Wege zur Erkenntnis

Von Dr. Marc Bekoff

Lassen Sie uns zunächst zwei Begriffe betrachten, die ich als „A"-Wörter bezeichnen möchte: Anekdote und Anthropomorphismus. Ich habe immer und immer wieder betont, dass der Plural von Anekdote „Daten" ist und dass wir uns anthropomorph verhalten müssen. Anekdoten und Geschichten bringen die Wissenschaft voran, sind aber natürlich für sich alleine nicht genug. Aber zu behaupten, dass sie keine nützliche Heuristik sind, ist ein Schlag gegen die Art und Weise, wie „harte Wissenschaft" und „weiche Wissenschaft" betrieben werden.

Anthropomorphismus behutsam anwenden
Der Anthropomorphismus hat lange überlebt, weil er eine Notwendigkeit ist, aber er muss vorsichtig und biozentrisch angewandt werden, indem wir jeden Versuch unternehmen, uns in die Lage des Tieres zu versetzen, und uns fragen: „Wie würden wir uns fühlen, wenn wir an seiner Stelle wären?" Behauptungen, dass Anthropomorphismus keinen Platz in der Wissenschaft habe oder dass antropomorphe Voraussagen und Erklärungen weniger genau wären als behaviouristische oder eher mechanistische oder reduktionistische Erklärungen, werden durch keinerlei Forschungsergebnisse gestützt. Dieses ist eine empirische Frage, für die es keine Daten gibt. Der Anthropomorphismus lebt, und es geht ihm so gut, wie es ihm gehen sollte. Aber lassen Sie es mich noch einmal betonen, er muss behutsam angewandt werden.

Einige Menschen argumentieren gegen die Verwendung dieser „A"-Wörter, ohne dass sie zu wissen scheinen, dass sie sie ja benutzen. So behauptete beispielsweise kürzlich ein Vertreter der Amerikanischen Zoo- und Aquariums-Vereinigung (AZA), dass wir nicht anthropomorph sein dürften und dass es schlechte Wissenschaft sei, Tieren menschliche Gefühle zuzugestehen. Er kritisierte Menschen, die behaupteten, dass es einem Elefanten im Zoo von Los Angeles „nicht gut ginge". Doch – noch im selben Atemzug behauptete er, dass es dem Elefanten im Zoo sehr wohl „gut ginge" und er nicht in ein Elefanten-Schutzgebiet umgesiedelt werden müsse. Was er also meinte ist, dass er selber sich sehr wohl anthropomorph verhalten darf, andere aber nicht. Er kann sagen, dass es einem Tier in einem bestimmten Zoo gut geht, aber andere z.B. können seiner Ansicht nach nicht sagen, dass es dem Elefanten nicht gut geht.

Wir dürfen die Leute einfach nicht mit solch schlampigen und eigennützigen Behauptungen davonkommen lassen. Im Hinblick auf solch eine Widersprüchlichkeit und Heuchelei ist es schon wichtig festzustellen, dass die AZA selbst in ihren Vereinsbestimmungen folgende Aussage getroffen hat: „Es wurde wenig bis gar keine systematische Forschung darüber betrieben, welchen Eindruck Zoo- und Aquariumsbesuche bei den Besuchern hinterlassen im Hinblick auf deren Wissen um die Arterhaltung, das Bewusstsein, die Gefühle oder das Verhalten der Tiere." So viel zu deren eigener Behauptung, dass Zoos wichtig seien zum Zwecke der Bildung und der Arterhaltung.

Wissenschaft ist nicht wertfrei
Wissenschaft ist nicht wertfrei. Wir sind uns einig oder nicht, wenn es um den besten Weg geht, wie man die Gefühle und die Empfindungsfähigkeit von Tieren erforscht, genauso wie wir uns einig sind oder nicht, welches die beste Bank ist, der wir unser Geld anvertrauen. Wissenschaft ist nur ein Weg zur Erkenntnis, nicht jedoch der „einzig wahre". Wir müssen uns von den folgenden drei „A"-Wörtern verabschieden, die oft Wissenschaft charakterisieren: arrogant, autoritär und autonom.

