Von Wölfen, Hunden und deren Menschen

Das Wolfsforschungszentrum im niederösterreichischen Ernstbrunn
hat mittlerweile weltweit Anerkennung für seine wissenschaft­lichen Aktivitäten gewonnen. Aber was tun die Wissenschaftler im Wolf ­Science Center eigentlich wirklich und wie tun sie es?

Unser wissenschaftliches ­Interesse kreist um die ­kognitiven und ­kooperativen Fähigkeiten von Wölfen und ­Hunden, vor allem im Zusammenhang mit ihren Sozialbeziehungen zu Artgenossen und zu menschlichen Partnern. ­Warum dies ein höchst relevantes Forschungsfeld darstellt, scheint eigentlich klar: Immer noch ist es ­rätselhaft, warum gerade der Wolf in der vielfältigen Gestalt der Hunde zum engsten Tierkumpan des Menschen wurde. Diese Langzeitbeziehung mag in den ähnlichen Lebensstilen der beiden Arten als Jäger und Sammler liegen. Menschen und Wölfe scheinen besonders die kooperative Art der Jagd und der Fürsorge für ihren Nachwuchs zu teilen. Sowohl bei Menschen als auch bei diesen Hundeartigen ist Kooperation Basis und Kern des Sozialsystems. Wolfsgruppen und Hunde sind daher ideal, um Kooperation mit Artgenossen und mit Menschen zu untersuchen.

Kooperation gefragt!
Wir Menschen kooperieren immer und überall: wir helfen guten Freunden beim Umziehen, passen auf ihre Kinder auf und bauen Häuser zusammen; und in der Wirtschaft kooperieren wir oft mit Partnern, die wir nicht einmal kennen. Diese kooperative ­Einstellung der Menschen entwickelt sich schon sehr früh und hebt Menschen gegenüber anderen Tieren hervor – oder vielleicht doch nicht? Diese Frage ist eine von vielen, denen wir am Wolfsforschungszentrum nachgehen. Denn nur, wenn wir unsere außer­gewöhnlichen kooperativen Fähig­keiten mit denen von Tieren vergleichen, können wir ein besseres Verständnis der Mechanismen von Kooperation, deren evolutionären Ursprung, deren ­funktionaler Relevanz sowie deren Entwicklung über die Stammesgeschichte und im Heranwachsen des Individuums erlangen.

Hunde schlauer als Wölfe?
Aber Hunde und Wölfe sind nicht nur interessant wegen ihrer ko­operativen „Einstellung", sondern vor allem auch, weil der Wolf der nächste lebende nicht-domestizierte Verwandte des Hundes ist. Wir können daher untersuchen, was während der Domestikation bezüglich der kognitiven und kooperativen Eigenschaften von Hunden passiert ist. Wobei wir unter „Domestikation" jene gene­tische Veränderung verstehen, die zu einer Anpassung einer bestimmten Art an ein Leben in der menschlichen Um­gebung führt. Da pflanzten sich jene Tiere fort, die sich besonders gut in unserer Welt, der Nische des ­Hundes, zurechtfanden. Es gibt ­mehrere Theorien, wie sich Hunde während der Domestikation veränderten und welche Auswirkungen dies auf die geistigen Fähigkeiten der Hunde gehabt hat. Manche ­Theorien nehmen an, dass sich durch selektive Zucht die kooperativen und ­geistigen Fähigkeiten der Hunde erst richtig entwickeln konnten und dass ­Hunde daher „schlauer" sind als Wölfe. Eine andere Theorie besagt, dass ­Hunde gegen Aggression und Angst selektiert wurden, dass sie dadurch den Menschen als Sozialpartner ak­zeptieren können, was zudem ihre starke Motivation erklärt, auf das Verhalten anderer Individuen zu ­achten und dies ggf. als kooperativ zu interpretieren.

Es wurde bereits eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, um herauszubekommen, was Wölfe und Hunde nun „wirklich" unterscheidet. Ein großes Problem ist dabei jedoch immer, dass man sehr vorsichtig sein muss, was man miteinander vergleichen kann. So will man ja nicht wirklich Äpfel mit Birnen vergleichen. Daher kann man Haushunde, die 24 Stunden mit ihrem Frauchen oder Herrchen verbringen, nicht wirklich mit Gehegewölfen vergleichen, die vielleicht gelegentlich mit Menschen in Kontakt kommen. Die ­Haushunde machen ganz andere Erfahrungen – sie gehen mit in die Stadt, zur Arbeit, zu fremden Leuten, schlafen auf dem Sofa (oder auch im Bett) und werden ganz anders erzogen und trainiert. Gehegewölfe machen diese Erfahrungen in der Regel nicht und werden daher in vielen Situationen ganz anders reagieren als unsere Haushunde, was allerdings nichts mit einem genetischen Unterschied zu tun haben muss, sondern rein durch die Erfahrung erklärt werden könnte. Daher ist es für uns sehr wichtig, dass wir auch zwei Hunderudel halten, die ganz gleich aufgezogen und trainiert werden wie unsere Wölfe. Nur so können wir gültige Rückschlüsse aus den Unterschieden, die wir ­beobachten und in unseren Tests ergründen, auf die genetischen Unterschiede der Tiere ziehen. Zu unserer eigenen Überraschung finden wir im Moment sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen unseren Hunden und Wölfen, wo wir keine erwartet hatten, aber natürlich auch Unterschiede.

