Die Kolumne zum Thema „Alltagsprobleme mit dem Hund". WUFF-Autorin Yvonne Adler, Tierpsychologin, akademisch geprüfte Kynologin und Hundetrainerin, beantwortet Ihre Fragen. Schicken Sie uns Ihr Alltagsproblem mit Ihrem Hund — kurz formuliert und mit 1-2 Fotos. In dieser Ausgabe geht es um das spezielle Training zum Gehen an entspannter Leine, also um die Leinenführigkeit. Schritt für Schritt erklärt Yvonne Adler, wie es gehen kann.
Sehr geehrte Frau Adler! Ich habe seit einem halben Jahr einen Hund aus dem Tierheim mit unbekannter Vorgeschichte und habe ein großes Problem mit ihm. An der Leine gehen macht keinen Spaß, er zieht nur noch, egal, ob er etwas Bestimmtes sieht oder nicht. Menschen gegenüber gibt es gar keine Probleme, er ist freundlich und verschmust. Was kann ich wirklich tun, um dieses Problem in den Griff zu bekommen?
Mit freundlichen Grüssen, Jürgen
Lieber Jürgen!
Die Leinenführigkeit ist sicherlich eines der häufigsten Themen, das Hundehalter beschäftigt. Entspannt an lockerer Leine mit seinem Hund spazieren zu gehen ist eine schöne und angenehme Vorstellung, kann jedoch durchaus zur Realität werden!
Zu Beginn ist das Wichtigste, dass Sie sich Gedanken darüber machen sollten, was für Sie speziell eine „Leinenführigkeit" bedeutet. Dazu gibt es unzählige Meinungen, angefangen von permanentem „Fuß"-Gehen des Hundes eng am Hundebesitzer mit Blickkontakt (was für den Hund im Alltag dauerhaft weder für die Haltung gesund, noch zielführend ist) bis hin zu der Meinung, der Hund solle sich an einer 5 Meter langen Leine bewegen und dabei keinesfalls ziehen.
Zusätzlich ist eine weitere Frage, welche Leine und welches Brustgeschirr oder Halsband man verwendet, denn eine Hilfe ist, dass der Hund mit dem Training auch das Equipment verbindet.
Ein Beispiel hierzu: Wenn man den Hund an einer „Ausziehleine" führt, also einer Leine, die sich durch den Zug des Hundes ausrollt, lernt der Hund damit genau das Gegenteil von dem, was wir erwarten, nämlich nicht das entspannte Laufen an lockerer Leine. Aus hundlicher Sicht ist das so zu verstehen: Ich muss ziehen, um mehr Spielraum zu erhalten. Daher verständlich, dass ein Hund, der häufig an einer Ausziehleine geführt wird, dann an einer normalen Leine auch zieht.
Wenn man zwei verschiedene Leinenarten benutzen möchte, dann muss man auch beides getrennt voneinander aufbauen, damit der Hund zu unterscheiden lernt, wann „Ziehen" erwünscht bzw. tolerabel ist.
Auch beim Brustgeschirr gibt es mittlerweile viele Auswahlmöglichkeiten, bis hin zu Geschirren, welche den Hund beim Zug an der Leine beispielsweise in der Achsel einengen. Meiner Meinung nach kann man kein entspanntes Kommando lernen, wenn damit Unwohlsein oder gar Schmerzen verbunden sind.
Sie sehen schon, es gibt rundherum einiges zu beachten und zu bedenken, bevor man mit dem Training starten kann.
Nun gehen wir davon aus, Sie haben einen mittelgroßen Hund und das gemeinsame Ziel ist, dass Ihr Hund entspannt an einer normalen Leine laufen soll. Sie ziehen dem Hund ein gut sitzendes, bequemes und passendes Brustgeschirr an und nehmen dazu bitte eine 2,5 bis 3 Meter lange Leine. Denn alleine schon 50 cm bis 1 Meter braucht die Leine von der Rückenpartie des Hundes bis zu Ihrer Hand. Verwende ich also eine nur 1,20 Meter kurze Leine zum Spazierengehen, ist der Hund dauernd an der gespannten Leine, weil er keinen Spielraum hat und schon bei einem Schritt auf die Seite, um etwa zu riechen, die Leine spannen muss.
Zu Beginn wählen Sie eine ablenkungsarme Umgebung fürs Training – das kann also ruhig auch der eigene Garten sein – und sind mit ausreichend guten Leckerchen ausgestattet. Sie trainieren nun Ihrem Hund ein Kommando mit dem Hörzeichen „langsam Leine" an. Dies funktioniert folgendermaßen: Der Hund geht entspannt mit Ihnen den Garten entlang und Sie achten darauf, die Leine locker bis schlaff in der Hand zu halten (Sie haben ja einen angenehmen Spielraum von ca. 2 Metern). Immer wenn die Leine locker ist, sagen Sie Ihr Bestätigungskommando wie „fein" und „langsam Leine". Sie können Ihrem Hund durchaus zusätzlich ein Leckerchen geben. Darüber hinaus sind Sie selbst ein entscheidender Faktor. Auch Sie dürfen nicht an der Leine ziehen. Also selbst wenn Sie es eilig haben, sollten Sie mit einem Hörzeichen wie „komm weiter", Ihrer Körperhaltung und einer einladenden Handbewegung den Hund zum Weitergehen auffordern (wo es ab und zu auch mal ein Leckerchen im Trainingszeitraum geben kann).
Sollte es nun doch aufgrund von Ablenkung oder anderen Umständen dazu kommen, dass der Hund an der Leine zieht, können Sie durchaus stehen bleiben. Erst wenn sich der Hund zu Ihnen „korrigiert", gehen Sie mit dem Kommando „langsam Leine" weiter. Leckerchen und ausgiebiges Lob gibt es nur für „langsam Leine", also wenn der Hund wirklich an lockerer Leine läuft, ohne in die Spannung zu gehen. Ein häufiger Fehler ist nämlich, dass die Hunde sich sehr schnell eine Verhaltenskette eintrainieren, die aus ihrer Sicht folgendermaßen aussieht: „Ich muss laufen, bis die Leine spannt, dann werde ich zurück gerufen und bekomme mein Leckerchen!" Der Hund denkt, dass das Leineziehen erwünscht ist, um nachher herangerufen zu werden und dafür eine Belohnung zu erhalten.
Zusätzlich gibt es zu beachten, dass jeder Hund ausreichend Auslauf benötigt. Ist Ihr Hund jung und hat viel Energie, kann es zum Beispiel zu Beginn notwendig sein, dass Sie Ihrem Hund zuerst ausreichend Auslauf in Form eines Spieles geben, bevor Sie mit dem Leinentraining beginnen. Nehmen Sie sich auch wirklich Zeit, um das Kommando gut einzutrainieren. Für ein entspanntes Gehorchen braucht man auch einen entspannten Hundehalter, um ein positives Gefühl gemeinsam mit dem gelernten Hörzeichen zu verinnerlichen.
Ich wünsche Ihnen und Ihrem Hund Geduld und Einfühlungsvermögen beim Training zur Leinenführigkeit!
Ihre Yvonne Adler