Sind noch Leckerlis da…? – Haben Hunde ein Konzept von Zahlen?

Von Sylke Schulte

Sitz! Platz! Zähl? So ähnlich könnte es sein, denn eine neue Studie fand nun heraus, dass Hunde Mengen auf eine ähnliche Weise, nämlich in den gleichen Hirnregionen, verarbeiten wie wir Menschen. Diese Tatsache macht aus unserem Vierbeiner noch keinen Einstein und wir sollten ihm eher nicht unsere Steuererklärung anvertrauen, doch die Studie beweist: Hunde sind uns ähnlicher als wir bisher dachten!

Die Idee, dass Hunde etwas von Mathematik verstehen könnten, ruft wohl selbst bei eingefleischten Hundeliebhabern ein Stirnrunzeln hervor. Wird jedoch berücksichtigt, dass es unterschiedliche Formen quantitativen Denkens gibt, wird die Sache interessant! In früheren Studien untersuchten Forscher beispielsweise, ob Hunde einen Sinn für Portionsgrößen haben. Dazu legten sie zwei Fleischbälle aus: einen größeren und einen kleinen. Die Forscher stellten fest, dass sich die Hunde mit gleicher Wahrscheinlichkeit für das kleine Fleischbällchen entschieden und zogen somit den Schluss, dass Hunde kein Verständnis für Portionsgrößen hätten. Doch, so sagen Wissenschaftler heute, der Test war fehlerhaft, da Hunde, ganz nach dem Prinzip »lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach«, ­opportunistisch denken und sich immer für die nächstgelegenere Mahlzeit entscheiden. Waren beide Portionen in gleicher Reichweite, entschieden sich die Hunde immer für den größeren Fleischball.

Schwieriger wird das quantitative Denken, wenn es um Zählen und scheinbar simples Addieren und Subtrahieren geht. Eine brasilianische Studie mit dem Titel »Do domestic dogs show any evidence of being able to count« (Zeigen Haushunde Anzeichen dafür, dass sie zählen können?) beschäftigte sich bereits im Jahr 2002 mit diesem Thema. Die Forscher modifizierten hierfür einen Test aus der Humanforschung. Mittels des »Preferential Looking« wurde untersucht, wie viel Zeit die Testkandidaten, in diesem Fall die Vierbeiner, mit dem Anschauen von Dingen verbrachten. Dabei wurde in der Humanforschung herausgefunden, dass Menschen etwas Unerwartetes oder Ungewöhnliches über einen längeren Zeitraum anstarren. Beim caninen Versuchsaufbau zeigten die Forscher dem Hund ein einziges Leckerli und versperrten ihm dann die Sicht darauf. Dann ließen sie den Hund zuschauen, wie ein weiteres Leckerli hinter die Abdeckung gelegt wurde. Wurde der Sichtschutz nun entfernt, zeigten sich die Hunde wenig überrascht, dass nun zwei Leckerlis vor ihnen lagen. In unregelmäßigen Abständen legten die Forscher allerdings heimlich ein weiteres Leckerli hinzu oder nahmen eines wieder weg. Wurde nach diesen Durchläufen der Sichtschutz entfernt, starrten die Hunde länger auf das von ihnen unerwartete Ergebnis und schienen überrascht zu sein. Die Forscher schreiben dazu: »Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Hunde das Ergebnis der von ihnen beobachteten Berechnungen antizipierten, was darauf hindeutet, dass Hunde möglicherweise eine rudimentäre Fähigkeit zum Zählen besitzen.«

Sinn für Zahlen
Schon frühere Studien haben also bewiesen, dass sich unser Hund nicht so leicht täuschen lässt, wenn wir ihm unsere leeren Hände zeigen und ihm sagen, es gäbe keine Leckerlis mehr – hat er uns doch zuvor dabei beobachtet, wie viele wir uns davon in die Tasche gesteckt haben. Eine Studie aus dem Jahr 2019 beschäftigte sich noch tiefer gehend mit dem Zahlenverständnis und den Vorgängen im Gehirn unserer vierbeinigen Freunde. Die US-amerikanische Studie mit dem Titel »Canine sense of quantity: evidence for numerical ratio-dependent activation in parietotemporal cortex« (Quantitätssinn bei Hunden: Hinweise auf numerische verhältnisabhängige Aktivierung im parietotemporalen Kortex), publiziert im Journal Biology Letters, untersuchte im MRT, ob auch Hunde einen angeborenen Sinn für Zahlen besitzen. Die Fähigkeit, die Anzahl der Schafe in einer Herde oder der reifen Früchte an einem Baum schnell zu schätzen, wird als »approximatives Zahlensystem« bezeichnet. Frühere Studien zeigten bereits, dass Affen, Fische, Bienen und Hunde dieses Talent besitzen. Doch während in früheren Studien mit Belohnungen und Leckereien, also mit trainierten Probanden gearbeitet wurde, weist diese Studie nun darauf hin, dass selbst bei untrainierten Hunden ein Talent für Zahlen vorhanden ist – und tiefe evolutionäre Wurzeln haben könnte. Die Hunde wurden vor dem Versuchsaufbau lediglich mit dem MRT bekannt gemacht, damit sie freiwillig und ohne Ängste am Experiment teilnehmen konnten.

