Eine Szene im Park: Meine Hündin Mora hat ein altes Wurstbrot gefunden.“Aus!“, rufe ich. Und gehorsam lässt sie das verlockende Futter fallen. Doch kaum habe ich mich weg gedreht, ist sie wieder beim Brot. Hinter meinem Rücken hat sie es in Windeseile verschlungen. So und ähnlich gehen typische Hundebesitzer-Geschichten.
„Mein Hund weiß, was ich sehe“
Meist kommen solche Geschichten gleich mit einer Interpretation daher. Oft folgen Erklärungen, die den Hund besonders schlau erscheinen lassen: „Mora hat den Augenblick, in dem ich mich umdrehte, extra abgewartet. Denn sie weiß, was ich sehen kann.“ Dabei gibt es viele weitere mögliche Erklärungen für ihr Verhalten. Zum Beispiel: Es war Zufall, dass Mora ausgerechnet in dem Moment das Verbot übertrat, als ich mich umdrehte. Oder: Sie hat das Verbot nach einiger Zeit einfach vergessen. Oder: Meine Hündin hat im Laufe ihres Lebens gelernt, dass keine Strafe droht, wenn sie etwas Verbotenes tut, während ich wegschaue.
Trotz der häufigen Über-Interpretationen sind solche Hundebesitzer-Geschichten für uns Wissenschaftler sehr nützlich, denn sie liefern Ideen für unsere Tests mit Hunden. Wir – das ist eine Gruppe junger Wissenschaftler im Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, die sich mit der sozialen Kognition von Säugetieren beschäftigt. Es geht darum, etwas darüber zu erfahren, wie Hunde ihre Umwelt wahrnehmen und verstehen.
Tests mit 12 Hunden
So haben wir 12 Hunde in einer Situation getestet, die der oben beschriebenen ähnlich war. Ein Mensch verbot ihnen, ein Stück Futter zu fressen, das vor ihnen lag. In den folgenden 3 Minuten verließ diese Person entweder den Raum, drehte sich vom Hund weg (s. beide Fotos), lenkte sich durch ein Gameboy-Spiel ab, hielt die Augen geschlossen oder sah den Hund an. Alle diese verschiedenen Möglichkeiten wurden in den Experimenten entsprechend angewandt.
Und tatsächlich, die Hunde reagierten so, wie es ein intelligenter Mensch in dieser Situation tun würde: Sie übertraten das Verbot vor allem dann, wenn sie nicht angeschaut wurden. Umgekehrt fraßen sie das verbotene Futter selten, wenn der anwesende Mensch sie ansah (dieser Versuch wurde ausführlich dokumentiert in WUFF 2/2001).
Antworten und neue Fragen
Bedeutet dies nun, dass Hunde wissen, was ein Mensch sehen kann? Leider ist es so, dass ein Versuch immer mindestens so viele neue Fragen aufwirft, wie er alte beantwortet. Aus dem eben beschriebenen Versuch konnten wir lediglich schließen, dass Hunde offensichtlich unterscheiden können, ob ein Mensch sie ansieht oder nicht, und dass sie sich dementsprechend unterschiedlich verhalten. Dass sie dabei offensichtlich zwischen offenen und geschlossenen Augen unterscheiden können, ist eine bemerkenswerte Fähigkeit, die zum Beispiel bei Menschenaffen noch nicht experimentell nachgewiesen worden ist.
Können Hunde nun also wirklich „wissen“, was ein Mensch sehen kann? Oder haben sie im Laufe ihres Lebens nur einfach gelernt, dass nur dann etwas Unangenehmes auf die Übertretung eines Verbotes folgt, wenn der Blick des anwesenden Menschen auf sie gerichtet ist? Die Beantwortung dieser Fragen blieb nach diesem Versuch weiterhin offen, denn wir konnten experimentell zwar die Tatsache beweisen, aber nicht den Grund dafür.
