Mit der Ausgabe 6/17 starteten wir das neue WUFF Blogger-Special. In jeder Ausgabe schreibt ein Blogger mit Hund einen Kommentar zu einem bestimmten Thema. In dieser Ausgabe schreibt Blogger Sebastian Goßmann-Jonigkeit über das Thema „Vergiftungen aus tiermedizinischer Sicht“.
Das Thema Vergiftung spielt in der Tiermedizin eine besonders große Rolle. In den vergangenen Jahren herrschte eine regelrechte Panikwelle. Dabei muss zwischen gezielter und unbeabsichtigter Vergiftung unterschieden werden. Entgegen dem medialen Hype vom bösen Nachbarn, der es einzig und allein auf das Leben aller Hunde in seiner Umgebung abgesehen haben soll, geschieht der absolute Großteil aller Vergiftungen beim Hund nämlich unbeabsichtigt und kann bei entsprechendem Wissen sogar vermieden werden.
So gilt als oberstes Gebot Medikamente für Menschen nicht ohne Weiteres am Tier einsetzen
Paracetamol gilt als Klassiker unter den missbrauchten Humanpräparaten. Beim Mensch als potentes Schmerzmittel bekannt, kann es beim Hund Magengeschwüre und sogar ein Leberversagen verursachen. Bei Haushaltsreinigern hingegen ist das giftige bzw. ätzende Potenzial der enthaltenen Inhaltsstoffe bekannt. Dennoch kommt es nicht selten zu (mitunter tödlichen) Verletzungen – gerade bei unbedarften und neugierigen Welpen.
Zu den allseits bekannten Toxinen zählt das sogenannte Rattengift
Nur existieren darüber leider viel zu viele übertriebene bzw. falsche Beschreibungen im Internet. Viele Hundehalter vermuten daher bereits bei eher allgemeinen Symptomen wie Durchfall oder Erbrechen eine Vergiftung mit Cumarinen – den Inhaltsstoffen von Rattengiften. Dabei ist gerade das klassische Rattengift medizinisch betrachtet ein eher „angenehmes“ Gift. Es existiert nämlich ein direktes Gegengift: Vitamin K. Die Wirkung sämtlicher Rattengifte in Europa beruht beim Opfer auf einer Hemmung der Blutgerinnung. Es verstirbt ca. 3–5 Tage nach Aufnahme an inneren Blutungen. Die Patienten zeigen durch ihre Blutungsneigung (auch ohne Kämpfe o.ä.) blutiges Erbrechen, blutigen Durchfall oder punktförmige Blutungen (sogenannte Petechien) an Zahnfleisch oder an Bindehäuten. Meistens zeigen die Tiere einen deutlichen Appetitverlust mit abgesenkter Körpertemperatur bei gleichzeitiger Abgeschlagenheit.
Durch das späte Auftreten erster Symptome macht das Eingeben von Aktivkohle keinen Sinn mehr, da der Wirkstoff zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Darmkanal ins Blut übergegangen ist. Das bereits erwähnte Vitamin K ist ein körperwichtiger Stoff, der zur Blutgerinnung benötigt wird. Bei einer Intoxikation mit Rattengift fehlt jedoch genau dieser Stoff. Durch orale bzw. intravenöse Gabe des Vitamins kann eine Vergiftung daher gezielt therapiert werden.
Einen eher unbekannten neuen Giftstoff stellt der Birkenzucker, auch Xylitol genannt, dar
Dieser für den Menschen ungiftige Süßstoff findet in vielen Backwaren und Zahnpflegekaugummis Verwendung. Durch die orale Aufnahme einer relativ kleinen Menge des Stoffs (ab ca. 0,1g/kg Körpergewicht) kann es zu einem akuten Blutzuckermangel (hypoglykämischer Schock) kommen. Im Gegensatz zu uns Menschen wirkt Xylitol beim Hund nämlich wie das Insulin-Hormon. Es lässt den Blutzucker aus dem Blut in die Zellen fließen – allerdings im absoluten Überfluss. Ab 0.5g/kg kann ein akutes Leberversagen die Prognose bedeutend verschlechtern. Je nach Konstitution, Alter und Gewicht des Patienten kann die aufgenommene Menge vollkommen verschieden verstoffwechselt werden. So kann es beim Einen vollkommen symptomfrei verlaufen, beim Anderen hingegen Krämpfe und Erbrechen verursachen. Je nach Quelle wird eine tödliche Dosis von 8–10 Kaugummis für einen 30 kg schweren Hund angegeben. Aber ob diese Angabe (Pi-Mal-Daumen) taugt, lässt sich kaum beurteilen, da die Xylitol-Konzentration im Produkt von Hersteller zu Hersteller variiert.
Hunde mit einer Xylitol-Vergiftung zeigen zu Beginn eine ausgeprägte Apathie, Zittern, Erbrechen, Schwäche, epileptiforme Anfälle sowie eine deutlich gesteigerte Herzfrequenz. Im Verlauf kann unter Umständen eine Gelbsucht, ein sogenannter „Ikterus“, hinzukommen, der auf ein Leberversagen schließen lässt.
Folgende Auflistung weiterer Gefahrenquellen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit:
Schokolade (Theobromin), Anti-Baby-Pille (Oestrogene), Macadamia-Nüsse (Phosphor), Steinobst-Kerne (Blausäure), Lauchgewächse (Schwefel), Weintrauben/Rosinen (Oxalsäure), Avocados (Persin), …
An den beiden ausführlichen Beispielen lässt sich jedoch bereits deutlich zeigen, wie verschieden giftige Stoffe auf einen Organismus beim Hund wirken können. Gerade beim Verdachtsfall eines unbekannten Toxins ist es daher sehr schwierig, die Vergiftungserscheinungen zu lindern. Ein Nachweis ist beinahe unmöglich – was bleibt, ist meist lediglich der Verdacht und im besten Fall das Überleben des Patienten ohne Spätfolgen.
Letztendlich bleibt der kluge Satz des altehrwürdigen Paracelsus „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht’s, dass ein Ding kein Gift sei.“
Wir können unsere geliebten Fellnasen nicht im goldenen Käfig halten. Sich über mögliche Gefahrenquellen bzw. deren Erste-Hilfe-Maßnahmen zu informieren, schadet dennoch nicht und gibt obendrein im Zweifelsfall ein Gefühl der Sicherheit.
Wer ist Sebastian Goßmann-Jonigkeit?
Sebastian Goßmann-Jonigkeit führt als Tierarzt gemeinsam mit seiner Frau Dr. Elke Jonigkeit eine Tierarztpraxis in Engelskirchen, nahe Köln. Auf der praxiseigenen Facebook-Seite werden regelmäßig Informationen für interessierte Tierhalter veröffentlicht.
Wir beginnen ein paar Sätze, die Sebastian Goßmann-Jonigkeit vervollständigt:
Mit meinem Hund mache ich am liebsten … ausgedehnte Waldspaziergänge abseits der ausgetretenen Pfade, um dem Alltag zu entfliehen.
Mein tollstes Erlebnis mit meinem Hund war …, der gemeinsame Hausausbau mit ihm als Baustellenhelfer und mentalem Unterstützer.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte …, würde ich immer wieder Tierarzt werden.
An Hunden fasziniert mich …, dass sie charakterlich so unglaublich verschieden sind.
An anderen Hundehaltern ärgert mich am meisten …, dass sie mitunter keine Kritik an sich selbst zulassen, aber glauben vieles besser zu wissen.
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