Pubertierende Hunde werden „taub"
„Das Gehör ist auf Durchzug gestellt …", beschreibt Katrin Hauk die Pubertätserfahrungen mit ihrer 10 Monate alten Australian Shepherd-Hündin Geisha, und Ivy mit dem WUFF-Forum-Nickname PoisonIvy pflichtet – ganz ungiftig – bei: „Mein Rüde hat mit ca. 8 Monaten begonnen, den tauben Dalmatiner zu spielen". Nichts mehr hören zu wollen, scheint eines der Charakteristika der Pubertät bei Hunden zu sein. Kaum ein Hundehalter, der nicht von einem plötzlichen „Hörsturz" bei seinem Vierbeiner berichtet. So wie Iris Berger über Ihren Scooby(doo), einen 2-j. Schäfer- (Mali- oder Collie-) Mix, berichtet, der in wellenförmigen Pubertätsphasen wochenweise „taub, nichtfolgend und mich ignorierend" wird. Und „akute Taubheit" trat auch bei Idefix auf, wie Waltraut aus Wien erzählt: „Anzeichen einer Pubertät bemerkte ich bei ihm mit ca. 7 Monaten. Er hat einfach auf gar nichts gehört".
Schaumgebremste Pubertät?
Da hat Heidrun Brunmair aus Wien mit ihrer 10 Monate alten Golden Retriever-Hündin Eli, die sie als „schaumgebremstes pubertierendes Gör" bezeichnet, schon mehr Glück. Wenn nicht noch die große Veränderung kommt, dann bleibt alles wie es ist: „Eli gehorcht nach wie vor, sie rebelliert nicht, und sie kommt, wenn ich sie rufe". Findet bei Eli vielleicht keine Pubertät statt? Fehlt ihr vielleicht das GPR54-Gen, das – wie man vor 2 1/2 Jahren entdeckte – für die Auslösung der Pubertät verantwortlich sein soll? (Nähere Informationen dazu folgen weiter unten im Artikel). Oder ist es einfach die Tatsache, dass Frauchen Heidi in Sachen Hundepubertät nach 5 Hunden bereits abgebrüht ist? Dies scheint fast so, wenn sie sagt: „Aufkeimende Geltungssucht der jungen Dame wird schlimmstenfalls mit einem Räuspern meinerseits quittiert." Das Geräusch aus der menschlichen Kehle zeitigt sichtlich den gewünschten Erfolg, „Eli schaut mich an und ändert ihre Pläne". Wenig bis gar kein Stress also, weder für Frauchen noch für Hund. An Heidi scheint eine wahre Pädagogin verloren gegangen zu sein. Generationen von pubertierenden Schülern hätten solche Lehrer gebraucht …
Es kann nur Einen geben …
Bubbles, der Labrador-Rottweiler von Madlen aus Nürnberg, kam im Alter von 9 Monaten ins Haus. Die ersten Wochen war alles toll. Madlen über ihren Vierbeiner: „Er war verschmust, tat alles fürs Fraule, war einfach ein Knuffel von Hund." Doch im Alter von 10 Monaten änderte sich die Idylle. Aus dem Knuffel wurde 6 Monate lang ein Rüpel: „Von einem Tag auf den anderen wurde das Spaziergehen zum Gewaltmarsch im Joggertempo, Frauchen musste bei gut 32 kg Hund zusehen, dass sie schnell genug hinter ihm herkam, wenn er `Damenduft` in der Nase hatte. Auch kannte der werte Herr Hund tageweise seinen Namen nicht mehr. Und immer wenn Fraule etwas sagte, wo der Jüngling anderer Meinung war, wurde sie zunächst ignoriert, und erst wenn Fraule in ihrem Tonfall zum ‘gestandenen Mann’ wurde, hat Herr Hund überhaupt erst reagiert – mit einem lauten Grunzen."
