Sehnsucht nach Harmonie

Erfolg hat, wer den ­Standpunkt seines ­Gegenübers versteht

Kaum ein Thema wird so hitzig, leidenschaftlich, ­kontrovers und teilweise fanatisch diskutiert wie das ­Thema Hundeerziehung. Und das ist auch gut und richtig so – denn jeder, der das tut, verleiht damit seinem größten Wunsch Ausdruck: Ein harmonisches, friedvolles und ­lustvolles Zusammenleben mit seinem Hund zu ermöglichen. Ein Zusammenleben, das beide Seiten glücklich macht. Und deswegen gibt es auch unendlich viele Ansätze und Methoden, die so ziemlich das gesamte Spektrum an möglicher Kommunikation abdecken.

Fast alle Trainingsmethoden besitzen in unseren Augen ­Berechtigung, aber haben keinen Ausschließlichkeitsanspruch. Und weil Schablonen nun mal nicht auf jeden ­passen – ob Mensch oder Hund – und weil vielleicht bestimmte ­Ausschnitte zwar sehr gut passen, andere Teile ­desselben „Systems“ aber eben gar nicht, gibt es immer mehr ­Hundehalter, die sich zwar alle Mühe mit der Erziehung nach einer bestimmten Methode geben, aber trotzdem nicht das erreichen, was sie gerne hätten: ein entspanntes Miteinander mit ihrem Vierbeiner, wo sich der eine auf den anderen verlassen kann. Und genau deswegen liegt uns dieses Thema mit einer ganzheitlichen Betrachtung so am Herzen.

„Eigentlich kann er das …“
Meistens ist es so: Man hat ein bestimmtes Verhalten geübt und auf dem Hundeplatz oder zu Hause funktioniert das auch super. Wirklich perfekt! Aber dann, wenn ein bestimmter Reiz – sei es ein Hund, sei es ein Mensch, ein Wildtier, eine Katze, ein Fahrzeug – auftaucht, oder man sich in einer bestimmten Umgebung befindet, funktioniert gar nichts mehr. Der Hund zeigt ein Verhalten, das ihm, seiner Umwelt, seinem Menschen oder allen dreien schadet. Oder: Trotz exakter Anleitung kommt man über einen bestimmten Vermittlungsschritt für ein Kommando, das das unerwünschte Verhalten in ein erwünschtes ändern soll, nicht hinaus, weil das lehrbuchmäßig beschriebene Verhalten des Hundes einfach nicht eintreten will. Und da ist es egal, ob der Hund den Reiz besonders gern mag, wie z.B. Wild, oder den Reiz aus Unsicherheit in die Flucht schlagen will, wie es manche Leinenpöbler mit Artgenossen tun. Und das, obwohl man in reizarmer Umgebung die vermeintlich ideale Motivation gefunden hat, die Übung in die korrekten kleinen Schritte unterteilt und man glaubt, das Prinzip positiver Verstärkung wirklich begriffen zu haben. Manche Menschen bringen es auf den Punkt, indem sie sagen: „Der ist dann einfach zu aufgeregt. Aber ich kriege ihn nicht beruhigt.“ Andere vermuten Revolution: „Der will mich ärgern!“ Und die Dritten glauben, der Hund sei vielleicht dumm, weil er es nicht versteht, was man ihm zu vermitteln versucht.

Wir werden im Folgenden solche Mensch-Hund-Teams in der Beschreibung ausklammern, bei denen tatsächlich im technischen Ablauf im Aufbau eines Kommandos oder eines Abbruch­signals ein Fehler passiert ist, denn Technik kann unserer Meinung nach niemals seriös vermittelt werden, solange man sich nicht gegenübersteht und beobachten kann.

„Ihr Anruf kann leider nicht ­durchgestellt werden …“
Meistens ist die hohe Aufregung in Bezug auf einen bestimmten Reiz der Knackpunkt. Hohe Aufregung behindert – beim Menschen genau wie beim Hund – Lernen, Wahrnehmung und Konzentration. Die Wurzel dieser Aufregung ist Stress, dabei ist es egal, ob eben dieser vom Hund als positiv oder negativ bewertet wird. Die Hormone, die jeweils ausgeschüttet werden, setzen den Organismus auf Kampf oder Flucht – die „unwichtigen Dinge“ wie Verdauung oder Lernen sind weitgehend ausgeschaltet. Das heißt: In einer extremen Reizsituation kann der Hund nicht gehorchen. Er kann auch nicht umlernen. Und das ist ein grundsätzlicher Unterschied dazu, zu glauben, der Hund wolle nicht gehorchen.

