Ende März hatte ich eine Woche lang beruflich in Thailands Hauptstadt Bangkok zu tun. Mein erster Besuch in Asien hatte nichts mit Hunden zu tun, aber natürlich fielen sie mir sofort auf. Die vielen Hunde in Bangkoks Strassen, die scheinbar ohne Besitzer herumstreunten oder untertags bei 37 Grad Celsius und extrem hoher Luftfeuchtigkeit herumlagen. Sobald es mir meine berufliche Tätigkeit dort (ich hielt Vorträge auf einem Röntgenkongress der südostasiatischen Radiologen und war zudem von der Universität Bangkok eingeladen) erlaubte, besorgte ich mir in einem Laden eine billige Kamera, um sie zu besuchen und abzulichten – sie, meine vierbeinigen asiatischen Freunde. Die billige Kamera erwähne ich deshalb, um damit die nicht ideale Fotoqualität der Abbildungen meines Berichtes zu erklären. Aber die ganze Angelegenheit war ja auch völlig ungeplant.
Freundliche Distanz
Als ich in Bangkok das erste Mal den Strassenhunden begegnete, mich hinhockte und sie lockte, und sie vorsichtig wedelnd mir näher kamen, wenngleich stets eine minimale Distanz wahrend, beschlich mich ein eigenartiges Gefühl: Da bin ich 11 Stunden Flugzeit entfernt von zuhause, in einem ganz anderen Kulturkreis und trotzdem schienen mir diese Vierbeiner, die mich da freundlich-musternd anblickten, wie alte Bekannte. Ich fühlte mich auf irgendeine Weise bei diesen Hunden zuhause. Nicht daß ich jetzt die Mutter Theresa der Hunde Bangkoks würde, nein, ich hatte auch nicht das Gefühl, daß sie hier und jetzt Hilfe bräuchten; es war nur einfach so ein unbestimmtes Gefühl der Verbundenheit mit diesen Vierbeinern, für die ich mich in und mit WUFF zuhause einsetze.
Asiatische Reaktionen auf Strassenhunde
Auf einem grossen Markt in Bangkok verfolge ich schon seit 10 Minuten den Weg eines Strassenhundes von Stand zu Stand, vorbei an den krähenden, unter einem Strohkorb gefangenen Kampfhähnen, vorbei an einem Gemisch an fremden Gerüchen, teils angenehm, teils penetrant. Ich spaziere in etwa 10 Meter Abstand hinter dem Hund, der sich auf jedem Marktstand immer nur kurz aufhält, dort stehenbleibt, schnuppert und um sich schaut. Man meint, er sucht Blickkontakt, sozusagen als Voraussetzung für Futterkontakt… So wirkt das ganze zumindest. Die Augen der so kontaktierten Menschen reagieren unterschiedlich. Nur wenige sind abweisend oder schauen böse, die meisten sind eher indifferent, blicken den Hund an ohne jegliche Reaktion, mit unergründlicher asiatischer Ruhe. Bei gar nicht so wenigen aber erhellt sich die Miene beim Anblick des vierbeinigen Kurzbesuches, sie locken den Hund und werfen ihm sogar einen Fisch oder andere Dinge zu, die ich nicht identifizieren kann, die aber offensichtlich vom Hund gerne und vor allem gierig gefressen werden.
In einem anderen Bezirk von Bangkok, wo sich ein Strassenhändler an den anderen reiht, sehe ich einen Hund von einem zum anderen gehen und sich an die Knie der oft sitzenden Verkäufer zu drücken, was gar nicht so selten zu einem spontanen Streicheln des Hundes führt. Dieser Hund war also in seiner Nachbarschaft zumindest wohlgelitten. Als ein anderer Hund entgegen kommt, stellt der eine die Rute auf, bellt zweimal, der andere hat verstanden, dreht sich um und läuft in die andere Richtung. Die thailändische Hundesprache unterscheidet sich da gar nicht von der unsrigen, bzw. verstehen sich Hunde vermutlich in der ganzen Welt – solange man ihnen die Ausdrucksmittel (wie Ohren und Ruten) nicht abschneidet …
Hundeausstellung in Bangkok?
