Sei (m)ein Held

Von Vanessa Engelstaedter

Resilienz stärken beim Hund

Im Zusammenleben mit dem Hund gibt es bekanntlich keine ultimative Erziehungsmethode, wie es auch bei Problem­verhalten nicht die eine Lösung gibt. Viele Wege führen nach Rom. Das Verhalten eines Hundes ist immer ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren: Die vererbten Gene des Hundes, die bisher gemachten (Umwelt-) Erfahrungen und die daraus entstandene Persönlichkeit, außerdem ist es situations- und kontextabhängig. Der Hundehalter hat auch einen großen Einfluss: Seine Persönlichkeit, seine Erfahrung, die den Umgang mit dem Hund prägen, und sein ganz persönlicher Alltag, in dem das Zusammenleben stattfindet. Ein großes Puzzle, aus dem letztendlich das individuelle Bild „Hund-Mensch-Team“ entsteht. Hier kann es keine ­pauschalen Lösungen, Erziehungstipps oder den ­heiligen Gral der Hundeerziehung geben.

Es gibt viele gute Ansätze und Wege, die das Beziehungsklima verbessern und auch bei Problemverhalten eine Therapie bzw. ein Training erheblich unterstützen können. Das Thema Resilienz ist ein großes ­Thema im Umgang mit Angst, Stress und Aggressionen. Der Neurowissenschaftler Raffael Kalisch beschreibt die Resilienz als Aufrechterhaltung oder schnelle Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während und nach Widrigkeiten. Oft wird behauptet, dass es sich um feste Wesensmerkmale handelt, die man entweder hat oder nicht, wie mit tiefgreifenden Problemen umgegangen wird. Mittlerweile weiß man, dass die Prozesse trainierbar sind und nichts in Stein gemeißelt ist. Eine Erhöhung der Resilienz, um damit langfristig einen besseren Umgang mit Stressoren zu erreichen, ist ein wichtiges Ziel im ­Training bzw. in der Therapie.

Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass Lebewesen nicht nur in harmonischer, reizarmer Umgebung lernen können. Ein Umstand, der im Alltag mit unseren Hunden fast unmöglich ist, denn das Leben ist leider kein abgeschotteter Bereich. Richtig ist: Wenn der Stress über einen längeren Zeitraum nicht bewältigbar ist, kann er krank ­machen. Im mittleren Stressbereich jedoch schüttet der Körper wichtige Hormone und Transmitter aus, die uns durchaus aufnahme- und lernfähig ­machen. Stress oder Widrigkeiten erleben und das Gefühl von Handlungsoptionen zu haben, kann ein Lebewesen und dessen Resilienz erheblich stärken und einen leichteren Umgang mit zukünftigen Negativerlebnissen gewährleisten. Neue Fähigkeiten, Eigenschaften und Bewältigungsstrategien können sich aus einem gut gemachten Konflikttraining ent­wickeln.

Olivier Berton an der Universität von Texas in Dallas führte 2005 ein Stress­experiment an Mäusen durch. Hier wurden einzelne Mäuse immer wieder zu einer größeren, angriffslustigen und aggressiven Maus gesetzt. Nach dieser permanenten Niederlage der einzelnen Mäuse bildeten sich zwei Gruppen. Eine Gruppe entwickelte gestörte soziale ­Interaktionen (soziale Aversion), die andere schien davon wenig beeindruckt und zeigte kaum Stresssignale. Man konnte sagen, dass die zweite Gruppe die resilientere war. Doch woran lag es? Das Belohnungszentrum schien eine Antwort zu liefern. Ähnlich wie bei menschlichen Depressionen ­funktionierte das Belohnungssystem bei der Gruppe der sozial aversiven Mäuse nicht einwandfrei. Langwieriger Stress veränderte die Genexpression (die Gene führen zu einer Produktion von Proteinen, die wiederum den komplexen Hormonhaushalt steuern). Interessant war, dass auch bei den resilienten Mäusen, die mit dem starken Stressor viel besser umgehen konnten, sich die Genex­pression ver­änderte und zwar viel stärker als bei der anderen Gruppe! Obwohl die zweite Gruppe scheinbar weniger Stress hatte, waren das ­Gehirn und alle inneren Prozesse in viel größerer Aufruhr. Es fanden Regulationsprozesse statt, die eine Anpassung an die ­Umweltbedingungen möglich machten. Hormone und Neurotransmitter sind hier am Werk und beeinflussen das Verhalten und die Reaktionen. Diese Prozesse sind ein wichtiger Überlebensfaktor aller Lebewesen, ohne diese Anpassung wären wir alle schon ausgestorben.

