Selbstbewusstsein beim Hund – „Ich bin’s“ – Was ­wissen Hunde über sich selbst?

Von Karin Joachim MA

Beim Betrachten unseres gemütlich auf der Decke ­dösenden Hundes stellen wir uns manchmal die ­Frage: „Überlegt er, was er als nächstes anstellen könnte?" oder „Weiß er, dass er ein Hund ist?". Auf diese und ähnliche Fragen Antworten zu finden ist eine der spannendsten und zugleich ­schwierigsten ­Aufgaben in der heutigen Forschung.

Darwin war überzeugt, dass Hunde und Menschen gar nicht so unterschiedlich seien, ja, es bestehe „kein fundamentaler Unterschied" zwischen ihnen, sondern lediglich ein gradueller. Zum Bewusstsein der Haushunde stellte er sich sogar die Frage: „Wie können wir sicher sein, dass ein alter Hund mit einem ausgezeichneten Gedächtnis und etwas Einbildungskraft, wie sich durch seine Träume zu ­erkennen gibt, niemals über die Freuden und Leiden Betrachtungen anstellt,­ ­welche er früher auf der Jagd hatte?". ­Diese Ansicht formulierte Darwin 1875. Doch schon zu Beginn des 20. Jh.s wurde der Hund im Gefolge der Forschungen von Pawlow u. a. weit­gehend zur Reiz-Reaktions-Maschine umgedeutet. Selbst moderne Erziehungsmethoden sind von den Ergebnissen der Be­havioristen beeinflusst, die Kondi­tionierung unserer Hunde ist noch gang und gäbe. Einer der Ersten, der von einer Ich-Erkenntnis bei Hunden sprach, war Konrad Lorenz in den 1960er Jahren. Erst spät, etwa in den 1980er ­Jahren, begann sich die ­Forschung ernsthaft mit dem Innenleben unserer Vierbeiner zu beschäftigen.

Was ist Bewusstsein?
Dies zu beantworten ist gar nicht so einfach, eine allgemeine Definition erscheint fast unmöglich. Neuer­dings versuchen Ethologie, Neuro­wissenschaften, Kognitionswissenschaften, aber auch Philosophie und Psychologie dem tierischen Bewusstsein auf die Spur zu kommen. Darüber, dass Wirbeltiere grundsätzlich ein Bewusstsein haben, besteht heute kaum noch Zweifel. Allerdings hat die Forschung noch nicht umfassend klären können, welche (nichtmenschlichen) Tiere über welche Arten von Bewusstsein verfügen. Denn es gibt eben nicht nur ein Bewusstsein. Unterscheiden lassen sich u.a. das Wachbewusstsein, das ­phänomenale (z.B. Schmerzempfindung), das gedankliche (denken, planen, erinnern) sowie das reflexive Selbstbewusstsein (Wissen um die eigenen mentalen Zustände). Da die Gehirne der Säugetiere anatomisch ganz ähnlich aufgebaut sind – einschließlich der neuronalen Verbindungen –, geht man heute eher von einem graduellen Unterschied bei Tieren und Menschen aus. Welche Bewusstseinsstufe ­nehmen dabei unsere Hunde ein?

Durchgefallen beim Spiegeltest
Der sogenannte Spiegeltest gilt allgemein als Indikator für das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein eines Ich-Bewusstseins. Menschenkinder erkennen etwa ab ihrem zweiten Lebensjahr, dass es sich bei der Person im Spiegel um sie selbst handelt. Mit dem Erkennen ist auch eine Identifikation des eigenen Selbst verbunden. Den Spiegeltest „bestehen" nicht nur Menschen, sondern auch verschiedene Tiere, nicht nur Primaten, sondern auch Delfine und Elefanten. Hunde hingegen können sich selbst nicht im Spiegel erkennen. Heißt das, dass unsere Hunde also gar kein Bewusstsein von sich selbst besitzen, oder stellen wir visuell orientierte Menschen einfach nur die falsche Frage?

