Unsicherheit, Furcht & Angst bei Hunden – Unterscheidung – Bedeutung – Behandlung

Von Sophie Strodtbeck

Der Umgang mit der Angst beim Hund ist sehr zwiespältig: auf der einen Seite wird sie oft als ­Entschuldigung für vorsichtiges und zurückhaltendes Verhalten des Hundes hergenommen, auf der anderen Seite wird sie häufig als unerwünschte Verhaltensstörung betrachtet, die man am besten ignorieren sollte. Was aber ist überhaupt der Unterschied zwischen Unsicherheit, Furcht oder Angst beim Hund? Inwiefern ist das Erkennen dieser Unterschiede für die Behandlung des Problems ­wichtig? Tierärztin und Verhaltensexpertin Sophie Strodtbeck in einer ausführlichen zweiteiligen Übersicht über Probleme, die (nicht nur) bei Hunden gar nicht so selten sind.

Häufig werden Zustände wie Unsicherheit, Furcht und Angst, Phobien sowie Panik des Hundes miteinander verwechselt. Bevor man dem Phänomen Angst auf den Grund geht, muss man daher erst noch eine Reihe von Begriffen sauber voneinander trennen.

Unsicherheit

Einiges an Verhalten, das oft in den „Angst-Topf" geworfen wird, ist gar keine Angst. Wenn ein Hund in unbekannten Situationen ­vorsichtig, zurückhaltend oder zögernd ist, ist das keine Angst, sondern ein ­Persönlichkeitsmerkmal, das auf den sog. B-Typ zurückgeht, der in Wuff 10/2011 bereits ausführlich beschrieben wurde (Strodtbeck, Stress beim Hund – Reaktionstypen und Stressfolgen). Auch Unsicherheit, sprich die mögliche Einstellung auf vielleicht gefährliche Situationen durch noch größere Zurückhaltung, ist noch keine Angst.

Jedoch kann aus Unsicherheit durchaus Angst werden, nämlich dann, wenn man (Hund) in solchen Situa­tionen mehrfach unangenehme Erfahrungen macht. Ein unsicherer Hund ist aber immer noch uneingeschränkt handlungsfähig. Sein Verhalten und seine Körpersprache zeigen zwar, dass er sich nicht ganz wohl fühlt, er ist aber in jeder Situation noch in der Lage, kompetent zu handeln und das seiner Meinung nach Richtige zu tun. Kommt es in dieser Situation jedoch mehrfach zu unangenehmen Erfahrungen, kann tatsächlich daraus entweder Angst oder Furcht entstehen. Und auch hier haben wir es mit zwei Phänomenen zu tun, die man ganz klar voneinander trennen muss.

Furcht und Angst

Furcht bezieht sich auf etwas ganz Konkretes. Man hat eine Ursache, einen konkreten Reiz, eine ­auslösende Situation, die man durch konkrete Maßnahmen bekämpfen bzw. sich ihr entziehen kann. Sei es durch Davonrennen oder durch Kämpfen. In jedem Falle wird bei Furcht das aktive Stresssystem, d. h. werden die Katecholamine aus dem Nebennierenmark (hier speziell das Adrenalin als sogenanntes Fluchthormon und das Noradrenalin als sogenanntes Kampfhormon) die Steuerung übernehmen und im Körper die Oberhand bekommen.

Die Angst dagegen ist unbestimmt, und man hat die Erwartung, dass etwas Schlimmes passieren könnte, weiß aber nicht wo, wie und wann. Angst wird daher zu einer Lähmung des gesamten Verhaltens führen und das Tier weitgehend handlungs­unfähig machen. Ein Hund in akuter Angst kann nicht mehr reagieren und auch nur sehr eingeschränkt auf die ­Kommunikation seines Menschen ansprechen. Beide Zustände, Angst und Furcht, können sich, bei ent­sprechend unangenehmen Erlebnissen und einer dazugehörigen Grund­persönlichkeit auch noch steigern.

Phobie

Aus konkreter Furcht kann eine Phobie werden, wenn schon die geringsten, unverhältnismäßig kleinen auslösenden Reize zu einer völlig überzogenen Reaktion und dann auch wieder zu Handlungsunfähigkeit führen. Hierfür gibt es Beispiele aus der Hundewelt. So wurde in einem Seminar einmal von einem Hund berichtet, bei dem sich die von vielen Hunden gezeigte Furcht vor Heißluftballons mit der Zeit so stark steigerte, dass er beim Spaziergehen an jedem Balkon mit Satellitenschüssel und an jeder kugelförmigen Straßenlaterne erstarrte und völlig handlungsunfähig wurde. Jeder runde Gegenstand über Kopfhöhe war bereits Auslöser für diese völlig überzogene Reaktion.

