Stimmungs­übertragung zwischen Hund und Mensch

Von Sophie Strodtbeck

Jeder Hundehalter kann ein Lied davon singen: von der wundersamen Stimmungsübertragung, die sich nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Hund und Mensch regelmäßig beobachten lässt. Damit Stimmungen übertragen werden können, bedarf es ganz besonderer kleiner Zellen im Gehirn: der sog. Spiegelneuronen. Sie rücken zunehmend in den Fokus der Forschung. Bei Menschen und auch bei Affen ist ihre Existenz längst nachgewiesen, beim Hund gehen Forscher davon aus, auch fündig zu ­werden. Die zahlreichen Phänomene der Spiegelung zwischen Hunden sowie zwischen Menschen und ihren Hunden sprechen jedenfalls dafür, dass auch hier Spiegelneuronen im Spiel sind.

Warum lächeln wir automatisch zurück, wenn uns jemand zulächelt? Warum öffnen fast alle Erwachsenen den Mund, wenn sie ein Baby füttern? Warum fühlen wir körperliche Schmerzen, wenn uns jemand von seinem letzten Zahnarztbesuch erzählt? All das passiert automatisch, noch bevor wir uns darüber bewusst werden. Es handelt sich um sog. Resonanzphänomene, die intuitiv Gesten oder auch Gefühle ­übertragen. Diese Resonanzphänomene ­beruhen auf der Arbeit der sogenannten Spiegel­neuronen im Gehirn, zu­mindest beim Menschen und beim Affen ist das nachgewiesen.

Giacomo Rizzolatti, ein italienischer Hirnforscher von der Universität in Parma, beschäftigt sich mit der Erforschung von Nervenzellen, die Handlungen planen und steuern und daher auch „Handlungsneurone“ genannt werden. Sie liegen im Gehirn im prämotorischen Cortex und damit in der Nachbarschaft der motorischen Hirnrinde, in der die „Bewegungsneurone“ ansässig sind, die das Kommando über die Muskelbewegungen haben. Diese Handlungsneurone feuern elektrische Signale ab, kurz bevor die Bewegungs­neurone aktiv werden.

Rizzolatti wies mit Hilfe der funktionellen Kernspintomographie nach, dass im Gehirn eines Affen die gleichen neuralen Prozesse ablaufen, egal ob der Affe eine Handlung selbst ausführt oder diese nur beobachtet. Er stellte fest, dass die Abläufe im Gehirn der Affen dieselben sind, wenn sie eine Nuss finden, danach greifen und diese verspeisen, oder nur durch eine Glasscheibe beobachten, wie Artgenossen das tun. Die Nervenzellen, die beim Beobachten die gleichen Reaktionen zeigen wie beim selbständigen Handeln, nannte Rizzolatti Spiegelneurone. Seit Rizzolattis Entdeckung sind die Spiegelneurone zum weltweiten Objekt der Forschung geworden.

Warum sind wir so müde?
Folgeuntersuchungen ergaben, dass sich mehr Hunde vom Gähnen eines ihnen bekannten Menschen anstecken ließen, als wenn der „Vorgähner“ ein unbekannter Mensch war. Daraus schließt man, dass Hunde durchaus Empathiefähigkeiten besitzen.
Auch das Geräusch des Gähnens reicht aus, um unsere Hunde gähnen zu lassen: man zeichnete den Klang von 29 gähnenden Hundehaltern auf und spielte diese Aufnahmen dem zum Halter gehörigen Hund vor. Danach wurden die Hunde zur Kontrolle auch mit der Aufzeichnung des Gähnens einer unbekannten Person und mit bekannten/unbekannten anderen Geräuschen konfrontiert. Gähn-Geräusche führten bei 41 Prozent der Hunde zu einer Reaktion und der Klang des Gähnens einer vertrauten Person rief deutlich mehr Reaktionen hervor als das Gähnen eines Unbekannten. Ein weiterer Hinweis darauf, dass Hunde „Empathie-Gähnen“ ­zeigen.
Aber natürlich kann das Gähnen auch andere Ursachen haben. Dass Hunde als Übersprungshandlung in stressigen Situationen Gähnen ­zeigen, ist bekannt. Noch nicht überall bekannt ist leider, dass Gähnen keine Beschwichtigungsgeste gegenüber anderen ist, oder zumindest, dass das noch nie nachgewiesen wurde. Aber das ist ein anderes Thema …
In einer weiteren Untersuchung an 60 Tierheimhunden wurden diese mit einem gähnenden (unbekannten) Menschen konfrontiert. Es wurde sowohl die Gähn-Reaktion als auch der Speichelcortisolspiegel, der bei physiologischem Stress ansteigt, gemessen. Ansteckendes Gähnen trat zwar nur bei 20 Prozent der Tierheimhunde auf, aber interessanterweise bei den gähnenden Hunden mit einem erhöhten Cortisolspiegel. Diese Ergebnisse legen nahe, dass auch das „Stressgähnen“ als Ansteckung auftreten kann (und trotzdem nichts mit Beschwichtigung zu tun hat).
Ansteckendes Gähnen wurde übrigens auch beim Wolf nachgewiesen, was bedeutet, dass dieses Verhaltens­merkmal bei Hunden nicht erst durch die Domestikation und das enge Zusammenleben mit Menschen entstanden ist, sondern vom Wolf abstammt. Biologen vermuten, dass ansteckendes Gähnen den in Gruppen lebenden Tieren hilft, ihre Aktivitäten im Tagesverlauf zu ­synchronisieren und kooperatives Verhalten zu ­fördern.
Resonanzphänomene sind auch beim Hund bekannt, auch wenn bei Hunden der direkte Nachweis der Spiegel­neuronen noch nicht erbracht ist. Gähnen Sie Ihren Hund doch einmal an! Sie werden feststellen, dass er sich in vielen Fällen davon zum Mitgähnen verleiten lässt. An der Londoner Universität wurde das Phänomen auch wissenschaftlich untersucht: Demnach haben sich von 29 Hunden, die dem Gähnen eines Wissenschaftlers zuschauten, 72 Prozent vom ­Gähnen anstecken lassen, während sich Menschen vom ansteckenden Gähnen der Wissenschaftler gerade einmal mit ca. 60 Prozent mitreißen ließen und unsere nahen Verwandten, die Schimpansen, gar nur zu 33 Prozent auf unser Gähnen eingingen und es spiegelten. Um sicherzugehen, dass die Hunde nicht einfach das Öffnen des Mundes imitierten, setzten sich die Wissenschaftler ein zweites Mal vor die Hunde hin und öffneten und schlossen mehrmals ihre Münder, jedoch ohne zu gähnen. Die Hunde zeigten keine Reaktion.

