Wohl jeder kennt sie, die kastrierten Rüden, die sofort beim Auftauchen auf der Hundewiese oder in der Hundeschulgruppe eine ganze Traube von Verehrern und Verfolgern hinter sich herziehen. Sexuelle Belästigung bis hin zum Aufsteigen und den Kopulationsbewegungen sind für diese Rüden oftmals ein permanenter Begleiter jeglichen Hundekontakts. Andere kastrierte Rüden dagegen scheinen solche Probleme nicht zu haben. Stichhaltige Erklärungsansätze für diese individuellen Unterschiede sind bisher nicht erkennbar gewesen. Doch Studien über die Zusammensetzung der Duftstoffe bei Rüden, Hündinnen und Kastraten verschiedener Hundeartiger liefern einen möglichen Erklärungsansatz, wonach der Zeitpunkt der Kastration einen Einfluss haben könnte.
Wenn kastrierte Füchsinnen oder kastrierte Fuchsrüden mit Testosteron versorgt werden, steigt die Konzentration des genannten Duftstoffes wieder an. Ähnliche Unterschiede zeigen auch die Untersuchungen am Urin von Wölfen, auch hier ist die Konzentration des genannten Duftstoffes einen Monat nach der Paarungszeit im März am höchsten.
Ein weiterer, saisonal schwankender Duftstoff ist Acetophenon. Dessen Konzentration ist allgemein bei intakten Fähen und kastrierten Rüden beim Wolf höher als bei intakten Hunde-Rüden. Viele Ketone, zu denen Acetophenon gehört, sind im männlichen Geschlecht bei Wölfen im November, Dezember und März in höchster Konzentration zu finden. In den Duftzusammensetzungen der Analdrüsen fanden sich ebenfalls Konzentrationsunterschiede zwischen der Paarungszeit im Februar und dem Sommer, dabei ist beispielsweise die Konzentration des Benzaldehyd bei intakten Wolfsfähen im Februar wesentlich höher als bei intakten Rüden. Im August dagegen war die Konzentration bei kastrierten Rüden wesentlich niedriger als bei intakten.
Schwankungen der Duftstoffe
Alle diese Studien lassen vermuten, dass möglicherweise die Duftstoffzusammensetzungen im Sekret der Analdrüsen und auch im Urin bei Haushunden ähnlichen Schwankungen unterliegen könnten. Zwar haben Untersuchungen über den Testosteronspiegel von Haushunderüden, wie sie von Haase im Kieler Institut für Haustierkunde über mehrere Jahrzehnte gesammelt wurden, keine wirklichen saisonalen Schwankungen aufgezeigt. Jedoch ist die Konzentration des Testosterons in den drei Monaten nach der typischen Frühjahrsläufigkeitssaison, also ca. April, Mai, Juni, statistisch nachweislich geringer als in den anderen neun Monaten. Saisonale Schwankungen des Testosterons und des – im indirekten Verhältnis zum Testosteron stehenden – Prolactins, des Elternhormons, wiederum sind bei Wölfen und anderen Wildhundeartigen deutlich nachgewiesen.
Eine mögliche Überlegung lautete für uns nun, dass auch beim Haushund Schwankungen in den genannten Hormonkonzentrationen und infolge dessen in der Duftstoffzusammensetzung der Analdrüsensekrete und des Urins vorliegen könnten.
Sexuelle Belästigung kastrierter Rüden
Im Rahmen ihrer Masterarbeit an der Universität Würzburg untersuchte Kathrin Wörner daraufhin die möglichen jahreszeitlichen Zusammenhänge im Bezug auf sexuelle Belästigung von kastrierten Rüden. Ein dafür speziell entwickelter Fragebogen wurde von insgesamt 1193 Rüdenhalter/innen ausgefüllt, und zwar handschriftlich oder in einer Onlinebefragung. Der Fragebogen enthielt neun Fragen, sowohl über das Alter und den Kastrationszeitpunkt des Rüden als auch über eine mögliche sexuelle Belästigung.