Spiegelbild oder Eigengeruch?
In der Lebenswirklichkeit der ­Hunde und auch ihrer wölfischen Ahnen bedeutet das eigene Spiegelbild wenig. Das soziale Miteinander er­lernen sie im Umgang mit ihren Artgenossen und mit uns. Um sich über die Wirkung ihres eigenen Verhaltens rückzuversichern, gibt es schließlich die Reaktion ihrer Sozialpartner. Übrigens ist sogar bei Menschen der mimische Ausdruck von Emotionen wie Freude oder Wut angeboren, wie Vergleiche der Gesichtsausdrücke blinder und sehender Sportler offenbarten.

Bei unseren Hunden ist das ­Erleben weniger visuell geprägt als bei uns Menschen. Dass das hundliche Riechhirn ausgeprägter als das von uns Menschen ist, belegt dies. Marc Bekoff hat sich der Frage besonders engagiert angenommen, wie Hunde sich selbst in der Welt wahrnehmen. Über fünf Winter hinweg sammelte er Urinmarkierungen seines Hundes im Schnee und beobachtete dann dessen Verhalten gegenüber den an anderer Stelle platzierten Geruchsmustern (s. Bekoff, „Wow, das bin ich!", in WUFF 2/2004). Wie es nicht anders zu erwarten war: Der eigene Urin wurde kurz untersucht (er erkannte ihn!), viel mehr Aufmerksamkeit brachte er aber den Urinmarkierungen anderer Hunde entgegen. Hunde definieren sich also ganz entscheidend über den eigenen Duft, wozu sie verschiedene Körperdrüsen, z.B. jene der ­Analregion, besitzen. Hunde wissen, dass ihre ­Körperteile zu ihnen gehören und ­kennen auch ihre eigene Größe. Dann und wann schnuffeln unsere Vierbeiner gerne an ihren eigenen Körper­teilen, v.a. an den Füßen, so als ob sie sich ihrer selbst versichern wollten.

Hunde in unserer Welt
Hunde besitzen in der menschlichen Welt eine Sonderstellung. Dies mag uns durchaus dazu verleiten, unseren Vierbeinern aufgrund unserer persönlichen Erfahrungen Fähigkeiten zu unterstellen, die wissenschaftlich nur schwer beweisbar sind. Hunde freuen sich, sind zu einigen komplexen Emotionen fähig, sie leben in sozialen Gefügen und agieren dementsprechend. Wir wissen, dass unsere Hunde auch planvoll vorgehen, uns beispielsweise an die Tür locken, um uns vom Frühstückstisch mit dem leckeren Stück Käse wegzulocken. „Er hat das ganz bewusst gemacht", sagen wir, wenn Wuffi uns tatsächlich wieder an der Nase herumgeführt hat. Das wäre intentionales und damit bewusstes Handeln. Aber wissen unsere Hunde wirklich, was sie da anstellen? Wissen sie gar, dass wir eine andere Perspektive einnehmen als sie?

Ich und die anderen
Eine interessante Frage ist, ob Hunde wahrnehmen können, dass andere etwas anderes sehen als sie selbst, also auch über ein anderes Wissen verfügen. Studien konnten belegen, dass Hunde dann zum Futterklauen neigten, wenn sie den Eindruck hatten, dass der anwesende Mensch aufgrund einer Sichtbarriere ihre Handlungen nicht wahrnehmen konnte. Dass es ihnen offensichtlich gelingt, sich in die Perspektive anderer hineinzuversetzen, beantwortet uns aber immer noch nicht die Frage, ob sie sich darüber auch wirklich bewusst sind oder lediglich auf Erfahrungen zurückgreifen.

Insgesamt ist unter Hunden das soziale Bewusstsein besonders ausgeprägt. Tiere, die in sozialen Verbänden leben, sind sich allgemein ihrer Position und der Folgen ihres Handelns bewusst. Sie handeln intentional und problemlösungsorientiert und mit dem Bewusstsein, dass sie es sind, die einen Einfluss auf das Handeln anderer Mitglieder der Sozialgemeinschaft haben. Die Welt unserer Hunde ist sehr variabel. Möglicherweise sind sie deshalb auch in der Lage, gedanklich auf bereits gemachte Erfahrungen zurückzugreifen und sogar die zukünftigen Konsequenzen ihres Verhaltens beispielsweise im Sozialspiel abzuschätzen. Das wäre dann, so A. Horowitz, ein Hinweis auf eine – allerdings ­rudimentäre – ­„theory of mind" (Fähigkeit, wahrzunehmen, dass andere anders denken, andere ­Absichten und Meinungen haben).

