Immer häufiger widmet sich die Forschung den kognitiven Fähigkeiten unserer Haushunde. Im Rahmen aktueller wissenschaftlicher Forschungen kamen bereits einige erstaunliche Fähigkeiten unserer vierbeinigen Freunde ans Licht. So sind Hunde in der Lage, Probleme durch Nachdenken zu lösen und bedienen sich dabei gerne der Mitwirkung des Menschen. Im Fokus steht seit geraumer Zeit auch die Frage, ob und wie Hunde durch Nachahmung lernen können. Die Antwort auf diese Frage kann durchaus auch für die Bindung zwischen Mensch und Hund Bedeutung haben sowie einen wichtigen Einfluss auf die Erziehung und Ausbildung.
Soziales Lernen
Lernen durch Nachahmung wird auch „Lernen am Modell” oder „Soziales Lernen“ genannt. Diese Form des Lernens ist an das Beobachten von Vorbildern/Modellen geknüpft. Hunde sind soziale Lebewesen, weshalb sie auch in sozialen Kontexten lernen. Soziales Lernen, Lernen durch Beobachtung, bringt dem einzelnen Lebewesen einige Vorteile gegenüber dem individuellen Lernen, demjenigen Lernen also, bei dem ein Individuum die Problemlösung ganz alleine sucht und findet.
Besonders junge Tiere, Tiere also, die die soziale Umwelt noch nicht in ihrer Gänze kennen, profitieren vom sozialen Lernen. Sie erlernen im Sozialverband Gefahren kennen, ohne sich selbst zu gefährden. Sie bekommen Informationen über Ressourcen und Feinde von ihren Sozialpartnern präsentiert. Das Lernen erfolgt zudem schneller als durch eigenes Vorgehen. Damit ein Lebewesen durch Beobachtung lernen kann, sind verschiedene Voraussetzungen wichtig: Das Gesehene kann nur wahrgenommen werden, wenn das Individuum aufmerksam ist. Um ein Verhalten nachzuahmen, müssen bestimmte Gedächtnisleistungen ablaufen, damit das Verhalten auch erinnert wird, um später in Form einer konkreten Handlung gezeigt werden zu können. Es muss aber auch einen Anlass geben, damit das beobachtete Verhalten tatsächlich gezeigt wird, hieran sind bestimmte Motivations- und Verstärkungsprozesse beteiligt.
Prägung und Tradition
Um wirklich zu verstehen, wie komplex das Lernen durch Nachahmung ist, ist es notwendig, einzelne Begriffe voneinander abzugrenzen. Jeder kennt das Beispiel der Graugänse, die dem ersten Lebewesen folgen, dem sie nach dem Schlupf begegnet sind. Man nennt dies Prägung. Diese Prägung geschieht innerhalb eines sehr engen zeitlichen Rahmens und ist kaum umkehrbar. Bei Säugetieren spricht man von „Phasen der Sozialisation“. Hunde müssen z.B. bereits in einer sehr frühen Lebensphase engen Kontakt mit dem Menschen haben, um später Menschen gegenüber weder Meideverhalten noch Ängstlichkeit zu zeigen. Herdenschutzhund-Welpen wachsen inmitten der Herde auf und werden so auf die Tiere geprägt, die sie später bewachen sollen.
Von einer Tradition spricht man, wenn innerhalb eines Sozialgefüges bestimmte Verhaltensweisen gezeigt werden, die bei anderen Tieren der gleichen Art nicht gezeigt werden. Andere Tiere der Gruppe erlernen diese Verhaltensweisen dann durch Abschauen, zahlreiche Beispiele finden sich bei Primaten. Von Tradition spricht man nicht bei angepassten Verhaltensweisen, die aufgrund bestimmter ökologischer Bedingungen notwendig werden.
Stimmungsübertragung
Jeder Hundehalter weiß Bescheid: Ist man selbst unruhig und ungeduldig oder aufgeregt, so merkt man binnen Kurzem seinem eigenen Hund ein ähnliches Verhalten oder eine generelle Übererregtheit an. Dieses Verhalten hat jedoch nichts mit Lernen durch Nachahmung zu tun. Denn der Hund ahmt nicht ein ihm unbekanntes Verhalten nach. Vielmehr zeigt sich auch hier wieder, dass Hunde sehr soziale Lebewesen sind, die sich der Stimmung in ihrer Gemeinschaft anpassen.
