Von Unterforderung und Burn-out

Von Sophie Strodtbeck

Das hundliche Animationsprogramm …

Zunächst einmal: wer eine Lebensreise mit seinem Hund plant, sollte ausreichend Pausen einplanen. Weniger ist mehr, und der Weg ist das Ziel. Beim täglichen „Animationsprogramm“ des Reisegefährten kann man sich am Vorbild der Natur orientieren. Ein Hund schläft normalerweise 50 Prozent des Tages. Die anderen 50 Prozent sind aber keinesfalls mit Action gefüllt, sondern werden zum Großteil mit Dösen, Beobachten oder Wache Schieben verbracht. Wirklich aktiv ist ein Hund nur etwa sechs Stunden pro Tag, was im Umkehrschluss bedeutet, dass er ungefähr 18 Stunden pro Tag nichts tut – Hund müsste man sein!

Leider vergessen viele Hundehalter, dass ihr Hund die überwiegende Zeit mit Ruhen verbringt – und haben Angst, ihrem Hund nicht gerecht zu werden und ihn womöglich zu wenig auszulasten. Während noch vor nicht allzu langer Zeit die meisten Hunde eher unterfordert waren, dreht sich das jetzt oft ins Gegenteil und artet in Stress für Hund und Halter aus. Dann hat so ein Hund schnell ein Tagespensum erreicht, das ihn überfordert und das ihm keine Zeit mehr für die so wichtigen Ruhe­phasen ermöglicht.

Ruhe lernen
Erschwerend kommt in vielen Fällen hinzu, dass Hunde gar keine Möglichkeit mehr bekommen, Ruhe zu lernen. Denn häufig dreht sich ab dem Einzug des Welpen in sein neues Zuhause alles nur noch um diesen. Da kommt dann die Oma das erste Mal nach Jahren zu Besuch, alle Kinder aus dem Dorf müssen den Wauzi natürlich kennenlernen, und man selbst will ja schließlich auch möglichst viel Zeit mit dem neuen Mitbewohner verbringen. Dazu kommt der ganze Stress mit der „Prägung“. Nein, Hunde sind keine frisch geschlüpften Gänseküken, die beim Anblick von Konrad Lorenz „Mama“ quaken, und trotzdem finden prägungsähnliche Vorgänge statt. Und inzwischen hat sich herumgesprochen, dass ein Hund bis zur Pubertät möglichst viele Umweltreize kennenlernen muss, weil in der Pubertät alle bisher nicht benötigten Synapsen (= Verbindungen zwischen den Nerven­zellen) abgebaut werden, die bisher nicht benötigt wurden. „Use it or lose it“ ist das Motto im pubertären ­Gehirn, es wird ausgemistet und un­nötiger Ballast fliegt raus. Darum gibt man sich natürlich größte Mühe mit dem neuen Familienmitglied: Montags in den Zoo, Vorstellung von Gorilla, Tiger und Co, dienstags Welpenspiel, danach Besuch der bereits erwähnten Oma, mittwochs Fußgängerzone und, wenn man schon mal da ist, Hauptbahnhof und der erste Restaurantbesuch. Die absolut alltags­relevanten Bällebäder nicht zu vergessen, die stehen ja heut­zutage an jeder Straßenecke. Und so geht das dann tagein, tagaus. Vergessen wird dabei aber zu oft eines: „Use it or lose it“ gilt nicht nur für die aktivierenden Netzwerke im Gehirn, sondern genauso für alles, was mit Hemmung zu tun hat. Es geht also nicht nur um Action, sondern mindestens ebenso wichtig ist Ruhe. Und hat ein Hund das bis zur Pubertät nicht gelernt, wird es ungleich schwerer, ihm das danach noch beizubringen. Das Resultat sind dann nicht selten völlig überdrehte Hunde, die gar nicht mehr in der Lage sind, zu entspannen. Wie immer macht es auch hier die Mischung! Darum ist es so wichtig, dem Hund von Anfang an Auszeiten zu gönnen, ihm einen Ruheplatz zuzuweisen, an dem er auch wirklich ungestört ist, und gegebenenfalls für „Zwangs-“ Auszeiten in einer Box oder Ähnlichem zu sorgen. Das hat natürlich nichts mit Wegsperren des nervigen Welpen zu tun – es versteht sich von selbst, dass der Hund positiv an die Box als Rückzugsort gewöhnt werden muss!

