Tiermedizin: Moderne Krebstherapie

Von Dr. med. vet. Marlis Wessely

Wussten Sie, dass mittlerweile fast die Hälfte aller Hunde über 10 Jahre an Krebs erkrankt? Aber wussten Sie auch, dass Krebs von allen chronischen Erkrankungen jene ist, die am gezieltesten behandelbar und am ehesten heilbar ist?

Bei anderen chronischen Erkrankungen, wie beispielsweise Nieren- oder Herzversagen, gibt es kaum eine Chance auf Heilung, wie dies bei Tumorerkrankungen hingegen oft der Fall ist. Und selbst wenn eine Heilung nicht möglich ist, ist Krebs dank moderner Medizin meist gut kontrollierbar. Die Wissenschaft, die sich damit befasst, wird Onkologie genannt (von griechisch onkos – die Anschwellung, gemeint ist damit der Tumor, und logos – die Lehre).

Aufgrund der immer wieder gezogenen Parallelen zur Humanmedizin existieren viele Vorurteile und Missverständnisse im Bereich der Krebstherapie in der Veterinärmedizin. ­Diese ist nämlich nicht wirklich mit dem Humanbereich vergleichbar. Die Diagnose Krebs erzeugt in uns unweigerlich Angst und manchmal auch Hoffnungslosigkeit, verbunden mit dem Gefühl des Kontrollverlustes. Diese Gefühle entstehen unabhängig davon, ob der Patient ein Freund, Familienmitglied oder das geliebte Haustier ist.

Wenn wir uns mit der Diagnose Krebs bei unserem vierbeinigen Begleiter konfrontiert sehen, ist die Situation dahingehend eine schwierigere, weil wir als Halter wichtige und lebensverändernde Entscheidungen für unseren Hund treffen müssen, der ja vollständig von unserer Fürsorge abhängig ist und auf unsere Entscheidungen vertraut. Als Gegenleistung für das bedingungslose Vertrauen unseres treuen Begleiters wollen wir ihm ­gerade bei schweren Erkrankungen die bestmögliche Behandlung zuteil werden lassen, um ihm eine größtmögliche Lebensqualität zu ermög­lichen.

Was verursacht Krebs?
Krebs ist eine uneingeschränkte ­Teilung von Zellen, die auftritt, wenn die körpereigene Tumorzellabwehr überwunden wird. Krebs beginnt mit einer einzigen Zelle, welche sich dem normalen Zellwachstum entzieht und sich unaufhaltsam teilt. So kann sich Krebs unentdeckt vom Immunsystem über Monate bis Jahre ausbreiten. Dass eine solche Zelle sich plötzlich ungehemmt teilt und vermehrt, ist durch eine Mutation (Veränderung ihres Erbgutes) verursacht.

Neben einer Rasseprädisposition, also einer erblichen Ursache (d.h. dass bestimmte Krebsarten in bestimmten Rassen gehäuft auftreten), können auch zahlreiche andere Faktoren das Entstehen von Krebs beeinflussen. Einige davon können Sie als Halter Ihres Hundes selbst beeinflussen. Dazu gehört u.a. das Verhindern von Übergewicht als wichtige Tumor­prophylaxe.

Das Krebsrisiko wird weiter auch gesenkt durch ein Fernhalten von schädlichen Einflüssen wie bspw. Tabakrauch, Asbest, übermäßiger UV-Strahlung (gilt vor allem für weiße Tiere!), Pflanzenschutzmitteln und vielem mehr.

Da sich Krebserkrankungen bei unseren Haustieren sehr unterschiedlich gestalten können und vor allem in Bezug auf die Prognose (d.h. den Krankheitsverlauf) stark variieren ­können, ist eine möglichst exakte Diagnose vor dem Start der entsprechenden Therapie entscheidend. Dies ist meist mit einer Kombination aus Zytologie (mikroskopische Zelluntersuchung), Bildgebung und Blutuntersuchung im Rahmen des sogenannten Tumorstagings möglich. Jeder Tumor ist unterschiedlich und einzigartig. Zu wissen, um welchen Tumor es sich handelt und in welchem Stadium sich die Erkrankung befindet, ist Basis für eine erfolgreiche Behandlung. Lebensqualität ist das erste und oberste Ziel.

Je früher ein Tumorleiden entdeckt und behandelt wird, umso größer ist die Chance auf Heilung. Also zögern Sie nicht, wenn Sie oder Ihr Tierarzt den Verdacht einer Krebserkrankung bei Ihrem Hund haben. Hinweise auf eine Tumorerkrankung sind im Kasten auf dieser Seite zusammengefasst.
Bei der Diagnose Krebs ist ein rascher Therapiebeginn erforderlich. Denn ohne zielgerichtete Therapie wird sich der Tumor weiter ausbreiten und unweigerlich die Lebensqualität des Tieres einschränken und in weiterer Folge zum Tod führen. Mitunter riskiert man mit Abwarten oder zu später Abklärung schlechtere ­Chancen auf Heilung oder Behandlung, weil man dem Krebs Zeit gibt, groß zu werden und ggf. Metastasen zu entwickeln.

