Valentino – Der Weg zurück ins Leben – Posttraumatische Belastungsstörung

Von Karin Joachim MA

Ihr halbes Leben kämpft sie dafür, die Schatten der Vergangenheit abzuschütteln – Jahre der ­Psychotherapie, mit immer wieder neuen Medikamenten. Sie hat alle Brücken zu ihrer ­Vergangenheit ­abgebrochen, sogar ihren Namen geändert, und dennoch – ein Wort, ein Geruch, eine Situation kann sog. ­Flashbacks auslösen. In diesen Situationen ist sie aus dem Hier und Jetzt herausgerissen und in den traumatischen Erlebnissen ihrer Kindheit gefangen. Machtlos, hilflos, panisch. Nichts hilft so ­richtig. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Doch plötzlich geht es ­bergauf – Valentino, ein PTBS-Assistenzhund tritt in ihr Leben.

Unsere Hunde sind wirklich phäno­menal. Als Familien- oder Begleithunde sind sie uns schon ziemlich ans Herz ­gewachsen. Und als Diensthunde leisten sie aufgrund ihrer besonderen Sinne Erstaunliches: Sie finden etwa Drogen oder Sprengstoffe. Als unentbehrliche Helfer werden auch Assistenzhunde immer wichtiger, denn sie stehen den betroffenen Menschen im Alltag bei. Zu den Assistenzhunden zählen Blindenführ- und Behindertenbegleit­hunde, Diabetiker- und Epilepsiewarnhunde, Signalhunde für Gehörlose oder eben die PTBS-Assistenzhunde. Die Hunde haben oft eine Fülle von individuell auf ihren Menschen zugeschnittenen Aufgaben. Wir stellen Ihnen hier ein ganz besonderes Team vor, erläutern, was PTBS überhaupt ist, und beleuchten, was ein PTBS-Hund alles können muss und für ­seinen Menschen leistet.

Bea leidet unter PTBS
„Ich kann seit einem halben Jahr ­wieder einen Aufzug betreten, das war, bevor Valentino kam, über 10 Jahre nicht möglich", veranschaulicht Bea die Rolle, die der gelbe Labrador Valentino in ihrem Leben einnimmt. Die Aufzugfahrt steht dabei nur exemplarisch, denn ­worunter Bea leidet ist viel, viel mehr als eine Aufzug-Phobie. Bea leidet unter einer ­posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS (Detail­infos s. Kasten) genannt. Was genau sie erlebt hat, soll in diesem Artikel nicht zur Sprache kommen, nur so viel: es geht um extrem ­traumatische Erlebnisse in der Kindheit. Und ihr halbes Leben begleiten sie Panik­attacken, Depressionen bis hin zu Suizidgedanken und diverse Ängste. Diese bestimmten immer mehr ihren Alltag, so dass sie irgendwann gar nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen konnte. Die heute 26-Jährige kämpfte mit ­Schmerzen, Ohnmachtsanfällen, Schwindel. Um die Vergangenheit loszuwerden, änderte sie sogar ihren Namen, denn allein der Name löste bei ihr sogenannte Flashbacks aus. ­Medikamente und Psychotherapien brachten nicht die erhoffte ­Besserung, und wenn, dann nur für eine kurze Zeit. Als sie dann im Fernsehen eine Dokumentation über US-Soldaten sah, denen Assistenzhunde zur Bewältigung der posttraumatischen Belastungs­störung halfen, schöpfte sie Hoffnung und meldete sich bei Nina Grosser von „Hunde­natur". Aber konnte sie wirklich einen Hund halten, seinen Bedürfnissen gerecht werden, für ihn sorgen? Sie hatte große Zweifel, da sie an manchen Tagen noch nicht einmal für sich selbst sorgen konnte. Je mehr sie sich mit dem Thema der Assistenzhunde beschäftigte und realisierte, wie ein solcher Hund ihr Leben verändern könnte, desto mehr Mut ­schöpfte sie und begann, sich die Haltung eines Hundes zuzutrauen. Sie wusste außerdem, dass sie dabei nicht allein auf sich selbst gestellt sein ­würde. Also nahm sie es vor etwa einem Jahr in Angriff.