Im Hotel lag vor meiner Tür jeden Morgen die „Bangkok Post“, eine dicke Zeitung in englischer Sprache. Sofort fiel mir natürlich das Foto eines Pudels zusammen mit der Prinzessin Bhajara Kittiyaha auf, in der Bildunterschrift eine Meldung über die Eröffnung einer Hundeausstellung in Bangkok vom Vortag. Das schien mir schlicht unglaublich. Eine Hundeschau in Südostasien? In der Hoffnung, daß diese – so wie bei uns – vielleicht zwei Tage dauert und ich sie daher besuchen und fotografieren könne, riss ich mir in WUFF-mäßigem „Jagdfieber“ sofort diese Seite heraus, lies mir ein Taxi kommen und zeigte dem Fahrer diese Meldung, damit er mich zu dieser Ausstellung brächte, nach dem Zeitungsbericht in der Sri Charoen Square Hall auf dem Markt von Chatuchak. Nach gut einer Stunde Fahrt blieb der Taxler bei einem großen, für mich sehr unordentlich wirkenden, schmutzigen und stinkenden Markt stehen und bedeutete mir, daß wir am Ziel wären. Nun, ich erwartete irgendwie eine Halle oder wenigstens ein Zelt oder eine Art Freigelände – aber nichts von alldem. Der Markt war wie eine Stadt aus zusammengewürfelten engen überdachten Läden, die voneinander durch schmale Betonkanäle abgegrenzt waren, in denen trübes, stinkendes Abwasser floss. Und da sollte eine Hundeausstellung sein, die noch dazu von der Prinzessin des thailändischen Königshauses eröffnet wurde?
Kampfhähne statt Hundeschau
Ich traute dem Taxifahrer nicht ganz und zeigte ihm immer wieder den Zeitungsausschnitt. Der aber nickte ständig und bedeutete mir, auszusteigen. So zahlte ich meine 100 Baht und stieg aus. Beim erstbesten Stand zückte ich wieder den Zeitungsausschnitt und man zeigte in eine Richtung, die ich dann einschlug. Die schien dann auch zu stimmen, da mir auf meinem Weg weitere hilfreiche Thai-Hände immer wieder dieselbe Richtung wiesen. Solange, bis ich schließlich in einen Bereich des Marktes gelangte, in dem unter zahllosen großen geflochtenen Körben, die umgedreht auf dem Boden standen, Hähne krähten, die feilgeboten wurden. Da ich bei einem der Körbe stehen blieb, hielt man mich auch gleich für einen ausländischen Interessenten und bot mir einen „fighting cock“, einen Kampfhahn an. Da ich aber kein Kaufinteresse zeigte, sondern vielmehr immer wieder meinen Zeitungsausschnitt vorwies, gelangte ich endlich an einen Thai, der zu verstehen schien, was ich suchte. Er bedeutete mir, ihm zu folgen und so durchquerten wir weitere Stände und schmutzige Baracken, bis wir zum Rande dieses Marktes auf eine Strasse kamen, an der ein Auto parkte, dass in einem Käfig mehrere junge Siberian Huskys feilbot. Sie wirkten recht munter und gesund, aber ich wollte ja keine Welpen kaufen, sondern suchte die Hundeausstellung … Arm waren die jungen Hunde trotzdem bei dieser Hitze!
Nach drei Stunden in diesem Markt, bei 37 Grad und feuchtschwüler Luft, kam ich schließlich zur Entscheidung, meine Suche nach der Hundeausstellung zu vergessen und mich vielmehr auf die Suche aus diesem Marktgebiet heraus zu machen, zu einem Taxi, das mich wieder ins Hotel zurückbringt.
Friedliche Koexistenz von Zwei- und Vierbeinern
Aufgefallen ist mir, dass alle Hunde, die ich sah, durchwegs nicht schlecht genährt waren. Und dass sie – anders als in den übrigen Ländern des südostasiatischen Raumes – nicht als „Nutztiere” betrachtet werden. Die Strassenhunde von Bangkok leben in einer Art friedlicher Koexistenz mit den Einwohnern dieser Vielmillionenstadt, teilweise auch in freundschaftlicher Beziehung. Ja, die gibt es auch: Die ganz „normalen” Haushunde, so wie wir sie kennen, die verschiedensten Mischlinge und Rassehunde, die Pudeln und Yorkshire Terrier, die Beagles und Schäfer, die in den Wohnungen und Häuser der Thais leben, als vierbeinige Gefährten.
