Und wieder eine innovative Artikelserie für WUFF-Leser.
Hundetrainerin Liane Rauch und Hundepsychologe Thomas Riepe über das, was viele Hundehalter als die häufigsten „Verhaltensprobleme“ ihrer Hunde ansehen. Oft eher unerwünschtes hundliches Normalverhalten als echtes Verhaltensproblem, geben die beiden Hundeexperten und WUFF-Autoren konkrete Ratschläge für manchmal entnervte Hundehalter.
Jeder der Autoren aus seiner speziellen Sicht. Die jeweiligen Lösungsansätze aus der eigenen Praxisarbeit der Autoren sind mit ihren Namen gekennzeichnet. In diesem zweiten Teil der Serie geht es um Probleme wie starkes Ziehen an der Leine sowie Furcht vor Lärm.
Das Problem: Starkes Ziehen an der Leine
Starkes Ziehen an der Leine ist wohl das Paradebeispiel für anerzogenes Fehlverhalten. Ich erlebe immer wieder, dass schon Welpen an der Flexileine, leider oft auch noch mit Halsband statt Brustgeschirr, geführt werden. Wobei man sich sehr oft fragt: Wer führt hier wen? Der Halter den Welpen oder der Welpe den Halter? Das Hundebaby geht voraus, oft an der komplett ausgefahrenen Flexileine, und der Halter zottelt verliebt grinsend hinter dem Baby her. Es ist ja so süß, wenn Klein-Lumpi so unbeholfen voraus wackelt. Einmal ganz abgesehen davon, dass eine Flexileine nicht das geeignete Instrument ist, einem Hund das ordentliche Leine-Gehen beizubringen.
Leider wird oft nicht bedacht, dass die Welpenzeit die kürzeste in einem Hundeleben ist. Es bleibt hier allerhöchstens ein Zeitfenster von 10 Wochen, um dem lustig vorausstapfenden Nesthäkchen zu vermitteln, dass da noch ein Mensch am anderen Ende der Leine hängt. Hat der Knirps erst mal seine ganze Größe und sein volles Gewicht erreicht, ist Schluss mit Lustig. Leine-Gehen ist für unsere Fellnasen auch langweilig, furchtbar langweilig sogar, und viel zu spät wird dem Hund die Zeit an der Leine versüßt. (Liane Rauch)
Ich kann Liane Rauch hier vollkommen zustimmen, wenn sie sagt, dass das Ziehen an der Leine in erster Linie ein anerzogenes Verhalten ist. Die meisten Hundehalter, die mit diesem Problem zu kämpfen haben, machen einen entscheidenden Fehler – sie lassen sich vom Hund überall hinziehen. Geht es abends zum letzen „kleinen Geschäft“ raus, zieht der Hund zu seinem Lieblingsbaum, der traditionellen Hausecke etc., wo er immer noch einmal „vor der Nacht“ Harn absetzt – wie der Besitzer denkt. In Wirklichkeit macht er nicht für die Nacht, sondern setzt noch schnell eine Markierung … Aber das ist letztlich in diesem Zusammenhang egal. Der Hund zieht zu diesem Ort, der Besitzer will abends schnell wieder ins Haus und lässt sich daher vom Hund an den gewünschten Ort ziehen. Oder der Hund wird immer an einem speziellen Ort, vielleicht auf einer Wiese, abgeleint und darf sich dort austoben. Bis zu der Wiese zieht der Hund, der Besitzer lässt sich ziehen, und belohnt den Hund dann für das Ziehen, indem er ihn am Ziel ableint. Schlichter Lerneffekt für den Hund: Wenn ich stark ziehe, erreiche ich Ziele, sei es der Markierungspunkt oder die Wiese, wo ich Spaß habe. Ein Hund, der stark an der Leine zieht, hat dies also gelernt – es ist ihm beigebracht worden. Wenn auch unbewusst. (Thomas Riepe)
Lösungsansatz aus der Praxisarbeit
Das so oft geratene Stehenbleiben oder Umdrehen hilft manchmal, aber nicht wirklich in allen Fällen. Vor allem bei großen Rassen läuft man mit diesen Methoden oft ins Leere, weil der Hund sehr wohl weiß: Er ist der Stärkere. Oder das Ziehen an der Leine ist bereits so verfestigt, weil Schnuffi ja immer Erfolg damit hatte, und da hin kam, wo er hin wollte. Nun kommen Stachelhalsbänder, Kettenhalsbänder, Sprühhalsbänder und anderer Unsinn zum Einsatz. Lerneffekt für den Hund: NULL. (Liane Rauch)
In diesem Punkt bin ich einmal anderer Meinung als Liane Rauch, was natürlich auch den Reiz dieses Dialogs ausmacht. Das klassische „Stehenbleiben“ oder „Umdrehen“ ist für mich ein ganz wichtiger Lösungsansatz bei „Leinenunführigkeit“, weil es klar das Gegenteil von dem ist, was dieses Problem überhaupt erst verursacht: Dass man sich überall hinziehen lässt. Ein Hund muss lernen, dass er über Zug nicht dort ankommt, wohin er möchte. Ein Problem bei der Methode ist aber, abgesehen von dem Problem der Kräfteverteilung (zum Beispiel 50 kg Frau und 65 kg Neufundländer), dass sie meist nicht richtig bzw. nicht konsequent angewendet wird. Eigentlich muss ich nur immer, wenn der Hund an der Leine zieht, stehenbleiben oder die Richtung wechseln. Und immer – auch auf dem Weg nach Hause, auch wenn wir nur mehr zwei Meter vor der Hundewiese sind etc., sobald Zug auf der „Leitung“ ist, geht es in eine andere Richtung als die, in die der Hund möchte. Hier ist der schlichte Lerneffekt für den Hund: Immer wenn ich ziehe, komme ich nicht dahin, wohin ich möchte.
