Tierheimhund – Listenhund – Therapiehund – Eliot

Von Anna Hitz

Ich lerne Eliot, den Listenhund, auf einem Spaziergang kennen. Er ist mit einer Schulterhöhe von 58 Zentimetern für einen American ­Staffordshire Terrier etwas zu groß ­geraten. Das liegt an ­seiner Mutter, die halb Boxer, halb Am-Staff-Terrier ist. Eliots Blick ist weich und irgendwie nachdenklich, so als ob er verstanden hätte, dass das Leben manchmal ­seltsame Wege geht.

Eliots Start ins Leben: Das Tierheim wurde sofort misstrauisch, als eine American Stafford-Mix Hündin abgegeben wurde. „Sie hat gebissen", erklärte die Halterin. Das Gesäuge der Hündin war stark geschwollen und Milch trat aus. Das Tierheim ­informierte das Veterinäramt. Fünf Tage später konnten die mittlerweile 10 Tage alten Welpen im Tierheim wieder ihrer Mutter zugeführt werden. Die Halterin wollte die zwölf Welpen von Hand ­aufziehen, weshalb sie die Mutterhündin ins Tierheim gebracht habe, wie sie erklärt. Ob die Hündin tatsächlich gebissen hat, ist unklar. Sicher ist, dass das Vertrauen der Hündin zur Halterin erkennbar schlecht war. Und Vertrauen braucht eine Hündin, gerade wenn sie Welpen hat.

Fünf Monate später wurde Priska Schärer auf den Wurf aufmerksam. Ihre ­Eltern wollten einen Hund, doch sollte Priska von Anfang an involviert sein, um die Eltern zu unterstützen. Priska Schärer besaß bereits eine ­American Stafford-Hündin und hatte die mediale Hetze gegen die Hunde mitverfolgt. Als sie das Tierheim besuchte, fiel die Wahl sofort auf Eliot. Während ihre Eltern noch Bedenkzeit brauchten, hatte Priska sich bereits entschieden. Als sie beim Auto ankamen, sprang Eliot in den Kofferraum. „Jetzt ­fahren wir zu den Kindern", erklärte ihm Priska Schärer. Er schaute sie an, gab aber nicht zu erkennen, ob er sich freut. Das änderte sich, sobald sie im Z.E.N. (Zentrum für Entwicklungsförderung und ­pädiatrische Neurorehabilitation) angekommen waren. Eliot wollte sofort aus dem Auto springen, doch er musste warten, bis er sein orangefarbiges Halstuch und Halsband umgelegt bekommen hatte. Schnurstracks lief er dann auf den Eingang zu.

Vom Listen- zum Therapiehund
Im Kanton Bern, wo Priska mit Eliot lebt, gibt es keine Listenhunde oder speziellen Vorschriften für unterschiedliche Rassen. Trotzdem besucht Priskas Mutter bis heute wöchentlich die Hundeschule, wo Eliots besonderes Wesen bereits als Junghund auffiel. „Die Kursleiterin witzelte immer, ob ich Eliot Beruhigungsmittel verabreicht hätte", erzählt Priska Schärer, dabei ist Eliot einfach so. Mit der Zeit reifte die Idee in ihr, aktiv zu zeigen, was Eliot für ein besonderer Hund sei. Zu zeigen, dass in ihm, seiner Rasse und den anderen Listenhunden gute und liebenswürdige Wesen stecken. „Kampfhunde", erklärt sie, „durften den Menschen nie beißen. Sie waren ,Arbeitshunde‘, die im Hunde­kampf Geld verdienen sollten, zu den Kindern und der Familie aber absolut loyal sein mussten. Gegenüber Menschen bissige Hunde wurden stets sofort ausgemerzt. Sie wollen alles für ihren Menschen machen und sind ihm absolut ergeben, darum konnte man sie überhaupt dazu bringen zu kämpfen. Kein Hund würde das von sich aus machen."

