In der vorigen Ausgabe ging es darum, was eine Hundepersönlichkeit ausmacht. Vorgestellt wurde das sog. Fünf-Faktoren-Modell der Psychologie, das eine recht gute annähernde Einschätzung ermöglicht, vor allem für Vergleiche. Im zweiten und letzten Teil des Artikels von WUFF-Autorin Sophie Strodtbeck wendet sie nun dieses Modell auf ihre eigenen Hunde an und beschreibt es damit sehr anschaulich.
Da man die Persönlichkeitsachsen an konkreten Beispielen besser erläutern kann und meine Hunde den meisten WUFF-Lesern aus diversen Artikeln bekannt sind, folgen nun die Persönlichkeitswerte meiner eigenen Hunde. Die Arbeitsgruppe um Adam Miklosi aus Budapest hat übrigens einen Fragebogen entwickelt, anhand dessen man die Persönlichkeitsachsen eines Hundes beurteilen kann. Die Ergebnisse meiner Hunde in diesem Fragebogen stimmen weitgehend mit meiner Beurteilung dieser Hunde überein, darum ziehe ich ihn für die folgenden Beschreibungen meiner Meute als Grundlage heran.
Reisen? Wozu das denn?
Da ist zunächst Günes, mein Dönertierchen, ein Hund, den ich vor 14 Jahren von der türkischen Mülltonne auf die Münchner Couch umgesiedelt habe. Sie ist vor knapp zwei Jahren gestorben, aber trotzdem noch bekannt wie ein bunter Hund.
Auf dem Fragebogen von Adam Miklosi erreichte sie bei der emotionalen Stabilität 0 von 8 möglichen Punkten. Ein Hund, der in der ständigen Angst lebte, dass ihm eines Tages doch noch der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Denn dass Himmel dazu bisher nicht mal ansatzweise Anstalten gemacht haben, machte die Sache auch nicht besser, denn Himmel waren in ihren Augen absolut unberechenbar. Nur ein Beispiel von vielen dafür ist die Geschichte mit dem Kaugummi – glücklicherweise dem einzigen Kaugummi, der uns auf unserer Reise begegnet ist.
So waren wir eines Tages in München, wo wir damals lebten, an der Isar spazieren, als sie auf einmal aus heiterem Himmel (nein, der böse Himmel schon wieder!) anfing, wie am Spieß zu schreien und hysterisch durch die Gegend zu rennen. Alle Versuche sie einzufangen scheiterten kläglich. Langsam kam auch in mir die Panik auf, denn es hörte sich an, als befände sich das Dönertier gerade im Todeskampf. Es blieb mir aber nichts anderes übrig als den gesitteten Rückzug nach Hause anzutreten – in der Hoffnung, dass sie mir folgen würde, um in aller Ruhe auf der Couch zu sterben (Nein, zwischen Isar und unserer Wohnung gab es keine Straße, nur ein Gartentürchen, und sie wäre niemals weggelaufen!). Nach gefühlten Stunden wurde es ihr draußen tatsächlich zu bedrohlich, weil sich inzwischen besorgte Menschenmassen eingefunden hatten, die sich dieses Naturschauspiel nicht entgehen lassen wollten. Zu Hause war es dann endlich möglich, das Dönertier, das inzwischen nur noch leise vor sich hin wimmerte, eingehend zu untersuchen. Ich rechnete mit einem Schlangenbiss oder Insektenstich, wenigstens irgendeiner kleinen Verletzung, musste aber feststellen, dass ihr schlichtweg ein Kaugummi zwischen den Ballen klebte. Ein extrem instabiler Hund. Günes fühlte sich nach dieser für sie prägenden Erfahrung in ihrem prinzipiellen Misstrauen gegenüber der ganzen Welt, Kaugummis und dem Himmel bestätigt – und ich mich im wissenschaftlich evaluierten Fragebogen von Adam Miklosi.
