Trennungsschmerz und Abschiedskummer bei Hunden (Teil 2)


Obwohl in der Wissenschaft systematische Forschungen über ­Trauer bei Hunden fehlen, gibt es zahlreiche Beobachtungen, wie Hunde, Wölfe und andere Tiere auf den Tod eines ­Bindungspartners ­reagieren. Dr. Udo Ganslosser und Mechtild Käufer in einem um­fassenden zweiteiligen Artikel über Trennungsschmerz und Abschiedskummer bei Hunden.

Alle sozial lebenden Tiere ­drücken ihre Gestimmtheiten und Emotionen durch Mimik, Haltung, Verhalten, Gerüche und durch Vokalisation aus. Sie müssen diese Emotionen bei anderen Mitgliedern ihrer Gruppe lesen können, damit das Zusammenleben funktioniert. Erkennen zu können, dass ein Artgenosse gerade wütend ist, und ihm deshalb aus dem Weg zu gehen, verhindert überflüssige Konflikte. So besitzen alle Säugetiere die an Emo­tionen und deren Erkennung beteiligten Gehirnbereiche, Hormone und Neurotransmitter. Beim trauernden Menschen werden geringere Aktivitäten in den Gehirnbereichen gemessen, die den Hormonhaushalt regeln und Emotionen, Antrieb, Motivation, Aufmerksamkeit, Konzentra­tion, Schlaf- und Essverhalten steuern. Diese Gehirnbereiche, die im Folgenden noch aufgegriffen werden, haben wir mit allen Säugetieren gemeinsam.

Schon für Darwin (1871) stand fest, dass Tiere in einem Maße Bewusstsein und Emotionen besitzen, das sich nicht grundsätzlich, sondern nur ­graduell von dem der Menschen unterscheidet: „Tiere empfinden wie der Mensch Freude und Schmerz, Glück und Unglück“. Auch Konrad Lorenz ­hatte keinen Zweifel daran, dass seine ­Gänse trauerten, wenn sie ihren Partner verloren. Sie fraßen nicht mehr, ihre Augen sanken ein, sie wurden lethargisch und wirkten gebrochen. Er vermutete, dass sich deshalb so wenig Wissenschaftler mit der Trauer bei Tieren beschäftigen, weil kein evolutionärer Nutzen erkennbar ist. Trauer, die zu Zurückgezogenheit, Passivität und Desinteresse führt, schade einem Tier und verhindere beispielsweise eher eine neue Partnerschaft, als dass es sie fördert.

Wie auch bei körperlichen Merk­malen, bleibt in der Evolution nur das Verhalten bestehen, das entweder einen Vorteil für das Überleben oder die Fortpflanzung eines Tieres hat oder zumindest biologisch kostenneutral ist. Bei sozial lebenden Tieren ver­ändert sich durch den Tod eines Individuums die soziale Gruppenstruktur. Einige Überlegungen gehen deshalb davon aus, dass die Trauerzeit bei sozial lebenden Tieren für den Gruppen­zusammenhalt, für Ruhe und eine geordnete Übergangsphase sorgt. Deutlich wahrscheinlicher ist allerdings der Gedanke, dass ­Trauer eng mit dem Bindungsverhalten verknüpft ist. Eine starke Bindung erzeugt eine starke Repräsentation des Bindungspartners im Gehirn, die nicht einfach über Nacht verschwindet. Mit anderen Worten: der Schmerz, den wir und unsere Hunde bei Abwesenheit und beim endgültigen Verlust eines Bindungspartners empfinden, ist der Preis, den wir für diese Bindung und Liebe bezahlen. Diese intensive Bindung ihrerseits hat evolutiv so viele Vorteile gehabt, dass die Trauer sozusagen als Neben­wirkung in Kauf genommen wird.

