Viele Hundebesitzer sind fest davon überzeugt, dass ihr Hund jedes gesprochene Wort, aber auch den Inhalt ganzer Sätze versteht. Ob das wirklich so ist, untersucht Hundepsychologe Thomas Riepe im aktuellen Beitrag seiner WUFF-Serie „Starke Sprüche“.
Vor einigen Wochen bat mich eine junge Frau um Hilfe, die ein Problem mit ihrem Hund, einer Französischen Bulldogge, hatte. Der kleine Franzose würde immer ein furchtbares Theater veranstalten, wenn sie den Hund zum Spaziergang anleinte. Er wäre dann so außer sich, dass es nicht möglich wäre, ihm die Leine anzulegen. „Der versteht jedes Wort“, erläuterte mir die Dame ihr Problem, „immer, wenn ich ihm sage, dass wir gleich Gassi gehen, fängt er an, seinen Tanz aufzuführen“.
Schlüsselreize neutralisieren
Ich habe der Dame dann erklärt, dass der Hund eine Verknüpfung im Gehirn erstellt hat – er hat gelernt, wenn er das Wort „Gassi“ hört, dass dann die Zeit für einen spannenden Spaziergang gekommen ist. Und darauf freut er sich und zeigt diese Freude durch sein „Tänzchen“. Das Wort „Gassi“, aber auch das Greifen zur Leine, der Griff zur Jacke und zum Schlüssel sind so genannte Schlüsselreize, von denen der Hund weiß, dass darauf etwas folgt – in diesem Fall der Gassigang, etwas, was dem Hund Freude macht. Der Hund war klassisch konditioniert.
Die Probleme konnte man relativ leicht beheben, indem man nicht das Wort Gassi benutzte, wenn man zum Spaziergang aufbrach, und indem den anderen Schlüsselreizen nicht immer die gleiche Konsequenz, hier der Gassigang, folgte. So wurde dem Hund einfach zwischendurch mal die Leine angelegt und das Haus nicht verlassen, oder die Hundebesitzerin zog sich die Jacke an und griff zum Schlüssel – ohne zu gehen.
Die Schlüsselreize waren dadurch für den Hund nicht mehr eindeutig, und die freudige, mit Tänzchen verbundene Erwartungshaltung des kleinen Franzosen wich einem zwar aufmerksamen, aber kontrollierbaren Verhalten vor dem Spaziergang.
Kontext und Inhalt
Ein Hund kann also wirklich Wörter verstehen und ihnen eine Bedeutung zuordnen. Er kann sogar ganze Wortketten oder immer gleichlautende Sätze als Schlüsselreize erkennen und Handlungen zuordnen. Doch den Sinn sich ändernder Sätze mit zwar bekannten Wörtern in einem unterschiedlichen Kontext und somit mit anderem Inhalt kann ein Hund nicht erkennen. Es ist unserem Hund somit völlig egal, ob wir ihm das politische Weltgeschehen erläutern oder über den Hund des Nachbarn lästern. Fällt in unseren Sätzen aber das Wort „Gassi“, wird der zuvor vom Redeschwall gelangweilte Vierbeiner plötzlich aufmerksam … Ein Hund kann komplexe Sätze nicht im menschlichen Sinn verstehen, weil er nicht über die Fähigkeit verfügt, so abstrakt, so „um Ecken“ zu denken wie der Mensch. Im gewissen Rahmen ist der Hund zwar zur Abstraktion fähig, aber nicht in dem Maße, wie der Mensch es ist. Anstelle der großen Abstraktionsfähigkeit der Menschen hat der Hund allerdings andere Fähigkeiten, von denen der Mensch nur träumen kann. So kann ein Hund an einem Strand ein einzelnes Sandkorn riechen. Eine Fähigkeit, die zum Überleben wichtiger sein kann als über das Weltgeschehen zu philosophieren. Wörter sind für Hunde also in wahrstem Sinne „Schall und Rauch“ und beliebig austauschbar. Man könnte vor dem Spaziergang auch „Weihnachtsbaum“ sagen anstatt Gassi, und die kleine Französische Bulldogge würde auch ihr Tänzchen aufführen, wenn sie Weihnachtsbaum nur mit dem spannenden Spaziergang verknüpfen würde. Hunde verstehen also Wörter, aber nicht jedes Wort …
Emotionen
Aber es gibt etwas, was Hunde im Bezug auf ihre Menschen besser verstehen als Worte. Und zwar deren Emotionen. Jeder Mensch hat einmal diese Momente, wo er sich emotional schlecht fühlt, gestresst oder abgespannt ist – natürlich auch ich. Aber ich habe auch Hunde. Und die suchen in solchen Momenten vermehrten Körperkontakt und Nähe – genau die Dinge, die man braucht, um sich besser zu fühlen. Punktgenau wissen die Hunde, wann ihr Mensch ihre Zuwendung braucht. Verhaltensbiologisch könnte man dieses Verhalten als evolutionsbedingtes Sozialverhalten zum Zusammenhalt der Gruppe erläutern. Ich würde einfach sagen, die Hunde wissen, wann ich sie brauche. Darum würde ich auch anstelle des Spruchs „Der versteht jedes Wort“, eher folgenden Spruch anwenden: „Der versteht jede Emotion …“