Vom Hundeleben im Wohlstand

Von Pascal Becker

Wenn es darum geht, Statistiken zum Hundewesen zu generieren, kann der Experte unserer Tage mit empirischer Korrektheit nicht nur Futtermittelumsätze, Kotabsatzmengen und Wurfstatistiken wiedergeben; Wissenschaftler sind heute sogar in der Lage, einem staunenden Publikum zu berichten, dass der Hund träumen kann! Was jedem Hundebesitzer hoffentlich schon immer bekannt war, wurde vor gar nicht allzu langer Zeit in einigen als seriös zu betitelnden Magazinen im Print- und TV-Bereich zur wissenschaftlichen Neuigkeit stilisiert.

Ohne wissenschaftliche Untermauerung könnte man ebenso konstatieren, dass Hunde nicht nur träumen, sondern auch leiden können, und das tun sie auch. Sie denken an koreanische Hinterhofrestaurants oder an Straßenhunde in Spanien, Ungarn oder sonst wo auf der Welt? Warum so weit weg? Weil es obsolet ist, im Angesicht bestens sortierter Tierzubehörgeschäfte an das Leiden von Hunden in Mitteleuropa zu denken?

Über die Hunde-Idylle auf dem Lande …
Dann lassen Sie uns zusammen in ein Dorf im Westerwald gehen. Dieses Dorf ist, soviel steht fest, beliebig austauschbar und könnte auch irgendwo im Schwarzwald, in Niederbayern, Tirol oder in Niederösterreich seine Kirchtürme in den Himmel strecken – Türme, die den Menschen ein wenig näher an ihren Schöpfer bringen sollen. Da jedoch, wo die Menschen die Sache mit der Schöpfung in die eigene Hand nehmen, gelten anscheinend andere Regeln als im Himmel.

In diesem Dorf wohnt ein Freund von mir. Er hat zwei Hunde, und ich möchte ihn als Hundeführer vorstellen, denn von Hundehaltern soll im Anschluss noch genug die Rede sein. Dieser Freund, mit dem mich ungezählte Spaziergänge, Wanderungen und Abenteuerurlaube im Bunde mit unseren vierbeinigen Freunden verbinden, ist vor drei Jahren in den Westerwald gezogen. Sehr schnell wurde ihm klar, dass etwas nicht stimmen kann mit dem Ideal der Hundehaltung auf dem Lande. War er im Schnitt drei Stunden täglich in und um das Dorf herum unterwegs, was ihn in den Augen so manchen Dörflers bereits als suspekt auszeichnete, so stellte er nach einem als repräsentativ zu bezeichnenden Zeitraum von mehr als einem Jahr fest, dass ungefähr nur ein Drittel aller im Dorf ansässigen Hundehalter mit ihrem Hund das eigene Grundstück verlassen, um, wie man so schön sagt, „Gassi" zu gehen.

Zur Untermauerung seiner Beobachtung ließ er sich vom zuständigen Sachbearbeiter der Gemeindeverwaltung die Zahl der angemeldeten Hunde seiner Gemeinde geben. Seine Feldstudien deckten sich mit den amtlichen Zahlen – man kann also den dörflichen Hundehaltern nicht den Vorwurf machen, sie missachteten gültiges Steuergesetz. Was ein Großteil der hundehaltenden Dörfler jedoch missachtet, ist Naturgesetz.

Hunde in „Nutztierhaltung"
Es ist ein Paradoxon, jedoch scheinen gerade die Menschen, die seit Generationen vom und mit dem Vieh leben, weniger Verständnis für die Bedürfnisse der ihnen anvertrauten Tiere zu haben als die gerne gescholtenen Stadtmenschen. Lassen wir die an Konfliktstoff nicht arme Nutztierhaltung außen vor, so scheint leider auch bei den Hunden der Nutztieraspekt im Vordergrund zu stehen. Muss beim Schlachtvieh schon seit Jahrzehnten das Argument der marktfähigen Preise für die üblen Umstände der Haltung herhalten, so könnte man doch den eigenen Hunden wenigstens eine extensive Tierhaltung angedeihen lassen, die kostet doch nichts. Sie stellt aber evtl. einen gewissen Mehraufwand dar.