Frauchen Madlen wurde auf ihren Spaziergängen schließlich recht einsam, wie sie erzählt, denn Bubbles zeigte anderen Rüden, dass es in diesem Gebiet nur Einen geben kann. Und Hundedamen wurden „im Aneignungsverfahren besprungen, egal ob läufig oder nicht". Frauchen erkannte: „Herr Hund war auf dem Weg zum Mannwerden. Und da kuschelt man eben nicht mehr mit Fraule". Nach 6 Monaten der harten Prüfung von Madlen hat sich Bubbles’ Verhalten gegeben, aber: „Kleinere Schübe hatte er auch immer wieder mal zwischendurch. Nun, mit guten 2 1/2 Jahren haben wir es hoffentlich überstanden, wenngleich – ab und zu grunzt er schon mal wieder …".
Die Hoffnung lebt!
Bei dem jetzt 2-jährigen Podenco-Dogo-Mischlingsrüden von Cornelia Bruckner aus Wien, Piero, begann es im Alter von 6-7 Monaten mit dem Austesten von Grenzen: „Kommandos wurden missverstanden, aus SITZ wurde beispielsweise PLATZ, und die bereits vorhandene Leinenführigkeit war wieder weg." Dazu kam natürlich ein gesteigertes Interesse Pieros an läufigen Hündinnen und eine erhöhte Rauflust mit anderen Rüden. Mittlerweile, mit 2 Jahren, kommt das Ganze nur mehr schubweise in Form von „phasenweiser Taubheit, starkem Ziehen, Aufreitversuchen, und ab und zu macht es ihm auch Spaß, andere Hunde so von Leine zu Leine niederzuzicken …". Doch Cornelia hat die Hoffnung nicht verloren, dass „mein Süßer mal erwachsen wird".
Pascha jagte einen Traktor
Pascha, ein großer Rotti-Schäfer-Labi-Mix, lebt seit seiner 12. Lebenswoche bei Tina in Bremen. Bis zum Alter von 10 Monaten schien Pascha seinem Frauchen der „perfekte Hund". Dann begann Pascha – wir kennen das nun – plötzlich „taub" zu werden. Im Spiel oder Freilauf war der pubertierende Hund nicht mehr abrufbar, begann Raufereien zu lieben, Jogger und Radfahrer zu jagen und in der Wohnung eine gewisse Zerstörungslust zu entwickeln. Tina: „Der Höhepunkt war dann, als er meinte, er müsse einen Traktor jagen, oder als er anfing, Welpen zu traktieren."
Die einfachsten Dinge wie nie gelernt!
Siqua, der 3 Jahre alte Labrador-Jagdhundmischling von Daniela Salcher aus Deutsch-Wagram, schien als Welpe ein völlig unkomplizierter Hund zu sein. Daniela über Siqua, dessen Erziehung zunächst völlig einfach verlief: „Als ich dachte, wir haben das Gröbste hinter uns, kam er in die Pubertät. Und plötzlich schienen die einfachsten Dinge wie nie gelernt, so als ob er alles vergessen hätte. Er stellte mich jeden Tag aufs Neue auf die Probe und testete seine Grenzen aus." Etwas, das auch Müttern und Vätern von Menschenkindern wohl nichts Unbekanntes ist.
Solidarität von zwei Damen?
