Die Art und Weise, wie der Mensch Hunde als seine Gefährten hält, ist von Land zu Land verschieden. Kulturen, Traditionen und Umweltbedingungen bestimmen auch die Hundehaltung. In einem Land von der Größe Kanadas unterscheidet sich die Hundehaltung in den Großstädten stark von der in den kaum besiedelten Gebieten dieses weiten Landes.
Die Tierarztpraxen in den großen Städten sind oft auf verschiedene Krankheiten spezialisiert. Es gibt Krebsspezialisten, Röntgenologen und Zahnärzte für Tiere, und nicht wenige Hundebesitzer in Nordamerika sind bereit, ihrem vierbeinigen Freund eine Zahnkrone für einen zerbrochenen Zahn oder eine teure Chemotherapie zu finanzieren.
Die etwas andere Tierarztpraxis
Die Praxis von Dr. Robert Koszegi in dem kleinen Ort mit dem poetischen Namen "100 Mile House" im Inneren von Westkanada ist weit entfernt von jeglicher städtischer Zivilisation. Mit etwa 15.000 Einwohnern und dem nächsten Tierarzt in einer Entfernung von über 90 Kilometern herrscht hier eine andere Realität … Die Menschen, die in diesem rauen Klima hier leben, sind zumeist Farmer und Rancher mit ihren Rinderherden, sowie Pferdezüchter. Zusammen mit zahlreichen Hunden und Katzen garantieren diese Umstände dem South Cariboo Animal Hospital ein volles Haus das ganze Jahr über. "Viel Arbeit gibt es hier für mich", erklärt Dr. Koszegi, "Von Frühjahr bis Oktober sind es zumeist die Tiere der Farmer, die mich brauchen, dazu kommen im Sommer die Haustiere der Touristen, und in den langen kalten Wintern sind es hauptsächlich die Heimtiere, aber auch Wildtiere, welche oft tierärztlicher Behandlung bedürfen."
Schwänze und Ohren froren ab
Erst vor wenigen Jahren kam Dr. Koszegi in diese Klinik. Nach seinem Tierarztstudium mußte er ein Praktikum absolvieren. Aber anstatt eine Stelle für Kleintiere zu suchen, was seinem speziellen tierärztlichen Interesse entsprach, entschied er sich, bei Dr. Miles Johnson weit oben im Norden Kanadas in der Provinz Saskatchewan zu praktizieren. "Er war der bestmögliche Lehrer für mich", sagt Dr. Koszegi, "ich hätte in dieser Praxis 20 Jahre lang bleiben können, wenn ich gewollt hätte, aber das Leben dort war so unglaublich hart mit Temperaturen um die – 40 Grad und eisigen Winden, die über die Prärie heulten. Wenn die Kühe im Winter nicht die Möglichkeit hatten, in einem geheizten Stall zu kalben, froren den neu geborenen Kälbchen einfach die Ohren und Schwänze ab." So verließ Dr. Koszegi nach ein paar Jahren diese Region, um seine eigene Praxis aufzumachen. Und wie der Zufall spielte, war gerade das Tierspital in 100 Mile House zu verpachten. Dr. Koszegi nahm das Angebot an – und nach einigen Jahren konnte der Tierarzt die Praxis selbst kaufen. Zusammen mit einem Team von 5 Leuten, darunter Teilzeitmitarbeiter und freiwillige Helfer, versorgt er das geschäftige, vielseitige Tierspital. "Wir haben wirklich die unterschiedlichsten Tierarten zu betreuen, wobei aber die Hauptarbeit in der Zeit des Kalbens liegt. Die Ranches dieser Region werden allerdings zunehmend kleiner, sodaß wir nun auch mehr und mehr Heimtiere wie Hunde und Katzen sehen, was ich großartig finde. Ich liebe alle Tiere, und es gibt wirklich keinen Teil meiner Arbeit, der mir nicht gefallen würde. Farmer betrachten ihre Tiere wie eine Geldanlage, während Heimtierbesitzer oft auch in teurere Therapien investieren, die mich als Tierarzt stärker herausfordern.
Die Waffe sitzt locker …
Es war nicht das Geld, was Robert Koszegi primär an seiner Arbeit faszinierte. Er träumte seit seinem 4. Lebensjahr davon, Tierarzt zu werden, und blieb diesem Kindheitstraum zeitlebens treu. Kranken Tieren zu helfen, wieder gesund zu werden, war und ist sein Lebensinhalt und es verwundert daher auch nicht, daß er auch Wildtiere und Greifvögel, die verletzt zu ihm gebracht werden, gratis behandelt. Viel Zeit und Sorge schenkt er auch herrenlosen Hunden und Katzen, und sein Haus gleicht oft einem Heim für verletzte Tiere, die keiner mehr haben will. "Ich habe drei Hunde", erzählt er, "einer ist ein Pit Bull Terrier, den eines Tages Hippies mitbrachten. Er hatte eine Schußverletzung im Halsbereich. Dann habe ich einen Kojoten, den mein Bruder gefunden hat. Er hat zwar neurologische Probleme, kommt aber gut mit den anderen aus. Der dritte Hund verlor ein Bein als er 5 Jahre alt war. Heute ist er 16 und immer noch glücklich und zufrieden. Und dann habe ich noch sieben Katzen."