Deutlich kommunizierte Grenzen geben Halt und Sicherheit
Tatsächlich können Widrigkeiten und Stress abhärten und die Resilienz wachsen lassen. Unter natürlichen Bedingungen würde der Stärkere überleben und diese Gene weitergeben. Diese natürliche Selektion findet bei unseren Hunden jedoch kaum noch statt, so dass hier der Mensch, als Züchter, aber auch als Halter, die Verantwortung für ein gesundes Verhalten trägt. Doch wie kann man Hunden, die bereits verhaltensauffällig sind und Schwierigkeiten im Umgang mit Stressoren haben, im Training und ebenfalls im Alltag helfen? Wie kann die Resilienz erhöht werden? Es gibt einige gute Ansätze: Optimisten kommen besser durch das Leben als Pessimisten. Ein wichtiger Faktor ist die Selbstwirksamkeit, das Gefühl handlungsfähig zu sein und einen Einfluss auf bestimmte Situationen zu haben. Deutlich kommunizierte Grenzen geben Halt und Sicherheit. Durch Erfolge kann ein Hund wachsen, am Stress und am Konflikt Handlungen erlernen. Durch wohlwollende Führung und sichere Bindung hat der Hund einen Ansprechpartner. Auch hilft vielen Hunden die körperliche Selbstwahrnehmung beim ruhigen Gerätetraining oder bei Massagen. Für Ruhe(zeiten) sorgen hilft dem Stresssystem bei verhaltensauffälligen Hunden, das oft überreizt ist durch die fehlende Regulation. Zu allen Ansätzen gehört die wichtige Basis: Seinen Hund zu ­lesen und sein Verhalten zu verstehen, genauso wie eine gesunde Selbst­reflektion unserer ­eigenen menschlichen Verhaltensweisen. Wir Menschen haben einen erheblichen Einfluss auf ­unsere Hunde. Sie können uns nach fast 34.000 Jahren des engen Zusammenlebens lesen und fühlen wie kein anderes Lebewesen. Viele dieser Ansätze können bei einem am Hund und Mensch angepassten Konflikttraining umgesetzt und gefestigt werden, so dass eine Über­tragung in den Alltag stattfinden kann.

Sei mein Held …
Zudem hat sich ein Ausgleichstraining bewährt, in dem der Hund ein Held sein darf. Maßgebend ist auch hier der Mensch, der das Gefühl von Heldentum und Stolz authentisch vermittelt. Zwei Fliegen werden so mit einer Klappe geschlagen: Zum einen führt das gelegentliche Heldentum der Hunde dazu, dass sie positiver gestimmt (optimistisch) in den Alltag und in die Konflikte gehen, zum anderen sind die Halter stolz auf ihre Hunde, was wiederum die Annahme und Akzeptanz des Hundes fördert. Ein wichtiger Aspekt in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Hunden! Denn häufig schwingen unsere (normalen) Emotionen, wie Enttäuschung, Frust und Wut im Alltag mit, so dass kleinere Erfolge zu wenig wahrgenommen werden. Eine Negativspirale entsteht, nicht nur beim Menschen, auch der Hund nimmt sie wahr.

Eine Studie von Gerd Folkers von der Eidgenössischen Technischen Hoch­schule in Zürich bestätigt den Nutzen vom Heldentum im Alltag. Sie soll aufzeigen, welchen Einfluss die Psyche auf negative Empfindungen hat. Allen Teilnehmern, die erfahrene Rollenspieler waren, wurde eine Rolle zugewiesen, in die sie sich reinversetzen mussten. Mal waren sie Helden, die jemanden retten, mal ein eher unsicherer und verzagter Retter. Anschließend wurde als negative Empfindung ein Schmerzreiz ausgewählt und den Teilnehmern zugefügt. Das Gefühl des Schmerzes ist gut messbar und spricht im Gehirn bestimmte Areale an, durchaus also ein ernstzunehmender Stressor. In der Rolle des Helden konnten die Teilnehmer die Schmerzen viel besser und länger aushalten. Positive Gefühle sorgen auch bei Stress und Widrigkeiten für eine positivere, mildere Wahrnehmung!