Ein Teil der Ergebnisse deckt sich zunächst einmal mit den bereits von Gabriele Niepel veröffentlichten Daten ihrer Bielefelder Kastrationsstudie. Fast 53% der Rüden wurden im Alter von weniger als zwölf Monaten, weitere fast 30% im Alter bis zu drei Jahren kastriert. Insgesamt waren also 80% aller Rüden bereits im Alter von weniger als 36 Monaten kastriert worden. Betrachtet man die Zeiten innerhalb der ersten 24 Monate nochmals genauer, so waren zum Kastrationszeitpunkt fast 25% der Rüden im Alter zwischen 11 und 12 Monaten, ca. 18% zwischen 17 und 18 Monaten und etwas über 20% zwischen 23 und 24 Monaten alt.
Auch der Kastrationsmonat zeigte bereits recht deutliche Auffälligkeiten: Über 38% der Rüden wurden zwischen März und Mai kastriert, die meisten im März mit über 14%. Die geringsten Kastrationsraten fanden sich im Juli und im Dezember mit jeweils unter 6%.
32% der kastrierten Rüden hatten tatsächlich sexuelle Belästigungen zu erdulden, wobei die Einstufung der Halter in die Kategorien „selten“, „gelegentlich“, „oft“ oder „sehr oft“ zwar subjektiv ist, aber doch eine gewisse Aussagekraft hat: Iinsgesamt ca. 66% der belästigten Rüden wurden als „gelegentlich“ bis „oft“ belästigt eingestuft, 7,29% sogar als „sehr oft“.
Auch die Intensität der sexuellen Belästigung wurde von den Halter/innen in vier Kategorien eingeteilt. Insgesamt knapp 66% wiederum wurden als „mittelmäßig“ bis „ziemlich stark“ belästigt eingeschätzt, bei nahezu 10% war es sogar „sehr stark“.
Betrachtet man die Verhaltensweisen, die bei der sexuellen Belästigung überwiegend gezeigt wurden, so werden die Verhaltensweisen des sexuellen Verhaltens hochgradiger Intensität, nämlich Aufsteigen, Kopulationsbewegungen und intensives Beriechen im Anal-, Genital- und Bauchbereich, mit Abstand am häufigsten gezeigt. Über 42% der Rüden wurden durch Aufsteigen und Kopulationsbewegungen, nahezu 36% durch Anal- und Genitalberiechen belästigt. Die Formen der mittleren Intensitätsstufe, nämlich Bedrängen und Verfolgen, sowie das Anal- oder Genitalbelecken, waren mit jeweils etwas über 9% vertreten, die Verhaltensweisen der niedrigsten sexuellen Intensität, nämlich Umwerben, Ohren-belecken oder Kinnruhen, bewegten sich mit wesentlich geringeren Prozentzahlen zwischen 0,8 und 2,2%. Diese Daten lassen bereits erkennen, dass die sexuelle Belästigung für die kastrierten Rüden durchaus zu einem Problem werden kann.
Dass Aufreiten und Besteigen bei Hunden nur sehr selten, wenn überhaupt, erkennbare Dominanzkriterien darstellen, haben andere Untersuchungen in unserer Arbeitsgruppe deutlich belegt. So konnte beispielsweise Melanie Dopfer in einer Untersuchung an einer Foxhound-Meute deutlich zeigen, dass der Prozentsatz der mit Dominanzverhalten, beispielsweise der hoch aufgerichteten Körperposition, verknüpften Aufsteigeakte wesentlich geringer war als das von einer statistisch nachweisbaren Dominanzgeste erwartet worden wäre.
Jahreszeit und Kastration
Die Saisonalität der Kastration wurde nun im nächsten Schritt der Analyse von Kathrin Wörner betrachtet. 37% der im September kastrierten Rüden wurden belästigt, 16,4% der im November, 15,7% der im März und 10,8% der im April kastrierten Rüden. Die wenigsten sexuellen Belästigungen erfolgten bei im Oktober kastrierten Rüden.