Auf die Idee mit dem Therapiehund kam Priska Schärer durch die eigene Geschichte. Mit 13 Jahren erkrankte sie an Krebs und musste für längere Zeit ins Spital. Die verschiedenen Animationsprogramme, die den Kindern und Jugendlichen helfen sollten, ihre Sorgen zu vergessen, empfand sie als lästig. Der Familienhund war damals ihr größter Trost. Jemand, mit dem sie sprechen konnte, ohne dass falsche Worte folgten. Jemand, der sich neben sie legte und einfach da war. Jemand, der sie nicht beurteilte.

Als sie Eliot bei der Ausbildungsstätte „Verein Therapiehunde Schweiz" anmelden wollte, wartete eine Enttäuschung. Listenhunde hätten keinen Platz in diesem Ausbildungslehrgang, hieß es. Davon hatte Priska Schärer nirgends etwas gelesen. Als Aufnahmebedingung wurden keine besonderen Rassen genannt, sondern die folgenden Kriterien:

• Menschenbezogene, freundliche Hunde
• Hunde, die ihre Rangordnung im ­Menschenrudel akzeptieren und sich am Hundeführer orientieren
• Nervenstarke Hunde, die bei tier­gerechter Führung belastbar sind
• Hunde, welche sich mit ihresgleichen vertragen und deren Jagdinstinkt ­kontrollierbar ist
• Hunde, die einfühlsam und ­konsequent erzogen wurden
• Körperlich gesunde Hunde

„Ich habe so oft angerufen und auf die Organisation eingeredet, bis sie irgendwann nachgaben und Eliot zur Eignungsprüfung zuließen – und zwar als Boxer-Mix. Zwar warnte man mich, dass ich mit Eliot als Listenhund keine Aufträge bekommen würde, aber das sei ja dann mein Problem", erzählt Priska.

Eliot bestand die Aufnahmeprüfung ­problemlos. Trotzdem war die Skepsis der Kursleiter zu Beginn groß. Doch als sie sahen, wie ruhig und ausgeglichen Eliot sich in allen Situationen benahm, wich das Misstrauen. Nicht bei allen, erzählt Priska Schärer, es gab Kursteilnehmer, die Eliot vom Anfang bis zum Schluss nicht dabei haben wollten und das auch deutlich machten.

Über die Treppe hinauf, den Gang entlang, hinein in den abgetrennten Raum, der mit weichen Matten ausgelegt und fröhlich dekoriert ist, das ist Eliots Arbeitsweg. Ein Mädchen wartet bereits auf ihn, den Oberkörper auf einem Kissen aufgestützt. Ruhig legt sich Eliot zu ihr. Legt seinen Körper dicht an die Beine des Mädchens. Ihre Füße fangen an sich über ihn zu bewegen.

Im Einsatz
Nachdem Eliot die Prüfung zum Therapie­hund bestanden hatte, war für Priska Schärer klar, dass sie Kinder besuchen wollte. Die Ausbildung fand viel in Altersheimen statt, und viele der Therapiehunde haben heute ihren Tätigkeitsbereich dort. „Altersheim­besuche sind einfacher, denn diese Leute be­wegen sich langsam und man kann ­ihnen den Umgang mit Hunden erklären. Manche hatten auch selber einen Hund." Priska Schärer nahm ihre Tätigkeit im Z.E.N. auf, wo sie und Eliot 12 ­Kinder mit angeborener oder er­worbener Hirnschädigung betreuen. Zu Beginn kam sie alle 14 Tage, heute jede Woche. Bei sehr intensiven Patienten, wie einem Wachkomakind, welches sie bis zum Ende begleiteten, kamen sie auf Wunsch der Eltern mehrmals die Woche. Eliots Aufgabe bestand darin, sich auf das Bett zu legen und einfach beim Kind zu sein. Ob und inwiefern das Kind Eliot erkannte, ist schwer abzuschätzen. Auffällig war, dass es immer, wenn er kam, ein besonderes Geräusch machte. Seine Mimik ver­änderte sich, wenn Eliot wieder ging. Ein paar Mal bewegte es sogar die Hand. Ob Eliot mit den Kindern spricht oder ob es einfach sein Fell und der warme, ruhige Körper ist, der die Kinder bewegt, ist ein Geheimnis. Doch fällt es einem schwer zu denken, dass er ihnen nichts mitteilt, wenn er sich gelassen zu den Kindern legt und sich von einem besonders stürmischen Jungen nicht abwendet, sondern sich noch näher an ihn herankuschelt, wie um zu sagen: „Natürlich darfst du das, ich hab dich lieb."

