„Manchmal würde ich gerne einfach nur weglaufen und weinen, aber das ist kontraproduktiv für die armen Vierbeiner. Also versuche ich mich zusammenzureißen”, seufzt Dr. Ursula Goetz, die Cheftierärztin der englischen Tierschutzorganisation Mayhew. Dann atmet sie tief durch und geht wieder in die Baracke, die dem städtischen Tierheim Tiflis als Vorbereitungsraum für Operationen dient, und bereitet sich auf den nächsten Eingriff vor.
Gerade ist eine vermeintlich einfache Kastration durch einen georgischen Tierarzt komplett schiefgelaufen und der Patient, ein Straßenhund aus Tiflis, wäre fast auf dem Operationstisch verblutet. Nur dem beherzten und routinierten Eingreifen von Dr. Uschi, wie sie von ihren Kollegen in Tiflis genannt wird, hat der Hund sein Leben zu verdanken.
Die aus Hessen stammende Tierärztin ist mit Mayhew International, dem international tätigen Ableger von Mayhew, zum wiederholten Mal in Georgien. Die Verbindung zu dem Kaukasusland besteht seit 2009, als die erste georgische Tierärztin an einem der vierzehntägigen Trainingskurse von Mayhew in England teilgenommen hat. Schwerpunkt dieser Trainingskurse ist das Sterilisieren von Hunden und Katzen, als Unterstützung für ein humanes Streunertiermanagement in den Herkunftsländern der Tierärzte. Seit 2013 besucht Mayhew International Georgien regelmäßig und berät seitdem unter anderem die Stadtverwaltung von Tiflis hinsichtlich der Gestaltung und der Verwaltung des städtischen Tierheims, aber auch hinsichtlich der Durchführung eines konsequenten Catch-Neuter-Vaccinate-Release (Einfangen-Sterilisieren-Impfen-Freilassen)-Programms.
Dieses Programm ist die Grundlage für ein humanes Streunertiermanagement und leistet daneben einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Tollwut. Ein wichtiger Aspekt in Georgien, in dem die Tollwut noch eine Gefahr darstellt. 2016 wurden alleine in Tiflis fünf Hunde positiv auf Tollwut getestet.
Die am Programm teilnehmenden Hunde werden mit farbigen Ohrmarken versehen. Sie signalisieren den Bewohnern der Stadt, dass von ihnen keine Tollwutgefahr ausgeht. Das erhöht die Akzeptanz der Anwohner und steigert dadurch die Lebensqualität der Hunde, die eher geduldet werden als nicht markierte Tiere. „Bei meinem ersten Besuch in Tiflis wurde ich von den damals ausschließlich männlichen georgischen Tierärzten recht skeptisch betrachtet. Nach dem Motto: Da kommt diese westeuropäische Ausländerin und versucht uns etwas beizubringen“, erzählt Dr. Uschi. „Das hat sich aber inzwischen deutlich geändert. Speziell seit sich die von mir ausgebildeten Tierärzte einen hervorragenden Ruf bei ihren georgischen Kollegen außerhalb von Tiflis erworben haben. Da heißt es dann, kein Wunder, dass ihr besser seid, ihr bekommt ja auch eine besondere Ausbildung“. Dr. Uschi ist sichtbar stolz auf diesen persönlichen Erfolg und ihre inzwischen sehr gute Beziehung zu den georgischen Kollegen.
Die Ausbildung der georgischen Tierärzte ist harte Arbeit. „An der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Tiflis gibt es zwei Hauptrichtungen, das Züchten und die Pflege von Haustieren“, erklärt Uschi, „Anatomie oder gar Chirurgie gehören nicht zum Lehrplan“. „Ich weiß gar nicht, ob und wann ich mich entschieden habe, Tierärztin zu werden. Das stand für mich irgendwie schon immer fest“, sagt Uschi, „genauso wie die Tatsache, dass ich im Tierschutz tätig sein und keine eigene Praxis haben wollte.“
Trotz schwerer Krankheit in ihrer Jugend setzt Uschi diesen Berufswunsch in die Tat um. Nach dem Studium arbeitet sie ein Jahr in Irland, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern, danach arbeitet sie für eine Firma in London, die Vertretungstierärzte an Tierkliniken vermittelt. Die Vorteile dieser Stelle: Sie wird gut bezahlt, neben ihrem Gehalt bekommt Dr. Uschi eine Dienstwohnung in London und ein Firmencabrio. Außerdem erlaubt ihr dieser Vertretungsjob einige Monate zu arbeiten, um dann mit dem gesparten Geld die nächsten Monate Tierschutzprojekte vor allem im asiatischen Raum mit ihrer Arbeit zu unterstützen. Als sie vor neun Jahren das Angebot bekommt, für Mayhew in London als Cheftierärztin zu arbeiten, verzichtet sie auf ihr gutes Einkommen, die Dienstwohnung und das Firmencabrio, und nimmt die Stelle an. „Von genau so einer Stelle habe ich immer geträumt“, erzählt Dr. Uschi. „Eine Mischung aus direkter Arbeit mit den Tieren, der Ausbildung neuer Tierärzte und Reisen in Länder, in denen die Veterinärmedizin eher unterentwickelt ist“. Dafür nimmt sie gerne in Kauf, dass ihre Arbeitstage deutlich länger sind als die anderer Tierärzte.