Ich sehe etwas, was du nicht siehst …
Eine unserer ersten nach internationalen Wissenschaftsstandards veröffentlichten Studien beschäftigte sich mit dem Folgen von der Blickrichtung eines anderen. Wenn man dem Blick anderer folgt, kann man viele verschiedene Informationen sammeln, die wichtig fürs Überleben sein können oder auch für soziale Interaktionen mit Artgenossen. Wenn zum Beispiel ein Rabe einen Fressfeind oder Eindringling am Himmel entdeckt und ein anderer Rabe dem Blick des Artgenossen folgt, sieht er den Feind auch und kann so rasch und richtig reagieren. Außerdem kann man aus der Blickrichtung eines Partners und dem, was er sieht, oft ableiten, was dieser als Nächstes tun wird, und kann dann dementsprechend reagieren – Blick und Blickrichtung des Anderen gibt mir also auch einen Einblick in dessen geistige Welt. Ein Beispiel wäre ein jagender Wolf: wenn er dem Blick seines Rudelgenossen folgt, wird er wahrscheinlich erkennen, auf welches Beutetier es dieser abgesehen hat und kann seine eigenen Aktionen dieser Einsicht anpassen.

Die scheinbar einfache Fähigkeit, dem Blick anderer zu folgen, rief daher wegen seiner Bedeutung viel Interesse unter Kognitionswissenschaftlern hervor. Es ist dies ein erster Schritt um zu erkennen, dass andere über ein bestimmtes Wissen verfügen und möglicherweise Absichten, die sich von den eigenen unterscheiden. Dabei unterscheidet man allerdings ­zwischen dem Folgen eines Blickes in die Ferne und dem Folgen des ­Blickes um eine Barriere herum. ­Viele Tierarten – selbst ­Schildkröten – folgen dem Blick anderer (nicht nur der ­Artgenossen) in die Ferne. Wahrscheinlich ist es eine erbliche Anlage, sich parallel zu den anderen zu ­orientieren, die durch assoziatives Lernen verstärkt wird: wenn plötzlich ein ­Individuum aus meiner Gruppe in die Ferne schaut und ich reflexartig auch dort ­hinschaue und etwas sehe, was für mich von ­großem Vorteil ist, werde ich für mein ­Verhalten belohnt und werde es beim nächsten Mal ­wieder an­wenden – ein relativ ­einfacher k­ognitiver Mechanismus, und ­Neugierde ist allemal eine ­wirkmächtige Moti­vation – bei ­Menschen und bei anderen ­sozialen Tieren.

Komplizierter wird es bei dem ­Folgen des Blickes um ein Hindernis herum. Das Tier sieht nicht, wohin der Partner schaut, da es durch eine undurch­sichtige Wand daran gehindert wird. Es muss um die Barriere herum­gehen, um zu sehen, wohin der Partner geschaut hat. Wenn das Tier reflex­artig den Kopf in ­dieselbe Richtung wie der Partner dreht, schaut es gegen die Wand! Diese Fähigkeit, das Wesen einer Barriere zu durch­schauen, gilt als kognitiv sehr viel komplexer als einfach dem Blick eines anderen in die Ferne zu folgen und konnte bislang nur bei Raben, Menschenaffen und einigen wenigen Affenarten gezeigt werden. Man ­vermutet, dass diese Fähigkeit vor allem bei Arten vorkommt, die ent­weder sehr in Richtung Zusammen­arbeit oder aber Konkurrenz orientiert sind.

In unserer Studie untersuchten wir, ob Wölfe dem Blick von anderen – Artgenossen und Menschen – um eine Barriere herum folgen. Unsere damals 9 Wölfe folgten dem Blick von Menschen schon mit 14 Wochen in die Ferne und mit 6 Monaten folgten sie dem Blick sowohl von Artgenossen als auch von Menschen um eine Barriere herum. Diese Ergebnisse zeigen, dass nicht nur Raben und Primaten die geistige Fähigkeit haben, dem Blick anderer um eine Barriere zu folgen, sondern auch Wölfe. Im Gegensatz dazu konnte bisher noch nicht eindeutig gezeigt werden, dass Haushunde auch diese Fähigkeiten besitzen. Mal sehen, wie sich unsere Rudelhunde verhalten werden – wir sind schon sehr gespannt und es wird auf jeden Fall eine Fortsetzung dieser Geschichte geben.

Wenn Sie nun meinen, diese Blick­folgestudie wäre bloß ein kleiner Mosaikstein auf dem Weg zum ­besseren Verständnis der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Wölfen und Hunden, dann haben Sie damit sicherlich Recht. Aber Mosaike bestehen nun mal aus Steinchen, und wir sind dabei, eins ans andere zu fügen. Beständigkeit und Beharrlichkeit ­heißen die Mütter des wissenschaft­lichen Erfolgs.

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