Keine großen Probleme mit der Pubertät ihrer Australian Silky Terrier-Hündin Funny empfindet die 14-j. Elisabeth Binder: „Unsere Funny ist nun etwa 10 Monate alt, und bisher gab es nur wenige Probleme. Sie war bereits läufig, was nicht gerade spaßig war, doch es war erträglich. Bisher folgt sie noch recht brav, zumindest zu Hause. Draußen ist es aber etwas schwierig, sie läuft meist weit, allerdings kommt sie auch wieder. Nur ist es schwer, sie wieder einzufangen, bzw. kommt sie nicht immer gleich". Also doch – die Pubertät? Zumindest Funnys Frauchen Elisabeth befindet sich mit ihren 14 Menschenjahren – wenigs-tens statistisch – noch durchaus in einer solchen. Spielt hier also vielleicht eine gewisse Solidarität zwischen den Damen eine Rolle? Dies könnte so sein, wenn Frauchen die Flegeltaten ihrer Hündin beschwichtigend erklärt: „Schließlich gibt es ja draußen so viel Interessantes zu sehen und zu erschnüffeln." Dass aber Funny sehr wohl Elisabeth austestet – das hört sich dann bei Frauchen ganz locker so an: „Funny ist ziemlich stur. Jedenfalls ist es oft recht mühsam mit ihr, wenn sie mal wirklich denkt, sie will jetzt nicht, und Frauli kann rufen, so viel es will. Oder wenn sie etwas gefunden hat, sei es nun ein Taschentuch oder Sonstiges, dann rennt sie damit umher und man muss sie austricksen, um es wieder zu bekommen". Alles klar, die beiden Damen verstehen sich offensichtlich blendend …
Menschen- und Hundepubertät: Verblüffende Ähnlichkeiten
Über Erfahrungen mit einem 14 Jahre alten zweibeinigen und einem 11 Monate alten vierbeinigen Pubertierenden erzählt Ulli Reichmann: „Ich lebe derzeit mit einem pubertierenden Knaben und einem ebensolchen Jungrüden-Rüpel. Die Ähnlichkeiten sind verblüffend. Beide marschieren hosenträgerschnalzend mit geschwellter Brust durch die Gegend, hinterfragen alles und jeden, finden das andere Geschlecht unwiderstehlich, aber höchst mysteriös, reagieren auf mütterliche/frauchenhafte Annäherungsversuche ablehnend, sind aber gleichzeitig anlehnungsbedürftig, hochsensibel, schnell gekränkt und launenhaft bis zum Erbrechen – hormongebeutelt eben – UND beide sind in ihrer gespielten Großkotzigkeit einfach rührend und zum Küssen. Es lebe die Pubertät!"
Ulli Reichmann spricht aus Erfahrung aus, was wissenschaftlich schon intensiv untersucht wurde. Aber warum beginnt die Pubertät eigentlich genau dann, wann sie beginnt? Was löst sie aus? Was verändert sich dabei im Heranwachsenden? Und jeder von uns kennt sie, wenigstens aus der eigenen Entwicklungserfahrung, viele auch bei ihren Kindern, wie vorhin Ulli Reichmann: Die Pubertät, die Zeit, in der wir einschneidende Veränderungen unserer Biologie und Psychologie durchmachen muss-ten, in der wir nicht mehr Kind und noch nicht Erwachsener waren, so wie gerade Ulli Reichmanns Sohn Nicki. Und für ihren Hund gilt: Lou verabschiedet sich von seiner Welpenphase und wird langsam zum „Adulten", wie die Zoologen sagen. Und da passiert im Wesentlichen biologisch und psychologisch Analoges wie bei Nicki.
Pubertät: Nicht nur die Hormone!