Ist Bangkok anders?
Die Freiheit der Strassenhunde von Bangkok und das indifferente bis freundliche Verhalten der Thais zu ihnen hat mich überrascht. Was ist wohl der Grund dafür, dass hier in Thailand Hunde nicht so grausam abgeschlachtet werden, wie in andern Ländern in dieser Ecke der Welt? Was unterscheidet Thailand von den anderen? War es, dass Thailand im Gegensatz zu etwa Laos, Kambodscha, Vietnam usw. stets ein freies, nicht besetztes Königreich war, worauf dieses Land sehr stolz ist? Auch fiel mir die lockere, entspannte und sehr freundliche Lebensart der Thais – auch im beruflichen Bereich – auf, so ganz anders als zum Beispiel das hektische und nervöse Treiben der Asiaten in Hongkong oder Singapore.
Aufgefallen sind mir auch die vielen religiösen Symbole, von den kleinen Buddhastatuen auf dem Armaturenbrett der Autos, oder die größeren Statuen vor den Hotels und anderen Häusern, wo jeden Morgen frisches Obst und Blumen lagen. Lag es vielleicht in der buddhistischen Frömmigkeit, dass die Thais sich Hunden gegenüber relativ respektvoll verhielten? Ich wähnte mich auf der richtigen Spur bei der Erklärung dieses Phänomens und machte mich in eine Buchhandlung im Zentrum Bangkoks auf, um mir grundlegende Literatur über den Buddhismus zu besorgen. Und da fand ich dann auch die Zitate des Buddha über die Achtung vor allen Arten des Lebens. Nichts fand ich, was davon sprach, sich die Erde untertan zu machen, sie auszubeuten und zu nützen, vielmehr sprach der Buddha davon, im Gleichklang mit der Natur zu leben. „Achtet alle Wesen, fügt ihnen nicht Schmerz zu und tötet sie nicht”.
Des Buddhas Schutz der Strassenhunde
Durch meine beruflichen Kontakte in Bangkok (der eigentliche Grund meines Besuches waren ja nicht die Hunde), kam ich mit vielen Thais zusammen, unter anderem auch mit einer Professorin der Chulalongkorn Universität. Beim Mittagessen in der Mensa nutzte ich die entspannte Gelegenheit, um ein Gespräch über die Strassenhunde in Bangkok und das Verhältnis ihrer Landsleute zu Hunden zu führen. Und tatsächlich, es bestätigte sich meine Vermutung, dass es primär philosophisch-religiöse Gründe sind, welche den traditionellen Thai zur nicht unfreundlichen Einstellung gegenüber den Strassenhunden veranlassen. Es ist dies vor allem der buddhistische Glauben an die Wiedergeburt aller Lebewesen, solange, bis sie ins Nirwana eingehen, und in diesen Reigen der Wiedergeburt gehören natürlich auch die Hunde. Auf meine Frage, wie man in Sachen Wiedergeburt denn zu Schweinen und Hühnern stünde, deren Fleisch gerne auf Thailands Speisezettel steht, erhielt ich ein freundliches Lächeln: „Hunde essen hat in Thailand eben keine Tradition“ war die zunächst ausweichende Antwort. Und nach einer Sekundenpause der Nachsatz: „Wer nach den Lehren des Buddha lebt, isst ohnehin kein Fleisch, daher auch keine Schweine oder Hühner.“ Und etwas langsamer schob sich die thailändische Frau Professor ein Stückchen Hühnerfleisch auf die Gabel (Thais essen nicht mit Stäbchen, sondern mit Gabel und Löffel).