Sie erinnern sich an die Worte weiter oben? „Je nachdem wie jemand ist, was für eine Einstellung er hat, so wird er die Welt sehen und seine eigene, selektive Wahrnehmung entwickeln. Diese individuelle Wahrnehmung ermöglicht manche Lernerfahrungen leichter als andere und prägt dadurch wiederum das Weltbild." Auch wenn der Kaugummi nicht von oben kam, hat sie seit diesem Tag den Himmel noch ein bisschen besser im Auge behalten …
Auf der Achse der Offenheit-Verschlossenheit erreichte sie einen stolzen von zehn möglichen Punkten. Es dauerte stets sehr lange, bis sie sich in neuen Umgebungen explorativ zeigte oder sich fremden Menschen gegenüber öffnete. Auch das zeigt der Umgang mit der neuen Situation „Kaugummi an Pfote". Ein sehr offener Hund, wie etwa Meier, hätte das „Ding" sofort eingehend untersucht und im Zweifelsfall gefragt „kann man das essen"? Ja, das Dönertier war eher eine Dauercamperin …
Die Verträglichkeit ergab bei ihr 3 von 8 möglichen Punkten, auch das passt. Sie kam mit den anderen Hunden gut zurecht, führte ein strenges Regiment, aber sie hätte sie nicht unbedingt zu ihrem Glück gebraucht. Sie war eher eine Einzelkämpferin. Menschen gegenüber war sie sehr misstrauisch, mit ihr zu kooperieren war so gut wie unmöglich.
Bei der Extraversion brachte sie es auf 0 von 6 Punkten. Sie zog die Distanz vor, beobachtete das Treiben lieber aus der Ferne als sich selbst einzumischen. Sie war eher abwartend, in sich gekehrt, scheu und zurückgezogen. Und dabei absolut liebenswert.
Beaglehündin Andra
Die nächste im Bunde ist Andra, eine Beaglehündin, die inzwischen über 13 Jahre auf dem Buckel hat. Auch auf dem Buckel hat sie eine dicke Narbe, denn Andra war ursprünglich eine medizinisch-technische Assistentin, bzw. sollte es eigentlich werden. Sie wuchs in der Uni, in der ich damals studierte, auf und sollte eigentlich in einem Versuch zur mutterlosen Aufzucht von Welpen teilnehmen. Das Schicksal wollte es anders, Andra überlebte im Alter von 3 Wochen einen Brand und landete bei mir.
Andra ist, trotz ihres suboptimalen Startes ins Leben doch eine ziemlich typische Rassevertreterin. Bei der emotionalen Stabilität bringt sie es auf 6 von 8 möglichen Punkten. Zugegebenermaßen noch 2 Punkte Luft nach oben, aber so schnell bringt sie trotzdem nichts aus der Ruhe.
Was die Offenheit für neue Erfahrungen angeht, ist sie unschlagbar. Dauercampen war nie ihr Ding, sie geht bis heute gerne neue Pfade. Hier nur ein Beispiel für Andras Hang zu individuellen Abenteuerreisen: Ich war im Urlaub und hatte meine (damals) beiden Hunde einer Freundin anvertraut – natürlich mit der strikten Auflage, Andra nicht von der Schleppleine zu lassen! Andra zeigte sich eine Woche lang von ihrer Honigseite und wiegte meine Freundin so lange in Sicherheit, bis diese am letzten Tag meines Urlaubs die Leine schleifen ließ … Und wieder einmal war Andra von jetzt auf gleich wie vom Erdboden verschwunden. Sofort wurde eine große Suchaktion gestartet, die Polizei informiert, Zettel aufgehängt, Leute befragt. Im Radio wurde sogar eine Suchmeldung durchgegeben … alles ohne Erfolg. Ich saß derweil heulend in Florenz und wurde mit jeder Stunde, die verging, sicherer, künftig nur noch einen Hund zu haben, denn so lange war sie bis zu diesem Tag noch nie verschwunden gewesen. Gegen Abend rief meine Freundin noch einmal bei derselben Polizeidienststelle an und hatte das Glück, diesmal einen Beamten an der Strippe zu haben, der endlich auch weitergab, dass einer Frau bereits morgens ein Beagle zugelaufen war. Als die Freundin dann Andra abholte, stellte sich heraus, dass sie gleich in der Früh auf dem Zooparkplatz in ein wildfremdes Auto gestiegen und mit nach Grünwald gefahren war. Dort hatte sie den wahrscheinlich lustigsten Tag ihres Lebens, war der Star auf einem Kindergeburtstag, bekam Geburtstagskuchen, durfte am Würstelschnappen teilnehmen (das hat sie bestimmt gewonnen!) und hieß „Gina". Ich war heilfroh und dankbar, dass ich meine „Kamikaze-Gina" am nächsten Tag, als ich aus dem Urlaub kam, wieder in die Arme schließen durfte! Diese „Offenheit für neue Erfahrungen" hat sie sich bis heute ins hohe Alter bewahrt und ich mag ihre Abenteuerlust sehr gerne.