Etwas anders liegen die Verhältnisse bei der Intensität. Am stärksten war durchschnittlich die Intensität der sexuellen Belästigung bei den im Februar kastrierten Rüden mit 15,14%, gefolgt von März mit 14,82 und Mai mit ca. 12%. Am wenigsten intensiv waren die Belästigungen von Kastraten aus den Monaten Oktober, November und Juni.
Als Auswertung und vorläufiges Ergebnis dieser noch weiter fortzusetzenden Studie lässt sich bereits einiges erkennen: Die Häufigkeit der sexuellen Belästigungen steigt bei Hunden, die von September bis März kastriert wurden, und fällt im Sommer wieder ab. Die Intensität dagegen steigt ab Februar und flacht dann im Jahresverlauf wieder ab.
Wann also kastrieren?
Sollte also die Kastration eines Rüden aus medizinischen oder verhaltenstherapeutischen Einzelentscheidungsgründen tatsächlich angeraten sein, ohne dass es sich um einen wirklichen medizinischen Notfall handelt, so sollten die Beteiligten möglichst über eine Kastration außerhalb dieser Monate nachdenken. Ein Kastrationszeitpunkt im Herbst oder im Frühjahr wäre also weniger empfehlenswert als die Kastration im Zeitraum rund um den Jahreswechsel oder im frühen bis mittleren Sommer.
Zusammenfassend liefern die Studien also schon Hinweise darauf, dass Haushunde möglicherweise ähnliche Duftstoffzusammensetzungen im Sekret der Analdrüsen wie auch im Urin aufweisen wie Wölfe, Rotfüchse oder Kojoten. Die vorläufigen Befunde könnten in jedem Falle die Empfehlung unterstreichen, dass Kastrationen im Winter und Frühjahr, vor allem im Februar und März vermieden werden sollten. Die Kastraten blieben sonst möglicherweise auf einem Duftzustand ähnlich wie intakte Weibchen stehen und könnten damit besonders attraktiv für sexuelle Belästigungen durch intakte Rüden werden.
Bemerkenswert ist in jedem Falle, dass es doch einen sehr ähnlichen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Monaten mit der erfahrungsgemäß größten Anzahl läufiger Hündinnen (Frühjahrs- und Herbstläufigkeit) und den Häufigkeiten der in diesen Monaten kastrierten Rüden gibt.Aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein in diesen Monaten kastrierter Rüde besonders sexuell belästigt wird, ist deutlich höher. Dies ist durchaus vergleichbar mit den Ergebnissen aus der Studie an kastrierten und intakten Wölfen, die Maxima einiger Duftstoffe ca. einen Monat nach dem Höhepunkt der Ranzzeit nachweisen konnten. Zudem erinnert es an die Daten, wonach es in einigen Monaten, nämlich zur Zeit der Jungenaufzucht, eine Umkehrung der Duftstoffmischungsverhältnisse zwischen Rüden und Fähen gibt, und dass kastrierte Rüden ähnliche Mischungsverhältnisse wie Fähen aufweisen.
Weitergehende Untersuchungen, auch über das Sozialverhalten kastrierter im Vergleich zu intakten Rüden, Persönlichkeitsunterschiede und die Häufigkeit möglicher Verhaltensprobleme bei beiden Kategorien sowie zukünftig auch bei Hündinnen, sind derzeit in der Planung oder Auswertungsphase. Zudem würden wir gern die Duftstoffe auch chemisch untersuchen, jedoch ist die dafür nötige Laboranalytik sehr komplex und entsprechend teuer.
Bereits in den 1980er Jahren konnten einige Studien in der Zusammensetzung der Duftstoffe im Urin und in den Analdrüsensekreten von Wölfen, Kojoten, Rotfüchsen und auch Haushunden starke Geschlechtsunterschiede und jahreszeitliche Tendenzen nachweisen. Ein Duftstoff namens 3-Methylbutyl-Methylsulfid im Urin von männlichen und weiblichen Tieren ist einer der ersten Hauptverdächtigen. Die Konzentration des genannten Duftstoffes liegt beispielsweise bei männlichen Rotfüchsen um 20% höher als bei weiblichen, und das Maximum dieses Konzentrationsunterschiedes ist in der Paarungszeit zwischen Dezember und März zu beobachten.