Jedoch: um Stimmungen erspüren und mitempfinden zu können, sind besondere neurologische Prozesse vonnöten. Daran sind bestimmte Nervenzellen beteiligt, die sog. Spiegelneuronen, die ein Lebewesen dazu befähigen, das Handeln und Fühlen eines anderen Lebewesens zu begreifen und nachzuempfinden. Erstaunlich ist, dass autistische Erkrankungen mit einem Verlust gerade dieses Einfühlens in andere einhergehen. In diesem Zusammenhang wird auch das Mitgähnen gedeutet. Britische Forscher fanden 2008 heraus, dass Hunde besonders häufig (in 72% der Fälle) von gähnenden Menschen zum Mitmachen gebracht wurden, während Menschen andere Menschen nur in 45-60% der Fälle zum Gähnen animierten (müssen Sie jetzt schon beim Lesen gähnen?). Auch dies wieder ein möglicher Beleg für die unbedingte Fähigkeit unserer Hunde zur Empathie, besonders uns Menschen gegenüber.
Automatische Nachahmung
Man stellte bei Experimenten fest, dass Hunden die Fähigkeit zur „automatischen Imitation“ innewohnt. So sollten sie in einer Gruppe genau nachahmen, dass der Mensch eine Tür entweder mit seiner Stirn oder
mit seiner Hand öffnete. Man belohnte in einer Kontrollgruppe nur Verhalten, das das genaue Gegenteil dessen darstellte, was der Besitzer tat, also wenn der Hund statt der Pfote (Hand) zum Öffnen den Kopf (Stirn) benutzte und umgekehrt. Die Fehlerquote bei diesen Hunden war dabei höher als in jener Gruppe, in der die Hunde für das exakte Nachahmen belohnt wurden.
Die Hinweise verdichten sich, dass bei der automatischen Nachahmung ebenfalls Spiegelneuronen beteiligt sind, beim Menschen scheint dies jedenfalls so zu sein. Insgesamt wird die automatische Nachahmung als Voraussetzung für das Lernen durch Nachahmung angesehen. Wenn man seinem Hund antrainieren möchte, die Pfote zu heben, kann man ruhig einmal den Versuch wagen, dem Hund die Übung einfach vorzumachen und selbst den eigenen Arm zu heben.
Einfache und echte Nachahmung
Nachahmung ist nicht gleich Nachahmung. Zur besseren Unterscheidung der beteiligten kognitiven Prozesse werden verschiedene Begrifflichkeiten gewählt. Wird ein Lebewesen lediglich auf ein Objekt oder einen Ort aufmerksam gemacht, der dann vom anderen Lebewesen eingehender inspiziert wird, so spricht man von „local enhancement“ (ortsbezogene Verstärkung). Ein klassisches Beispiel: ein Hund sieht, dass ein anderer intensiv an einer bestimmten Stelle, einem Grasbüschel etwa, schnüffelt und begibt sich nun selbst dorthin, um zu erkunden, was es dort zu schnüffeln gibt. Bei der einfachen Nachahmung ahmt das beobachtende Individuum die Handlung eines anderen nach, kopiert diese nur, ohne jedoch den tieferen Sinn oder das Ziel der Handlung zu verstehen. Davon zu unterscheiden ist die echte Nachahmung, bei der der Beobachter zielgerichtet agiert, weil er den Zusammenhang zwischen den Verhaltenskomponenten und dem Ziel der Handlung begreift. Dieser Art des Nachahmens liegen bestimmte kognitive Prozesse zugrunde. Lange Zeit glaubte man nicht, dass Hunde zu solchen geistigen Leistungen fähig sein könnten.
Selektive und objektbezogene Nachahmung
Friederike Range und ihr Team verblüfften 2007 die Fachwelt mit ihrer Feststellung, dass Hunde sogar in der Lage seien, selektiv zu imitieren. Sie fanden heraus, dass Hunde dazu tendieren, nur sinnvolle Handlungen nachzuahmen. So sollten Hunde von einer sogenannten Demonstrator-Hündin ein besonders ungewöhnliches Verhalten abschauen: sie benutzte zur Lösung eines Problems nicht die Schnauze, wie es Hunde bevorzugen, sondern die Pfote. Hielt die Hündin, die sie beobachteten, in ihrem Maul einen Ball und konnte deshalb nur die Pfote zur Problemlösung benutzen, so benutzten die Beobachter-Hunde überwiegend weiterhin ihr Maul. Sie erkannten, dass die Demonstrator-Hündin einen Grund für ihr Verhalten hatte. Hatte die Hündin das Maul frei, tendierten die meisten Hunde zur Nachahmung dieses anderen, ineffizienteren Verhaltens eher, da ihnen keine Erklärung für dieses Verhalten erkennbar war. Ein klarer Hinweis für Mitdenken und nicht stures Imitieren und das Unterscheiden von effizientem und nicht-effizientem Verhalten. Diese Forschungsergebnisse werden seitdem in der Fachwelt zum Teil kontrovers diskutiert.
