Wer hat Angst vorm Behavioristen? – Von Erziehung und Konditionierung

Von Klaus Haumann

Ein zur Diskussion ­anregender Artikel über die Hunde­erziehung, die ausschließlich auf Konditionierung (durch Leckerchen) aufbaut. Hundetrainer Klaus Haumann kritisiert die ausschließliche Anwendung dieser Methode als unzuverlässig, weil sie letztendlich immer dem Hund die Entscheidung überlasse, etwas zu tun oder nicht, und er betont den sozialen Aspekt von Erziehung, dies gerade in Hinblick auf die hohen sozialen Fähig­keiten unserer Vierbeiner.

Seit jeher haben wir den Wunsch unsere Hunde zu erziehen und tun dies auch mehr oder ­minder erfolgreich. Erst seit ­wenigen Jahren benötigen immer mehr ­Menschen dabei professionelle Unterstützung, um mit ihrem Hund einigermaßen unfallfrei und sozial vertretbar gemeinsam das Leben durchschreiten zu können. Hier muss doch die Frage gerechtfertigt sein, warum dies so ist und warum immer mehr Menschen an den Klippen der Hunderziehung scheitern.

Wie so oft im Leben spielen viele Aspekte eine Rolle in dem Trauerspiel rund um die Erziehung des Hundes. Alte und neue Weisheiten werden unsäglich vermischt, jeder Hunde­halter ist quasi schon ein Spezialist und weiß mit Rat und Tat dem Nachbarn zur Seite zu stehen, allerorten wird man auch gerne wider Willen beraten oder man zappt mal wieder rum und wird von dem entsprechenden Fernsehhundeflüstertrainer gezielt gecoacht. Mehr oder minder allen Koryphäen gemein ist die veraltete Ansicht, dass Erziehung das bloße Erlernen von Kommandos ist. Und wie bringt man dies den Hunden jedweden Alters bei? Na klar, durch Konditionierung, sprich durch die Gabe von Leckerchen im richtigen Augenblick. Dazu kommt, dass diese Form der Erziehung als durch und durch positiv vermarktet wird und damit unserem Gefühl, dem Hund nur das Beste angedeihen zu lassen, entgegen kommt. Wer wäre schon so verwegen, etwas anderes zu behaupten? Viele Hundeschulen berufen sich auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wer könnte daran etwas auszusetzen haben? Aber schauen wir doch mal etwas genauer hin und seien wir skeptischer.

Lerntheorien sind Theorien
Zu allererst einmal schauen wir auf diese „wissenschaftlich ­neuesten Erkenntnisse“. Hiermit sind die so­genannten Lerngesetze gemeint, die eigentlich keine Gesetze sind, sondern eigentlich nur ­Lerntheorien. Diese wurden um 1900 von den ­Forschern Thorndike, Skinner und Pawlow genauer untersucht, und ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen führten unter anderem zu den Theorien der operanten und klassischen Konditionierung. Diese Forscher nennt man Behavioristen, was sich aus dem englischen Behaviour (Verhalten) ableitet und somit Verhaltensforscher bedeutet. Doch dies ist nicht im heutigen Sinne zu verstehen, da diese sich nur auf die oben genannten Modelle der Konditionierung spezialisiert und keinerlei andere Lernmodelle untersucht haben. Dies ist insofern nachzuvollziehen, als dass jene Herren sich noch keine Vorstellung davon machen konnten, dass Lernen nicht nur Konditionierung bedeutet. So fassen wir denn zusammen: es wird also damit geworben, dass man 100 Jahre alte Erkenntnisse anwendet, die auffällig einseitig, und, weil nur unter Labor­bedingungen entstanden, eingeschränkte Gültigkeit besitzen und, wie wir schon festgestellt haben, allenfalls gut dokumentierte und praktikable Theorien sind.

Weiterhin wird von vielen Hundetrainern gebetsmühlenartig wiederholt, dass nur durch die konsequente Anwendung der Lerngesetze ­positiv (sprich angenehm) mit Hunden ge­arbeitet werden kann. Hier wird leider ein großer Teil der „Lerngesetze“ unterschlagen. Die oben genannten Forscher haben belegt, dass mittels Strafe unter gewissen Voraussetzungen durchaus auch Lernen erfolgt. Dass dieser Teil der Lerngesetze nicht so ganz in eine positive Werbebotschaft passt, dürfte jedem Leser klar sein. Doch wie so oft steckt der Teufel im viel zitierten Detail. Enthält man dem Hund beispielsweise ein von ihm erwartetes Leckerchen vor, ist dies laut den Lerngesetzen schon eine Strafe, denn das wäre eine negative Strafe, etwas Angenehmes wird entfernt.