In Bezug auf die Geselligkeit / Verträglichkeit ist sie mit sechs von acht Punkten ziemlich verträglich und rassetypisch aufgestellt. Denn als Meutehund tut man sich als Einzelgänger schwer. Andra ist auch durchaus kooperativ.
Einzig ihre Extraversion ist nicht rassetypisch, denn hier erreicht sie nur einen von sechs möglichen Punkten. Sie ist eher introvertiert und wahrt Distanz. Sie hält sich erst einmal zurück, egal ob es sich um fremde Menschen oder Hunde handelt. Auf einer Party wäre sie der Gast, der zwar verträglich ist, aber nicht unbedingt der tolle Hecht, der mit seinen Geschichten alle unterhält und sofort im Mittelpunkt steht. Wenn man sie aber anspricht und auf sie zugeht, kann man durchaus tolle Gespräche mit ihr führen. Sie ist trotzdem ein sehr sozialer Hund.
Ruhige Fahrwasser für Piccolo
Piccolo ist ein Chihuahua-Mix von stolzen 30 cm Rückenhöhe und mit ganzen drei Kilogramm Kampfgewicht. Ein Stelzenhamster, also auch ein Hund, den ich eigentlich nie haben wollte. Inzwischen weiß ich, dass er nicht klein ist, sondern einfach ein Konzentrat. Und eine sehr große kleine Persönlichkeit!
Was seine Gelassenheit angeht, gibt es durchaus Luft nach oben: vier von den acht möglichen Punkten erreicht der Zwerg. Egal, was ist, es wird erstmal lautstark von Piccolo kommentiert. Meine Instabilität, die zum Glück nicht besonders ausgeprägt ist, überträgt sich sofort auf ihn. Stabil ist er nur dann, wenn sein Umfeld es ist.
Dafür – oder trotzdem – ist er sehr offen für neue Erfahrungen (zehn von zehn Punkten), schaut sich alles an und ist für fast alles zu haben. Das aber sicherlich nur, weil ich immer verhindert habe, dass er schlechte Erfahrungen macht. Hätte er diese jemals gemacht, bin ich sicher, dass sich sein Weltbild ganz schnell komplett ins Gegenteil verkehrt hätte.
Die erreichte Geselligkeit, nämlich 3 von 8 Punkten, passt zu ihm. Er kommt gut mit meinen anderen Hunden aus, aber er braucht sie nicht für sein Seelenheil. Wichtig ist ihm, dass sein Mensch für ihn da ist, und den würde er auch lieber nicht mit anderen teilen müssen. Fremde, große Hunde, vor allem dann, wenn sie wild sind, sind ihm unheimlich, aber das kann man ihm nicht verdenken.
Piccolo ist ein sehr extravertierter Typ. Seine Launen sieht man ihm sofort an und er macht keine Anstalten, sie zu verbergen. Mittendrin bedeutet nicht unbedingt gut gelaunt. Mit seinen langen Haxen passiert es durchaus, dass er mal mit dem falschen Bein aufsteht, und das bekommen die anderen Hunde hier dann auch sehr schnell zu spüren. Kein Wunder, bei fünf von sechs Punkten bei der Extraversion.
Stabilität hat einen Namen: Meier
Der Letzte im Bunde ist Meier, seines Zeichens ein Beaglerüde und inzwischen acht Jahre alt. Meier habe ich mit einem guten halben Jahr aus fünfter Hand übernommen, damals als „Timmi". Empört erzählten mir seine vierten Halter, die Meiers, dass der Hund Bobby geheißen habe, als sie ihn übernommen haben. Das sei aber doch kein Name für einen Beagle! Also haben sie ihn Timmi genannt. Aha. Auch Timmi Meier sollte definitiv nur bleiben, bis ein Platz für ihn gefunden wurde. Denn ich wollte ja niemals einen Beagle und entsprechend noch viel weniger zwei Beagles.