So unterscheiden Forscher wie Claudio Tennie zwischen transitiver und nicht-transitiver Nachahmung. Das heißt: Hunde ahmen Verhaltensweisen eher nach, wenn ein Objekt, z.B. ein Ball oder ein Seil, im Spiel ist (transitiv). Während es ihnen schwerer fällt, einfach nur bestimmte Bewegungen nachzuahmen, z.B. das Hinsetzen oder Hinlegen (intransitiv). Das sture, akkurate Nachahmen einzelner Bewegungen ist ohnehin nicht die Sache unserer Hunde. Sie sind eher auf das Ergebnis aus, also: wie beispielweise an ein Leckerchen zu gelangen ist.
Von anderen lernen
Von wem lernen Hunde besser oder am liebsten? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Hunde, v.a. Junghunde, können von anderen Hunden lernen, die bereits über einen besseren Ausbildungsstand verfügen, z.B. Jagdhunde. Besonders sprechen Hunde auf menschliche Vorbilder an. Es fällt ihnen sogar leichter, eine Aufgabe zu bewältigen, wenn der Mensch ihnen den Lösungsweg einmal vormacht. Hunde sind sehr empfänglich für Hinweise aus ihrem sozialen Umfeld (menschliche Zeigegesten) und sie beobachten uns äußerst gerne.
Gesprochene Befehle helfen unseren Hunden dabei, sich auf die vorgemachte Handlung zu konzentrieren. Bei sogenannten „Do as I do“ – Kommandos, also dem gegebenen Befehl „Do it“ (frei übersetzt: „Mach nach“) beim Vormachen einer Aktion durch den Menschen, ahmten getestete Hunde ihnen bislang unbekannte Aktionen mit einer recht hohen Trefferquote zuverlässig nach. Dies auch, wenn später ein anderer – vorher trainierter – Hund oder ein anderer Mensch ihnen die Aktion vormachte.
Insgesamt ist beim Nachahmen eine positive Erwartungshaltung mitentscheidend sowie Motivation und Verstärkung. Je häufiger ein Hund erfahren hat, dass sein Mensch ihm die Lösung eines Problems vormachen kann, der Hund sich also auf die Kenntnisse seines Menschen verlassen kann, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Hund diesem Verhalten Aufmerksamkeit schenkt und es imitiert.
Lernen auf vielfältige Weise
Sichtet man die aktuelle Forschungsliteratur zum Nachahmungslernen bei Hunden, so bleiben noch viele Fragen offen. So zum Beispiel, welche neurobiologischen Prozesse beim Hund beim Lernen durch Nachahmung beteiligt sind. Es existieren Hinweise darauf, dass hundliche Lernstrukturen in manchen Kontexten sogar mit denen kleiner Kinder vergleichbar sind. Es fragt sich auch, welche Rolle das Lernen durch Nachahmung im Alltag wirklich spielt. Mancher Forscher vertritt sogar die These, dass Hunde auf ihrem langen Weg durch die Domestikation im Grunde verlernt haben, wirklich zu imitieren, da sie es gar nicht mehr zum Wissenserwerb benötigen.
Andere betonen, dass die Domestikation bestimmte Voraussetzungen für ein Nachahmen bei unseren Haushunden erst ermöglicht habe. Insgesamt zeigt sich, dass Hunde sehr komplex denken und handeln. Und wieder einmal wird deutlich, dass Hunde sich gerne an ihrem Sozialpartner orientieren. Vorteil: ein derartiges Zusammenspiel vertieft mit Sicherheit die Bindung. In jedem Fall hilfreich ist es auch für den einzelnen Hundehalter, seinen eigenen Hund einfach einmal genauer zu beobachten, um zu erkennen, welche wunderbaren kognitiven Fähigkeiten in ihm schlummern.
Da Forschung immer ein Prozess ist, und gerade sehr intensiv über das soziale Verhalten und die kognitiven Fähigkeiten unserer Haushunde geforscht wird, werden sich in den kommenden Jahren sicher noch einige interessante Ergebnisse referieren lassen.