Grundsätzlich gibt es 3 Möglichkeiten Krebszellen zu bekämpfen. Diese drei grundsätzlichen Therapieoptionen werden nun im Einzelnen vorgestellt. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, dass in der modernen Tumortherapie immer öfter unterschiedliche Behandlungsoptionen kombiniert werden, um ein bestmögliches Resultat und eine maximale Überlebenszeit zu erreichen.

1) TUMORCHIRURGIE
In einer Vielzahl der Fälle ist eine ­chirurgische Entfernung des Primärtumors die Therapie der Wahl. Sie stellt auch die älteste Säule der Krebsbehandlung dar und ist bis heute die wichtigste. Die Tumorchirurgie bietet, sofern sie sorgfältig geplant und korrekt durchgeführt wird, die höchste Chance auf Heilung des Patienten.

Bevor eine chirurgische Krebsbehandlung durchgeführt wird, muss die Art sowie die Ausdehnung der bestehenden Krebserkrankung festgestellt werden. Dies findet während eines schon erwähnten sogenannten Tumorstagings (Untersuchung auf Metastasen = Tochtergeschwüre) und Gradings (Beurteilung des Tumors selbst) statt. Eine möglichst minimalinvasive Methode für die Gewinnung der Tumorprobe spielt eine große Rolle. Manchmal ist eine Punktion mit einer dünnen Nadel ausreichend, oft wird eine Biopsie für eine genaue Diagnose benötigt. Eine durchgeführte Tumoroperation ohne das vorherige Wissen um das biologische Verhalten und die Ausdehnung des Tumors kann fatale Folgen für die Gesundheit des Patienten haben. Im schlimmsten Fall kann es dazu führen, dass eine grundsätzlich heilbare Krebserkrankung in einen unheilbaren Zustand überführt wird.

Die meisten Fehler in der Tumorchirurgie werden bereits vor der Operation gemacht! Nur ein frühzeitig erkannter Tumor, dessen Verhalten bekannt und daher vorhersehbar ist, und eine auf diesen Tumor abgestimmte und geplante Operation bieten die Chance auf Heilung.

Vor allem bei lokal sehr aggressiven Tumoren der Haut und Unterhaut ist es notwendig, bei der Operation ausreichend Abstand vom sichtbaren Tumor zum gesunden Gewebe einzuhalten, um die Chancen auf eine komplette Entfernung zu gewährleisten. Eine unzureichende Entfernung eines bösartigen Tumors kann zu schwerwiegenden Folgen für den Patienten führen.

Manchmal sind nach großflächiger chirurgischer Entfernung von Tumoren spezielle Verschlusstechniken für die Haut (z.B. Lappenplastik) erforderlich, welche allerdings von Hunden sehr gut toleriert werden. In manchen Fällen ist es auch notwendig, die Chirurgie mit einer anschließenden Bestrahlung oder Chemotherapie zu kombinieren.

2) CHEMOTHERAPIE
Bei manchen systemischen Krebserkrankungen (z.B. Lymphdrüsenkrebs) oder solchen, die zu Metastasen ­neigen, ist oftmals eine Chemotherapie angezeigt. Diese kann als alleinige Therapie der Wahl durchgeführt ­werden oder in Kombination mit einem chirurgischen Eingriff. Eine Chemotherapie ist stets eine systemische Behandlung, die also im gesamten Organismus wirkt.

Die Chemotherapie bei Hund und Katze sollte man keinesfalls mit Negativbeispielen aus der Humanmedizin vergleichen. Eine Chemotherapie wird von Tieren in der Regel gut vertragen. Die Aufrechterhaltung der Lebensqualität hat in der Veterinärmedizin eine größere Bedeutung als eine Lebensverlängerung um jeden Preis!

Aufgrund der viel niedrigeren verwendeten Dosis verlaufen chemotherapeutische Behandlungen oftmals ganz ohne Nebenwirkungen für unsere tierischen Patienten. Gelegentlich können aber auch bei niedrigen Dosierungen Nebenwirkungen auftreten. (siehe Interview auf Seite 55). In aller Regel treten jedoch nicht nur keine Nebenwirkungen auf, sondern steigt während der Therapie sogar die Lebensqualität deutlich an. Bestes Beispiel dafür liefert die am häufigsten auftretende systemische Krebserkrankung beim Hund, der Lymphdrüsenkrebs. Die meisten Hunde werden mit stark angeschwollenen Lymphknoten, Appetitlosigkeit, Schwäche und einem deutlich verminderten Allgemeinbefinden vorgestellt. Bereits nach der ersten Chemotherapie sind in der Regel die Lymphknoten auf normale Größe zurückgegangen, der Appetit steigt, die Lebensfreude kehrt zurück.