Die Forscher des „National Institute of Mental Health" in Bethesda (im US-Bundesstaat Columbia) haben bei ihren Magnet-resonanztomographie-Studien mit pubertierenden Menschen herausgefunden, dass es in der Pubertät zu einem Wachstumsschub der vor allem für kognitive Aufgaben zuständigen sog. „grauen Substanz" des Gehirns kommt. Es sind also nicht nur die Hormone, wie man bisher dachte! Und selbst das ist noch nicht alles. Im Jahre 2003 publizierte das angesehene „New England Journal of Medicine" einen Artikel mit dem Titel „The GPR54 Gene as a Regulator of Puberty" (Quelle: NEJM, Vol. 349:1614-1627, Oktober 2003). Ein von Dr. Stephanie B. Seminara geleitetes Team von britischen und amerikanischen Wissenschaftlern berichtet darin von der Entdeckung eines Gens (GPR54), das die Pubertät auslösen soll. Den Forschern war aufgefallen, dass in einer Familie mehrere Mitglieder nicht oder sehr verspätet in die Pubertät gekommen waren bzw. an einer Störung der Keimdrüsen litten. Bei der Suche nach einer Ursache fanden sie heraus, dass diese Personen eine Mutation des Gens GPR54 aufwiesen, eines Gens, das die Bildung bestimmter Proteine initiiert, die für das Eintreten der Pubertät wichtig sind. Bei den Familienmitgliedern, die ganz normal in die Pubertät kamen, war GPR54 hingegen normal ausgebildet. Daraus wurde geschlossen, dass dieses Gen für die Auslösung der Pubertät ursächlich ist. Versuche einer Biotechnologiefirma bei Mäusen haben diese Ergebnisse bestätigt: Blockierte man bei den Versuchstieren GPR54, wurden sie nicht geschlechtsreif.
Babyspeck und Pubertät
Interessant in diesem Zusammenhang ist noch das Ergebnis anderer Forschungsprojekte, die zeigen, dass dieses Gen offensichtlich erst dann aktiv wird und die Pubertät auslöst, wenn der Körper ausreichend Energiereserven (sprich Fett) angesammelt hat. Der sog. „Babyspeck" scheint also die Voraussetzung zu sein, dass es überhaupt losgeht. Unterstützt wird die Theorie durch das Wissen, dass die Geschlechtsreife bei magersüchtigen oder sehr dünnen Kindern deutlich später einsetzt als bei normalgewichtigen.
Wenn nun also das GPR54-Gen für die Auslösung der Pubertät beim Menschen und bei der Maus verantwortlich ist, kann mit großer Sicherheit angenommen werden, dass dies auch beim Hund der Fall ist. Zusammenfassend ist also die Pubertät beim Menschen wie beim Hund ein „gärender Teig" aus Neurologie, Psychologie und Genetik – nicht zu vergessen noch das bisschen Mehr an Fett …
Wie mit Pubertierenden umgehen?
Dass wir nun wissen, wie sich Pubertät bei Hunden äußert und welche Faktoren sie steuern und beeinflussen, nützt uns noch recht wenig dabei, wie wir damit umgehen sollen. Der Hundepsychologe Jörg Tschentscher beschreibt die Pubertät aus der spezifisch hundlichen Sicht und gibt dazu auch nützliche Tipps, wie man diese Zeit unbeschadet übersteht (siehe Kasten). Fast alle Hundehalter, die schon durch diese Phasen ihres Vierbeiners mitgegangen sind, empfehlen unisono: „Geduld, Geduld und nochmals Geduld!"
„Augen zu und durch!", sagt Sonja aus Wien, die gerade eine pubertierende Pflegehündin zu Hause hat, die ihre Grenzen austestet, „nach den paar Monaten wieder von vorne anfangen, wobei der Hund dann aber bereits Erlerntes wesentlich schneller abrufen kann." Sonja empfiehlt, den Hund mit etwas zu beschäftigen, wo er mitdenken und sich konzentrieren muss. Zumindest ihre Hündin laste dies viel mehr aus als langer Auslauf.
Iris Berger hat die Pubertätsphase ihres Scooby recht cool überstanden: „Wenn er nicht gefolgt hat, war er an der Leine. Punkt, aus." Dass auch die eigene Erfahrung mit Hunden eine Rolle spielt, zeigt sich bei Heidi Brunnmair, die – wie bereits erwähnt – offensichtlich auch über ausgeprägte kynopädagogische Fähigkeiten verfügt. Eli ist immerhin der sechste Hund, den die Wiener Geschäftsfrau vom Welpenalter an groß zieht. Mithelfen mag wohl auch der Umstand, dass im Haushalt zwei weitere Hundedamen im Alter von 3 und 12 Jahren leben, „die als Miterzieherinnen den Teenager schon auf Normalgröße stutzen". In einer Hundegruppe regeln sich offensichtlich derlei Dinge etwas problemloser … Wie wär´s also mit einer Vergrößerung des Haushalts?
