mir bitte (mosser@wuff.eu).

WUFF-Information
Literaturquellen
Im Artikel habe ich auf folgende ­Literaturquellen verwiesen:

• Christina Brown, Julia ­McLean: ­Anthropomorphizing Dogs: ­Projecting One’s Own Personality and Consequences for Supporting Animal Rights. Anthrozoos 2015 (28) 1:73-86
• Annette Pohlke, Reinhard Pohlke: Alle Wege führen nach Rom. Deutsche Redensarten aus dem Lateinischen. Albatros Verlag, Düsseldorf 2006, ISBN 978-3-491-96184-5, „Wie der Herr, so’s G­’scherr", p. 88.
• Samuel Singer (Hrsg.) Lexikon der Sprichwörter des romanisch-­germanischen Mittelalters. Walter de Gruyter, 1995
• Platon: Der Staat, 8. Buch, nachzulesen online: www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Der+Staat/Achtes+Buch

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