Wo kam Valentino her?
Valentino ist tatsächlich so etwas wie ein Scheidungskind: Er zog im Welpen­alter bei einer netten Familie ein und lebte dort als ganz ­normaler Familienhund. Doch dann kam der Bruch: Die Menschen trennten sich und der gerade 11 Monate alte Valentino wurde zunächst einmal von der Züchterin zurückgenommen. Da Valentinos Wurfbruder zu dieser Zeit von „Hundenatur" zum Diabetikerwarnhund ausgebildet wurde, erkundigte sich die Züchterin, ob es nicht auch eine Ausbildungsmöglichkeit für Valentino gebe. Und die gab es. Der junge Labbi zog bei Nina Grosser ein und bekam dort seine Grundausbildung. Dabei wurden beispielsweise der Rückruf trainiert und viele Umweltabenteuer bewältigt sowie erste Assistenzaufgaben gemeistert.

Schnell wurde klar, dass Valentino alles für diese verantwortungsvolle Aufgabe mitbringt: er ist aufgeschlossen und freundlich, aber sucht nicht sofort den Kontakt zu Fremden. Er ist selbstbewusst und scheint ­schwierige Situationen gut wegzustecken. Seine Frustrationstoleranz ist ausgesprochen hoch. Gemeinsam mit Bea erarbeitete die Trainerin einen Aus­bildungsplan. Fortan erlernte der Vierbeiner zudem auch einige ganz speziell auf Bea abgestimmte Aufgaben. Und nun ist Valentino einer der ersten PTBS-Assistenzhunde in Deutschland.

Wie Bea Valentino erzieht
Bea hat einen ganz besonders guten Draht zu ihrem Valentino und erzieht ihn sehr liebevoll: „Keinerlei Gewalt und Aggression, sondern Verständnis, Ruhe und Achtung vor dem Hund. Das ist mir ganz wichtig, da ich selbst so viel Gewalt erleben musste, dass es für mich schrecklich wäre, wenn jemand einem Lebewesen Gewalt antut. Ich arbeite mit Valentino hauptsächlich mit der Stimmlage, dadurch merkt er sofort, was toll ist und was ich nicht wünsche." Die 26-Jährige ist fassungslos, wenn sie auf ihren Spaziergängen Menschen begegnet, die ihre Hunde ­anschreien oder sogar körperliche Gewalt ­ausüben.

Immer noch steht sie in engem ­Kontakt mit Valentinos Ausbilderin Nina Grosser, sei es telefonisch oder bei persönlichen Treffen. Wenn Bea einmal nicht weiter weiß oder ein ­Verhalten ihres Vierbeiners nicht richtig einordnen kann, fertigt sie zudem Videoaufnahmen an, die sie dann der Ausbilderin zur Analyse schickt. So konnte sie die vielen Nuancen hundlichen Verhaltens noch besser verstehen, etwa ob das Patschen mit der Pfote das Zeichen des Hundes für „Gassi" oder doch tatsächlich eine Spielaufforderung ist. „In den Zeiten, in denen wir nicht ­spezielle Aufgaben trainieren, machen wir Dummy­training. Valentino liebt diese Beschäftigung sehr, und man merkt, wie sehr man dabei zusammenwächst", meint Bea.

Alltagserfahrungen
Neben den Problemen, die alle Hunde­halter mehr oder weniger haben, kommen bei Bea und Valentino noch einige zusätzliche Hürden hinzu. Da Assistenzhunde in Deutschland noch nicht wie Blindenführ- oder Rollstuhlbegleithunde als Hilfsmittel anerkannt sind, ist es jedes Mal Verhandlungssache, ob Bea ihren Hund in die Geschäfte mitnehmen darf. Mit Geschäften, die sie regelmäßig aufsucht, hat sie eine Vereinbarung getroffen. Da sie eine fachärztliche Bescheinigung vorlegen kann, in der bestätigt wird, dass sie auf den Vierbeiner angewiesen ist, gibt es zumeist keine Probleme. Arztbe­suche gestalten sich teilweise etwas schwieriger, dann besteht Bea ganz selbstbewusst auf einem Termin, zu dem eine menschliche Begleitperson mitkommen kann. Viele Ärzte haben aber nichts dagegen, wenn der liebe Valentino dabei ist.