Locker – durch Verständnis und Wissen …
Die Empfehlungen von Tina aus Bremen, die sie aus der Erfahrung mit Paschas Pubertät gewonnen hat: „Von Anfang an eine gute moderne Hundeschule suchen und alles täglich in jeder Situation üben. Hätte ich dies gemacht, hätte ich heute ein paar Problemchen weniger. Immer einen kühlen Kopf bewahren, denn vieles, was ein Hund in dieser Zeit macht, geht von allein wieder vorbei. Vieles wurde auch durch Paschas Kastration leichter, denke ich zumindest." Und für ganz wichtig hält Tina Information und Wissen über unseren vierbeinigen Gefährten: „Hätte ich das Wissen über Hunde gehabt, wie ich es heute habe, wäre garantiert einiges anders gelaufen. Und in vieler Hinsicht positiver für meinen Hund, mein nicht perfektes, aber liebenswertes Paschamonster …".
Ähnlich sieht das auch Daniela Salcher aus Deutsch-Wagram: „Wenn man nämlich versteht, was im Hund gerade vorgeht und welche Veränderungen er durchmacht, sieht man die Dinge vielleicht ein wenig lockerer". Daniela hält es für wichtig, in der Pubertät dem Hund mehr Zeit zu geben, wenn es um das Erlernen von neuen Dingen geht. Eher weniger von ihm verlangen, das aber konsequent, sagt sie. Und Daniela Förster, Frauchen der Border Collie-Labrador-Mischlingshündin Kyra, setzt ebenfalls auf Hundeschule und Geduld: „Ich habe gelernt, geduldig zu sein – überhaupt, was meinen Hund anbelangt. Deshalb bli-cke ich hoffnungsvoll und positiv denkend in die Zukunft! Mit viel Geduld, Liebe und sanfter Erziehung wird die Pubertät sicher leichter!"
Ich danke herzlich allen aus dem WUFF-Forum (www.wuff-online.com), die mich – sich der Anonymität des Nicknames entledigend – an ihren Erfahrungen mit ihrem pubertierenden Vierbeiner teilhaben ließen!
HUNDEPSYCHOLOGIE
Der pubertierende Hund
von Jörg Tschentscher
Ein junger Hund ändert sein Verhalten, mal kommt er auf Zuruf und mal nicht. Heute benimmt er sich perfekt und morgen geht er über Tisch und Bänke. Der Besitzer ist sich auf einmal nicht mehr sicher, ob dies derselbe Hund ist, der vor einigen Monaten als Welpe ins Haus kam und sich immer so vorbildlich benahm. Nun, keine Sorge, es ist derselbe. Aber er ist in der Pubertät … Die hundliche Entwicklung aus einer interessanten Perspektive, von Jörg Tschentscher.
Jetzt ist der Hund 10 Monate und kommt nicht jedes Mal, wenn man ihn ruft, die Hundetrainerin rät, ihn, sobald er dann doch irgendwann kommt, wegzuschicken. Ebenfalls solle er statt neben dem Bett jetzt im Keller oder in einer Box (sog. Bench) schlafen. Ergänzend dürfe das Tier die nächsten 3 Tage dann nicht gestreichelt oder sonst wie beachtet werden, die Spaziergänge seien auf das Lösen-lassen des Tieres zu beschränken, da Spazierengehen ein Privileg sei, welches der Hund durch sein Nichtkommen verwirkt habe … Natürlich setze man dann auch den Kettenwürger und das Stachelhalsband ein, man müsse dem Hund ja klar machen, wer das Sagen habe … Der Hund dürfe nun auch drei Tage lang nicht gefüttert werden und anschließend nur aus der Hand des Besitzers – so lerne er, von wem er eigentlich abhängig ist. Beispiele aus dem gängigen Empfehlungsrepertoire vieler Hundeschulen. Doch welche psychologischen Auswirkungen hat ein solches Verhalten des Besitzers auf den Hund?
