Vor 7 Jahren bekam Helene Weidschacher ihren Dalmatiner. Sie nannte ihn „Anton“, weil er einen Punkt am Kopf hatte, nach dem Film „Pünktchen und Anton“. Als er ca. zwei Monate alt war, fiel Helene auf, daß er auf das Vorbeidonnern einer Straßenbahn nicht reagierte. Zu Silvester beeindruckte ihn die Explosion eines Knallkörpers direkt neben ihm nicht. Spätere audiometrische Messungen ergaben, daß Anton erst Geräusche wahrnimmt, die die Stärke eines Preßlufthammers haben.
Der Körper spricht
Instinktiv hatte Helene ihrem Anton die sehr wichtige Übung „Herkommen auf Ruf“ dadurch beigebracht, daß sie mit ihm Versteckspiele veranstaltete. Anton wollte sie nicht verlieren und sah sich immer wieder nach ihr um. In diesem Moment hob sie stets ihren Arm ganz hoch und bewegte ihn dann in einem Bogen über vorne nach unten. Ein deutliches klares Sichtzeichen für Anton war geboren. Noch heute – mit fast 8 Jahren – befolgt er es verläßlich. Natürlich wurde Anton von Anfang an bei jedem Herkommen (auch beim selbständigen Herkommen unterwegs) freudig empfangen. Das „Bleib“ lernte er auch bald … eine schwere Übung für Anton, der an sein Frauerl sehr gebunden ist und ihr lieber nachlief. Es folgten noch etliche Alltagsübungen …
Sport für taube Hunde?
Schließlich wollte Helene Antons Fähigkeiten mit Hilfe von Vereinskursen noch erweitern. Das war aber sehr schwer, weil einerseits die Ausbildung tauber Hunde noch keine entwickelte Kursdisziplin oder Sportsparte war, andererseits auf den meisten Hundeplätzen läufige Hündinnen vom Platz nicht ferngehalten werden. Anton wurde nämlich „männlich“, d. h. erwachsen, und war ohne die wirksame Möglichkeit, Hörzeichen einzusetzen, sehr schwer von seinen natürlichen „Interessen“ abzuhalten.
1994 kam Helene in Kontakt mit dem bei uns erst seit wenigen Jahren bekannten Hundesport „Agility“, auch „Kontrolliertes Spiel“ genannt. Anton lernte sehr schnell die Hindernisse zu bewältigen. Er hatte viel Spaß daran. In seinem jugendlichen Überschwang und weil Helene ihm die Freude nicht nehmen wollte, war es noch recht schwer, ihn bei diesem Spiel zu kontrollieren, zumal Helene mit Rufen nur dann durchkam, wenn Anton aufgrund des großen Gesichtskreises, den Hunde ja haben, ihre aufgeregten Bewegungen bemerkte. Helene war anfangs verunsichert und glaubte, daß Anton vielleicht doch etwas höre. Es war eine schwere Zeit für sie, weil ihre Sportskameraden ihre Angaben über Anton noch weniger glauben konnten.
Ein besonderes Paar
Ich half in dieser Zeit als Ausbildnerin (v.a. für schwierigere Hund-Mensch-Teams sowie im Agilitysport) im ÖGV (Österr. Gebrauchshunde Sportverband) Donaustadt mit und wurde auf dieses besondere Paar aufmerksam. Da ich aber einen eher geduldig kontrollierenden Hundeführerstil habe, litt ich unter dem „lustigen“ Arbeitsstil des Paares Helene und Anton ziemlich. Mein Konsti hatte die damals höchste Agilityausbildungsstufe A2 seit zweieinhalb Jahren erreicht und nahm im Frühjahr 1994 mit mir an einem Perfektionskurs bei Max Heiniger aus der Schweiz teil. Mein Hund wurde als slalomsicher bezeichnet und gewann den Abschlußwettbewerb. Ich kam sehr begeistert heim. Max hatte uns einen eher einfachen, aber doch sehr neuen Weg für die Führung eines Hundes im Agilityparcour gezeigt. Daran mußte ich nun denken, als ich den tauben Anton auf dem Parcour beobachtete und Helenes zunehmende Verzweiflung sah. Sie wollte schon aufgeben, ließ sich aber dann doch überreden, den Versuch eines fünftägigen intensiven Trainings bei Max Heiniger zu wagen. Wir fuhren gemeinsam hin.
Das Schlüsselerlebnis
Helene hatte d a s Schlüsselerlebnis, als sie sah, daß auch hörende Hunde im Agilityparcour viel besser laufen, wenn ihr Mensch seine Körpersprache beherrscht und richtig anwendet.
Also rechnete sie sich große Chancen aus, mit Anton diesen Sport auch gut zu erlernen! Wir Menschen sind so auf verbale akustische Kommunikation fixiert, sodaß wir viel zu wenig berücksichtigen, daß Hunde sich untereinander hauptsächlich durch Körpersprache verständigen, besonders in der Vorwärtsbewegung. Helene faßte wieder Mut und erarbeitete sich – unterstützt durch weitere Agilityseminare und ihre Ballettvergangenheit – eine bewußte Körperführung. Vor allem das Bewegen der Schulterpartie seines Führers ist für den Hund auf dem Agilityparcour richtunggebend. Dies erlernte Helene so gut, daß sie mit Anton immer mehr schöne Agilityläufe absolvierte.