Es ist also mitnichten so, dass Konditionierung stets als angenehm vom Hund empfunden wird. Hier ist es wohl eher so, dass die menschliche Betrachtungsweise den Ausschlag gibt, wie wir etwas werten und betrachten. Diese menschliche Betrachtung und ihre implizite moralische Wertung bringt uns bei der Dressur und nicht zuletzt bei der Erziehung immer wieder in arge Schwierigkeiten. Da der aufgeklärte Hundehalter/Hundetrainer die Strafe aus gesellschaftsmoralischer Sicht heraus mittlerweile nicht mehr akzeptieren möchte, hat er nun ein Problem. Aus diesem Dilemma heraus ver­suchen wir dem Hund eine rein positive Er­ziehung/Konditionierung angedeihen zu lassen, die es so im Leben generell nicht gibt: ein allumfassendes Wohlfühl- und Erziehungsprogramm, das ohne negative Konsequenzen auskommt.

Es geht um die Klärung sozialer Fragen
Konditionierung ist definitiv niemals Erziehung und kann es auch nicht sein. Erziehung findet in einem sozialen Feld zwischen Erzieher und zu Erziehendem statt. Dafür müssen wir als Mensch gegenüber dem Hund auch eine soziale Rolle einnehmen, was immer mehr Menschen aus vielen unterschiedlichen Gründen zunehmend schwerfällt. Hauptursache ist, dass Erziehung stets Konflikte beinhaltet und dies heutzutage als extrem negativ empfunden wird. Das partnerschaftliche Verhältnis, das viele Menschen mit ihren Vierbeinern versuchen zu leben, schließt Konflikte also von vornherein aus. Ergebnis ist, dass in der Erziehung versucht wird, ohne soziale Reibung auszukommen, ohne die es aber nun mal nicht geht. Diese Art der Erziehung ist letztendlich eine Vermeidungsstrategie, die nicht von Erfolg gekrönt sein kann. Wenn geballte 45 Kilogramm Freude Menschen anspringt und man dies nicht möchte, ist es ein Interessenkonflikt, und dieser muss zum ­Schutze aller Beteiligten ernsthaft und ­konsequent gelöst werden. Und das ist manchmal nicht einfach nur schön. Für niemanden!

Hochsoziale Lebewesen nur mit dem Leckerchen zu dressieren, ohne den sozialen Kontext mit einzubeziehen, ist wie Schwimmen ohne Wasser. Gerade unsere Couchwölfe sind in sozialen Belangen hochintelligent und äußerst feinfühlig. Zudem gilt: würde man Erziehung lediglich auf Konditionierung reduzieren, würde man ihnen gleichzeitig ihre gesamten sozialen Fähigkeiten absprechen und ihnen damit nicht mal ansatzweise gerecht werden. Fachleute sprechen nicht ohne Grund davon, dass Hunde sozial obligat sind, und meinen: Hunde können nicht nur eine soziale Rolle aus­füllen, sondern sie müssen es sogar. Und dies gilt gerade in der Erziehung, bei der es in erster Linie um soziale Fragen geht. Diese Fragen sollten nicht nur, sondern müssen geklärt werden. Diese Fragen lauten zum Beispiel „Wer bin ich für Dich und wer bist Du für mich“? „Muss ich Dich ernst nehmen?“ „Welche soziale Rolle nimmst Du für mich in welchem Kontext ein?“ „Kann ich mich auf Dich verlassen?“ „Bist Du für mich ein berechenbarer sozialer Bezugspunkt und Partner?“

Diese und viele weitere Fragen stellt uns schon der Welpe, und spätestens der Junghund wird äußerst ernsthaft nachfragen. Wer dann, aus welchen Gründen auch immer, keine adäquate Antwort gibt, wird nicht ­unerheb­liche Probleme in der Erziehung seines Hundes zu vergegenwärtigen haben.

Erziehung ist nicht Dressur
Doch worauf ist dieses unselige Missverständnis, dass Erziehung und Konditionierung das Gleiche ­seien, zurückzuführen? Da ist auf der einen Seite eine Vielzahl an gelehrten ­Wissenschaftlern, Hundeschulen und Vereinen mit ihren Trainern und der jahrzehntelang unhinterfragt weitergegebene Glaube, Dressur sei Erziehung. (Hier sei nur kurz auf die vielen Vereinsplätze hingewiesen, deren Hunde auf dem Platz außerordentlich gut „erzogen“ sind, aber kaum durch das Tor nach außen gelangt, zu sozialen Terroristen mutieren.) ­Dressur wird hier seit nunmehr so vielen Jahren eindringlich als Erziehung propagiert, dass durch einfache Gewohnheit („Das haben wir schon immer so gemacht!“) niemand dies in Frage stellen würde und niemand andere Ansätze oder Modelle auch nur in Erwägung zieht, weil es ja schließlich funktioniert. – Die Tat­sache, dass ein Hund hier lediglich auf dem Platz mechanisch funktioniert, scheint manche Leute in den Glauben zu ­versetzen, dies sei Erziehung.