Ich bin gerne Wissenschaftler und arbeite gerne wissenschaftlich. Aber offen zu bleiben für andere Wege, um zu Erkenntnissen zu gelangen, bereichert mich und lässt mich über den Tellerrand hinausblicken. Ich glaube nicht, dass es eine Sache von Wissenschaft ODER Subjektivität ist, sondern von Wissenschaft UND Subjektivität. Wir müssen auch in der Lage sein, mit Ungewissheit zu leben und die totale Kontrolle aufzugeben. Wissenschaft und Wissenschaftler müssen dynamisch, offen und voller Mitgefühl sein. Wenn man Wissenschaft kritisch hinterfragt, so heißt das nicht, dass man gegen Wissenschaft ist.

Was bedeutet es, etwas zu „wissen"?
Es ist wichtig, wissenschaftliches Denken mit gesundem Menschenverstand zu verbinden. Ich bleibe dabei, dass wir wissen, dass einige der nicht-menschlichen Wesen einen Teil der Zeit über etwas fühlen – so wie es menschliche Wesen auch tun. Es ist Unsinn zu behaupten, dass wir nicht wissen, ob Hunde oder Schweine oder Hühner Schmerz empfinden oder ob sie z.B. gerne oder nicht gerne bestimmten Behandlungen ausgesetzt sein möchten. Wen wollen wir hier zum Narren halten? Ich glaube, wir machen uns da nur selbst etwas vor.

Im nächsten WUFF geht es darum, inwieweit Verstand und Gefühle anderer Individuen für uns zugänglich sein können.

WUFF INFORMATION


„Im Zoo bin ich nicht glücklich"
… sagt der Wissenschaftler Dr. Marc Bekoff

Wenn Sie in die Augen eines Tieres in einem Zoo blicken, dann spüren Sie sofort, dass irgendetwas nicht stimmt. „Warum ich?" fragen die Augen. Erst vor kurzer Zeit erlebte ich das wieder, als ich eine wissenschaftliche Publikation des „National Research Board o­n Agriculture and Natural Resources" über nationale Zoos beurteilen sollte. Die Studie hatte zum Ziel, die Stärken und Schwächen der derzeitigen Infrastruktur in amerikanischen Zoos zu untersuchen, da es immer häufiger Vorwürfe wegen schlechten Managements und nicht artgerechter Tierhaltung gab.

Die Studie ergab, dass eine große Anzahl von Tieren durch ihre Anwesenheit im Zoo leiden. Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit die Wahrheit hinter diesen Einrichtungen erkennt, die sich üblicherweise als Zufluchtsorte von Tieren präsentieren. Die Studie zeigte weiterhin auf, welch’ lange Geschichte an großen Problemen es in Zoos gibt, sogar ernsthafte und unentschuldbare Verletzungen bestehender Tierschutzgesetze, die man sich kaum vorstellen kann. Das, was ich in dieser Studie über amerikanische Zoos las, machte mich krank …

Einer der schlimmsten Fälle in diesem Horrorszenario unzähliger Verstöße in Zoos waren Fälschungen tierärztlicher Aufzeichnungen. Genauso erschreckend waren die Gesetzesübertretungen und der Missbrauch der Tiere durch angestellte Tierärzte des Zoos. So wurde etwa die Öffentlichkeit nicht informiert, als zwei Pandas im National Zoo durch Rattengift starben. Viele Menschen, die in Zoos arbeiten, kümmern sich um die Tiere, aber die Studie offenbarte einen erstaunlichen Mangel an Tierliebe bei Verwaltungskräften und Managern von Zoos. Nur allzu häufig werden wir absichtlich über die Bedingungen, unter denen die Individuen leben, die eigentlich unserer besonderen Fürsorge und Achtung bedürfen, gar nicht oder falsch informiert. Es gibt kaum Studien über die Einstellung von Zoobesuchern gegenüber Tieren und wie sich diese durch den Zoobesuch ändert. Viel zu häufig sprechen Zoobetreiber mit doppelter Zunge, und viel zu häufig leiden Tiere jede einzelne Sekunde, die sie im Zoo verbringen müssen.

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