Die Durchführung der ambulanten Chemotherapie erfordert nicht nur eine besondere fachliche Qualifikation des behandelnden Tierarztes, sondern bedarf auch spezieller Strukturen zur Lagerung, Herstellung und Entsorgung der sog. Zytostatika. In Österreich sollten nur Tierärzte Chemotherapien durchführen, welche Mitglied im veterinäronkologischen Netzwerk Österreichs sind (VONA).

Bei einer Chemotherapie wird ein Mittel verabreicht, welches bevorzugt jene Zellen abtötet, die sich am raschesten teilen, was eben bei den Krebszellen der Fall ist. Da diese Medikamente, die Zytostatika genannt werden, stark gewebereizend sind, muss die Applikation strikt intravenös erfolgen. Für jede Tumorerkrankung gibt es spezielle darauf abgestimmte Chemotherapieprotokolle, welche sich in aller Regel über mehrere Wochen erstrecken. Zwischen den jeweiligen Behandlungen sind Pausen von 1-4 Wochen vorgesehen. Die Kosten pro Behandlung variieren je nach Preis für das angewendete Medikament von 120-350 Euro. Sollten wider Erwarten Nebenwirkungen auftreten, welche die Lebensqualität in einem Ausmaß negativ beeinflussen, wie es vom Tierhalter nicht gewünscht ist, kann ein Therapieprotokoll zu jedem Zeitpunkt unterbrochen werden. Für manche spezielle Tumorerkrankungen existieren auch Zytostatika in Tablettenform, welche vom Tierhalter selbst oder vom Tierarzt verabreicht werden können.

3) BESTRAHLUNGSTHERAPIE
In manchen Fällen (insbesondere bei lokal sehr aggressiven Tumoren) ist eine Strahlentherapie für eine Heilung notwendig. Die Bestrahlung ist im Gegensatz zur systemischen Chemo­therapie eine lokale Therapieform. Die Bestrahlung wird in mehreren Teilbehandlungen (sog. Fraktionen) verabreicht, meist täglich (Montag-Freitag) 1-3 Wochen in Folge. Die Durchführung von Bestrahlungs­therapien ist speziellen Einrichtungen (zumeist Universitäten) vorbehalten. Für jede Bestrahlung ist eine kurze Narkose des Tieres notwendig, um zu gewährleisten, dass auch nur exakt das geplante Gebiet bestrahlt wird. Die für die Bestrahlung eingesetzten Geräte sind moderne sog. Linearbeschleuniger, welche Elektronen durch ein elektrisches Hochfrequenzfeld beschleunigen.

Zu den Einsatzgebieten für eine primäre Strahlentherapie oder eine Kombinationstherapie zählen unter anderem Hauttumoren, Tumoren der Maulhöhle und der Nasenhöhle sowie Gehirntumoren. Die Bestrahlung eignet sich auch dazu, Schmerzen zu nehmen, wie sie beispielsweise bei Knochentumoren sehr stark sein können. Sie findet dabei auch Anwendung in Fällen, die nicht heilbar sind, um wenigstens die vom Tumor verursachten Symptome (v.a. Schmerz) zu lindern. Diese Art der Therapie wird Palliativtherapie genannt.

Fazit: Lebensqualität vor ­Lebensdauer
Egal, welche Therapiemaßnahmen für die Behandlung eines an Krebs erkrankten Tieres notwendig sind, an oberster Stelle steht stets die Lebensqualität. Diese zu gewährleisten muss das Ziel aller in der Veterinäronkologie tätigen Tierärzte sein. Nebenwirkungen treten aufgrund der reduzierten Dosis, wie erwähnt, nur selten auf und dürfen den Hund nicht deutlich belasten. Lebensqualität geht vor Lebensdauer.

Krebs ist von allen chronischen Erkrankungen die am ehesten heilbare und heutzutage eine gut behandel­bare. Mit modernen Behandlungs­konzepten gelingt es, eine Alternative zur Euthanasie bei der Diagnose Krebs zur Verfügung zu stellen. Spezialisierte Zentren bieten Ihnen Hilfestellung im Umgang mit dieser vielseitigen Erkrankung.

HINTERGRUND

Mögliche Symptome von Krebs beim Hund

Wenn eine oder mehrere der vorgestellten Symptome bei Ihrem Hund auftreten, sollten Sie nicht zögern, sofort einen Tierarzt aufzusuchen.

  • abnormale Schwellungen, die nicht zurückgehen oder ­kontinuierlich wachsen
  • nichtheilende Wunden
  • unerklärbarer Gewichtsverlust, verminderter Appetit, chron. Erbrechen und/oder Durchfall
  • Verhaltensänderungen, Wesensveränderungen, Stimmverlust
  • Schwierigkeiten beim Fressen oder Schlucken
  • Blutungen oder Ausfluss aus ­Körperöffnungen
  • Leistungsintoleranz, Atem­beschwerden, Husten
  • Anhaltende Lahmheit
  • Schwierigkeiten beim Harn- und Kotabsatz
  • Unangenehmer Körpergeruch

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