Zauberwort Stimmungsüber­tragung
Leider hat auch die Stimmungsübertragung, wie alles im Leben, zwei Seiten, denn natürlich werden auch negative Emotionen vom Hund aufgefangen und gespiegelt. Gehen Sie mal in gereizter Stimmung, weil Sie gerade mit Ihrem Nachbarn oder Chef Ärger hatten, mit Ihrem Hund an der Leine (die das Phänomen oft noch verstärkt) hinaus und begegnen Sie einem anderen Hund. Oder denken Sie an den letzten Spaziergang abends im Dunkeln alleine im Wald, als Ihnen unheimlich war und Ihr Hund besonders schreckhaft reagiert hat.
Das Wissen um dieses Phänomen kann man sich aber gut zu Nutze machen: wenn der Mensch es erst einmal schafft, „runterzufahren“, wird auch der Hund in den meisten Fällen wesentlich ruhiger bleiben. Da man Hunden in Sachen Stimmungen nichts vormachen kann, wird es nicht helfen, wenn man trotz innerer Wut dem Hund mit säuselnder Stimme ein „feeeeeeiiiinnnn“ an den Kopf wirft, sehr wohl aber, wenn man selbst erst einmal zur Ruhe kommt und weiß, was man eigentlich will. Nur dann kann man die ruhige Bestimmtheit auch auf den Hund übertragen. Ich stelle mich in so einem Fall auf die Leine, zähle Wolken und fröne dem Nikotin. Wenn Sie Nichtraucher sind, hilft es auch, erst einmal tief durchzuatmen. Dann kann’s losgehen. Wenn das nicht hilft, weiß ich inzwischen, dass ich in bestimmte Situationen mit meinem Hund nicht reingehe: Meine Beagledame Andra ist eigentlich ein Lamm, wenn es um Hundekontakte geht. Nachdem ich aber bereits dreimal die Situation hatte, dass ich „auf 180″ und gehetzt zur Spielstunde am Hundeplatz ankam und sie sich daraufhin, entgegen ihrer Art, einen ­schwächeren Hund aussuchte, um ihn zu „vermöbeln“ (Nein, es ist nichts Ernsthaftes passiert!), bin ich inzwischen dazu übergegangen, die Meisterin der Stimmungsübertragung erst mal im Auto zu lassen, bis ich mich wieder beruhigt habe. Und ich tröste mich damit, dass sie eben ein ganz besonders empathisches Beaglechen ist …
Hunde sind also sehr feinfühlige Tiere, die unsere Stimmungen und sogar feinste Stimmungsveränderungen wahrnehmen. Hunde spüren, ob wir traurig, gereizt, verärgert, entspannt oder fröhlich sind, und reagieren darauf. Wenn der Mensch ausgelassen, übermütig und fröhlich ist, wird der Hund sich von diesem Gefühl mit sehr großer Wahrscheinlichkeit anstecken lassen. Oder, analog zum Angähnen von Hunden, deuten Sie Ihrem Hund gegenüber doch mal eine Spielaufforderung an, lachen Sie ihn dabei an und ducken Sie Ihren Oberkörper ruckartig ab: die meisten Hunde springen sofort darauf an und beantworten diese Geste wiederum mit einer Vorderkörpertiefstellung ihrerseits. Dieses gespiegelte Verhalten lässt sich auch regelmäßig unter spielenden Hunden beobachten.