Stress für Hund und Halter
Auch ich habe dazugelernt. Als ich vor 14 Jahren mein Dönertierchen bekommen habe, war ich der Meinung, dass sie täglich bei Wind und Wetter mit mir mindestens vier Stunden an der Isar ­unterwegs sein müsse. Davon, dass weder Wind und Wetter noch das unterwegs Sein ihr Ding waren, habe ich mich nicht beirren lassen. Ich wollte ja keine schlechte Hundehalterin sein …

Als das Beaglechen dazu kam, artete das Ganze dann so richtig aus, denn auch dass man einen Beagle, damit er nicht jagen geht, auf jeden Fall auslasten muss, wurde mir ständig und ungefragt von allen Seiten erzählt. Also war ich mit beiden weiterhin täglich drei bis vier Stunden draußen unterwegs und habe dann zusätzlich mit Andra ein wahres Animationsprogramm durchgezogen: Agility, Begleithundetraining, Clickertraining, Tricktraining, Fährten, Rettungshundearbeit … Und das Futter wurde natürlich zusätzlich erarbeitet.

Mit Hund Nummer drei war das ­irgendwann nicht mehr zu stemmen, die Zeit wurde knapp, die Tage waren zu kurz. Mein schlechtes Gewissen meinen Hunden gegenüber brachte uns kurz vor den Burn-out, der Spaß am Hund und an der Arbeit mit diesem blieb auf der Strecke. Wer Pausen macht, hat mehr von der Reise durchs Hundeleben! Und wer mit Spaß und Freude und nicht aus einem Zwang oder schlechten Gewissen heraus agiert, sorgt dafür, dass auf der Reise genug Zeit bleibt, sich auch mal links und rechts von der Strecke umzuschauen und die Reise zu genießen. Das heißt natürlich nicht, dass Hunde keine Beschäftigung wollen und brauchen! Jeder Hund hat ein Hobby, man muss es nur finden. Das Hobby meiner Hunde ist das Hund-Sein. Und hier speziell die Disziplin „wer buddelt das tiefste Mauseloch?“ und „wer schafft es, sich in noch stinkenderem Aas zu wälzen als Andra?“ mit der Unterdisziplin „ver­teile es möglichst großzügig auf Deinem ganzen Körper und arbeite es tief ein“. Und Beagle Meier ist hier im Hause der Spezialist für Markierarbeiten jeglicher Art.

Weniger ist mehr!
Wenn ich die Zeit habe, clickere ich hier ein wenig, lege dort eine Fährte, verstecke Leckerlis oder wir gehen joggen. Wenn nicht, dann nicht. Und wir haben Spaß! Meine Hunde sind ausgelastet und zufrieden, und ich bin es auch. Das einzige „Training“, das meine Hunde machen, ist meiner großen ­Leidenschaft geschuldet: Sie sind die perfekten ­Models mit allem, was ein Hund dazu können muss. Sie lassen sich überall hin-, rauf- und runterschicken, bleiben in jeder denkbaren (und manchmal sogar undenkbaren) Situation und ­Position, bringen und halten verschiedene Gegenstände, und manchmal habe ich das Gefühl, dass sie ganz gezielt in die Kamera lächeln – das Gesicht natürlich immer der Sonne zugewandt!

Sie sind ruhiger als früher, fordern nicht mehr so viel ein. Und es gibt Regentage, da mutiere ich zu einem jener Hunde­halter, die ich früher verachtet habe: einem, der sich das grausige Wetter lieber mit den Hunden von drinnen von der Couch aus anschaut. Meinen Hunden kommt das sehr entgegen, mir auch. Zumal die Chihuahua-Fraktion sich sowieso weigert, bei entsprechendem Wetter das Haus zu verlassen. Aber ­natürlich haben sie trotzdem den ganzen Tag etwas zu tun: wir pflegen unsere Sozial­kontakte (sie haben ja das Glück, fast nie alleine, sondern immer bei mir zu sein), kuscheln ausgiebig, sie sind die perfekten Büro-, Autorinnen-, Fotobearbeitungs- und Küchenbegleithunde, sie spielen, sie entspannen, sie nutzen die 2000 qm Garten und sie genießen das Leben. Echte Luxusköter eben.