Lehre der Wiedergeburt
Also die Lehre der Wiedergeburt ist es – wer weiss, vielleicht ist der weisse Strassenhund da mein Urgroßonkel oder wird dieser schwarzbraune Vierbeiner mit dem verfilzten Fell morgen mein Chef? Natürlich wird man dem nichts antun, er könnte sich ja im nächsten Leben rächen? Nein, das würde er nicht, meint meine nächste Gesprächspartnerin zum Thema Hunde, eine thailändische Vertreterin für pharmazeutische Produkte. „Im nächsten Leben nach der Wiedergeburt weiss man nichts vom vorherigen Leben.“ Alles klar, also doch keine Rache zu befürchten, wenn ein Thai dem Hund einen Tritt gibt? „Thais, die nach traditionellen Grundsätzen ihres Landes leben, fügen anderen Lebewesen keine Schmerzen oder Tod zu, das könne ich in den Lehren des Buddha nachlesen, der von den meisten Menschen in Thailand verehrt wird.“
Wieder im Hotelzimmer – ich sollte mich an sich auf meinen nächsten Vortrag auf dem südostasiatischen Röntgenkongress vorbereiten – schlug ich dennoch in meinen zwischenzeitlich gekauften Büchern über Buddha nach und fand tatsächlich zahlreiche Stellen, welche die Aussagen von Frau Ratanamahatana belegten (siehe Kasten).
Mein Vortrag vor dem erlauchten Publikum der königlich-thailändischen Röntgengesellschaft war dann trotz verkürzter Vorbereitungszeit recht gut aufgenommen worden und grossen Beifall erhielt ich dann vor allem zu Ende meines Vortrages, als ich launisch den Gastgebern für ihre Freundlichkeit dankte, die gute Ausrichtung und das hohe Niveau des wissenschaftlichen Kongresses lobte und schliesslich auch kurz meine Erfahrungen mit Bangkoks Strassenhunden und mit Buddhas Lehren erwähnte. Das letzte war zwar ungeplant, aber es ergab sich, es musste irgendwie raus und es hatte jedenfalls allergrößtes positives Echo.
Das war knapp!
Ein grosser Schreck dann im Auto – einem Volvo – einer jungen Röntgenologin aus Bangkok, die mich zum Shopping verführen wollte. Knapp vor der Einfahrt ins Parkhaus eines grossen Einkaufszentrums am Rande Bangkoks standen drei Strassenhunde genau in der Einfahrt und meine Begleiterin machte keine Anstalten zu bremsen, wenngleich wir auch nur im Schritttempo fuhren. Mir hingegen fuhr der Schreck in die Glieder, ich rief „attention, the dogs“ – die aber trotteten gerade noch rechtzeitig und trotzdem gemächlich zur Seite. Natürlich kam dann von mir ein leiser Vorwurf an die thailändische Lady, was wäre, wenn … aber das ließ diese nicht gelten, denn die Hunde würden eben nur dann weggehen, wenn man nicht bremse. Und überhaupt hätte sie noch niemals einen Hund mit der Stossstange berührt, geschweige denn überfahren. Gut, ich glaube ihr. In Gedanken reihte ich sodann die junge Kollegin in die Kategorie der „indifferent-zu-Hunden-Thais“. Das Hauptthema beim Shoppen waren dann doch wieder die Hunde und sie bestätigte mir ihre buddhistische Grundeinstellung und ihre Achtung vor dem Leben, auch vor dem Hundeleben.
Mit allen lebenden Wesen
Im Gespräch mit Thais bekam ich auch die Information, daß in der Wertung der Reihe der Wiedergeburt – deren Ziel ja in der Vollkommenheit des Menschseins als höchste Stufe mit Eingang in das Nirwana besteht – der Hund sozusagen die letzte Stufe vor dem Menschen sei. Ich konnte diese Aussage aber in der mir zur Verfügung stehenden Buddhaliteratur bisher noch nicht finden.
Warum also die Thais, deren Leben stärker mit der Philosophie des Buddhismus durchdrungen ist als andere südostasiatische Völker, Hunde und damit auch ihre Strassenhunde achten, liegt in eben dieser speziellen Ethik. Das sittliche Verhalten, die buddhistische Ethik, gründet sich auf die umfassende Vorstellung allliebender Güte und des Mitleids mit allen lebenden Wesen. Das ist die Grundlage aller Aussagen des Buddha und sozusagen „Minimalstandard“ eines zumindest teilweise am Buddha orientierten Lebens. Und in diesem Sinne meine ich, dass die Strassenhunde von Bangkok gewissermaßen unter Buddhas Schutz stehen.
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