Ein anderes Beispiel ist Günes, der Canis autisticus, der den WUFF-Lesern inzwischen bestens bekannt ist. Die Hündin wurde vor zehn Jahren mit einem halben Jahr aus der Türkei importiert und muss demnach vor über zehn Jahren irgendwann dort eine negative Erfahrung mit einer ­Ziege gehabt haben – bei mir ist nämlich nie etwas vorgefallen, denn das hätte ich mitbekommen. Eines Tages gab es mal wieder Knochen für die Meute, ich hatte erstmals Ziegen­rippen besorgt. Wie immer bekam Günes als Erste, und bis ich mit dem Verteilen an den Rest fertig war, wunderte ich mich, dass zwar Günes’ Knochen noch da lag, aber der Hund nirgends mehr zu sehen war. Weil sie unter normalen Umständen nie etwas Fressbares in Anwesenheit der Beaglefraktion unbeaufsichtigt lassen würde, machte ich mich auf die Suche – sie saß völlig verstört in der Hecke. Erst dachte ich an einen Bienenstich oder an Zahnschmerzen, das ­konnte ich aber nach Untersuchung alles ausschließen. Als ich ihr den Knochen noch mal hinhielt, flüchtete sie ins Haus, um oben im Kleiderschrank zu verschwinden, den sie dann drei Tage lang nur noch unter Zwang verließ. Auch den Garten betrat sie erst mal nicht mehr. Weil auch tote Ziege nach Ziege riecht, bleibt eine Fehlverknüpfung mit einer Ziege als einzige Erklärung. Leider hat sie das auch noch ziemlich schnell verallgemeinert, denn an Furcht ist das Hormon Noradrenalin beteiligt, welches leider auch lernverstärkend wirkt. Bei der Fütterung von Knochen (inzwischen auch getrockneten Kauknochen auch von anderen Tierarten) an die anderen Hunde ­verschwindet Günes seither zitternd im Kleiderschrank und kann nur an der Leine wieder runtergeholt werden – eine ausgeprägte Phobie vor Knochen hat sich entwickelt. Das Einzige was bleibt ist eine langwierige und mühsame Desensibilisierung (siehe 2. Teil des Artikels, im nächsten WUFF).

Panik

Während also eine Übersteigerung der Furcht zu einer Phobie führen kann, führt eine Übersteigerung der Angst hingegen zu Panik. Panikattacken, gekoppelt mit körperlichen Symptomen wie etwa Hecheln, erhöhter Herzfrequenz, Schweißabsonderung (beim Hund überwiegend über die Pfoten), Speichelfluss etc. können so schlimm werden, dass eines Tages nicht mehr die Angst vor der aus­lösenden Situation, sondern die Angst vor dem nächsten Angst- und Panikanfall die dominierende Komponente in der Entstehung dieser Anfälle wird.

Bei vielen Hunden kann man dieses Phänomen bei der Gewitterangst beobachten. Diese ­generalisierten Panikattacken sind, ebenso wie Angstzustände an sich, eine schwer zu therapierende Erscheinung. Wie wir sehen werden, ist das Problem der Furcht wesentlich besser zu lösen, weil man eben den auslösenden Reiz kennt und gezielt damit umgehen kann.

Angst nicht pauschal ignorieren

Häufig findet man dann leider immer noch bei Hundetrainern und den von ihnen „geschulten" ­Hundehaltern die Ansicht, Angst sei ein ­unerwünschtes Fehlverhalten und müsse in jedem ­Falle ignoriert werden, weil jedes ­darauf Eingehen die Angst noch bestätigen und verstärken und damit den Hund noch tiefer in ­diese ­Situation hinein bringen würde. ­Diese Befürchtung ist jedoch so pauschal nicht haltbar. Zum einen ist ein Hund im akuten Angstanfall, wie wir bereits gesehen haben, ohnehin nur sehr schwer ansprechbar. Ein situatives Lernen wird in dieser Situation ohnehin nur noch sehr eingeschränkt möglich sein. Zum anderen sind gerade die für die Entstehung von Angst und Angstanfällen verantwortlichen Hormone, nämlich überwiegend das Cortisol und seine chemischen Verwandten, fettlösliche Hormone und dadurch mit einer sehr langen Anflutzeit ausgestattet. Erst ca. fünf Minuten nach dem entsprechenden Ereignis werden die Hormone überhaupt messbar erhöht, nach etwa 20 Minuten haben sie ihr Maximum erreicht. In dieser Zeit gäbe es viel zu viele ­weitere dazwischen liegende Reize, als dass der Hund die Hormonausschüttung mit dem freundlichen Verhalten des Menschen verknüpfen könnte.