Meier war eine Herausforderung, und schon beim ersten Treffen wusste ich, warum er bisher jedes Mal abgegeben wurde. Aber er war auch damals schon die coolste Socke, die man sich vorstellen kann. Klar, ein absolut unbeeindruckbarer Hund ist eine Herausforderung, denn das, was ihn so cool und souverän macht, macht ihn auch so anstrengend. Habe ich schon erwähnt, dass ich Herausforderungen liebe?
Meier erreicht auf allen Persönlichkeitsachsen die volle Punktzahl. Stabilität acht von acht Punkten. Sollte er dennoch einmal scheitern, tut er es grandios: Krönchen richten, bloß nichts anmerken lassen und schon gar nicht das eigene Weltbild erschüttern lassen. Meier hat die beneidenswerte Fähigkeit, sich die Welt genau so zu basteln, wie sie ihm gefällt, und dadurch gesichtswahrend aus allen Situationen zu kommen.
Offenheit für neue Erfahrungen? Klar, immer! Wo sind neue Abenteuer zu bestehen? Ich bin dabei! „Nur" zehn Punkte, weil es nicht mehr gibt … Ach so: Je erlaubter etwas ist, desto langweiliger ist es!
Auch seine Reisen durch verschiedene Hundehalterhaushalte, die er bereits in seiner frühen Jugend unternommen hatte, wurden von ihm offenbar durchaus positiv bewertet. Es wurde sich ja schließlich gekümmert und dafür gesorgt, dass bei dem Herrn keine Langeweile aufkam. Das ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, wie entscheidend die Persönlichkeit für den Umgang mit sich selbst und der Umwelt ist. An einem Hund mit einer geringen Punktzahl auf dieser Persönlichkeitsachse wäre der mehrmalige Halterwechsel sicherlich nicht spurlos vorbei gegangen.
Auch die Geselligkeit / Verträglichkeit liefert bei ihm acht volle Punkte. Meier mag Menschen und andere Hunde. Klar, wer sollte ihm sonst die in seinen Augen angebrachte Bewunderung entgegenbringen? Auch ein Held ist nur ein Hund, wenn niemand bemerkt, was für ein Held er ist…
Außerdem ist Meier ein extrem extravertierter Hund. Man sieht ihm seine Gestimmtheit sofort an, und die ist immer positiv. Schlecht gelaunt habe ich ihn tatsächlich in all den Jahren nie erlebt. Er ist in unserer Reisegruppe der Animateur, der immer mittendrin statt nur dabei, stets gut gelaunt und in der Lage ist, andere mitzureißen. Meine Aufgabe ist es eher, ihn auch mal auszubremsen, auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, wenn er mal wieder die Bodenhaftung verloren hat, und dafür zu sorgen, dass er durch seine unbekümmerte Art weder sich in Probleme bringt, noch anderen damit auf die Nerven geht.
Nehmen Sie Ihren Hund ernst
Ich hoffe, dass dieser Artikel verdeutlicht, wie wichtig es ist, den Hund und seine Persönlichkeit ernst zu nehmen und im Alltag darauf einzugehen. Es macht vieles einfacher! Hätte ich Günes all das zugemutet, wofür Meier brennt, hätte sie sicherlich ihre Koffer gepackt und wäre abgewandert. Und müsste Meier das Leben führen, das Günes gelebt hat, würde er vor lauter Langeweile noch mehr Blödsinn machen als er es sowieso schon tut.
Die Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Hundehalterin, die diese Persönlichkeiten auf ihrer Reise durch das Hundeleben begleitet, überlasse ich Ihnen. Aber Sie können sich sicher sein, dass sich Persönlichkeitsmerkmale all meiner Hunde auch in mir wiederfinden.
PS: Seit einigen Wochen gibt es eine „Neue" in unserer Meute, die 15-monatige Chihuahua-Hündin Piranha. Auch sie ist eine große, kleine Persönlichkeit, und was ich jetzt schon sagen kann, ist, dass sie sehr extravertiert, mittelprächtig stabil, mittelprächtig verträglich und sehr offen für neue Erfahrungen ist. Ich freue mich darauf, sie und ihre Persönlichkeit besser kennenzulernen!