Was tun? Mein Hund hat Angst vor Fremden

Von Yvonne Adler

Die Kolumne zum Thema „Alltagsprobleme mit dem Hund". WUFF-Autorin Yvonne Adler, Tierpsychologin, akademisch geprüfte Kynologin und Hundetrainerin, beantwortet Ihre Fragen. Schicken Sie uns Ihr Alltagsproblem mit Ihrem Hund , kurz formuliert und mit 1 bis 2 Bildern. In dieser ­Ausgabe geht es um die sog. Gegenkonditionierung bei einer Hündin, die gegenüber fremden Männern ängstlich ­aggressiv reagiert.

Liebe Frau Adler!
Seit dem 7. Lebensmonat lebt Gipsy bei uns, eine kleine Schäfer-Mischlings­hündin. Nun ist sie mittlerweile 2 ½ Jahre alt und noch immer so verschreckt wie zu dem Zeitpunkt, als wir sie übernommen haben. Gipsy wird bei uns nur nett behandelt, aber trotzdem ist jeder Spaziergang ein Spieß­rutenlauf. Große fremde ­Männer findet sie so bedrohlich, dass sie ­weglaufen möchte. Da wir sie immer an der Leine haben, kann sie dies nicht. Stattdessen bellt sie wie eine Furie mit eingezogenem Schwanz und ­geduckter Körperhaltung, wenn sie an einem fremden Mann vorbei gehen muss, und verliert oft auch Urin. Haben Sie ­vielleicht einen Tipp für uns? Vielen Dank vorab für Ihre Antwort!

Lieben Gruß, Familie Bednarik!

Liebe Familie Bednarik!
Es hat den Anschein, dass Ihre Gipsy negative Erfahrungen mit Männern gemacht hat. Ihr Bellen und das Urinieren mit der beschriebenen Körperhaltung spricht dafür, dass sie große Angst hat. Aus der Sichtweise von Gipsy ist ihr Verhalten nur verständlich. Mit Bellen versucht sie den fremden Mann auf Distanz zu halten, da sie durch die Leine ja nicht weglaufen kann. Meine Vermutung ist, dass sie vielleicht auch Schmerzen durch Männer in der Jugend erlitten haben könnte. Gipsys allgemeine Ängstlichkeit und Verschrecktheit, wurde wahrscheinlich durch wenig positive Erfahrung während der wichtigen Sozialisierungszeit ausgelöst und/oder verstärkt.

Die erste und wichtigste Maßnahme ist, fremden Männern vorerst auszuweichen. Damit werden Gipsys Ängste nicht ständig aufs Neue „ausgelöst" und dadurch auch verstärkt. Außerdem sollten Sie zu Anfang lhr eigenes Verhalten beobachten. Sind Sie bereits nervös, wenn ein Mann auf Sie und Gipsy zukommt? ­Nehmen Sie dann schnell die Leine kurz und werden angespannt? Wird Ihre Stimme hektisch oder gar laut? Genau solche menschlichen Verhaltens­weisen führen oftmals dazu, dass sich ein Verhalten des eigenen Hundes nur verstärkt. Viele Leute unterschätzen, wie stark sich die eigene Stimmung auf den Hund übertragen kann. Hier rate ich Ihnen unbedingt, selbst gelassen und souverän zu bleiben, um Gipsy die ­notwendige Sicherheit für diese ­Situation zu vermitteln.

Nun zum Training! Der Hauptteil besteht daraus, Gispy beizubringen, dass andere Männer für sie etwas „Gutes" bedeuten. Um Ihren Hund zu lehren, dass Männer etwas Positives bedeuten, rate ich Ihnen Folgendes:

Sie sollten mit Ihrer Hündin in den Trainingssituationen zu Beginn eine große Distanz zu anderen Menschen (Männern) einhalten. Diese Entfernung muss so weit sein, dass sie noch gar nicht auf die Person mit dem für uns unerwünschten Verhalten reagiert. Außerdem sollten Sie besonders schmackhafte Leckerli mitnehmen. Ich empfehle Ihnen dazu Leberwurst für Hunde oder Streichkäse. Es muss etwas sein, das Gipsy in jeder Situation frisst, auch wenn sie mehr Stress hat. Viele Hunde schlecken in solchen Situationen lieber an einer Leberwurst als bspw. Futter­stücke aufzunehmen. Sobald Ihre Hündin den Mann erblickt und sich neutral verhält, sagen Sie ein Kommando – zum ­Beispiel „fein, ein Freund" – und geben ihr möglichst viele ­Leckerchen. Danach ist die Trainingseinheit be­endet. Versuchen Sie dabei einen Ort aufzusuchen (zum Beispiel eine große Wiese, an der ein Spazierweg vorbei führt), an dem Sie die Distanz selbst kontrollieren können.

Wichtig ist, dass Gipsy Sie während der Lektion nicht anschauen muss! Sie muss auch nicht Sitz oder Platz machen, denn sie soll ja auf den Menschen schauen, damit sie lernt, dass ein anderer Mensch „Leckerchen, ein gutes Gefühl und Sicherheit" bedeutet. Außerdem ist es von großer Bedeutung, dass Sie darauf achten, dass Sie ein weiches und ruhiges ­Kommando geben, damit sich die Situation durch Sie nicht anspannt. Achten Sie hier auch auf Ihre Körpersprache. Die Leine sollte immer locker gehalten werden, um die Gesamt­situation nicht anzuspannen.

Bei diesem Training ist Ihre Einschätzung sehr wichtig, denn die Distanz muss so groß sein, dass Gipsy auf keinen Fall in ihr altes Verhalten (weglaufen, bellen und/oder urinieren) zurück fällt. Sie müssen die Situation so gestalten, dass der Mensch auf ­keinen Fall die Distanz verringern kann, damit Sie bei jeder Trainingseinheit ein Erfolgserlebnis (Sicherheits- und Vertrauenserlebnis) haben. Die Entfernung ist hier der wichtigste Punkt!

Wenn alles gut funktioniert, sollten Sie sehr kleine Annäherungsschritte ­trainieren, also die Distanz sehr langsam verringern. Dieses Training wird als „Gegenkonditionierung" bezeichnet, die Zeit und Ausdauer verlangt, da der Hund schon Erfahrungen gesammelt hat und erst mit viel Übung zu dem (von Ihnen gewünschten) „neuen Verhalten" kommen kann.

Ich empfehle Ihnen zudem dringend, dass Sie unbedingt am Vertrauens­aufbau mit Gipsy arbeiten – am ­besten unter Betreuung einer qualifizierten Fachkraft! Damit stärkt sich das Selbstvertrauen Ihrer Hündin und sie wird in Zukunft weniger Angst haben. Dies ist eine große Bereicherung für Mensch & Hund und das gemeinsame Leben.

Ich hoffe, meine Anleitung war ­hilfreich und wünsche Ihnen viel Erfolg beim Training!

Ihre Yvonne Adler

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