Dominanz, Impulskontrolle und so weiter
Ja, wenn ich ein Hund wäre – besser gesagt, wenn ich „mein“ Hund wäre – was würde ich mir von meinen Menschen wünschen? Wie sehen sie denn aus, die optimalen Hundehalter heutzutage? Wie ist bzw. wird man für einen Hund zu einem guten, verlässlichen Partner in möglichst vielen Lebenslagen? In diesem Teil meiner Serie versuche ich diesen Fragen wieder ein wenig näher auf die Spur zu kommen.
Ob man Ersthundehalter ist oder schon häufiger in den Genuss gekommen ist, einen Hund sein Eigen zu nennen – man macht immer wieder neue Erfahrungen und lernt immer wieder dazu. Sich ein gutes Fachwissen über das Wesen eines Hundes anzueignen, ist sicher eine tolle Voraussetzung für ein gelungenes Miteinander, jedoch sollte man auch sein Bauchgefühl nicht gänzlich vernachlässigen, wenn es darum geht zu erkennen, was für den vierbeinigen Partner gerade das Beste ist. Auch mit diesem Teil meiner Serie möchte ich wieder ein paar kleine Anregungen zu verschiedenen Themenbereichen geben.
Dominanz …
Ein sehr beliebtes Wort in der Hundeszene: Dominanz! Das Erklärungsmodell Nummer eins für nicht so gern gesehene Verhaltensweisen eines Hundes. Ein Hund, der im Bett schläft – ist dominant! Ein Hund, der an der Leine zieht – ist dominant! Ein Hund, der vor seinem Menschen aus dem Haus stürmen möchte – klarer Fall: Auch dieser Hund ist dominant! Im Umkehrschluss bedeutet es, dass wir unseren Hunden keine „Privilegien“ wie beispielsweise erhöhte Liegeplätze gewähren dürfen, weil sie uns ansonsten womöglich von morgens bis abends dominieren könnten. In unserer Gesellschaft grassiert leider noch immer die Meinung, dass Hunde, welche die „Kommandos“ ihrer Menschen nicht befolgen, auf jeden Fall dominant sind und mit entsprechend „harter Hand“ geführt werden müssen, damit der Mensch nicht am Ende der Unterlegene ist. Auch mein Denken ging leider zu Beginn meines Hundehalter-Daseins ein wenig in diese Richtung. Auch mich beschlich die Sorge, mein Hund könne über mich hinauswachsen, wenn ich ihm zu viele Freiräume ließe. Ich hatte das Gefühl, ich müsste ständig und immer am längeren Hebel sitzen, damit mein Hund mich nicht aus Versehen dominiert.
Wie freue ich mich, dass ich dieses Schreckgespenst lange hinter mir gelassen habe. Natürlich sollen Hunde eine konsequente Erziehung genießen, die ihnen eine ausgewogene Beschäftigung bietet und sie – je nach Persönlichkeit – zu Begleitern in vielen Lebenslagen werden lässt. Man sollte aber als Hundehalter nicht ständig mit dem Gedanken umherlaufen, dass ein Hund, der nicht sofort und ausschließlich jedes unserer Signale befolgt, ein dominantes, ranghohes und im schlimmsten Fall ranghöheres Lebewesen ist als wir selber. Dominanz ist kein Persönlichkeitsmerkmal. Dominanz ist situativ und tritt nur unter bestimmten Umweltbedingungen wie beispielsweise bei Ressourcenknappheit auf. Eine Situation, in der ein Mensch mit seinem Hund tatsächlich um eine knappe Ressource „kämpfen“ müsste? Ein unrealistisches Szenario – gemessen daran, wie oft das Dominanzkonzept trotz allem bei der Erziehung eines Hundes herangezogen wird.
Viel zu oft werden damit dem Hund gegenüber angewandte Strafen gerechtfertigt. Viel zu oft wird dieses Konzept als Basis tierschutzrelevanter Trainingsmethoden genutzt. All das einem Lebewesen gegenüber, welches komplett in unserer Abhängigkeit steht. Natürlich kommt es vor, dass Hunde menschliches Verhalten beeinflussen. Dann liegt es aber an dem Menschen, diese Beeinflussung zuzulassen oder nicht. Jeder Mensch, der sein Leben mit einem Haustier teilen möchte, sollte von ganz allein auf die Idee kommen, sich das entsprechende Wissen über dieses Tier anzueignen, um dem Tier gerecht zu werden. Gerade in der heutigen Zeit stehen einem viele Quellen zur Verfügung an gute Informationen zu gelangen: Bücher, Vorträge, Seminare, gute Internet-Plattformen und natürlich Hundeschulen sowie Trainer. Manchmal kann das Bauchgefühl einem eine recht gute Hilfe dabei sein, aus der Vielzahl der Quellen die geeignetste herauszufinden.