Und Hunde mit Schußverletzungen sind nicht selten, im Gegenteil, das ist eine der häufigsten Verletzungen, die im Tierspital behandelt werden. Manche sind Jagdunfälle, aber am häufigsten sind es Schüsse von verärgerten Nachbarn. Hier hat nämlich jeder das Recht, einen Hund zu erschießen, wenn er jagt, und viele benutzen das als Ausrede, um einen lästigen oder bellenden Hund loszuwerden. Ein weiteres häufiges Problem sind Verletzungen, die daher rühren, daß Hunde von den Ladeflächen der Pickup-Trucks fallen – ein üblicher Sitzplatz für Farmerhunde, oft auch auf dem Highway bei 110 km/h.
Tollwut, Parvo und Herzwurm
Dr. Koszegi interessiert sich sehr für Weichteilchirurgie und dieses Gebiet kommt in seiner Praxis wahrlich nicht zu kurz. Es sind aber nicht nur Wunden und Knochenbrüche, welche die tägliche Routinearbeit ausmachen. Erkrankungen wie Tollwut, Parvovirose, Borelliose und Herzwurmkrankheit treten in dieser Region auf. Vorsorgeimpfungen wie auch die Therapie dieser Erkrankungen ist ebenfalls Teil der Arbeit von Dr. Koszegi.
“Parvovirose bricht hier etwa 2-3 mal jährlich aus. Es ist die häufigste Erkrankung in dieser Region und diejenige, welche sich am raschesten ausbreitet. Auch die Tollwut ist nicht allzu selten. Hunde und Katzen infizieren sich zumeist durch eine Fledermaus. Nicht unbedingt durch deren Biß, aber wenn eine erkrankte Fledermaus am Boden herumflattert, beschnüffeln die Hunde natürlich das Tier neugierig. Die Herzwurmkrankheit verbreitet sich über Insekten, und während der Sommermonate gibt es hier genug davon. Flöhe dagegen haben wir hier kaum. Vergangenen Winter hatten wir Temperaturen bis unter – 40 Grad Celsius und da überlebt auch keine Flohpopulation."
Tierquälerei und Ethik
Eine Tierarztpraxis im tiefsten Kanada hat mit vielen Krankheiten zu tun, von denen der durchschnittliche Hundehalter nichts weiß. Aber auch Grausamkeiten sind keine Seltenheit. Zusammen mit der RCMP (Royal Canadian Mounted Police) und Vertretern von Tierschutzorganisationen wurde Dr. Koszegi Zeuge schrecklicher Beispiele von Tierquälerei. "Einmal kamen wir zu einer Farm, wo die Hälfte der Hunde am Boden festgefroren war. Es war unglaublich kalt, und die Hunde waren mangels ausreichender Fütterung so schwach, daß sie sich nicht vom Boden erheben konnten und so festfroren. Wir mußten sie aus dem Eis heraus hacken. Gottseidank überlebten die meisten."
Grausamkeiten an Tieren ist etwas, das der kanadische Tierarzt nicht ertragen kann. Trotz der Forderung von Hundehaltern weigert er sich beispielsweise, Ohren und Ruten zu kupieren. Auch schläfert er keine Welpen oder gesunde Hunde ein, nur weil sie ein Besitzer loswerden will. "Aber obwohl das kanadische Gesetz einen Tierarzt verpflichtet, den Wünschen des Tierbesitzers nachzukommen, fühlen meine Mitarbeiter und ich uns besser, wenn wir nur das tun, was wir auch ethisch vertreten können. Manchmal weigern sich Hundebesitzer, einen jungen und gesunden Hund, den sie nicht mehr wollen, an ein neues Zuhause vermitteln zu lassen, und drohen damit, den Hund zu erschießen. Aber dann überzeuge ich sie, mir den Hund zu überlassen, und ich finde dann meist ein neues Heim für den unglücklichen Vierbeiner. Für mich als Tierarzt bedeutet Tieren zu helfen Krankheiten zu heilen oder vorzubeugen. Leider werde ich viel zu oft gebeten, ein Tier ohne Grund einzuschläfern. Aber deswegen bin ich nicht Tierarzt geworden …"
Das South Cariboo Animal Hospital und Dr. Koszegi sind gute Beispiele dafür, daß in einem sowohl physisch wie auch mental rauen Klima auch ethische Gedanken und Taten ihren Platz haben. Und es ist auch gut zu wissen, daß das Wohlbefinden von Tieren wichtiger ist, als das Klingeln in der Kasse.
502
Vorheriger Artikel