Neuerdings gibt es noch andere Erklärungsansätze: Starker emotionaler Stress wie der Verlust des Bindungspartners kann Mikrover­letzungen im Gehirn verursachen und die Trauerphase mit Ruhe, weniger Fressen und reduzierten Aktivitäten, könnte den Zeitraum repräsentieren, den der Körper benötigt, um sich von diesen Verletzungen zu erholen. Es ist bekannt, dass bei langdauernder ­Cortisolüberlastung im Gehirn Nerven­zellen absterben. Dies betrifft genau die Regionen, die für Antrieb, Neugier, Lernen und allgemeine Aktivität zuständig sind, im sog. Hippocampus. Serotonin, ein Botenstoff, der insgesamt bei Ruhe und „heiterer Abgeklärtheit“ beteiligt ist, sorgt dagegen dort für Zellvermehrung. Möglicherweise ist die Trauerphase mit ihrer Inaktivität also eine Phase der Reparaturtätigkeit für die durch den Verluststress geschädigten Regionen.

Trennungsschmerz als Preis für Bindung und Liebe
Jaak Panksepp, Psychologe und ­Professor für Integrative ­Physiologie und Neurowissenschaft an der Washington State University, der Säugetier-Emotionen erforscht, hat verschiedene Schaltkreise im Gehirn entdeckt und sie nach den Emotionen benannt, die sie aktivieren, das PANIC/GRIEF (Panik/Trauer)-System.

Auch die hirneigenen Opiate, die Endorphine, scheinen bei Trennungsverlust in ihrer Konzentration abzusinken, und die niedergeschlagene, z. T. auch extrem launische Reaktion in dieser Phase, sowie die teilweise sogar körperlichen Symptome der Trauer­reaktion sind in mancherlei Hinsicht wohl vergleichbar dem „kalten Entzug“ eines Drogenabhängigen.

Ein weiterer Botenstoff, der bei ­Bindung und Trauer bedeutsam scheint, ist wohl das Vasopressin, auch als Eifersuchtshormon bezeichnet. Bindungsstellen für diesen Botenstoff sorgen dafür, dass der/die Partner/in eben individuell-exklusiv und nicht austauschbar wird.

Bindungsverhalten
Barbara Kings erstes Kriterium beschreibt Bindungsverhalten. ­Bindung definiert Kurt Kotrschal als emotionale Verbundenheit zweier Individuen mit einer ­wechselseitigen kognitiven Repräsentation, was bedeutet, dass beide ein Bild vom anderen in sich tragen und diesen persönlich kennen. Dafür ist wohl das Oxytocin- und Vasopressinsystem zuständig. Eine echte Bindung ist von längerer Dauer und personenspezifisch, das heißt, der Bindungspartner ist nicht ohne Weiteres durch ein anderes Individuum ersetzbar.

Bindung zeichnet sich durch gemeinsame Aktivitäten, gegenseitige Unterstützung in ­Stresssituationen, Für­sorge und Schutz aus. Die Anwesenheit und Zuwendung des ­Bindungspartners, gemeinsame Aktivitäten, Spiel, Kontaktliegen und Körperkontakt beim Streicheln oder der Fellpflege aktivieren Oxytocin und körpereigene Opiate/­Endorphine, die das Gefühl der Geborgenheit hervorrufen und stressdämpfend sind. Zudem wird über das Dopaminsystem auch die freudige Erwartung, schon beim Erkennen des Partners, ausgelöst. Man rechnet damit, dass es auch beim nächsten Mal wieder toll zusammen werden wird.

Mit ihrem zweiten Kriterium beschreibt Barbara King eine eindeutige Trennungsreaktion auf den Tod des Bindungspartners. Eine solche Reaktion bei temporärer Trennung vom Bindungspartner und Begrüßungsverhalten bei Wiedervereinigung sind ebenfalls Kriterien für Bindung. Die Reaktion eines Hundes, Kindes oder anderen Säugetieres auf eine Trennung vom Bindungspartner ist durch zwei Phasen gekennzeichnet:
(1) die Protestphase mit einem erhöhten Adrenalin- und Glucocorticoid(bei Hunden und Primaten meist Cortisol)-spiegel, Suchverhalten, Vokalisation und erhöhter Aktivität – und falls keine Wiedervereinigung erfolgt,
(2) die Verzweiflungsphase, in der das Tier das Suchen aufgibt, resigniert. Diese Phase ist durch erhöhten Cortisolspiegel, einen starken Abfall von Adrenalin, Dopamin und Serotonin, durch Antriebslosigkeit, reduzierte Aktivität, Introversion, ein verändertes Schlaf- und Fressverhalten und ein depressives Erscheinungsbild gekennzeichnet.