Wenn ich ein Hund wäre …
… wünschte ich mir einen Menschen, der in meinem Verhalten nicht immer gleich eine Bedrohung gegen seine eigene Person sehen würde, wenn ich „hundliches“ Normalverhalten zeige. Wir Hunde wollen gar nicht alles allein entscheiden. Eigentlich sind wir froh, wenn unsere Menschen uns Orientierung geben und uns Entscheidungen abnehmen.
Anschaffung und Auswahl eines Hundes
Der Entschluss ist gefasst: Ein Hund soll angeschafft werden. Unter Umständen hat jedes Familienmitglied seine eigene Vorstellung, wie das neue „Hundekind“ zu sein hat: Langes Fell, kurzes Fell, groß, klein, sportlich, eher ruhig, ein Hund aus dem Tierschutz oder doch lieber einen Welpen von einem Züchter? Obwohl manche Menschen sich sicher sehr viele Gedanken vor der Anschaffung eines Hundes machen, machen sich aber leider noch lange nicht alle Menschen Gedanken genug darüber. Viel zu oft erlebe ich Hunde, die mit ihren Menschen nicht glücklich sind und Menschen, die mit ihren Hunden nicht glücklich sind, da sie im Endeffekt eine ganz andere Vorstellung von dem Zusammenleben mit einem Hund hatten. Geht man von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von ca. zehn Jahren aus (leider erreichen natürlich nicht alle Hunde dieses Alter – glücklicherweise werden manche aber auch älter), hat man über diesen Zeitraum die komplette Verantwortung für dieses Lebewesen mit allem, was dazu gehört.
Es ist nicht nur wichtig, dass man sich generell vor der Anschaffung eines Hundes Gedanken darüber macht, wie das neue Familienmitglied aussehen und heißen soll, sondern ganz besonders auch darüber, ob man sich dieser Verantwortung gewachsen sieht und diese auch gern übernehmen möchte. Der Welpe kommt ins Haus, und es kann passieren, dass er nach einer kurzen Phase der Gewöhnung an die neue Situation die Wohnung nach seinen Vorstellungen umdekoriert, weil die Menschen vergessen haben, all das außer Reichweite zu räumen, was dem Hund „in die Zähne“ fallen könnte. Auch hundliche Hinterlassenschaften auf „pippifesten und weniger pippifesten“ Untergründen gehören zu Beginn dieser wundervollen Freundschaft zum Alltag dazu. Das Verabschieden von lieb gewonnenen Schlafgewohnheiten ist ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Selbst wenn man sich für einen Hund, der dem Welpenalter bereits entwachsen ist entscheidet, so kann auch dies Veränderungen mit sich bringen, die man zuvor nicht abschätzen kann, weil zum Beispiel die Vorgeschichte des Hundes nicht immer bekannt ist. Vielleicht hat das neue Familienmitglied schon schlechte Erfahrungen mit Menschen sammeln müssen oder vielleicht ist der Hund unter völlig anderen Lebensbedingungen aufgewachsen, als wir sie ihm in unserer Gesellschaft bieten können. Auch bzw. gerade diese Tatsache führt leider sehr häufig zu großen Problemen im Zusammenleben mit dem neuen Vierbeiner.
Sicher ist es gut und richtig, sich über die Eigenschaften der einzelnen Rassen zu informieren, um einen möglichst gut zur eigenen Lebenssituation passenden Hund zu finden. Grundsätzlich gibt einem die Rassebeschreibung auch eine gewisse Orientierung, allerdings gibt es auch innerhalb der Rasse Individuen, die nicht unbedingt der Rassebeschreibung entsprechen. Leider spielt bei der Anschaffung eines Hundes auch der aktuelle Trend eine Rolle. So sind oftmals Rassen in Mode, die gerade häufig in der Werbung oder beispielsweise in Kinofilmen zu sehen sind. Hunde werden mitunter leider auch nach falschen Kriterien – wie Aussehen oder aktueller Modetrend – ausgesucht. Manche Menschen sind ewig auf der Suche nach dem Besonderen und schaffen sich dann einen Hund einer Rasse an, die Seltenheitswert hat, aber nicht gut zu ihren Lebensbedingungen passt. Hunde können natürlich auch krank werden. Der Gedanke, vielleicht lieber einen Welpen als einen älteren Hund anzuschaffen, schützt einen als Hundehalter nicht vor Krankheiten, die der Hund bekommen kann. Krank können Hunde leider in jedem Alter werden. Durch Krankheit, Umwelt- oder Haltungsbedingungen können sich Verhaltensproblematiken ergeben, mit denen man im Vorfeld einfach nicht gerechnet hat. All das klingt so, als sei es selbstverständlich und daher nicht erwähnenswert.