Von meiner Heimatgemeinde, die im Einzugsgebiet einer größeren Stadt liegt, bin ich schon einiges gewohnt. Zugige Zwinger und Kettenhunde sind hier nach wie vor präsent und weit weniger umstritten als die Tatsache, dass zahlreiche Neudörfler bei ihren Sonntagsausflügen die armen Kreaturen passieren, dies vermuten lässt. Was ich jedoch bei meinem letzten Besuch im Westerwald sah, spottet jeglicher Beschreibung. Die Heranziehung diverser Einzelfälle ließe bei objektiver Betrachtung keinen Rückschluss auf den Gesamtumstand der Hundehaltung des Dorfes zu, jedoch kann ich versichern, dass sich die folgenden Schicksale als Repräsentativfälle darstellen.

Pepito wohnt im Schweinestall
Fangen wir bei dem Nachbarshund des Freundes an. Der heißt Pepito und wohnt in einem ehemaligen Schweinestall. Alleine. Sein ehemaliger Mitbewohner, der bis vor kurzem dasselbe erbärmliche Schicksal wie er teilte, ist vor wenigen Monaten innerlich verblutet. Wahrscheinlich ist er vergiftet worden, doch das kann man nicht so genau sagen, da er nach seinem letzten Atemzug nämlich ruckzuck verbuddelt worden ist. An eine Autopsie hat niemand gedacht, zu gering war das Interesse an diesem Wesen, das halt jetzt tot ist. Ein Tierarzt wäre auch zu teuer gewesen. Jetzt ist Pepito halt alleine. Richtig alleine. Wäre mein Freund nicht, der ihn jeden Tag aus dem Stall holt, um einen Spaziergang mit ihm zu machen, so würde ihn das gleiche Leid ereilen wie seine zahlreichen Artgenossen aus der Nachbarschaft. Hunde brauchen ein Haus mit Garten? Fragen Sie mal die Damen und Herren Hundehalter aus dem Dorf, wofür: Ja, um drauf aufzupassen! Das funktioniert auch hervorragend aus dem Zwinger heraus.

Ich habe ein etwas ambivalentes Verhältnis zur Zwingerhaltung. Erst recht, seit ich die Zwinger des besagten Dörfchens kennen gelernt habe. Es gibt hier anscheinend keine Rasse, die man nicht hineinstecken kann, und anscheinend ist es Gemeindeusus, dass die einzig akzeptable Form der Unterbringung ein Verhau auf dem Grundstück ist.

Hundeleben auf wenigen Quadratmetern
Während die städtischen Hundehalter wenigstens das ehrliche Motiv der Freude am Hund an der Leine führen, erschloss sich angesichts der familienfernen Haltungsformen im Dorf bei mir kein einziges Mal der Sinn des Hundebesitzes. Sind es die Rumänenbanden oder ist es die Jagd? So viele Reviere hat der ganze Umkreis nicht zu bieten, wie ich Jagdhunde in ihren Zwingern erblickt habe.

Auch neue Moden finden auf dem Lande ihre Abnehmer. Der Nachbar meines Freundes züchtet Australian Shepherds. Das ist gar nicht gut. Wenn es eine Gruppe von Hunden gibt, die so gar nicht für den Zwinger oder die Kette geeignet sind, dann die neuen Sportgeräte aus dem englischen Grenzgebiet oder deren australischen Pontons. Während die Überbleibsel der letzten Trendwelle am Ortsausgang angesichts des frischen Schnees ihr Huskyjaulen ertönen lassen und trotzdem nicht raus dürfen, weil sie sich vor ein paar Jahren erfolgreich zu dritt ein Reh erjagt haben, darbt eine der letzten Staff-Generationen Deutschlands nebenan im Schuppen. War der Besitzer einst mit vor Stolz geschwollener Brust durch den Ort gezogen, lässt er es mit den Spaziergängen nun lieber ganz bleiben. Zu groß die Gefahr, in der Paar-Hundert-Seelen-Gemeinde „Der mit den Kampfhunden" zu sein.

