(Un) Erwünschtes Verhalten: Verfolgen von Lebewesen und Fahrzeugen

Von Liane Rauch und Thomas Riepe

Hundetrainerin Liane Rauch und Hunde­psychologe Thomas Riepe über das, was viele Hundehalter als die häufigsten „Verhaltens­probleme“ ihrer Hunde ansehen. Oft eher ­unerwünschtes hundliches Normalverhalten als echtes Verhaltens­problem, geben die beiden Hundeexperten und WUFF-Autoren konkrete Ratschläge für manchmal entnervte Hundehalter. Jeder der Autoren aus seiner speziellen Sicht. Diesmal geht es darum, dass Wuffi immer hinter anderen herjagen möchte.

Anderem nachzujagen ist prinzipiell kein Fehlverhalten des Hundes, liegt es doch vielen Rassen im Blut und wurden sie oft genau dafür gezüchtet. Allerdings ist ein solches ­Verhalten aus der Sicht des Menschen unerwünscht, nicht selten auch für den Hund in der heutigen Umwelt gefährlich. Doch viele unserer Vierbeiner lieben offenbar diesen „Adrenalin-Schub“.

Liane Rauch: Ja, Adrenalin kann Belohnung für einen Hund sein. Jede Jagd, jedes Verfolgen und Stellen einer ­„fliehenden“ Beute löst Glücksgefühle in einem Jäger wie dem Hund aus. In solchen Fällen ist Prävention angesagt.

Thomas Riepe: Ein Hund ist immer noch ein Raubtier, ein Jäger, der beim Jagen mit einem ganzen Cocktail an bio­chemischen Botenstoffen überschüttet wird, damit er sich beim Jagen wohl fühlt und dieser Tätigkeit gern nachgeht. In der Natur ist dies überlebenswichtig. Hinter jemandem ­herjagen kann daher jagdlich begründet sein – etwas, das sich schnell von mir fortbewegt, wird gejagt. Das ist – zwar etwas kurz und flapsig gesagt, welches natürliche „Programm“ im Hund bei einem solchen Reiz abgerufen wird –, trifft es aber in meinen Augen recht gut. Man kann auch von Jagdinstinkt, Jagdtrieb, Jagdimpuls oder von der Motivation sprechen. Aber in einer Zeit, in der sich in der Hundeszene um jede kleine Formulierung gestritten wird, versuche ich die ­Thematik einfach einmal etwas pragmatisch auszu­drücken.

Jagdliche Motivation kann also ein Grund für das ­Nach­jagen sein und ist es meist wohl auch. Allerdings gibt es auch die Fälle, wo ein Hund einen Feind vertreiben möchte, also ansetzt, kurz hinterherläuft und dann mit stolz geschwellter Brust zurückkommt, weil er ja den Feind in die Flucht geschlagen hat. Das ist dann territoriales Verhalten.

Aus der Praxisarbeit
Liane Rauch: Idealerweise wird schon dem Welpen ver­mittelt, dass Radfahrer, Jogger und laufende Kinder tabu sind. Mit meinen Welpen habe ich von Anfang an ein konse­quentes Blickkontakttraining absolviert. Radfahrer sehen heißt Frauchen anschauen und Leckerchen abholen. Wie gesagt, ein Hund, der von Welpenbeinen an gelernt hat, bei gewissen Reizen Frauchen oder Herrchen anzuschauen, hat keine Zeit, sich um den Reiz selbst zu kümmern.

Selbstverständlich müssen mich meine Hunde während der Spaziergänge nicht ständig anschauen. Der Hund muss auch Hund sein dürfen, mit allem was dazu gehört. Doch bei bestimmten Reizen, wie eben Radfahrern und Kindern, habe ich von Anfang an konsequent auf die Aufnahme des Blick­kontaktes bestanden. Ich habe einfach darauf hin trainiert, dass ICH dem Hund etwas noch Besseres „bieten kann“.
Am Anfang des Trainings muss sich der Blickkontakt für unseren Vierbeiner also wirklich absolut lohnen, egal ob Leckerchen oder ein Spiel bzw. Spielzeug. Und auch hier habe ich konsequent gewartet, bis der Blickkontakt kam, egal wie lange es gedauert hat.

Ist das Verfolgen und Stellen schon verfestigt, ist ein ­Training an der Leine nötig. Am besten rekrutiert man ein paar bekannte Hilfspersonen, die mit dem Rad oder ­joggend am Hund vorbei fahren/laufen. Bei ruhigem ­Verhalten des Hundes und der Aufnahme von Blickkontakt des Hundes zum Halter wird gelobt und belohnt. Diese Arbeit kann je nach Ausprägung des Verhaltens und je nach Rasse des Hundes länger dauern.

Thomas Riepe: Bei den Lösungsansätzen kann ich Liane Rauch nur zustimmen und brauche es daher auch nicht zu wiederholen, nur vielleicht noch etwas ergänzen. Allerdings kann hier, vor allem, wenn man nicht die Chance hat, einen Hund von Welpenbeinen an zu trainieren (weil man ihn z. B. aus dem Tierschutz übernommen hat), ein Abbruchsignal oder auch ein „Superkommando“ (s. WUFF 5/2011) ggf. einmal eingesetzt werden, solange der Hund dafür ­empfänglich ist.

Als kleines abschließendes Beispiel das Verhalten meiner beiden Hunde Puzzel und Koka in solchen Situationen. Puzzel lief, als er vor vielen Jahren zu mir kam, gerne mal kurz Fahrrädern nach – aber eher aus den vorher bereits beschriebenen territorialen Gründen. Er war dabei immer noch ansprechbar und leicht durch ein „NEIN“ von dieser Handlung abzubringen. Aber was glauben Sie, wie sich die „dickköpfige“, selbständige Koka verhält, wenn z. B. ein Fahrrad vorbeisaust? Es interessiert sie nicht, weil man Fahrräder ja nicht fressen kann …

Was letztlich wieder zeigt, wie unterschiedlich Hunde und deren Verhalten sein können. Ebenso wie die Herangehensweisen an vermeintliche Probleme!

Liane Rauch: Thomas Riepe hat schon erwähnt, dass es bei Hunden, die man in fortgeschrittenem Alter übernimmt, länger dauern kann. Meine schottische Colliehündin Queen zeigte eher Hüteverhalten und sah sich genötigt, Radfahrer oder Jogger, die von uns weg fuhren oder liefen, zu uns zurück zu holen. Auch hier klappte das Blickkontakttraining hervorragend, obwohl Queen den Welpenbeinen schon entwachsen war, als ich sie bekam. Hunde kommunizieren untereinander auch viel über Augenkontakt, und dieses den meisten Rassen angeborene Verhalten kann man sehr gut ausnutzen. Geduld und Konsequenz sind, vor allem bei ­älteren Hunden, sehr wichtig.

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