Hunde können sowohl zu Artgenossen, als auch zu Mitgliedern anderer Spezies – Menschen, oder andere im Haushalt lebende oder befreundete Tiere – Bindungen entwickeln und trauern, wenn der menschliche oder tierliche Bindungspartner stirbt. Jeder Mehrhundebesitzer weiß, dass Hunde, die zusammen leben, unterschiedlich starke Bindungen zueinander aufbauen. Die Bindungsintensität hängt z.B. davon ab, ob die Tiere verwandt sind, in welchem Alter sie sich kennen lernen, wie lange sie zusammen leben und wie gut sie zusammen passen. Es gibt Hunde, die zwar zusammen leben, sich aber lediglich tolerieren, weder Kontaktliegen noch gemein­same Aktivitäten wie Spiel und auch keine Trennungsreaktion zeigen. Daneben gibt es aber auch die Hunde, die fast unzertrennlich sind, Futter, Spielzeug, Schlaf- und Liegeplätze teilen, in engem Körperkontakt liegen, zusammen spielen und sowohl ­Trennungs- als auch Begrüßungsreaktionen bei Wiedervereinigung zeigen. Trauer ist natürlicherweise eher bei der zweiten Gruppe zu erwarten.

Trauer lediglich Stimmungs­übertragung?
Trauer-Verhalten eines Hundes wird häufig alleine mit einer Stimmungsübertragung des Menschen begründet, was jedoch nicht die Trauer bei Wildcaniden und Straßenhunden erklärt. Es gibt immer noch Menschen, die grundsätzlich bezweifeln, dass Hunde die kognitiven und emotionalen Kapazitäten für Trauer besitzen. Diese Einstellung ist häufig kombiniert mit einem fehlenden Verständnis für Menschen, die um ihr totes Haustier trauern. Begründet ist diese Einstellung mit der im westlichen Kulturkreis tief verwurzelten Sichtweise einer Hierarchie von niedrigen und höheren Lebewesen, an deren Spitze selbst­verständlich der Mensch steht.

Dass ein Hund keinerlei Zeichen von Trauer zeigt, könnte daran liegen, dass hier keine intensive Bindung bestand, oder an der selektiven Wahrnehmung des Menschen oder der individuellen Art dieses Hundes zu trauern. Wenn ein trauernder Hund bspw. ruhiger wird, dann fällt das weniger auf als eine erhöhte Vokalisation, die sich in Jaulen, Winseln und Bellen äußert. Auch wenn der Hund keine für uns erkennbaren Verhaltensänderungen zeigt, kann er trotzdem trauern.

Trauer bei Menschen ist ein kultur­übergreifendes Phänomen. Das Verhalten eines oder einer Trauernden ist jedoch sehr individuell und sowohl kultur- als auch geschlechtsabhängig. Wissenschaftler haben festgestellt, dass 25 bis 50 % der Menschen nach einem Verlust keinerlei Zeichen von Trauer zeigen. Dieses Fehlen einer Trauerreaktion bei einem Teil der Menschen wird nicht mehr als Krankheit betrachtet und lässt auch nicht generell zweifeln, dass Menschen die kognitiven oder emotionalen Kapazitäten fehlen, zu trauern. Nur weil ein Individuum eine Emotion nicht ausdrückt, heißt dies nicht, dass es sie nicht fühlt.