Das anskizzierte Hundeleid jedoch, von dem nur unkritische Zeitgenossen behaupten werden, dass es stark überzeichnet sei, weitet sich in letzter Zeit weiter aus. In einem Land, das so viel Herz für Tiere hat, dass wir neben den Erzeugnissen heimischer Spitzenproduktion auch noch Hunde aus aller Herren Länder importieren, ist es schwer, etwas über die dunkleren Seiten des Händels mit dem Mitleid mit ausländischen Hunden zu berichten. Mitleid, das von Hunden geweckt wird, denen es in ihren Heimatländern, meist im Süden oder im Osten Europas, natürlich bei weitem schlechter geht als dies hier in Deutschland je der Fall sein könnte.

Hundeimporte aus dem Süden
So kam es, dass mein Freund eines Tages eine Frau kennen lernte, die im Süden Spaniens ein schmuckes Haus ihr Eigen nannte. Diese Frau konnte die Augen nicht verschließen vor dem Leid der Hunde in ihrer Umgebung und kam nach jedem Aufenthalt im Land, wo die Orangen blühen, mit einigen Hunden nach Deutschland gereist, baute ein kleines Netzwerk auf und vermittelte ihre Mitbringsel unter anderem über eine Kontaktstelle im Dorfe meines Freundes. Natürlich waren alle Hunde knapp der Tötungsstation entkommen oder zumindest den blutrünstigen spanischen Tierquälern gerade so unter der Nase weggeschnappt worden – die Angelegenheit war von hoher persönlicher Priorität!

Anfangs lief noch alles glatt mit den paar wenigen, meist dem Welpenalter noch nicht entwachsenen Hundchen, doch nach und nach wurde aus Mitleid Ideologie, und die Ideologie paarte sich schließlich mit der Idee, das vermeintlich Notwendige mit einem erwerbswirtschaftlichen Gedanken zu verknüpfen. Ein Schelm, wer hier nicht an dringende Investitionen in das Vertriebsnetz und die Unterbringungskosten der Vermittlungshunde denkt!

An eine nachhaltige Lösung in Form von Massenkastrationen als primäres Ziel wurde nicht gedacht, und so geschah, was geschehen musste: Man ging nun Kompromisse ein. Gab es bislang noch einen Mindeststandard hinsichtlich der neuen Besitzer in Deutschland, so wurde hie und da ein Auge zugedrückt. Wahrscheinlich waren es beide Augen, als eine weitere Nachbarin meines Freundes einen als Labrador deklarierten 70 Kilo schweren, pechschwarzen spanischen Doggenschlag vermittelt bekam. Die Dame ist über sechzig Jahre alt und mit einem Hüftleiden beschwert, der Hund aber bester Gesundheit und in adoleszenter Blütephase. Was glauben Sie, wie sich die anfängliche Freude über das gerettete Tier nach dem ersten Sturz in Folge einer Kraftprobe entwickelt hat. Sie ahnen es? Meinen Freund veranlasste die Tatsache zu sehen, dass der Kraftprotz jetzt in eine dunkle Garage umziehen muss-te und so etwas wie ein lebenslängliches Gnadenbrot zugeteilt bekommt, Felder und Wiesen jedoch nicht mehr, zu dem zweifelsohne kritikwürdigen Ausspruch: Wenn ich Hund wäre, würde ich lieber in Spanien mein Glück versuchen, als in Deutschland in einem Zwinger oder einer Garage zu darben. Sie sind irritiert? Aber nur, weil es noch nicht wissenschaftlich erwiesen ist, wie sehr Wohlstandshunde leiden!

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