Aber natürlich spricht nichts dagegen, sich mit dem Hund dem Hundesport zu widmen, solange es Hund und Mensch gleichermaßen Spaß macht und nicht der Ehrgeiz an erster Stelle steht! Manche Hunde haben Spaß an Agility, ­andere sind glücklich, wenn sie ihre Nase einsetzen dürfen. Manche Menschen bewegen sich gerne, andere ­mögen es lieber etwas ruhiger. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich mit dem Hund zu beschäftigen, dass sicherlich für jeden etwas dabei ist. Aber das Schönste ist und bleibt die tägliche große Runde.

Bedingungsloses Grundeinkommen?
Früher mussten meine Hunde hart für ihr Gehalt arbeiten, heute plädiere ich für das bedingungslose Grundeinkommen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie ­wissen nie, wann es das nächste Mal was zwischen die Zähne gibt? Eine ­blöde Vorstellung, die Sie in Stress versetzt? So geht es Hunden, die ausschließlich im Tausch gegen Kooperation und Arbeit Fressen bekommen. Eine Zeit lang bin ich auch auf diesen Zug aufgesprungen, weil ich mir habe einreden lassen, dass die Handfütterung gegen das Jagen hilft. Und die Bindung stärkt. Und… Inzwischen weiß ich, dass dem nicht so ist. Und nicht nur das, es ist auch absolut unbiologisch für einen ­Kaniden, vor allem für einen jungen, auch wenn diese Philosophie immer genau mit dem Gegenteil argumentiert. Selbst im Fernsehen verkaufen verschiedene „Entertrainer“ diese Methode, ohne sich die Biologie von Hunden bzw. Wölfen anzuschauen. Es wird bei weitem nicht, wie behauptet, nur im Rudel gejagt, und auch ohne Kooperation verhungert ein Wolf so schnell nicht. Sonst gäbe es vermutlich keine mehr. Ganz im Gegenteil: gerade Jungtiere werden versorgt und durchgefüttert. Bei der Jagd stören die Schnösel eher, als dass sie sich nützlich machen, und trotzdem bekommen sie ihren Teil vom Braten ab. Und Wölfe jagen entgegen der immer noch gängigen Meinung nicht ausschließlich im Rudel, sondern ernähren sich, wenn möglich, hauptsächlich von Kleintieren wie zum Beispiel Mäusen oder Kaninchen, weil das weniger Einsatz erfordert und ungefährlicher ist. Das Rudel ist in erster Linie für die ­Sicherung des Territoriums da. Und wenn es nicht anders geht, wird auch mal gemeinsam ein großes Beutetier gejagt.

Auch bei Hunden plädiere ich dafür, den Erhaltungsbedarf, also ca. die Hälfte der Ration ohne die Einforderung einer Gegenleistung frei zur Verfügung zu stellen. Gegen Leckerchen unterwegs ist natürlich trotzdem nichts einzuwenden – wenn meine Hunde sich von einem Reh abrufen lassen, gibt es hier auch „all you can eat“. Der Umkehrschluss, dass sie sich, wenn sie nur genug Hunger haben, eher abrufen lassen, ist hingegen ein Wunschdenken. Das wird bei ­keinem echten Jäger ­funktionieren. Wenn die „Fährte aller Fährten“ unseren Weg kreuzt, kann ich auch mit einem halben Schwein (natürlich gekocht!) winken, es interessiert sie nicht. Jagen ist zu selbstbelohnend für Hunde, da kann Futter nicht mithalten. Und Futter zur Stärkung der Bindung? Eine Futterhand ist beliebig austauschbar …

Trotzdem setze ich Futter auch zur Beschäftigung ein: die Ration gibt es nur selten aus dem Napf, meist verstreue ich das Futter im Garten und lasse sie suchen. Das freut die Beaglenasen und macht auch satt.

Entspanntes Leben …
Alles in allem fahre ich mit der Auslastung meiner Hunde sehr gut. Sie sind zufrieden, genießen ihr Leben, und ich genieße meine Hunde. Sie sind wesentlich entspannter als zu Zeiten meines Mammutprogrammes, und wenn ich mal krank bin und nicht so kann, wie ich will, bricht hier nicht sofort alles ­zusammen, weil die Hunde ihr gewohntes Pensum einfordern. Ganz im Gegenteil – manchmal habe ich das Gefühl, dass ihnen ein chilliger Tag auf der Couch sehr entgegenkommt …

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