Der „Barrierentest“
Um ein Verhalten genauer zu untersuchen, ist es sinnvoll, das Tier mit einer vollkommen neuen Situation zu konfrontieren und zu prüfen, inwieweit es in der Lage ist, flexibel zu reagieren. Abgelenkte, weggewandte oder schlafende Besitzer erlebt ein Wohnungshund täglich. Was aber passiert, wenn zwischen dem verbotenen Futter und dem Menschen eine 2 x 1.20 Meter große Holzwand steht, sodass nur der Hund, nicht aber der Mensch das Futter sehen kann? Da in einem Experiment immer auch die „Gegenprobe“ gemacht werden muss, stand diese Barriere in einer weiteren Anordnung auch so, dass der Mensch das Futter sehen konnte. Das Ergebnis: Die 10 getesteten Hunde fraßen bevorzugt dann das Futter, wenn die Barriere den Blick des Menschen darauf verdeckte.
Doch das muss noch immer nicht heißen, dass die Hunde wussten, was der Mensch sieht. Vielleicht vergaßen sie einfach, dass der Mensch da war, weil die Barriere dazwischen stand und sie ihn nicht sehen konnten, während sie das Futter fraßen?
Um dieses genauer zu untersuchen, variierten wir im nächsten Test die Barriere. Es gab wieder eine Bedingung mit einer großen Holzbarriere, zudem eine weitere Bedingung mit einer kleinen, 40 cm hohen Holzbarriere, und eine dritte Bedingung mit einer großen Barriere mit Plexiglasfenster. Dieses Fenster befand sich unten in der Mitte, so dass der Mensch das Futter durch die Scheibe sehen konnte. Wie würde nun ein Mensch reagieren, wenn er sich etwas Verbotenes nehmen möchte? Er würde nur danach greifen, wenn etwas zwischen dem verbotenen Gegenstand und der Aufsichtsperson steht. Und es wäre ihm egal, ob diese Barriere groß oder klein ist, solange die Aufsichtsperson den verbotenen Gegenstand nicht sehen kann. Demnach würde er in der Bedingung mit der Barriere mit dem Fenster nicht nach dem Gegenstand greifen, weil die Aufsichtsperson das ja sehen kann.
Doch die meisten der 17 getesteten Hunde reagierten anders. Zwar nahmen sie das Futter häufiger in der Bedingung mit der großen Barriere. Doch fraßen sie es seltener sowohl in der Bedingung mit der kleinen Barriere als auch in der Bedingung mit dem Fenster. Diese Ergebnisse sind allerdings schwer zu interpretieren. Offensichtlich bevorzugten die Hunde sowohl bei der Annäherung ans Futter als auch beim Fressen, verdeckt zu sein. Allerdings vergaßen sie nicht, dass der Mensch im Zimmer ist, denn sie nahmen das verbotene Futter auch relativ oft, wenn sie den Menschen sahen (kleine Barriere / Barriere mit Fenster).
Warum aber fraßen sie das Futter recht häufig, wenn sie doch durch das Fenster beim Fressen zu beobachten waren? Wussten sie nicht, dass der Mensch sie sehen konnte, und kamen sie sich „sicher vor“, weil etwas Großes zwischen ihnen und der Aufsichtsperson stand?
Wie die Katze um den heißen Brei
Interessant ist in dem Zusammenhang auch unsere Beobachtung aus dem ersten Versuch mit dem Gameboy-Spiel. Es war uns aufgefallen, dass die Hunde, wenn sie bei ihrem verbotenen Tun angeschaut wurden, sich langsam bewegten und Umwege liefen, wie „eine Katze um den heißen Brei“. Die Annäherung an das Futter scheint somit eine wichtige Rolle zu spielen. Vielleicht nähern sich die Hunde langsam und bevorzugt verdeckt dem Futter an und testen so aus, ob der Mensch darauf reagiert. In dem Moment, wenn sie im Fenster zu sehen sind, haben sie das Futter erreicht, und dann kann sie auch niemand mehr daran hindern, danach zu schnappen.
Was also geht im Kopf meiner Hündin vor, wenn sie wieder im Park verbotenerweise ein Wurstbrot frisst? Ich weiß jetzt jedenfalls, dass Mora unterscheiden kann, ob ich sie ansehe oder nicht, und dass sie vor allem während der Annäherung verdeckt bleiben will. Und ich bin gespannt darauf, wie uns die nächsten Versuche der Antwort auf die Frage näher bringen: Was wissen Hunde darüber, was Menschen sehen können?
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