Heldenhafte Beschäftigungen
Bei einer Kundenbefragung von Hunde­schulteilnehmern, die mit ihren „schwierigen“ Hunden abseits der ­­Er- und Beziehungsthemen eine erfüllende Auslastung begonnen haben, wurde deutlich hervorgehoben, dass das Beziehungsklima sich verbessert habe und selbst die bisher als schwierig empfundenen Verhaltensweisen wesentlich milder seitens der Menschen betrachtet wurden. Ganz weit vorn bei den „­Hunde-Heldentaten“ steht das Longieren als echte Beziehungsarbeit, das Mantrailing, welches ebenfalls für mehr Umweltstabilität sorgen kann, die Dummy- bzw. Apportierarbeit, die Konzentration fördert, ZOS (Zielobjektsuche) oder eine andere intensive Sucharbeit, aber auch sportliche gemeinsame Auslastungen wie CaniCross, Agility, Zughunde­sport, Treibball oder die Vorbereitung auf sportliche Wettkämpfe wie Tough Hunter. Im Alltag kam auch das Free Shaping gut an, bei dem jegliche Idee des Hundes mit einem Klicker bestätigt wurde, so wie Trick Dog und Dog Dance.

Fazit: auch wenn ein Hund nicht die optimalen Startbedingungen für einen guten Resilienzaufbau durch seine Genetik und die ersten Lebenserfahrungen bekam oder auch wenn er ein Trauma erlebt hat, kann jederzeit durch ein Training im Alltag die Resilienz gestärkt werden. Dazu gehört ein gutes, kleinschrittiges und angepasstes Konflikttraining, bei dem der Hund das Gefühl von Handlungsfähigkeit erhält. Ein Stärken des Optimismus durch Tätigkeiten, die dem Hund und seinem Menschen Spaß machen, sowie führkompetente Hundehalter, die als Ansprechpartner wissen, wann ein „Grenzen-setzen“ erforderlich ist oder wo der Hund in seinem Verhalten gefördert und auch akzeptiert werden sollte. Durch unsere innere Haltung und unser Verhalten im Konflikt haben wir einen großen Einfluss auf den an uns orientierten und seit Jahrtausenden angepassten Hund.

WUFF-Information

Was bedeutet Resilienz?
Resilienz wird u.a. als psychische Widerstandsfähigkeit, Krisen und Rückschläge zu bewältigen bezeichnet. Sie wird derzeit als wichtiger Schlüsselfaktor für eine gute Lebensqualität gesehen. Eine starke Resilienz lässt Menschen wie Tiere mit Konflikten, Stressoren oder traumatischen Erlebnissen zurechtkommen. Im Hundetraining, wo oft Diskussionen über die „richtige“ Methode stattfinden, hat gerade dieses Thema einen immer wichtigeren Stellenwert bekommen. Wie kann ich meinen Hund stärken, damit er mit Widrigkeiten oder auch dem alltäglichen Stress besser um­gehen kann? Dabei geht es vor allem darum, den Hund im Inneren zu erreichen, denn nur dann ist eine Veränderung nachhaltig und nicht einzig und allein vom Halter abhängig.

Quellen

Das Stressexperiment mit den Mäusen von Oliver Berton, ­Essential role of BDNF in the mesolimbic dopamine pathway in social defeat stress. Science 2006 und Krishnan, V. Molecular Adaptions Underlying Susceptibility and resistance to social defeat in brain reward regions. Cell 2007 Zu dem Thema Resilienz: Buch „Der ­resiliente Mensch“ von Raffael Kalisch, 2017 Zu dem Thema Heldentum: Buch von Amrei Wittwer und Gerd Folkers „Schmerz“ 2016 Kundenbefragung zur erfüllenden Auslastung: eigene Hundeschule 2017

Pdf zu diesem Artikel: resilienz

 

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