Trotz Taubheit vorne mit dabei
Mein Blick für Bewegungen ist durch mein Eurythmiestudium auch empfindsam, sodaß ich sehr genoß, die zunehmende Anzahl sehr harmonischer Läufe dieses Teams zu beobachten. Sie wurden auf dem Parcour eine wunderbare Bewegungseinheit. Da Anton auch sehr schnell sein konnte, erreichten die beiden immer wieder vordere Platzierungen bei Wettkämpfen, auch bei Weltmeisterschaftsausscheidungen, die das Niveau der höchsten Agilitystufe A3 hatten. Helene machte mit ihrem Anton zuerst eine erfolgreiche Agility-Prüfung und erst danach die BGH I Prüfung.
Hundesport als Erziehungsmittel
Das erste Seminar für die Erziehung von tauben Hunden und Problemhunden unter Zuhilfenahme des kontrollierten Spieles Agility zeichnet sich ab. Nachdem über die erfolgreiche Arbeit von Helene mit Anton in WUFF (Jänner 1997) und anderen Zeitschriften und in Deutschland im Fernsehen berichtet worden war, meldeten sich bei Helene Besitzer von tauben Hunden, aber auch anderen „Problemhunden“. Da Helene das spielerische Element bei der Führung von Hunden sehr wichtig ist, ließ sie die Hunde mit „echten“ Problemen (taube Hunde sind meist nicht problematisch, wenn man sich an die „Sprache“ hält, die sie verstehen; sie können nur zusätzlich – wie alle anderen auch – echte Probleme, d.h. Verhaltensprobleme haben) beim Agility „mitspielen“.
Agility als Therapie?
Und siehe da: Nach wenigen Malen berichteten die Besitzer, daß die Hunde im Alltag auch eine Abnahme des problematischen Verhaltens zeigten. An dieser Stelle muß ich einfügen, daß auch ich bei meinem Konsti – einem Setter-Schäfer-Mix, der ein starker Angstbeißer gewesen war – heilsame „Nebenwirkungen“ des Agility beobachtet hatte und bei diesen Berichten hellhörig wurde.
So wurde die zweite interessante Spur sichtbar, die Helene bestärkte, Agility nicht nur als Leistungssport zu betreiben, sondern einfach auch als Erziehungsmittel einzusetzen. Nach meinen Erfahrungen begeisterte mich Helenes Initiative sosehr, daß ich mich entschloß, sie dabei mitdenkend und tatkräftig zu unterstützen.
Recht auf Leben
Eine dritte Impulsspur, die zum Veranstalten solcher Seminare führte, ist der Tierschutzgedanke: Obwohl Helene für eine strenge Zuchtauslese ist und möchte, daß weder mit hörenden Eltern tauber Welpen noch mit halbseitig tauben Hunden gezüchtet wird, tritt sie dafür ein, daß bereits geborene Welpen, die als taub erkannt werden, eine Lebensberechtigung erhalten. Taube Hunde sind – wie oben ausgeführt – nicht von vorneherein Problemhunde. Sie sind unter Berücksichtigung einiger Prinzipien gut erziehbar und können auch die Aufgabe wunderbar erfüllen, einem Menschen Lebensgesellschafter zu sein.
Erstes Seminar dieser Art
Soweit uns bekannt werden konnte, ist es das erste Seminar in Mitteleuropa oder sogar einem noch größeren Raum (Sollten aber doch noch andere derartige Initiativen bestehen, sind Sie gebeten, sich bei uns zum Zwecke eines Erfahrungsaustausches und einer Zusammenarbeit zu melden).
Auch deshalb wollte Helene Besitzern solcher Hunde, die nicht so nahe wohnen, daß sie etwa wöchentlich zum Kurs kommen können, eine Chance geben, für die Erziehung ihrer Hunde Hilfestellung zu bekommen. Auch hatten sich aus Deutschland schon Interessenten gemeldet.
Das Seminar
Das Seminar fand am ersten Augustwochenende, dem 5. und 6. August 2000 statt. An dieser Stelle sei unser großer Dank an den ÖGV Vet. Med. ausgesprochen, besonders an Herrn Ernst Kisser, der es uns möglich machte, das Seminar auf dem Vereinsgelände abzuhalten. Wir hatten unser helles freundliches Vereinsheim zur Verfügung, in dem wir die – trotz gewittriger Wetterlage – dennoch wenigen Regenzeiten mit theoretischen Betrachtungen und Übungen verbringen konnten. Helene berichtete von speziellen Eigenarten seelischer als auch körperlicher Art von Dalmatinern. Sie gab auch Einblick in ihre Erfahrungen bei der Arbeit im erzieherischen Bereich und im speziellen über ihre Erfahrungen bei der Arbeit mit Problemhunden unter Zuhilfenahme des „Kontrollierten Spieles Agility“. Deshalb widmete sie einer Einführung in Agility einige Zeit und machte mit den Teilnehmern auch kleine mentale Übungen zur Anwendung der Körpersprache in ‚Agility‘.