Aber! Jetzt kommen wir zum Hauptproblem dieser Methode. Menschen setzen das oft relativ gut um und bleiben stehen oder wechseln die Richtung, wenn der Hund geradeaus zieht. Fast alle vergessen, dass ein Hund auch oft zur Seite oder auch nach hinten ziehen kann. Das passiert sehr oft, wenn der Hund z. B. am Wegesrand die Geruchsmarke eines Artgenossen wahrnimmt und diese durch Urinieren „überschreiben“ möchte. Zieht der Hund dann zur Seite auf den Grünstreifen, lassen sich die Besitzer wieder dort hinziehen. Der Hund musste ja pieseln.
Damit dieser Fehler nicht passiert, rate ich den Hundehaltern immer, konsequent auf einer Linie zu gehen (vielleicht die Fuge des Pflasters oder der Wegrand), den Hund an einer mindestens 2 m-Leine zu führen (besser 3 m) – selbstverständlich am Geschirr. Ich gehe dann als Hundehalter strikt auf meiner Linie, der Hund darf sich im Radius der Leine um mich herum bewegen wie er möchte. Schnüffeln, markieren (wenn er das macht, bleibe ich selbstverständlich stehen), eben das, was ein Hund so macht und was auch wichtig für ihn ist und was man ihm nicht verwehren darf. Allerdings nur innerhalb der Leinenlänge und keinen Zentimeter darüber hinaus, egal in welche Richtung. Vorne, hinten oder seitwärts. Der Hund wird dann, wenn konsequent umgesetzt, sehr schnell lernen, dass er über starken Zug nichts erreicht und nirgendwo ankommt. Ich erziele mit der Methode wirklich sehr gute Erfolge – vor allem dann, wenn der Hundebesitzer erkannt hat, dass ein Ziehen zur Seite auch ein Ziehen ist. (Thomas Riepe)
Meine Hunde und auch die Hunde aus meinen Kursen lernen von Anfang an, dass auch an der Leine „etwas passiert“. Wir machen von ANFANG AN kleine Lektionen an der Leine. Auch mein 9 Wochen alter Welpe hat schnell gelernt: ist die Leine locker, gibt’s auch Aufmerksamkeit. Kurze Fuß-Übungen, zwischendurch immer mal wieder ein Sitz und vor allem Blickkontakttraining bei den Leinenübungen sind immens wichtig. Ein Hund, der den Halter immer wieder anschaut, hat weniger Zeit, sich um etwas anderes zu kümmern. Selbstverständlich sind viel Lob, Leckerchen oder dann eine Spielsequenz, wohl gemerkt AN der Leine, als Belohnung Pflicht. „Leine-Gehen“ wird zu einer GEMEINSAMEN Aktion, zu einem Spiel zwischen Hund und Halter. Auch schon Erfolg hatte ich bei einem furchtbar an der Leine ziehenden Berner Sennenhund, dem wir Packtaschen verpassten. Man sah dem Hund regelrecht an, wie stolz er auf SEINE Taschen war, dass er endlich etwas tun durfte. Mit hoch erhobenem Haupte trug er an der lockeren Leine SEINE Leckerchen selbst durch den Ort. (Liane Rauch)
Wie bereits erwähnt, bin ich hier nicht ganz der Meinung von Liane Rauch. Ich finde es zwar auch wichtig, und es zeugt auch von einem guten Verhältnis zwischen Mensch und Hund, wenn sich der Hund am Menschen orientiert. Ich bin aber nicht der Meinung, dass der Hund ständig nur auf uns achten sollte. Dann und wann ein Blick, um zu sehen, was der Besitzer gerade macht und ob etwas Interessantes ablaufen könnte, ist in Ordnung. Aber ein Hund, der fast ständig zu mir schaut, ist mir suspekt. Ein Hund sollte in meinen Augen auch das machen, was Hunde von Natur aus machen. Schnüffeln, markieren, vielleicht sogar tagträumend dahin schlendern – auch an der Leine. Solange kein Zug auf diese kommt. Ach, übrigens. Der 50 kg-Frau mit dem 65 kg-Neufundländer empfehle ich zusätzlich zur Methode „auf der Linie gehen“ immer noch Folgendes: Ein Abonnement in einem Fitnessstudio …
(Thomas Riepe)