Ich persönlich jedoch halte jede einzelne dieser Überlegungen für erwähnenswert, weil mir in meinem Alltag schon viel zu viele Menschen begegnet sind, die diese Punkte nicht bei bzw. im Vorfeld der Anschaffung bedacht hatten. Problematische Situationen können ebenfalls durch Veränderungen im Leben des Menschen entstehen – sei es durch berufliche Veränderungen, Krankheiten in der Familie, Urlaube, Trennungen etc. Gerade das Thema Urlaub kann innerhalb einer Familie zu Diskussionen führen, wenn nicht geklärt ist, ob mit oder ohne Hund in den Urlaub gefahren wird. Auch der finanzielle Aspekt sollte nicht außer Acht gelassen werden. Sein Leben (und auch seinen Urlaub) mit einem Hund teilen zu dürfen ist –jedenfalls aus meiner Perspektive – eines der schönsten Dinge, die einem passieren können – sie kosten aber auch Geld. Geschirre, Leinen, Spielzeug, Hundebetten, Hundemäntel, Unterbringung im Auto, Tierarztkosten und vieles mehr sind zu berücksichtigen. Für ältere oder junge Hunde mit Problemen des Bewegungsapparats können Kosten für eine Physiotherapie entstehen. Hunde müssen versichert sein, und die Hundesteuer muss gezahlt werden. Das Ganze soll nicht grundsätzlich ein Plädoyer gegen die Anschaffung eines Hundes sein, aber es ist die beste und dem Tier gegenüber auch fairste Vorbereitung, sich diesen Schritt reiflich und gut zu überlegen und sich all diese Gedanken vor der Anschaffung eines Hundes zu machen.
Wenn ich ein Hund wäre …
… wünschte ich mir Menschen, die bereit sind, bereits vor meiner Anschaffung Zeit in gute Informationen über das Zusammenleben mit einem Hund zu investieren. Wenn meine neue Familie gut auf mich vorbereitet ist, dann sind die Chancen darauf, gleich von Anfang an in ein harmonisches Miteinander zu starten, einfach viel größer.
Impulskontrolle
Das Wort „Impulskontrolle“ taucht seit einigen Jahren verstärkt in der Hundeszene und im Zusammenhang mit dem Training von Hunden auf. Kontrolle von Impulsen, was bedeutet das eigentlich und welche Rolle spielt bzw. sollte es im Hundetraining spielen? Impulskontrolle sagt nichts anderes aus, als dass ein Individuum nicht unkontrolliert auf Reize seiner Umgebung reagiert. Sind Hunde denn grundsätzlich so? Reagieren sie unkontrolliert? Wenn ja, wann und wie kann und sollte ich als Hundehalter diese Reaktionen einschränken oder unterbinden? Was muss ich als Halter eines Hundes zu diesem Thema wissen, um das Training für meinen Hund sinnvoll und angemessen gestalten zu können? Wie bei vielen anderen Themen, die unsere Hunde betreffen, lässt sich auch hier eine Brücke zu uns Menschen schlagen. Eine Frage, die sich mir sofort stellt ist: Wie viel Impulskontrolle braucht ein Mensch denn so in seinem Alltag? Schaffen wir es immer und in jeder Situation, unsere Impulse zu kontrollieren? Ich nehme einfach mal mich als ein Beispiel, weil ich von mir am besten aus eigener Erfahrung sagen kann, dass ich mich nicht immer, ständig, in jeder Situation und überall kontrollieren kann. Wenn ich sehr genau überlege, dann fällt mir auch in meinem Umfeld spontan niemand ein, der dauerhaft kontrolliert wäre. Wie sieht das Ganze denn beim Hund aus? Kann er? Muss er? Sollte er … sich rund um die Uhr kontrollieren? Die Antworten auf diese Fragen sind wohl jedem klar: natürlich kann ein Hund das genau so wenig wie ein Mensch. Dennoch ist die Erwartungshaltung gegenüber den Hunden oftmals relativ hoch.
Wovon ist es abhängig, wie viel Impulskontrolle ein Halter seinem Hund abverlangen kann? Die Rasse eines Hundes spielt dabei sicherlich eine Rolle. So gibt es Rassen, die eine größere Reaktivität mitbringen. Unabhängig von der Rasse hat jeder Hund wie grundsätzlich jedes Individuum seine eigenen Persönlichkeitsmerkmale, die mit darüber entscheiden, wie gut er sich von sich aus in bestimmten Situationen kontrollieren kann. Alter und Trainingsstand sind zwei sehr wesentliche Faktoren, wenn es um kontrolliertes Verhalten geht.