Den größten Teil der Zeit verbrachten wir auf unserem eingezäunten Übungsgelände bei praktischen Übungen für die Alltagserziehung und Agility und einer Verkehrsübung, bei der die Teams Begegnungen mit anderen Hunden, Läufern und Radfahrern erproben konnten.
>>> WUFF – INFORMATION
Hundliche Lebensschicksale
Mir fiel auf, daß alle am Seminar teilnehmenden Hunde besondere Schicksale hatten und ihre Besitzer sich viel Mühe gegeben hatten, ihnen bei der Verarbeitung dieser Vergangenheit zu helfen. Es waren einige gerettete Hunde dabei, z.T. von Helene selbst vermittelt, die in den letzten Jahren schon Anlaufstelle für taube Hunde geworden war.
Sollte eingeschläfert werden
Ein Hund hätte z.B. mit 9 Monaten eingeschläfert werden sollen. Der damit beauftragte Tierarzt rief Helene an und bat sie um Hilfe. Der Hund war seiner Familie lästig geworden und als aggressiv zum Zwecke des Einschläferns bei dem Tierarzt gelandet. Helene suchte und fand am selben Tag eine liebe Sportkameradin aus unserem Verein, die ihn sofort zu ihren Hündinnen aufnahm und behielt, bis er seinen jetzigen Platz gefunden hatte. Der Hund war seither nie mehr aggressiv.
Wir beide – Helene und ich – glauben immer mehr, daß Hunde spüren, was in ihrer Umgebung vor allem ihnen gegenüber – auch gedanklich – vor sich geht, und mit ihren Möglichkeiten reagieren. Dieser Hund war vielleicht bei seinen sanften Beschwichtigungsversuchen nicht verstanden worden und hatte dann mit Bellen oder Knabbern Gehör zu finden versucht.
In Ungarn fast erschlagen worden
Ein anderer Hund, mit dem Helene schon ein paarmal gearbeitet hat, hatte in einer Mülldeponie in Ungarn auf sein Erschlagenwerden gewartet und war von dort gerettet worden. Er war ganz verängstigt gewesen und in kein Auto eingestiegen. Nach ca. 6 Monaten ist er ein Prachtkerl, der ins Auto einsteigt und mit seinem knapp 14-jährigen Herrchen schon sehr gut zusammenarbeitet.
Am Anfang aggressiv
Der dritte taube Rüde ist ein Dalmatiner-Münsterländer-Mischling aus einem Tierheim, der auch eine Zwischenstation erlebt hat, und mit seinen damals 9 Monaten die Welt anscheinend nicht genug kennengelernt hatte. Er hatte auf Stadteindrücke sehr irritiert bis aggressiv reagiert. Helene hatte mit ihm schon geübt und er war schon ausgeglichener. Er stellte sich mit seinen Menschen zusammen sehr geschickt an.
Routinierter Pflegehund
Eine inzwischen ältere taube Hündin war auch schon „routinierter“, weil sie bei Helene als Pflegehund bereits – wenn auch schon einige Jahre alt – eine Ausbildung genossen hatte.
Dem Züchter zurückgegeben
Ein junges Mädchen war mit einem tauben Bordercolliewelpen aus Deutschland gekommen. Der Hund war seinen Besitzern wegen der Taubheit eine Mühe geworden und wiederum zu seinen Züchtern zurückgekommen.
Daß auch die Besitzer der anwesenden Hunde besondere Menschen sein dürften, zeigte sich z. B. auch darin, daß die – auch aus Deutschland angereisten – Züchter des zweiten tauben Welpen – eines Dalmatiners – den Hund entgegen ihren normalen Plänen behielten, als sie merkten, daß er taub ist.
Ein neues Zuhause
Es nahmen sieben ganz taube Hunde und ein halb tauber Hund teil. Der halb taube Hund hatte auffällige Orientierungsprobleme. Zusätzlich waren noch die hörende Mutter des tauben Welpen und ein von den kanarischen Inseln geretteter kleiner Mischling dabei, dessen Herrin den Umgang mit tauben Hunden studieren wollte. Der halb taube Hund hat im Laufe der zwei Tage eine Lebenskameradin gefunden. Helene hatte wiederum von einem Dalmatiner gehört, der einen Platz suchte: Eine 6-jährige hörende Hündin war von ihrer Familie in der Tierklinik hinterlassen worden, weil man fürchtete, sie könne das Kind schnappen. Es war wirklich ergreifend zu beobachten, wie dieser verschüchterte Hund – wohl ein Opfer der derzeitigen „Öffentlichkeitsarbeit“ – in den zwei Tagen seine neue Familie adoptierte und dabei aufblühte. Wir hoffen alle, daß dieses Glück für das restliche Leben dieses Hundes anhält.