Die Kinder berühren ihn mit Händen, Füßen, Beinen, Gesicht. Manchmal legen sie sich nahe an Eliot oder auch auf ihn drauf. Sie streicheln, patschen, manchmal zwicken sie auch. „Für diese Kinder ist Eliot ein Farbtupfer in ihrem Alltag", erklärt Priska Schärer. Sie bekommen Abwechslung, etwas Neues zum Anfassen und Kontakt zu einem Tier. Auch wird Eliot manchmal in therapeutische Behandlungen mitein­bezogen, denn wenn es darum geht, Eliot anfassen zu dürfen, ­arbeiten die Kinder viel lieber mit. Manche von den Kindern haben Tiere zuhause. Doch ­viele dieser Tiere verweigern den ­Kontakt mit gehandicapten Kindern.

Herausforderungen
Während der Ausbildung werden die Hunde auf das trainiert, was den ­anderen Haustieren so schwer fällt: Menschen mit ungewöhnlichen Bewegungsmustern, laute, ungewohnte Geräusche, Rollstühle, Gehhilfen, ungeschickte Streicheleinheiten. Alles das ­gehört für Tiere meist nicht zur Normalität und muss ihnen erst gezeigt werden. Für behinderte Menschen ist es, je nach Handicap, schwer bis unmöglich, die eigene Motorik zu kontrollieren. Auch wenn Priska Schärer darauf bedacht ist, dass kein Kind kneift oder an schmerzhaften Stellen zieht, kann es eben doch passieren. Manchmal wird auch gepatscht, geklopft oder an Eliot herumgeschoben. Deshalb achtet sie darauf, dass Eliot immer eine offene Seite hat. Er soll immer die Möglichkeit haben, aufzustehen und wegzugehen, wenn es ihm zu viel wird. Auch arbeitet sie nicht mit Futterbelohnungen. „Natürlich könnte ich den Hund mit Gutties in eine Situation locken, die für den Menschen praktisch ist. Aber das will ich nicht. Wenn ich Eliot die Wahl lasse, geht er in die Situation, weil er es möchte und kann. Hunde, die zu stark bedrängt ­werden und nie zeigen dürfen, wie es ihnen dabei geht, können ­plötzlich zupacken. Dann wundern sich die Leute nachher, wieso das passiert ist."

Gerade bei einer solchen Arbeit, bei der dem Hund so viel zugetraut wird, muss der Hund seinem Halter vertrauen können. Für ihn muss die Situation überschaubar sein und lösbar. Angst, Unsicherheit und Erschrecken können unangenehme Folgen haben. Auch hinaus, auf die Ausflüge, möchte Priska Schärer die Kinder mit Eliot begleiten. „Im Wohnheim hat man mich gewarnt, dass man auf der Straße wegen der ­Kinder blöd angemacht wird. Aber da habe ich schon gelernt darüberzu­stehen." Im Alltag begegnen sie immer wieder Leuten mit Vorurteilen. „Erst streicheln sie Eliot, und wenn ich ihnen erkläre, dass er ein Listenhund ist, ­rücken sie von ihm ab."