Denn für diese Klientel ist es letztendlich wissenschaftlich bewiesen, dass eine reine Verhaltensänderung mittels Leckerchengabe und kondi­tionierte Kommandos das einzige ­Mittel der Wahl ist, da dies ja angeblich durch harte Daten, Fakten und Zahlen ­wissenschaftlich belegt ist. Alles, was nicht auf diese Art messbar ist, passt hier anscheinend nicht in den Begriff Wissenschaft und hat somit nur wenig Beweiskraft und Bedeutung. Dabei wird unter anderem vernachlässigt, dass selbst die Hardliner unter den Wissenschaftlern die uneingeschränkte Glorifizierung solch einfacher Lernprozesse mittlerweile nahezu verworfen haben.

Dabei würde niemand behaupten, dass Konditionieren nicht gelingt und auch keine Daseinsberechtigung hat, aber dass dies Erziehung und dazu noch die einzige Möglichkeit der Erziehung wäre, muss ­entschieden verneint ­werden. Erziehung hat immer mit sozialer Reibung und Auseinander­setzung zu tun. Diesem Aspekt müssen wir als Menschen und Erzieher Rechnung tragen. Wie beschränkt muss die eigene Sichtweise sein, einerseits die hochsozialen Fähig­keiten des Hundes zu lobpreisen, um diese dann im Erziehungsprozess gleichzeitig vollkommen zu miss­achten und außen vor zu lassen?

Emotionen und Sozialbezug
Zusätzlich ist aus der humanen Forschung mittlerweile bekannt, dass nur dann nachhaltig gelernt wird, wenn beim Lernen ein hoher Anteil intensiver und authentischer Emotionen während des Lernprozesses vorhanden ist – unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ sind – sowie der soziale Bezug zum Gegenüber mit im Spiel ist. Beides kann man nicht allein mit der Gabe von Leckerchen er­reichen, auch wenn sich so manch einer das wünscht.

Und da wären wir bei einer ­weiteren Problematik, die Erziehung so schwer macht und daher viele immer wieder auf den einfachen Zug der Konditionierung aufspringen lässt: ­viele Menschen haben verlernt, sich selbst zu fühlen und wahrzunehmen. Wer sich selbst jedoch nicht fühlt, kann nun mal auch nur schwer ein be­rechenbarer Partner für einen hoch sozialen ­Caniden sein. Auch hier hilft ein Blick über den Tellerrand in Richtung gesellschaftlicher Trends und Unzulänglichkeiten. Nur allzu deutlich definiert sich heutzutage ein Großteil der Menschen über den Besitz. ­Konsum ist mehr wert als alles andere und Konsum hilft über vieles hinweg. Und all das hat einfach zu funktionieren, und wenn es das nicht tut, muss es halt repariert oder wieder abgegeben werden. Das Haben und Besitzen zählt weit mehr als das Bewahren und der adäquate soziale Umgang miteinander. Gleichzeitig steigen die Ansprüche an das Gegenüber, es möge doch bitte stets harmonisch und reibungslos funktionieren, teilweise ins Unermessliche, doch immer weniger Menschen sind bereit, sich selbst aktiv mit ein­zubringen bzw. sich auch mit Unzulänglichkeiten abzufinden. So wird jedes Problem zu einem Reparaturfall, der beseitigt werden möge, ohne selbst eine Mitverantwortung zu übernehmen.

Erziehung heißt Beziehung
Eine einfache Lösung scheint dann nahezuliegen: man muss nur die richtige Technik kennen und dann werden sich alle Probleme in Luft auflösen. In Sachen Hundeerziehung hört man als Hundetrainer folglich sehr häufig die immer gleiche Frage: Mit welchem Trick lässt sich Problem XY am schnellsten in den Griff bekommen?