Die „Joint Attention“
Das optische Aufbereitungs- und Interpretationssystem ist nur dann beteiligt, wenn die Sehrinde Bilder von lebenden Akteuren liefert; führen Maschinen die Handlungen aus, bleibt es inaktiv. Es hat also nur die Aufgabe, zu deuten, was auf die Absichten oder Empfindungen anderer Lebewesen schließen lässt: Körperbewegungen, Gesichtsausdrücke, Mundbewegungen und vor allem die Blicke der anderen. Das führt dazu, dass wir die Blicke nicht nur wahrnehmen, sondern in einer spontanen und rein intuitiven Reaktion unsere eigenen Blicke danach ausrichten. Die gemeinsame Aufmerksamkeit oder auch „Joint Attention“ beschreibt also die gleichzeitig gerichtete Aufmerksamkeit zweier oder mehrerer Individuen auf dasselbe externe Ziel und die Bewusstheit, dass diese Aufmerksamkeit geteilt ist. Auch wenn es zum optischen Aufbereitungs- und Interpretationssystem des Hundes noch keine Daten gibt, kennen wir alle solche Reaktionen – und zwar in beide Richtungen. Schauen Sie mal abrupt in eine bestimmte Richtung, und der Blick Ihres Hundes wird Ihnen folgen. Unbewusst oder auch bewusst nutzen wir diese Erkenntnis auch beim ­Training von Hunden, wenn wir Ihnen zum Beispiel mit Blicken den Weg Richtung Dummy weisen. Oder ich persönlich zum Beispiel ganz bewusst, wenn ich bei einem Foto­shooting möchte, dass der Hund in eine bestimmte ­Richtung schaut. ­Unbewusst kommt mir die „Joint ­Attention“ auch oft in die Quere, und zwar dann, wenn ich den Hasen sehe, bevor ihn meine Beagles sehen, und auto­matisch hinblicke …
Die „Joint Attention“ wird als ein ­weiterer Hinweis auf die wechsel­seitige Spiegelung zwischen Mensch und Tier gewertet. Dass sie auch zum Beispiel bei Wölfen in einem Rudel unter Umständen überlebensnotwendig ist, um beispielsweise Gefahren schnell zu erkennen und darauf reagieren zu können, ist nachvollziehbar. Denn nur wenn ein Individuum intuitiv und ohne darüber nachzudenken der Aufmerksamkeit und den Blicken eines anderen folgt, ist dies möglich.
Damit neurologische Spiegelungs- und Resonanzphänomene überhaupt entstehen können, muss zunächst erst einmal beobachtet werden, was der Andere tut oder fühlt. Was unsere Augen wahrnehmen, wird dazu zunächst von der Sehrinde zu Bildern verarbeitet. Die Sehrinde ist über Nervenfasern mit dem sogenannten optischen Aufbereitungs- und Interpretationssystem verbunden, das die Informationen seinerseits über Nervenzellen an die Hirnregion für die Vorstellung von Empfindungen und von dort aus an die Handlungs­neuronen weiterleitet. Beim Menschen und beim Affen ist das bereits gut erforscht.
Auch wenn der konkrete Beweis der Existenz von Spiegelneuronen beim Hund bisher noch aussteht, so wird kaum ein Hundehalter an deren Existenz zweifeln, denn viel zu häufig sind die Resonanz- und Spiegelungsphänomene, die unsere Hunde uns immer wieder zeigen. Das weite Feld der Spiegelneuronen rückt zunehmend in das Interesse der Wissenschaft und wird sicherlich auch bald beim ­„Forschungsobjekt Hund“ ange­kommen sein. Es bleibt also spannend, was für neue Erkenntnisse uns in Zukunft zu diesem Thema noch erwarten.

Literatur:
Literaturangaben zum ­„Mitgähnen“ von Hunden:

■1. Joly-Mascheroni RM, Senju A, Shephred AJ. Dogs catch human yawns. Biology Letters 2008;4:446-448.

■2. O’Hara SJ, Reeve AV. A test of the yawning contagion and emotional connectedness hypothesis in dogs, Canis familiaris. Animal Behaviour 2011;81:335-340.

■3. Silva K, Bessa J, Sousa L. Auditory contagious yawning in domestic dogs (Canis familiaris): first evidence for social modulation. Animal Cognition 2012;15:721-724.

■4. Silva K, Bessa J, deSousa L. Familiarity-connected or stress-based contagious yawning in domestic dogs (Canis familiaris)? Some additional data. Animal Cognition 2013;16:1007-1009.

■5. Romero T, Konno A, Hasegawa T. Familiarity bias and physiological responses in contagious yawning by dogs support link to empathy. PLoS ONE 2013:8(8):e71365.

■6. Buttner AP, Strasser R. Contagious yawning, social cognition, and arousal: An investigation of the processes underlying shelter dogs’ responses to human yawns. Animal Cognition 2014;17:95-104

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