Und wer bist du? – Über die Persönlichkeiten von Hunden

Von Sophie Strodtbeck

Hunde sind kleine Persönlichkeiten, da sind sich Hunde­halter ­vermutlich einig. Aber was ist überhaupt eine ­Persönlichkeit? Eine überzeugende oder gar einheitliche Definition gibt es nicht. Synonyme oder ältere Begriffe sind „Temperament" oder „Charakter". Der ­Begriff Persönlichkeit umfasst die einzigartigen psychologischen ­Eigenschaften eines Individuums, in denen es sich von anderen unterscheidet.

Das individuelle „So-Sein" eines Lebewesens setzt sich immer aus genetischen sowie aus ­erlernten Komponenten zusammen. Eines bedingt das andere, denn je nachdem, wie jemand ist, was für eine Einstellung er hat, so wird er die Welt sehen und seine eigene, selektive Wahrnehmung ent­wickeln. Diese individuelle Wahrnehmung ermöglicht manche ­Lernerfahrungen leichter als andere und prägt dadurch wiederum das Weltbild.

Die Persönlichkeit des eigenen ­Hundes zu erkennen heißt, den eigenen Hund zu kennen. Welche Grundmuster zeigt er? Wo kann ein Training ansetzen? Nur wer die Persönlichkeit seines Hundes kennt, kann auch an seinen ­persönlichen Themen arbeiten und ist nicht auf pauschale Methoden und ­Techniken angewiesen. Und das ­wiederum ist eine Voraussetzung für ein entspanntes Zusammenleben.

Wie vielfältig selbst die Persönlich­keiten von Hunden derselben Rasse sind, zeigen mir meine Beagles – die beide Beagle durch und durch, und trotzdem völlig unterschiedlich sind, – jeden Tag aufs Neue.

Big Five
Einen schönen Einblick in die Persönlichkeit geben die Verhaltensdimen­sionen der sog. „Big Five", eines Fünf-­Faktoren-Modells (siehe Grafik links), das viele Abstufungen ermöglicht, da es nicht nur die jeweiligen Pole zulässt. Trotzdem ist es natürlich nicht möglich, ein Individuum bloß anhand der fünf Faktoren in eine Schublade zu stecken! Die Faktoren im Einzelnen:

Emotionale Stabilität – Labilität (Neurotizismus):
Dieser Faktor beschreibt, wie anfällig Mensch oder Tier für Ängste und Sorgen ist. Je mehr ein Individuum zum Neuro­tizismus tendiert, desto anfälliger ist es für Zweifel und negative Gefühle. Es wird schnell nervös, mutlos, empfindlich und wirkt immer angespannt – ein „Oberbedenkenträger", der sich schnell aus der Ruhe bringen lässt.

Das Gegenteil ist – wie der Begriff bereits vermuten lässt – bei der emotionalen Stabilität der Fall. Menschen oder andere Tiere mit hoher emotionaler Stabilität sind selbstsicher, stressresistent, souverän und lassen sich so schnell durch nichts aus der Ruhe bringen.

Dieser Faktor beurteilt also, wie wir – oder der Hund – auf Rückschläge reagieren.

Extraversion – Introversion
Sie beschreibt den Ausdruck und die Haltung nach außen. Eine ­extravertierte Persönlichkeit zeichnet sich durch Selbstbewusstsein und Geselligkeit aus und zeigt eine nach außen ­gewandte Haltung. Sie ist offen, mag Nähe und das Handeln innerhalb sozialer ­Gruppen. Sie ist kommunikativ, bestimmt, aktiv, energisch und enthusiastisch. Eine extravertierte Persönlichkeit wird man also eher mittendrin statt nur daneben antrefffen.

Introvertierte Charaktere wenden hingegen ihre Aufmerksamkeit und Energie stärker auf ihr Innenleben. In Gruppen neigen sie eher zum passiven Beobachten als zum Handeln und werden häufig als „still", „zurückhaltend" und „ruhig" beschrieben. Aber Introversion ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Schüchternheit oder gar asozialem Verhalten! Introvertierte streben genauso wie auch Extravertierte nach sozialen Kontakten, Freundschaften und Unternehmungen, aber es muss nicht gleich die ganz große Party sein. Eine Handvoll guter Freunde tut es auch.

In einer Spielstunde zum Beispiel wird man den extravertierten Hund immer mitten im Getümmel finden, den introvertierten wird man eher distanziert am Rand finden, wo er sich vielleicht mit dem Lesen von Duftmarken und Statusmeldungen der anderen beschäftigt oder einfach das bunte Treiben der anderen beobachtet, sich selbst aber zurückhält.

Verträglichkeit – Unverträglichkeit
Die Verträglichkeit gibt an, ob mit jemandem „gut Kirschen essen" ist. Verträgliche Menschen helfen ­anderen, sind umgänglich und nachsichtig, haben Vertrauen in ihre Mitmenschen und können verzeihen. Der Faktor Verträglichkeit gibt auch an, wie kooperativ ein Individuum ist, ob man es mit einem Team-Player oder doch eher mit einem Einzelkämpfer zu tun hat. Verträgliche Hunde sind interessiert an der Zusammenarbeit und dem sozialen Miteinander, vertrauen anderen und wirken dabei aufgeschlossen, freundlich und nachsichtig. Menschen mit hohen Punktwerten auf der Achse der Verträglichkeit sind bemüht, anderen zu helfen, und überzeugt, dass diese sich ebenso hilfsbereit verhalten werden. Sie neigen zu zwischenmenschlichem Vertrauen, zur Kooperationsbereitschaft und zur Nachgiebigkeit.