Dazu kommt: Aufregung, die auf bestimmte Objekte oder Situationen immer wieder gelebt wird, automatisiert sich. Das heißt: Die Aufregung flutet nicht langsam an, während der Reiz wahrgenommen wird, sondern der Reiz löst die körperliche Reaktion schon aus, noch bevor der kognitive Teil des Gehirns ­begriffen hat, was los ist. Fazit: Der Hund kann auch in einer neuen Situation, die dieselben Stimuli bietet, nicht anders reagieren – wenn ihm nicht geholfen wird, die Aufregung zu senken und darüber ein neues Gefühl dem Reiz gegenüber zu bekommen.

Ursache und Wirkung
Die Ursache der Aufregung zu finden und diese zu regulieren, bietet den Hebelpunkt für ein entspanntes Zusammenleben. Grundsätzlich zeigen alle sozialen Lebewesen Verhalten, welches geeignet ist, ihre Situation zu erhalten oder zu verbessern. Ein Hinstürmen zum besten Freund verbessert die Situation: Aus einem Spaziergang wird eine Party. Ein in-die-Flucht-Schlagen des unheimlichen Fremdhundes bringt ebenfalls eine Zustandsverbesserung. „Man“ hat endlich wieder seine Ruhe und seinen ungestörten Raum. Je nach Ursache der Aufregung muss man dem Hund völlig verschiedene Dinge vermitteln, um eine Chance zu haben, die Auf­regung zu regulieren. Das äußere Bild des Hundes kann dabei für Außenstehende identisch aussehen. In unserem Beispiel: Der Hund hängt kläffend und wedelnd in der Leine und zerrt in Richtung eines anderen Hundes. Für einen Reiz, den der Hund „dreist“ ansteuert, braucht es Frustrationstoleranz, Impulskontrolle und das Akzeptieren einer vom Menschen gesetzten Grenze, um dem Hund zu vermitteln, nicht hinzurennen. Ein Hund, der aus Unsicherheit heraus z.B. artgenossenaggressiv ist, braucht zwar ebenfalls die Information, dass ein „Erstschlag“ nicht erlaubt ist, allerdings um überhaupt eine Chance zu haben, dies nachhaltig begreiflich zu machen, zusätzlich eine Emotionsveränderung des negativen Gefühls.

Spätestens hier schon sollte klarwerden, warum eindimensionale Schablonen-­Erziehung nicht bzw. oft nicht funktioniert. Es gibt zu viele Variablen und verschiedene Ebenen. Kommunikation ist vielschichtig und findet nicht nur im Bereich der Konditionierung statt. Es geht um mehr, als nur dem Hund zu sagen, was er tun soll. Er darf auch begreifen, was er nicht tun muss und dass dieses ihm guttut, da das Abnehmen von gewichtigen Entscheidungen ihn entspannt. Soziale Interaktion, Ver­trauen und Respekt sind der Klebstoff und die Basis für die Erziehung und Ausbildung, die wir unseren Hunden dann mit Hilfe der korrekt angewandten Lerntheorien vermitteln.

Man kann nur den respektieren, dem man vertraut. Und man kann nur dem vertrauen, den man respektiert.
Wer vertrauensvoll führt, hat die ­Möglichkeit im Alltag Ruhe zu generieren. Man kann sie weder „hinein­prügeln“ noch „hineinclickern“ – sie ist das Resultat einer ganz klaren Information und Hilfestellung des Menschen, die je nach Situation angepasst vermittelt wird. In dieser neu erschaffenen Ruhe ist dann der Zustand erreicht, in dem der Hund ein neues Gefühl dem Reiz ­gegenüber lernen kann. Er kann be­greifen, dass er das Verhalten, welches er z.B. aus Unsicherheit zeigt, nicht zeigen muss. Er darf sich entspannen. Er darf darauf vertrauen, dass sein Mensch ihm hilft. Er kann dadurch den Zustand der Unsicherheit auflösen und neue, positive Erlebnisse mit dem Reiz verknüpfen. Und genau das ist der ­zweite wichtige Punkt. Um beim Beispiel des Artgenossen-unverträglichen Hundes zu bleiben: Als Mensch bin ich dann in der Verantwortung, die un­angenehmen Situationen für meinen Hund zu regeln. So sieht in unserer Definition eine gute Führung aus, die dem Hund Vertrauen in seinen Menschen gibt und ihn überzeugt, sich anzuschließen.