Gerade ist Dr. Uschi wieder einmal zusammen mit ihrer Chefin Caroline Yates, der Vorsitzenden von Mayhew und Mayhew International, in Georgien. Auf dem Programm stehen unter anderem Besuche in den städtischen Tierheimen von Tiflis und Georgiens zweitgrößter Stadt Gori. Außerdem operiert Uschi zusammen mit georgischen Tierärzten an einem von Mayhew International gesponserten „Free Spay Day“ in der Tierklinik der Landwirtschaftlichen Universität von Tiflis. Diese Klinik wird von Dr. Mariam Chkhikvishvili geleitet, die 2009 als erste georgische Tierärztin an dem Training bei Mayhew International in London teilgenommen hat. Während dieser Aktion können die Bewohner von Tiflis, die sich um Straßenhunde kümmern, diese kostenfrei sterilisieren und impfen lassen. Ein wichtiger Beitrag, um bei den Einwohnern das Bewusstsein für einen humanen und verantwortungsbewussten Umgang mit den Straßenhunden zu wecken und stärken.
Bei den Besuchen in den städtischen Tierheimen von Tiflis und Gori zeigt Dr. Uschi den georgischen Tierärzten die effektivsten und kostengünstigsten Operationsmethoden zur Sterilisierung von Straßenhunden und -katzen. Je schneller ein Tier nach der Sterilisation wieder entlassen werden kann, desto geringer sind die Kosten für das Tierheim und desto mehr Tiere können sterilisiert werden. Als Übersetzerin dient die georgische Tierärztin Ana, die gerade erst von ihrem vierzehntägigen Training bei Mayhew International aus London zurückgekehrt ist. Ana ist hocherfreut, dass sie die Möglichkeit hat, wieder mit Mayhew International zusammen zu arbeiten und diese Freude merkt man ihr auch an.
In Georgien ist der soziale Status eines Tierarztes erheblich schlechter als in Westeuropa, das macht sich auch beim Verdienst bemerkbar. „Gerade die angestellten Tierärzte verdienen hier sehr schlecht“, erzählt Uschi. „Im städtischen Tierheim Gori teilen sich zwei Tierärzte eine Stelle, dafür bekommt jeder umgerechnet 180 Euro im Monat.“ Das städtische Tierheim Gori hat ein Jahresbudget von 97.000 Lari, das entspricht etwa 37.000 Euro. Aus diesem Budget müssen dreizehn Angestellte bezahlt werden, etwa hundert Hunde müssen gefüttert werden, es müssen Medikamente gekauft werden – da bleibt kein Spielraum, um die dringend erforderlichen Baumaßnahmen am Tierheim durchzuführen. Die zum Tierheim gehörenden Hallen müssten einen vernünftigen Bodenbelag bekommen, die Anzahl der Zwinger müsste erhöht werden, der Operationsraum müsste dringend besser ausgestattet werden.
Während des Trainings in Gori, bei dem Dr. Uschi vom Personal des Tierheims Tiflis unterstützt wird, fällt ihr ein kleiner, abgemagerter brauner Rüde auf, der auf seinem durch einen Unfall verkrüppelten Hinterbein durch die Lagerhalle humpelt. Trotz seiner schweren
Verletzung und der Schmerzen, die sie verursacht, ist der Hund freundlich und wedelt fröhlich mit dem mageren Schwanz. Nach kurzer Rücksprache mit dem Personal in Gori wird dieser Hund ins Tierheim nach Tbilisi mitgenommen. Dort soll am nächsten Tag die Amputation des Hinterbeins eines anderen verletzten Hundes durchgeführt werden. Der Patient aus Gori wird trotz seines schlechten Allgemeinzustandes kurzerhand mit auf die Operationsliste gesetzt.
Am nächsten Morgen führt Dr. Uschi den anwesenden georgischen Tierärzten an Miro, so wird der kleine braune Rüde aus Gori mittlerweile genannt, die Amputation eines Hinterbeines vor. Die nächste Amputation an einem anderen Hund führt dann ein georgischer Tierarzt unter Dr. Uschis Aufsicht durch. Beide Amputationen verlaufen ohne Komplikationen und die operierten Hunde können drei Stunden nach der Amputation bereits wieder alleine laufen. Die ersten Versuche sind noch etwas unsicher, da sie ihr Gleichgewicht neu finden müssen und noch unter Drogen stehen, aber nach einer Stunde sind beide auf ihren drei Beinen schon zügig und vor allem schmerzfrei unterwegs.
„Wenn ich sehe, dass diese beiden Hunde in Zukunft wieder schmerzfrei leben können, dann weiß ich, warum ich diesen Beruf gewählt habe und warum ich niemals weglaufen werde“, lächelt Dr. Uschi zufrieden.
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