Doch als aktives Mitglied von „Bullstaff Hilfe" hatte sie schon so einiges gesehen und wusste, dass die Hunde nicht Täter, sondern Opfer sind. Deshalb erstellte sie auch die Facebook-Seite „Eliot. Der ­Therapie-Listenhund", um zu zeigen, was möglich ist, wenn die richtigen Menschen hinten an der Leine stehen. Ganz entgegen der Prophezeiungen von „Verein Therapie­hunde Schweiz" haben Priska und Eliot mehr Anfragen als sie bewältigen können, dabei ist es ihr wichtig offen zu kommunizieren, was für ein Hund zu Besuch kommt. ­Abgelehnt wurden sie deshalb noch nie.

Auch für die „Sterntaler" sind sie im Einsatz und besuchen durch diese Organisation schwerkranke Kinder, ­behinderte Kinder, Kinder, die ein ­Familienmitglied verloren haben, oder Kinder mit Krebs. Ein weiteres Ziel von Priska Schärer ist, auch die an Krebs erkrankten Kinder im Inselspital Bern mit Eliot besuchen zu dürfen. „Früher waren dort Therapiehunde erlaubt. Doch heute macht man sich wegen der ­Hygiene große Sorgen. Dabei könnte man die Besuche doch in einem dafür vorgesehenen Raum abhalten."

Auch einen Kindergarten sollen sie bald besuchen, um bereits den kleinen Kindern den richtigen Umgang mit Hunden zu zeigen und ihnen die Angst zu nehmen. Schulen fragen bei ihr an und möchten, dass Eliot sie besucht. Doch zurzeit kann Priska Schärer nur vertrösten. Ihr Terminkalender ist voll. Die Einsätze mit Eliot bestreitet sie ehren­amtlich. Nachts arbeitet sie Vollzeit in der Uhrenindustrie. Tagsüber, wenn sie nicht bei einem Einsatz ist, kümmert sie sich um ihre drei anderen Hunde. Trotzdem möchte sie sich im therapeutischen Bereich weiterbilden und besucht hierfür die Ausbildung „Fachkraft für tiergestützte Therapie und Pädagogik".

Nach dem Einsatz
Die Einsatzdauer variiert. Wenn die Kinder gut drauf sind, bleiben sie länger. Diesmal ist es nach zwei Stunden für die Kinder Zeit zu essen. Auch Eliot ist nach der Therapie müde. Obwohl er vor allem bei den Kindern liegt und ihnen Körper­kontakt gibt, merkt man, dass er ge­arbeitet hat. „Nach den Therapien sucht er sich immer ein stilles ­Plätzchen, wo er für sich sein kann", erzählt Priska Schärer. „Auch die anderen Hunde sind ihm dann oft zu viel. Deshalb lebt er vor allem bei meinen Eltern. Dort hat er seine Ruhe. Meine Eltern merken gleich, wenn er in einer Woche mehrere Therapien gehabt hat. Dann zieht er sich die ersten Tage besonders viel zurück." Aber, betont Priska Schärer, „es besteht kein Zwang für Eliot. Wenn es ihm nicht gut geht oder er nicht möchte, muss er nicht in die Therapie. Und falls er eines Tages gar nicht mehr will, ist das sein gutes Recht."

Noch ist es nicht soweit. Wenn Eliot auf dem Spaziergang Kinder oder Menschen im Rollstuhl sieht, will er immer sofort hin, sich zu ihnen setzen und ihnen Nähe geben. „Einmal", erzählt Priska Schärer, „war er mit meiner Mutter in der Hundeschule. Da kam eine ­junge Frau im Rollstuhl zu Besuch um zu­zusehen. Meine Mutter musste die ­Stunde abbrechen. Denn Eliot ging zu der Frau hin, setzte sich neben sie und ließ sich partout nicht mehr zum Mit­machen bewegen."

Es ist dunkel, als wir zum Auto gehen. Mit einem Seufzer springt Eliot in den Kofferraum. Priska Schärer streichelt ihn und zieht ihm sein Halstuch und sein Halsband aus. „Das hast du gut gemacht", sagt sie. Zuhause wartet ein besonders guter Keks auf ihn, erklärt sie mir, und die verdiente Ruhe.

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