Du musst nicht und du brauchst auch nicht. Bist du bei mir, bist Du in Sicherheit.
Viele Menschen sind geneigt, Angst vor Vertrauensverlust zu haben, wenn sie ihrem Hund etwas untersagen. Doch dazu sei nur gesagt: Vertrauen bekommt, wer ein festes Geländer bietet, damit das Gefühl von festem Halt entsteht. Und wer den Raum zwischen den Geländern gleichzeitig angenehm und entspannend gestaltet.

Nur Verbote sind auch keine Lösung …
… denn dann fehlt dem Hund die Orientierung für ein Verhalten, das sich statt seines alten Verhaltens für ihn wieder lohnt. Daher ist jeder auf dem Holzweg, der glaubt, nur über Verbote zu einer vertrauensvollen, positiven ­Beziehung zu finden. Das Schöne ist: Jetzt, nachdem unser Hund gelernt hat, eine Grenze anzunehmen, ist er auch offen und bereit, eine neue Handlungsoption zu wählen. Dadurch, dass der Hund seinen alten Weg nicht mehr wählen muss, kann er nun mit der Hilfe des Menschen Folgendes erfahren: die neue, gemeinsam gelebte Strategie ist erfolgreicher und fühlt sich besser an.

Für diese neue Handlung ist der Mensch in der Pflicht, sich ein genaues Bild zu machen, wie das richtige Verhalten in der Reiz-Situation aussehen soll. Wer das Ziel nicht kennt, wird den Weg nicht finden – der Trainingsansatz ist idealer­weise von positiven Bildern (des erwünschten Verhaltens) geprägt, da unser Gehirn kein Bild für das Wort „nicht“ hat (als Beispiel, liebe Leser, denken Sie jetzt NICHT an einen blauen Elefanten). Ein konkretes Beispiel in der Hunde­begegnung wäre: Flocki soll entspannt am Artgenossen vorbei gehen, statt Flocki soll nicht hinziehen.

Es gibt unendlich viele Wege und auch sie hängen wieder vom Hundetyp und auch vom Menschen ab. Ein kompetenter Hundetrainer wird aus einem großen Strauß an Möglichkeiten auswählen können, um sowohl den Hund als auch den Menschen passend zu beraten und anzuleiten. Hierbei ist es wichtig, das gewünschte Verhalten mit einem ­Maximum an Freude, positiven ­Gefühlen und präziser Bestätigung zu konditionieren. Warum wir beide Ebenen – sowohl die der gesetzten Grenze als auch die der positiven Verstärkung – für gleich wichtig halten, sollte nun deutlich werden.

Was meinen wir damit?
Wir möchten jeden Hundehalter ermutigen, seinen Weg zu gehen. Wir möchten ins Bewusstsein rufen, dass Erziehung und Beziehung niemals nach einem Schema ablaufen kann und es verschiedene Ebenen gibt, die unterschiedlich funktionieren, aber alle wichtig sind. Es gibt „den Hund“ genauso wenig oder viel wie es „den Menschen“ gibt, und daher kann nicht jedem dasselbe ­helfen. Um nach vielen Bemühungen, die gescheitert sind, doch noch zum Erfolg zu kommen, müssen Komfortzonen, die wir uns automatisch eingerichtet haben – und dabei reden wir sowohl vom Menschen als auch vom Hund – verlassen werden, und das ist nicht immer einfach. Und trotzdem möchten wir betonen, dass das Allerwichtigste ist, dass man sich als Mensch mit dem Weg, den man geht, identifizieren kann. Denn die beste Technik bringt nichts, wenn man als Mensch nicht mit reinem Herzen und voller Zustimmung dahinter steht. Und wir möchten Sie ermutigen, sich kritisch mit dem zu beschäftigen, was Ihnen als Anleitung eines Hundetrainers an die Hand gegeben wird. Wie „fühlt“ es sich an? Sehe ich eine Veränderung? Ist der Weg für mich gangbar und verständlich, oder bringt er massive unschöne Einschnitte für mich mit? – Entscheiden Sie frei, es gibt nie nur den einen Weg. Und hier kommen wir zu unserem letzten, wichtigen Punkt bezogen auf das Thema: Jeder darf sich hinterfragen, warum er eine Verhaltensänderung wünscht. Passiert die, weil es mir als Mensch oder meinem Hund damit nicht gut geht, dann ist auch alle Kraft da, dieses zu ändern. Jeder Mensch kann führen. Es hat nur nicht jeder denselben Führungsstil. Liegt die Motivation jedoch im Außen, in den Kommentaren von Mitmenschen oder gesellschaftlichen Normen, dann sollte man sich überlegen, für wen man die Verantwortung trägt. Denn unsere Hunde merken eines immer noch vor uns selbst: Ob wir ehrlich zu uns sind.

Pdf zu diesem Artikel: harmonie

 

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