Auch diese Persönlichkeits-Achse findet man bei Hunden, man denke nur an den verträglichen und am sozialen Miteinander interessierten Meutehund, der immer vom Guten im Gegenüber ausgeht, und am anderen Ende der Skala an den eher misstrauisch-konkurrierenden Herdenschutzhund, der sich eher kompetitiv (mit anderen in den „Wettstreit" tretend) als kooperativ zeigt. Natürlich gibt es, wenn wir von Rassen reden, immer auch Ausnahmen.

Offenheit – Verschlossenheit
Dieser Faktor ist ein Maß für die Wahrnehmung der Außenwelt. Eine offene Persönlichkeit ist vielseitig interessiert, wissbegierig, begeisterungsfähig und neugierig, und sie liebt die Abwechslung. Sie ist eher bereit, bestehende Normen kritisch zu hinterfragen und auf neuartige soziale, ethische und politische Wertvorstellungen einzugehen. Sie verhält sich häufig unkonventionell, erprobt neue Handlungsweisen und bevorzugt die Abwechslung.

Ein Hund dieser Persönlichkeit ist einfallsreich, originell und erfinderisch und stets offen für neue Ideen. Abwechslung zieht er der Routine vor, er wäre also der richtige Kandidat für gemeinsame Abenteuer.

Das andere Ende der Skala bildet die Verschlossenheit. Ein verschlossener Hund ist Neuem und Fremdem gegenüber misstrauisch, als Mensch wäre er eher konservativ – er hält sich lieber an Altbekanntes und Bewährtes („Was der Bauer nicht kennt, (fr)isst er nicht"). Statik und Beständigkeit sind ihm wichtig, er verhält sich in neuen Situationen oft ähnlich, anstatt Neues auszuprobieren, und wirkt dadurch sehr stoisch. Mit diesem Reisebegleiter ist man als Dauercamper mit Gartenzwergen, Jägerzaun und festen Ruhezeiten gut aufgehoben. Oder man bleibt gleich zuhause.

Gewissenhaftigkeit – Nachlässigkeit
Dieser Faktor gibt an, inwieweit wir ­organisiert und ergebnisorientiert arbeiten oder doch eher schludrig sind. Gewissenhaftigkeit bedeutet Disziplin, Ausdauer, Ordnung, Sorgfalt, Planung und Berechenbarkeit. Ein gewissenhafter Mensch hält sich an Regeln und verstößt nur in äußerster Not dagegen.

Ein nachlässiger Mensch ist unorganisiert, zerstreut, unzuverlässig und unordentlich. Oder – wenn man es positiv ausdrücken möchte – ein kleiner Rebell. Er geht mit einer gewissen Sorglosigkeit durchs Leben, die gewissenhaften Menschen ein Dorn im Auge ist. Im positiven Sinne ein Lebemann.

Die Achse Gewissenhaftigkeit – Nachlässigkeit lässt sich bei Hunden nur schwer überprüfen, weswegen bei ­Hunden in der Regel nur vier der fünf Faktoren angewendet werden. Und trotzdem denke ich, dass man auch diese Persönlichkeitseigenschaft bei Hunden findet. Man denke nur an den ­typischen Border Collie, der sogar läufige Hündinnen links liegen lässt, solange noch nicht alle Schäfchen ins Trockene gebracht sind, oder an das Gegenteil ­davon. Warum mir dazu jetzt ausgerechnet der Beagle einfällt, weiß ich auch nicht … Obwohl man den Beagles mit dieser ­Einschätzung Unrecht tut, denn eine in seinen Augen sinnvolle Aufgabe, wie das Verfolgen einer frischen Fährte, wird er stets sehr gewissenhaft er­ledigen.

Individuell statt Patentrezept
In der Humanpsychologie spielen die Persönlichkeitsmerkmale schon lange eine Rolle. Keiner käme hier auf die Idee, bei „Verhaltensproblemen" im humanen Bereich pauschale Lösungen anzubieten. Bei der Hundeerziehung und –therapie ist das aber immer noch mehr die Regel als die Ausnahme. „Zeig ihm, dass Du der Rudelführer bist!", „Der Hund muss kooperieren und mit Dir gemeinsam jagen gehen!" oder auch „Bloß kein Stress für den armen Hund!" sind häufig verwendete Pauschal­aus­sagen. Diese und andere Patentrezepte sind zwar weit verbreitet, aber darum noch lange nicht hilfreich. Und trotzdem ist auf den Websites der zu diesen ­Aus­sagen gehörenden Hundeschulen stets von „individuellem Training" die Rede.

Dabei sind die individuellen Persönlichkeitsmerkmale für ein Hundetraining oder gar die Therapie von Verhaltensauffälligkeiten durchaus relevant. Nur wer weiß, wer das Gegenüber ist und wo die individuellen Stärken und Schwächen liegen (und das gilt im Training für Mensch und Hund), kann auch individuell auf dieses Team eingehen. Eigentlich sollte doch klar sein, dass man mit einem unsicheren, introvertierten Hund, für den Kooperation ein Fremdwort ist, ganz anders umgeht als mit einem offenen und verspielten Kindskopf mit Freude an der Zusammenarbeit – auch dann, wenn beide Hunde genau das gleiche Thema haben. Und auch wenn wir vermeintliche Verhaltensauffälligkeiten außen vor lassen, wird das Leben mit dem Hund durch die Kenntnis seiner Eigenschaften einfacher – und spannend ist es obendrein!

Da man die Persönlichkeitsachsen an konkreten Beispielen besser erläutern kann und meine Hunde den meisten WUFF-Lesern aus diversen Artikeln bekannt sind, folgen im zweiten Teil des Artikels im nächsten WUFF die Persönlichkeitswerte meiner eigenen Hunde.

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