Um die numerischen Fähigkeiten der Hunde zu testen, scannte das Team unter der Leitung von Gregory Berns, einem Neurowissenschaftler an der Emory-Universität in Atlanta im Bundestaat Georgia, die Gehirne von 11 Hunden verschiedener Rassen, während sie auf Bildschirme starrten, auf denen nacheinander eine unterschiedliche Anzahl von Punkten unterschiedlicher Größe blinkten. Als die Bilder schnell vorbeiflogen, suchten die Forscher nach Aktivität in einer Region des Hundegehirns, die als parietotemporaler Kortex bezeichnet wird, analog zum parietalen Kortex des Menschen, von dem bekannt ist, dass er Menschen hilft, Zahlen schnell zu verarbeiten. Beim Menschen leuchtet diese Region auf einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT) auf, wenn die Zahlen zu variieren beginnen – ein Zeichen dafür, dass dieser Teil des Gehirns hart daran arbeitet, die Unterschiede zu verarbeiten. Das Ergebnis interpretierten die Forscher folgendermaßen: »Wir fanden Hinweise auf eine verhältnisabhängige Aktivierung, die ein Schlüsselmerkmal für das approximative Zahlensystem ist, im parietotemporalen Kortex bei der Mehrzahl der getesteten Hunde. Dieser Befund deutet auf einen neuronalen Mechanismus zur Mengenwahrnehmung hin, der in der gesamten Säugetier-Evolution konserviert wurde.« Natürlich ist das Schätzen von Punktmengen nicht dasselbe wie das Lösen komplexer mathematischer Gleichungen, wozu unsere menschlichen Gehirne ausgerüstet sind. Aber beide Verhaltensweisen rühren von einem inhärenten Sinn für Zahlen her – etwas, das die evolutionäre Lücke von 80 Millionen Jahren zwischen Hund und Mensch zu überbrücken scheint, wie die Ergebnisse vermuten lassen.

Mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Spezies
Ein Take-Away der Studie ist demnach, dass uns doch mehr mit unseren Vierbeinern verbindet als bisher angenommen. Außerdem geben uns Forschungen wie diese weitere Einblicke in die Denkweisen unserer Hunde und helfen uns, ihr scheinbar oft irrationales oder gar »schrulliges« Verhalten zu verstehen. Nach diversen Verhaltensmaßstäben deuten Forschungen heute darauf hin, dass Hunde in etwa über die geistigen Fähigkeiten von zweieinhalbjährigen Kindern verfügen. Diese Fähigkeiten variieren stark – sowohl individuell als auch rasseabhängig – und doch zeigen sie, dass unsere Vierbeiner oft nicht so simpel gestrickt sind wie oft vermutet wird. Die Fähigkeit zu zählen und einfaches Rechnen zu beherrschen mag für Hunde heutzutage überflüssig erscheinen – treffen wir doch im Alltag fast alle Entscheidungen für sie – für die wilden Vorfahren des Hundes war diese Fähigkeit jedoch unter Umständen überlebenswichtig: Nicht nur um beispielsweise die Anzahl potenzieller Feinde oder auch Freunde richtig einschätzen zu können und sich so für Kampf oder Flucht zu entscheiden, auch ein Welpe war darauf angewiesen, dass seine Mutter seine etwaige Abwesenheit bemerkt. Evolutionär bedingt, macht demnach ein rudimentäres Wissen um Zahlen also durchaus Sinn.

Dank der Wissenschaft, die sich vermehrt damit auseinandersetzt, wie unsere Haustiere die Welt wahrnehmen, können wir nicht nur ihr Verhalten besser verstehen lernen, wir können dieses Wissen auch nutzen, um das Zusammenleben der Spezies noch angenehmer für alle Beteiligten zu gestalten. Prof. Stanley Coren, Professor für Hundepsychologie an der Universität British Columbia in Vancouver, teilt dabei die Hundeintelligenz in drei verschiedene Bereiche ein: instinktiv (zu welchem Zweck der Hund gezüchtet wurde), anpassungsfähig (wie gut der Hund von seiner Umgebung lernt, um Probleme zu lösen) und arbeitend und gehorsam (das Äquivalent zum ‚schulischen Lernen‘). Dabei liegt es in der menschlichen Verantwortung die Intelligenz unserer Vierbeiner in den verschiedenen Bereichen richtig einzuschätzen und damit auch ihre intellektuellen oder auch biologischen Grenzen zu erkennen. Wir sollten unsere Hunde also nicht unterschätzen – sie lassen sich gerade, wenn es um Leckerbissen geht, nicht gern für dumm verkaufen – trotzdem haben wir sie in fast allen Lebensbereichen zu einer Abhängigkeit vom Menschen erzogen und gezüchtet … und diese Abhängigkeit bedeutet eben auch eine enorme Verantwortung unsererseits.


 

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