Eine Analyse
Das Gehirn von Menschen und Hunden ähnelt sich in Morphologie und Funktion, insbesondere auch in den Verknüpfungen unterschiedlicher Hirnareale. Die Psychologie des Menschen ist schon lange Gegenstand der Forschung, die des Hundes erst seit kurzem. Warum sollte es daher bei einem Hund, der ähnlich dem Menschen eine psychische und soziale Entwicklung vom Welpen bis zum Erwachsenen durchmacht, nicht auch eine – anthropomorph ausgedrückt – pubertäre Phase geben?
Setze ich nun das Alter des Hundes (10 Monate) in einen Kontext zur menschlichen Entwicklung (ohne nun rassespezifische Eigenheiten zu berücksichtigen), entsprechen diese 10 Monate etwa einem 14 1/2-jährigen Menschen. Trage ich diesem Umstand Rechnung und beurteile das Hundeverhalten aus dieser Sicht, zeigt der Hund einfach nur pubertäres Verhalten. Ein Hund in der Pubertät? Dieser Umstand ist eindeutig mit Ja zu beantworten.
Rassetypisch beginnt die pubertäre Phase meist um den 6. Monat, kann sich dann aber u. U. auch bis zum Abschluss über den 12. Monat erstrecken. Gerade große Rassen (wie bspw. Doggen) werden später erwachsen. Ist beim Menschen für die Auslösung der Pubertät das Gen GPR54 zuständig, dürfte dieses Gen mit großer Wahrscheinlichkeit auch beim Hund vorhanden sein. Derzeit arbeiten verschiedene Universitäten daran, dies nachzuweisen. 90% der DNA von Mensch und Hund sind ident.
Pubertierendes Verhalten: temporär und beeinflussbar
Das Verhalten des pubertierenden Hundes ist dem eines pubertierenden Menschen nicht unähnlich. Hier entwickelt sich eine Persönlichkeit und sucht ihren Platz in der (Hunde-)Gesellschaft. Der Hund setzt sich zu diesem Zeitpunkt mit seinen körperlichen Veränderungen (Geschlechtsreife) auseinander, er versucht seinen eigenen Weg zu finden, sich aber gleichzeitig auch in den Familienverbund (Mensch oder Hundegruppe) einzugliedern. Der Hund möchte alle Entscheidungen selber treffen, stellt dabei aber fest, dass dies oft nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt. So wird er sich dann einer – aus seiner Sicht – souveränen Persönlichkeit anschließen. Wird der Hundehalter mit den Verhaltensweisen seines pubertären Tieres konfrontiert und weiß um diesen Umstand, kann er gezielt darauf einwirken. Denn pubertäres Verhalten ist einerseits temporär, andererseits beeinflussbar.
Die Ausgangsüberlegung zum Nichtkommen des Hundes lässt sich nun so erklären: Der Hund kommt deswegen nicht zum Besitzer, weil er einfach nur seinen Radius vergrößert hat, selbst Prioritäten setzt und versucht, sich in der Welt zurechtzufinden.