Das Companion Animal Mourning Project
Bereits im Jahr 1996 hat die ASPCA, die „American Society for the Prevention of Cruelty to Animals“ das Companion Animal Mourning-Project, eine groß angelegte Befragung von Haustierhaltern zu Trauer bei Haustieren, durchgeführt. Die Befragung ergab, dass trauernde Hunde Verhaltens­weisen zeigen, die sowohl die Protestphase als auch die Verzweiflungsphase einer Trennungsreaktion kennzeichnen.

Die befragten Hundehalter gaben an, dass 36 % der Hunde nach dem Tod eines vertrauten Hundes weniger ­fraßen als vorher. Ungefähr 11 % ­hörten ganz auf zu fressen. Bei 63 % veränderte sich die Vokalisation: sie bellten, jaulten und winselten entweder mehr oder wurden ruhiger als vorher. Insgesamt 66 % der Hunde zeigten vier oder mehr Verhaltensänderungen, nachdem sie ihren vier­beinigen Hausgenossen verloren hatten. Mehr als die Hälfte der betroffenen Hunde zeigte sich dem Menschen gegenüber liebesbedürftiger und anhänglicher. Die Befragten gaben an, dass die Hunde veränderte Schlafgewohnheiten zeigten, mehr oder weniger schliefen und einen anderen Schlafort wählten. Hundehalter berichten auch, dass der überlebende Hund zumindest für eine gewisse Zeit nach dem Tod des Hundekumpels dessen Schlafplatz einnahm.

Das können Sie tun, wenn Ihr Hund trauert
Es gibt bestimmte Verhaltensänderungen eines Hundes, die auf das Vorliegen von Trauer hinweisen. Sie können Trennungsreaktionen und Trauer durch vorbeugendes Verhalten – wie separate Beschäftigung mit jedem einzelnen Hund, regelmäßig getrennte Spaziergänge, Gelegenheit zu Hundefreundschaften außerhalb des Haushaltes usw. – mildern. Wir versuchen bei menschlicher Trauer durch Gespräche, körperliche Nähe und Umarmungen zu trösten. Die stressdämpfende Wirkung des ­Oxytocins und der Endorphine, die auf Grund der Gespräche, der Nähe und des Körperkontaktes eines vertrauten Bindungspartners aktiviert werden, ist bekannt und wirkt auch bei Hunden. Tierärzte empfehlen, dem zurückgebliebenen Hund den toten Körper des verstorbenen Hundes zu zeigen, damit er die Veränderung registrieren kann und den Kumpel nicht vergeblich sucht. Das bestätigen auch erfahrene Mehrhundehalter.

Nehmen Sie Ihren Hund zum Rad­fahren, Joggen oder anderen Aktivitäten mit, die langsame aber längere Trab- oder schnelle Schrittgangarten in regelmäßigem Rhythmus beinhalten. Das aktiviert u. a. das Endorphin­system, wie bei menschlichen Langstreckenläufern. Stellen Sie ihn, wenn die Trauer sehr massiv ist und/oder über mehr als einige Tage dauert, Ihrem Tierarzt vor, denn die organschädigenden Wirkungen der massiven Cortisolüberproduktion müssen in jedem Fall verhindert werden. Ein Geriatrie-/Organprofil im Blutbild schafft hier Klarheit.

Geben Sie Ihrem Hund Zeit und be­halten Sie für die erste Zeit vertraute Routinen bei. Entfernen Sie nicht sofort alle Spielzeuge, Liege­plätze oder andere Gegenstände des verstorbenen Hundes. Vielleicht spendet der vertraute Geruch dem Hund Trost. Sie helfen Ihrem Hund durch Körperkontakt, Streicheln oder einfach durch liebevolle Nähe. Wenn einige Zeit vergangen ist, können Sie ihn mit Spielen, Training, sportlichen Aktivitäten und anderen Beschäftigungen, die ihn nicht überfordern, behutsam wieder für die Außenwelt interessieren. Manchmal berichten Hunde­besitzer, dass ein neuer Zweithund die Trauerphase eines intensiv trauernden Hundes beendet hat, das ist aber nicht immer so.

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