Der Vierbeiner ist während seines Einsatzes mit einer sogenannten „Kenndecke" ausgestattet und somit als Servicehund gekennzeichnet. Tatsächlich sprechen Bea immer wieder Menschen, die sie nicht kennen, darauf an und bitten um eine Erklärung darüber, was denn die Aufgaben eines Servicehundes sind. Bea gibt darauf gerne Antwort. Es ist ihr wichtig, Eltern im Vorfeld darüber zu informieren, dass deren Kinder Valentino nicht zu nahe kommen oder gar anfassen. Auch andere Hunde sollten nicht einfach so auf ihn zustürmen, da er schließlich im Dienst ist. Hier wünscht sich Bea manchmal noch ein wenig mehr Verständnis seitens der Hundehalter.

Assistenzdienste
Was sind denn nun Valentinos spezielle Aufgaben? Wenn eine Panikattacke zu kommen droht, macht Valentino seine Bea darauf aufmerksam. Er hat sich den speziellen Körpergeruch eingeprägt, den Geruch der Panikattacke sozusagen, auf den er konditioniert wurde. Das Erkennen ist das Eine, er muss aber auch entsprechend reagieren, um Bea wirklich zu helfen. Was tut er dann? Er „bedrängt" sie mittels Anstupsen oder Belecken so lange, bis sie ihre Medikamente nimmt. Auch die Art, wie er mit Bea kommuniziert, wurde individuell erarbeitet. Bea mag es zum Beispiel nicht, wenn er laut bellt, also wurde zur Unterbrechung des dissoziativen Zustandes (s. Kasten Fachbegriffe) folgendes Verhalten antrainiert: Er hüpft neben seinem Frauchen, kratzt mit der Pfote an ihrem Bein oder leckt sie ab. Und mit diesem Verhalten hilft er Bea, aus ­diesem Zustand hinauszufinden.

Die Umwelt wahrzunehmen, das bedeutet einen sehr großen Schritt. Was für viele von uns selbstverständlich ist, etwa dem Zwitschern der Vögel zuzuhören, war Bea lange Jahre nicht vergönnt. Sogar die psycho­therapeutischen Sitzungen haben, seit der Vierbeiner dabei ist, eine neue Qualität bekommen: Zur Therapie gehört nämlich auch das Ausloten von Grenzen. Bevor es Bea selbst merkt, ist Valentino aufgewacht, weil er instinktiv spürt, dass es Bea nun zu viel werden könnte. Löst sich ihre Anspannung, legt er sich wieder zum Schlafen hin. Bea bezeichnet ihn als ihr Stimmungsbarometer.

Was Valentino für Bea ist
Valentino hilft Bea, ihr Leben wieder selbst zu meistern und ihren Alltag zu strukturieren. Der Vierbeiner vermittelt ihr Sicherheit und motiviert sie, nicht nur nach draußen zu gehen, sondern auch, sich selbst mehr zuzutrauen. Denn seine Erziehung schafft sie ja auch mit Bravour, also warum nicht auch andere Herausforderungen annehmen? Er zeigt ihr sogar die Welt, etwa den Igel am Wegesrand: „Solche Dinge konnte ich, bevor Valentino kam, nicht erleben, weil ich die Wohnung nicht alleine verlassen konnte, und wenn ich sie in Begleitung verließ, so gestresst war, dass ich so etwas gar nicht wahrnehmen konnte." Sein „Lachen" steckt sie an. Dadurch, dass sie sich mehr bewegt, viel mehr, hat sie auch immer seltener Schmerzen. Sie empfindet das Leben als schön und lebenswert, das war vor Valentinos Einzug nicht so.

„Es gibt einfach unglaublich viel Kraft, mit diesem wunderbaren Hund zu leben. Wenn ich morgens aufstehe und Valentino steht lachend neben meinem Bett, dann kann ich nur gute Laune haben. Es gibt sehr viel Kraft zu sehen, dass man es schaffen kann, dass man es schafft, den Hund zu versorgen, dass man viel aktiver und lebenslustiger ist und dass man Dinge schaffen kann, die vorher ­unmöglich erschienen. Jede Sekunde mit ­Valentino ist für mich ein Geschenk."