Ignorieren, jedoch nicht ausgrenzen
Überprüfe ich jetzt die eingangs beschriebenen Mittel zur Verhaltensbeeinflussung des Tieres, wie sie häufig noch immer empfohlen werden, besteht die Gefahr, dass der Hund nicht autark und somit (über)- lebensfähig wird. Dazu kommt, dass Hunde über eine sehr hohe soziale Intelligenz verfügen. Grenzt der Mensch den Hund mit den angegebenen Methoden aus, wird dies als sozial demütigend empfunden. Der Mensch vermittelt ihm: „Geh weg, du gehörst nicht mehr zu uns!" Besser ist es daher, dem schließlich Kommenden lediglich ein gewisses Desinteresse (Ignorieren) zu bekunden, ihn jedoch durch Wegschicken nicht auszugrenzen. Das bedeutet, die soziale Sicherheit (z.B. Rudelzugehörigkeit) wird nicht in Frage gestellt. Das Wegschicken des Tieres führt hingegen zu einer sozialen Unsicherheit, und diese kann zu folgenden zwei Verhaltensweisen führen:
Erstens, der Hund fühlt sich mit der Situation überfordert und buhlt um die Möglichkeit, sich dem Besitzer anschließen zu dürfen. Ignoriere ich jetzt den Hund weiter, bedeutet dies eine massive Stresssituation, die naturgemäß zu einem der Situation unangemessenen Verhalten führen kann. Der Hund befindet sich praktisch in einem Zustand, in dem er subdominantes Verhalten zeigt. Der Hund wird ständig den Besitzer beobachten und sich bemühen, alles richtig zu machen. Er wird aus einer Verunsicherung heraus reagieren und kaum eine Situation selbstständig autark beurteilen. So besteht die Gefahr, dass ansonsten völlig sozial eingestellte Tiere plötzlich andere Hunde massiv verdrängen, sobald sich diese dem Besitzer nähern. Einfach aus dem Umstand heraus, dass das eigene Tier sich seiner sozialen Stellung innerhalb des Familienverbundes nicht mehr sicher ist und diese unsichere Position massiv verteidigen muss, um nicht noch tiefer „abzurutschen".
Soziale Isolation der falsche Weg!
Bringe ich ein Tier in die soziale Isolation, z.B. durch Einsperren in die Box bzw. den Keller und/oder durch den Entzug von körperlicher Zuwendung, so führt dies ebenfalls zu einer massiven Unsicherheit des Tieres, welche sich auch in körperlichen Symptomen widerspiegeln kann. So sind hier alle stressbedingten Krankheiten möglich. Es wurde schon von plötzlichen, medizinisch nicht erklärbaren Todesfällen beim Menschen berichtet, welche eindeutig auf die soziale Ausgrenzung des Betroffenen zurückzuführen sind. Die Redensart: „Er/ Sie starb an gebrochenem Herzen" ist also nicht nur eine Floskel, sondern Tatsache. Dieser Umstand ist auch aus der Tierwelt bekannt. So sind genug Fälle bekannt, in denen das Tier kurz nach seiner menschlichen oder tierischen Bezugsperson verstarb. Die Tiere zeigen hier submissives Verhalten, sie verkriechen sich, wehren sich kaum und ergeben sich ihrem Schicksal.
Zweitens, eine andere Reaktionsmöglichkeit durch das Abweisen gibt es bei Tieren, die bisher zu selbständigem Verhalten angehalten waren. Sie fühlen sich dadurch aus dem Verbund ausgeschlossen und akzeptieren diesen Umstand, indem sie sich einen neuen Familienverbund suchen.
Zwangsmittel nicht effektiv
Der Einsatz von Zwangsmitteln wie Leinenruck, Stachelhalsband und Kettenwürger ist nicht erfolgsversprechend, vermittelt er dem juvenilen Tier doch einen falschen Eindruck. Das Tier möchte zur „Erwachsenenwelt" dazu gehören, befindet sich aber noch in einer emotional unsicheren Phase und erlebt jetzt einen Besitzer, welcher cholerisch überfordert wirkt und dann versucht, sich dem Hund „überzuordnen", indem er mit dem Hund „Unterordnungsübungen" o. ä. veranstaltet. In dem unsicheren emotionalen Zustand, in dem der Hund (und oft der Halter …) sich gerade befindet, häufig auch noch mit Stress verbunden, ist Lernen kaum möglich. Psychologische Studien beweisen, dass man in akuten Stresssituationen kaum lernen kann. Begeben Sie sich mal auf eine Achterbahn und versuchen Sie während der Fahrt einen Zweizeiler auswendig zu lernen. Es fällt Ihnen unter den gegebenen Umständen wesentlich schwerer, als wenn Sie in entspannter Umgebung lernen. Der Hund fährt zwar „nur" emotional Achterbahn, ist aber auf einem ähnlichen Erregungsniveau. Bevor in einem solchen Zustand mit dem Tier gearbeitet werden kann, muss also erst einmal eine Situation geschaffen werden, die das Lernen begünstigt. So können die Tiere vor Lernbeginn erst einmal ein bisschen spielen, um Power abzubauen. Ebenfalls fällt auf, dass pubertierende Hunde Schwierigkeiten haben, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren, und dass sie das mehrfache Wiederholen von Übungen ablehnen.