Wie sieht das ganze Thema denn nun in der Praxis aus? Was genau soll man sich darunter vorstellen? Unerlässlich für uns als Hundehalter zu wissen ist, dass Impulskontrolle nicht in unbegrenzter Menge zur Verfügung steht. Irgendwann einmal am Tag ist das Sich-Kontrollieren-Können einfach nicht mehr möglich. Wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, ist so individuell, wie jedes Lebewesen individuell ist. An dieser Stelle möchte ich noch einmal einen Bogen in die Menschenwelt schlagen, um das Ganze an einem Beispiel zu verdeutlichen.
Am Morgen fahre ich zur Arbeit, der Chef und die Kollegen sind extrem anstrengend an diesem Tag, aber ich muss entspannt bleiben, obwohl ich am liebsten ausrasten würde. Die Mittagspause fällt aufgrund von zu viel Arbeit mal wieder flach und das Shoppen mit der besten Freundin fällt leider auch aus, weil ich länger arbeiten muss. Auf dem Weg nach Hause bin ich schon total genervt und kann mich kaum noch beherrschen, dann verpennt der Hirni an der Ampel vor mir auch noch die Grünphase. Zu Hause angekommen erwartet mich meine Familie in bester Laune, doch leider bekomme ich es nicht mehr hin, mich noch länger zu beherrschen – der Tag hat einfach schon zu viel Selbstbeherrschung von mir abverlangt. Ich bin gereizt und reagiere auch entsprechend.
Auch im Zusammenhang mit Kindern ist uns dieses Phänomen, dass Selbstbeherrschung nicht unbegrenzt zur Verfügung steht, ebenfalls bekannt. Sicherlich kennt jeder die Situation, mit seinem Kind in einem Einkaufszentrum an der Spielzeugabteilung vorbei zu müssen – es ist nicht immer einfach. Irgendwo lockt dann noch ein McDonald mit Pommes, Burgern und Chickenwings, auch Candy-Bar und Eisdiele sind eine weitere Herausforderung für die Selbstbeherrschung der Kinder. Nach gefühlten fünfzig „Neins“ ist es aus und vorbei mit der Selbstbeherrschung des Kindes – vielleicht auch mit der Selbstbeherrschung der Eltern. Das Kind schreit los, dass es doch nun endlich ein Eis und auch ein Spielzeug haben will. Was ist hier passiert? Ist das Kind nicht erzogen? Handelt es sich um Rabeneltern, die ihrem Kind keinen Wunsch erfüllen wollen? Oder ist das Kind einfach zu vielen Reizen ausgesetzt, denen es am Ende des Tages nicht mehr widerstehen kann?
Wann bei einem Individuum die Impulskontrolle aufgebraucht ist, kann man nie sagen. Hat ein Hund Probleme bei Begegnungen mit anderen Hunden, wenn er an der Leine ist, kann es nach zwei Begegnungen vorbei sein mit der Disziplin. Finden die Begegnungen mit ausreichendem Abstand statt, kann es auch sein, dass er drei, vier oder sogar mehrere Begegnungen gelassen hinnehmen kann. Dazu kommt natürlich, was dieser Hund an diesem Tag sonst noch so erlebt hat: Ist er gerade hungrig? Ist er gestresst, weil es heiß ist? Ist er müde oder gerade gelangweilt? Alle diese Faktoren führen kumulativ dazu, wann – auf dieses Beispiel bezogen – die unerwünschte Reaktion an der Leine erfolgt. Man könnte noch zig Beispiele zu diesem Thema anführen, die alle mit demselben Ergebnis enden würden: Jeder Hund hat seine eigene Schmerzgrenze und ist unterschiedlichen Umweltfaktoren ausgesetzt, die an seiner Impulskontrolle „nagen“. Was den Einen „nichts kostet“, weil es für ihn ein Leichtes ist, sich in dieser Situation zu beherrschen, kostet den Anderen enorm viel Energie, die er dann an anderer Stelle nicht mehr aufbringen kann.
Wenn ich ein Hund wäre …
… wünschte ich mir Menschen, die immer mal wieder auch ihre eigene Impulskontrolle hinterfragen. Wie gut schaffen sie es den Tag über ihre Impulse zu kontrollieren? Erheben sie nie die Stimme? Sind sie in den meisten Situationen tatsächlich diszipliniert? Gehen sie selbstverständlich an jeder Konditorei vorbei, ohne schwach zu werden? Mit Menschen an meiner Seite, die sich darüber ernsthafte Gedanken machen, bin ich als Hund bestimmt auf der sicheren Seite.
Aus „Mein Herz bellt“, Ausgabe 18/2016
Pdf zu diesem Artikel: hundewuensche_teil3
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