Und hier meint der Kunde: ich habe nun schon zig Techniken ausprobiert, die nicht geholfen haben, also ­welche gibt es noch? Und der geneigte ­Trainer hat hier bestimmt noch etwas in der Hinterhand. Da wird dann mit den verschiedensten Verstärker­plänen, Desensibilisierung, Gegenkonditionierung, Flooding, primären und sekundären Verstärkern und den seit kurzer Zeit so beliebten inter­mediären Brücken am eigentlichen Kern des Problems vorbeigebastelt. Wie so oft wird dabei wieder am Symptom herumgepfuscht, ohne die eigentliche Ursache im Fokus zu haben. Und diese heißt: Erziehung ist Beziehung. Und diese wird nicht durch Technik geführt oder verändert und kann diese ­darüber auch nicht beeinflussen. Statt dessen sind dann einfach ganz ­andere Fähigkeiten gefragt. Wie war das denn mit unserer Erziehung? Haben uns unsere Eltern durch die Gabe von Leckerchen erzogen? Wurden wir ­einfach nur konditioniert oder gab es da noch andere Arten des Lernens? Ganz bestimmt!

Wenn nun schon die Erziehung von hochsozialen Lebewesen wie Kindern nicht nur über ausgeklügelte Verstärkerpläne erfolgt, wie kann dann die Erziehung von Hunden so funktionieren? Oder haben unsere Eltern da etwas grundsätzlich nicht verstanden? Wäre es denkbar, dass bei der Erziehung von Hunden seit geraumer Zeit so einiges falsch läuft?

Natürlich ist Hundeerziehung nicht gleichzusetzen mit Kindererziehung, aber es gibt durchaus Parallelen und es läuft in den grundsätzlichen Dingen auf dasselbe hinaus. Auch da gibt es zum Beispiel ein Lernen am Modell, Lernen durch Einsicht oder Lernen durch Handeln sowie – und das nicht zuletzt – das allgemeine soziale ­Lernen.

Konditionierung überlässt dem Hund die Entscheidung
Genau in diesem Bereich wird aber nun entschieden, ob wir einen Hund zu einem adäquaten und sozial sicheren Partner erziehen oder aber nur an der Oberfläche herumkratzen und der Hund dann nur in gewissen Kontexten ein erlerntes Verhalten zeigt und dies auch nur dann, wenn es dem Hund einen Vorteil bringt. Genau das ist die Schwachstelle in dieser Konstellation. Man überlässt bei der Konditionierung, egal wie geschickt sie eingebaut ist, letztendlich immer dem Hund die Entscheidung, das gefragte Verhalten zu zeigen.

So kann der Hundehalter noch so sehr ein Alternativverhalten trainieren, es wird die Zeit und Gelegenheit geben, wo der Hund sich anders entscheidet. Man kann dem Hund noch so oft eine Entscheidung schmackhaft machen, es wird immer Situationen geben, in denen der Hund, mit entsprechenden Außenreizen konfrontiert, sich nicht mehr darum schert, was der Halter möchte.

Deswegen ist schon das einfache Abrufen aus beliebigen Alltagssituationen, wenn es über reine Konditionierung erlernt wurde, für die meisten Hundehalter nahezu unmöglich. Wenn ein Hund seinen Halter in Situationen, in denen es um fast nichts geht, nicht ernst nimmt, macht es wenig bis gar keinen Sinn auf die Idee zu kommen, der Hund würde sein Verhalten in Situationen „konditioniert“ ändern, die ihm um ein Vielfaches wichtiger sind. Denn ­wieder bleibt die Entscheidung darüber, was ihm in dem Moment wichtiger ist, beim Hund.

Stattdessen bedarf es hier einer sozialen Antwort auf eine soziale Frage des Hundes, die lauten könnte: „Muss ich oder muss ich nicht?“, und nicht einer mechanischen Technik. Es wäre interessant, hier einen Menschen zu ­beobachten, dem es gelänge, mit hohen Außenreizen zu konkurrieren, ohne dabei zu scheitern! Aber nichtsdestotrotz wollen die meisten Menschen einfach nicht davon ablassen. Hier gilt wie so oft das Prinzip: mehr des Selben. Ich mache also mehrfach den gleichen Fehler und erhoffe mir, dass stets etwas anderes dabei als Ergebnis herauskommt. Das funktioniert schon nicht in der Mathematik und gilt ebenso für das Leben in einem Sozialverbund.

Keine Patentrezepte
Die Vorstellung von Erziehung muss sich grundsätzlich und ein für alle Mal davon verabschieden, dass sie mit Patentrezepten auskommt. Unpersönliche Technik ohne soziales Einbringen und ohne Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln über mechanische Lernprozesse hinaus wird stets nur Stückwerk bleiben. Daher lohnt es sich, neugierig zu bleiben, Konflikte anzunehmen und auszutragen, denn diese sind auch immer Möglich­keiten, „neue alte“ Wege zu beschreiten und Lösungen zu finden, die vorher undenkbar schienen.

Und so kann ich die eingangs ge­stellte Frage: „Wer hat Angst vorm ­Behavioristen?“ nur mit einem klaren „Die sollten wir alle haben!!“ be­antworten.

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