Richtiger Umgang in der Pubertät
Wie soll man also mit solch pubertärem Verhalten umgehen? Kurz: Tolerant, wissend und souverän! Einerseits braucht der Hund so viel Freiraum wie möglich, andererseits aber auch eine Führung. Dieses kann man erreichen, indem man für den Zeitraum eine Flexi- oder Schleppleine verwendet. Ich kann mich in dieser Zeitspanne sehr gut auch mit meinem Hund an der (langen) Leine befassen. Ich spiele mit ihm, erlebe vieles mit ihm und kann ihm somit auch vermitteln, dass er zwar über die Leine mit mir verbunden ist, aber trotzdem über genug eigenen Freiraum verfügt, um Erfahrungen zu sammeln und autark zu werden. Die Leine wird somit zur Verbindung und nicht zur Einschränkung, sofern ich mich auch mal den Bedürfnissen des Tieres anpasse. Will der Hund mal quer durch den Wald, kann ich mitgehen. Somit kann der Hund das erleben, was er möchte, und trotzdem behalte ich die Führung. Achte ich jetzt noch darauf, dass die Leine locker bleibt, haben wir ein völlig entspanntes Miteinander.
Vom „Ernährer" zum „Sozialgefährten"
Gleichzeitig sind aber auch Freilauf sowie Artkontakt wichtig. Lassen Sie Ihren Hund in ungefährlichem (eingezäuntem) Gelände ruhig frei laufen. Lassen Sie ihn – auch angeleint – mit Artgenossen zusammenkommen. Auch Hunde können angeleint an einer Flexileine spielen. Hierbei braucht der Hundehalter die Leine nur hoch zu halten, was zwar ein bisschen Mühe erfordert, aber möglich ist. So nebenbei lernt der Hund dadurch auch noch, sich an der Leine normal zu benehmen. So findet man doch bestimmt einen Konsens zwischen Führung, Neugier und Spaß. Ergänzend verändert sich meine Position aus der Sicht des Tieres vom „Beschützer und Ernährer" zum Freund und Sozialpartner. Jemand, an dem man sich orientieren kann, der nicht nur einschränkt, sondern mit dem man sich ergänzt.
WUFF STELLT VOR
Der Autor
Jörg Tschentscher ist Tierpsychologe und verfügt über die Zulassung zur Abnahme der Sachkundeprüfung in Nordrhein-Westfalen. Seine Themenschwerpunkte betreffen die Neurologie des Hundes, Psychologie, Kommunikation und Ethologie mit Hauptaugenmerk auf der Kommunikation der Hunde.
• Jörg Tschentscher, Tierpsychologe IK, Abnahme des Sachkundenachweises NRW, Hans-Böckler-Str.12, D-40476 Düsseldorf
• Tel.: +49 (0)172/263 45 25
• Im März 2006 erschienen: Jörg Tschentscher, „Psychologie und Hundesprache", Eigenverlag, 85 Seiten, beim Autor zu beziehen. In Österreich auch über den WUFF-Shop. Preis: EUR 6,50