Wie Ich-bewusst sind also unsere Hunde?
Bezüglich des Innenlebens ­unserer Hunde gibt es noch viele weiße ­Flecken in der Forschung. Möglicherweise werden wir nie ganz ergründen können, wie sie sich und die Welt wirklich wahrnehmen. Unseren Hunden wurden jene Sinnesorgane und neuronalen Verschaltungen mitgegeben, die sie befähigen, sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden und mit uns sowie ihren Artgenossen kommunizieren zu können.

Sie haben in der Tat ein bestimmtes Gefühl und eine genaue ­Vorstellung von sich selbst. Diese ­Vorstellung scheint sich allerdings von der ­unsrigen zu unterscheiden (siehe Spiegeltest). Sie erkennen, dass die Perspektive des Menschen (oder eines hundlichen Sozialpartners) nicht die eigene sein muss. An diesem Punkt scheint sich auch die Abgrenzung von menschlichem und hund­lichem Bewusstsein zu manifestieren. ­Sicherlich liegt kein Hund abends auf seiner Decke und sinniert über sich und den Sinn des Lebens oder ­darüber, wie er einige Stunden zuvor auf den neuen Hund in der Straße gewirkt hat (oder etwa doch?).

Wie dem auch sei: Hunde leben ­offensichtlich gerne mit uns Menschen zusammen, sind ­kommunikativ und sozial. In ­manchen Bereichen ist ihre Welt nicht unsere, aber das macht nichts. Wir sollten allerdings un­bedingt dafür sorgen, dass sie sich in ihrem Körper wohl fühlen, indem wir ihnen erlauben, sich als Hunde in unserer Welt zu be­wegen. Dazu gehört, dass wir ihnen auch gestatten, sich geruchlich mit anderen Hunden auszutauschen und ­vielleicht sogar ihr Ego mit einem guten Schuss ­Marderduft auf­zu­werten. Und wenn unsere ­Hunde uns wieder einmal mit kleinen ­Tricksereien um den ­Finger wickeln, dann schauen wir ­einfach ­einmal in ihre Augen: ­Vielleicht ­erkennen wir ja darin, was und wie viel sie wirklich von sich und der Welt wissen.

LITERATUR

Die für die Recherche zu diesem Artikel verwendete Literatur nach Erscheinungsjahr geordnet.

■ Donald R. Griffin, Animal Minds. Beyond Cognition and Consciousness. Universtity of Chicago Press 2001.

■ Erhard Oeser, Hund und Mensch. Die Geschichte einer Beziehung. Darmstadt 2004.

■ Juliane Bräuer, Josep Call, Michael Tomasello, „Visual perspective taking in dogs (Canis familiaris) in the presence of barriers". Applied Animal Behaviour Science 88 (2004), 299-317.

■ David DeGrazia, „Self-awareness in animals". In: The Philosophy of Animal Minds. Hrsg. v. Robert W. Lurz, Cambridge Universitiy Press 2009, S. 201-217.

■ Marc Bekoff, „Do animals know who they are?". Psychology Today, Jul 6, 2009.

■ Charles Darwin, The Expression of the Emotions in Man and Animals. Hrsg. v. Francis Darwin. Cambridge University Press 2009.

■ Reinhard Werth, Die Natur des Bewusstseins. Wie Wahrnehmung und freier Wille im Gehirn ent­stehen. München 2010.

■ Dr. Ádám Miklósi, Hunde. ­Evolution, Kognition und Verhalten. Franck-Kosmos Verlag, Stuttgart 2011.

■ Alexandra Horowitz, „Theory of mind in dogs? Examining method and concept." Learning behavior (2011), Vol. 39, Issue 4, 314-317.

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