Es gibt kein ergreifenderes Schlusswort als dieses!

Gewusst

PTBS
PTBS ist die Abkürzung für eine posttraumatische Belastungsstörung. Zunächst denkt man an Kriegs- oder Terrorerlebnisse als Ursache von Traumen. Auslöser können aber auch schwere Unfälle oder Naturkatastrophen sein oder auch sexueller Missbrauch und Vergewaltigungen. Sogar das Beobachten solcher Ereignisse kann Traumen auslösen, ohne dass die Person unmittelbar betroffen ist. Die Symptome sind genauso vielfältig wie die traumatischen Ereignisse selbst und treten oft erst nach Wochen, Monaten oder sogar Jahren in Erscheinung. Ängste, Panikattacken, Depressionen, Albträume, sog. Flashbacks und Dissoziationen sind einige der Symptome. Häufig sind die Betroffenen gar nicht mehr fähig, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen oder ihren Alltag zu meistern.

Fachbegriffe
Flashbacks sind Rückerinnerungen, die durch einen Schlüsselreiz ausgelöst werden können. Das können Begriffe, Situationen oder auch Gerüche sein. Der Betroffene ist gefangen in den traumatischen Erlebnissen, z.B. denen seiner Kindheit.
Dissoziation:
Die Trennung von Alltagswahrnehmung und Erinnerung, Gedächtnisinhalten. Der Betroffene nimmt die Umwelt nicht mehr wahr und ist in seiner Gedankenwelt so gefangen, dass er oftmals von alleine nicht mehr aus diesem Zustand findet.

Hintergrund
Bea und Valentino
Valentino wurde nach seinem voll­endeten 1. Lebensjahr von Nina  ­Grosser von „Hundenatur" (www.hundenatur.de) ausgebildet und lebt seit April 2014 bei Bea. Seine Ausbildung, an der Bea aktiv beteiligt ist, wird voraussichtlich noch etwa ein Jahr dauern. Da Bea die Ausbildungskosten alleine nur schwer bewältigen kann, wurde ein Fonds zur Finanzierung eingerichtet, auf dem bereits 1.100 Euro an Spendengeldern (von benötigten 6.922 Euro) eingegangen sind: http://www.servicehunde-deutschland.net/#!bea/c1q9f

Hinterfragt
Kritische Betrachtung
Kritiker befürchten eine Abhängigkeit des Menschen vom PTBS-Assistenzhund. Die Alternativen wären jedoch: Die Abhängigkeit von einer menschlichen Bezugsperson, die Bestellung eines gesetzlichen Betreuers oder ein Leben in einer psychiatrischen Einrichtung. Der Assistenzhund hilft dem Betroffenen hingegen aus der zunehmenden Vereinsamung heraus, trägt zur Stabilisierung des ­Patienten bei, manchmal können sogar die Medikamente in Absprache mit dem behandelnden Arzt reduziert werden. Seriöse Ausbilder haben immer auch das Wohl des Hundes im Auge und setzen außerdem nur charakterlich und körperlich geeignete Hunde ein. Viele Organisationen geben sogar Hunden, wie im Fall Beas, eine zweite Chance. Voraussetzung für die Übernahme ist oft ein funktionierendes Netzwerk, das den Hund im Fall einer Krise versorgen kann.

Hinterfragt

Gut zu wissen
In Österreich sind Assistenzhunde seit dem 1. Januar 2015 ins Bundesbehindertengesetz eingetragen. Mit Zusatzeintrag im Behindertenpass sind sie von Maulkorb und Leine befreit und haben u.a. auch Zugang zu öffentlichen Gebäuden.

In Deutschland gibt es diesen Eintrag als anerkanntes Hilfsmittel noch nicht für alle Assistenzhunde sondern nur für Blindenführ- oder Behinderten­begleithunde. Deshalb gibt es auch keine finanzielle Unterstützung seitens der Krankenkassen für den PTBS-Assistenzhund.

Weitere Informationen z.B. bei:
www.assistenzhunde-zentrum.de, www.vita-assistenzhunde.de.,
www.hundenatur.de, www.fidelius-ev.de, servicehunde-deutschland.net (s. unter Assistenzhunde: Standards) oder partner-hunde.org

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