Soziale Unterstützung

Vielmehr ist es wichtig, in dieser Situa­tion durch soziale ­Unterstützung für den Hund da zu sein, ihm zu ­zeigen, dass man die Situation gemeinsam bewältigt und dadurch die in meinen Stressartikeln (WUFF 10 und 11/2011) bereits angesprochenen hormonellen Gegenspieler des Cortisol­systems – hier vor allem das Bindungshormon Oxytocin – zu stärken.

Viele Hunde, die eine gute Bindung an ihren Halter haben und deren Halter eine gute Führungskompetenz zeigen, suchen in solchen Situationen die Nähe des Besitzers, und das ist auch gut so. Denn schon bei Berührungen, wie zum Beispiel bei Anlehnung an den Menschen, aber auch beim Blickkontakt werden Oxytocinrezeptoren aktiviert und wirken dem Cortisol entgegen. In der Anfangsphase eines beginnenden Angstanfalls kann es sogar sinnvoll sein, durch gezielte positive Reize wie etwa Füttern oder Spielen, dem Hund die Situation etwas zu erleichtern.

Beim Mensch gibt es Untersuchungen dazu: So hat man während der Einwirkung akustischer Stressreize bei Probanden den Cortisolwert überprüft. Danach hat man sie in vier Gruppen unterteilt und den Gruppen jeweils Eis, Joghurt, Schokolade oder gar nichts zum Essen gegeben und sie neuerlich den Stressreizen ausgesetzt. Bei der erneuten Messung zeigt sich, dass der Spiegel an Cortisol bei der Gruppe, die Eis bekam, am geringsten war, gefolgt von der Joghurt- und Schokoladengruppe. Die Gruppe, die gar nichts bekam, hatte hingegen dieselben Werte wie bei der ersten Messung.

Diese Erkenntnisse habe ich mir ­diesen Sommer, der ja der Horrorsommer für alle Hunde mit Gewitterangst und deren Halter war, zunutze gemacht. Da wir einen „Wetter­beagle" anstatt eines Wetterfrosches haben, der ein Gewitter lange anzeigt, bevor es da bzw. für uns wahrnehmbar ist, habe ich begonnen, Andra bei den ­geringsten Anzeichen mit ­Leckerlis (natürlich keine Schokolade!) vollzustopfen. Dass die Angst, ihr Verhalten zu bestärken oder gar zu ­konditionieren, unbegründet ist, ist weiter oben bereits beschrieben.

Zumal Andra bei einem Gewitter so in Panik gerät, dass an Lernen nicht mehr zu denken ist. An Fressen auch nicht (und das heißt beim Beagle was!), weswegen es extrem wichtig ist, sie genau zu beobachten und bei den ersten milden Anzeichen das Füttern zu beginnen. Und siehe da, die Panik ist seither nicht mehr ganz so ausgeprägt, sie steigert sich nicht mehr so sehr rein und ist deutlich ruhiger. Dass etwas Negatives nicht mehr ganz so negativ ist, wenn man etwas ­Positives zufügt, ist ja logisch. Kauen oder auch lecken wirkt be­ruhigend. Und bei der vorhin erwähnten Studie mit den Menschen kam sicherlich auch noch die beruhigende Wirkung von Milch und Schokolade dazu, die beide sehr reich an Tryptophan sind, das zum Aufbau des Stimmungsaufhellers Serotonin im Gehirn benötigt wird.

Im zweiten Teil dieses Artikels im nächsten WUFF geht es unter ­anderem um Emotionen bei Tieren, einige spannende Studienergebnisse, die mögliche Problemverstärkung durch die Leine, um Angst und Lernen sowie Behandlungsmöglichkeiten.

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