Es ist eine weit verbreitete Annahme: Unsere Hunde wissen, wann sie sich falsch verhalten haben, und blicken entsprechend schuldbewusst drein, wenn wir ihre Missetaten entdecken. Ist das wirklich so?
Wir kehren vom Einkauf heim und werden von einem eigenartig stillen Hund begrüßt. Je weiter wir uns dem Wohnzimmer nähern, desto kleiner scheint sich unser Max zu machen, die Rute unter dem Bauch eingeklemmt folgt er unseren Schritten. Und nun sehen wir die Bescherung: Der Blumentopf liegt zerbrochen auf dem Parkett, rundherum verteilt sich die Erde, und Hundetapsen zeigen, wer der Missetäter war. Wir werden richtig böse und schauen in die weit aufgerissenen braunen Kulleraugen unseres Vierbeiners. Und sind uns sicher: Er schämt sich, er hat ein schlechtes Gewissen, er fühlt sich schuldig!
Vermenschlichungen
Hunde- und Nichthundehalter gleichermaßen kennen die vermeintlichen Signale wie Sichkleinmachen, Ruteeinziehen, Blickabwenden oder den Rückwärtsgang einlegen. Diese Signale werden als Anzeichen schuldbewussten Verhaltens identifiziert. 74 % der Besitzer gaben an, schuldbewusstes Verhalten bei Hunden zu kennen, so das Ergebnis einer Umfrage (Paul H. Morris et al. 2008). Ist das, was wir wahrnehmen, auch das, wonach es aussieht?
Wir Menschen leben eng mit unseren Hunden zusammen und sie sind ein Teil unserer menschlichen Vergangenheit. Sie sind uns derart vertraut, dass wir geneigt sind, ihr Verhalten mit unserem menschlichen Verhalten gleichzusetzen. Man nennt diese Gleichsetzung auch Anthropomorphismus. Und wir können im Grunde auch nicht anders, als Hunde aus unserer menschlichen Perspektive zu sehen, denn wir sind Menschen. Es ist durchaus legitim anzunehmen, dass sie in ähnlichen Situationen ähnlich empfinden oder vergleichbar reagieren. Wir dürfen dabei jedoch nicht vergessen, dass Hunde eben doch keine Menschen sind, und müssen deshalb ernsthaft in Betracht ziehen, dass sie über bestimmte emotionale und kognitive Fähigkeiten nicht oder nur in anderer Form verfügen. Probleme ergeben sich, wenn wir von ihnen etwas verlangen, das sie aufgrund ihres Hundseins gar nicht leisten können. Oder wenn wir ihnen Gefühle unterstellen, die sie in einem bestimmten Kontext gar nicht haben.
Was sind Schuldgefühle?
Über das Empfinden primärer oder Basisemotionen (Freude, Wut, Furcht etc.) besteht hinsichtlich unserer Hunde mittlerweile Einigkeit in der Wissenschaft. Schuldgefühle gehören wie auch die Eifersucht (s. Beitrag der Autorin in WUFF 6/2012, Anm.) zu den sekundären Emotionen, sind also erworben. Menschliche Schuldgefühle entstehen im Bewusstsein über eine moralische Verfehlung oder einen Verstoß gegen soziale Regeln und sind nach Sigmund Freud in sozialer Angst und Gewissensangst begründet. An dieser Stelle setzt die Frage an, ob Tiere im Allgemeinen und Hunde im Speziellen zu Schuldgefühlen fähig sind. Erkennen sie den Zusammenhang zwischen dem, was sie „angerichtet“ haben, und der von uns Menschen aufgestellten Regel „Du sollst die Möbel und das Inventar nicht zerstören“?
Kennen Hunde gut und böse?
Können wir voraussetzen, dass unser Vierbeiner die Vase gar absichtlich umgeworfen hat? Können wir ihm vorwerfen, böse zu sein, und voraussetzen, dass er sich schuldig fühlen muss? Sicherlich ist ihm der materielle oder immaterielle Wert einer Vase, einer Kommode, eines Tisches nicht bekannt. Warum auch. Die Vase fiel vermutlich aufgrund eines Missgeschicks um, der Tisch wurde aus Langeweile oder Stress aufgrund des zu langen Alleinseins angeknabbert. Hunde sind nicht böse, nur weil sie etwas tun, was unseren Vorstellungen nicht entspricht oder unserem Bild von einer vorzeigbaren Wohnung widerspricht. Natürlich muss dem Hund vermittelt werden, dass er dies oder jenes nicht darf, welches Verhalten erwünscht, welches unerwünscht ist. Es wäre verfehlt zu erwarten, dass er sich in unserer Welt von sich aus nach unseren Maßstäben verhält. Diese Erwägung bringt uns zurück zu unserer Ausgangsfrage. Schämen sich Hunde wirklich, wenn wir sie dabei ertappen, wie sie unsere Wohnung verwüsten oder auf dem Teppich eine Pfütze hinterlassen?
Spiegelung des Besitzers
Alexandra Horowitz vom Barnard College in New York ergründete 2008 in einer Studie den „guilty look“, also den „schuldbewussten Blick“ unserer Haushunde. Sie untersuchte das Verhalten von Hunden in Beziehung zu den Reaktionen der Besitzer: Dem jeweils eigenen Hund wurde verboten, einen Leckerbissen zu verspeisen. Daraufhin wurde der Hundehalter gebeten, den Raum zu verlassen. Mittels einer Videokamera zeichnete man auf, ob der Hund den Leckerbissen verspeiste oder nicht. Dem hereingerufenen Besitzer teilte man mit, ob der Hund brav gewesen war oder nicht. „Ungehorsame“ Hunde verhielten sich so, wie die Hundehalter es aus dem eigenen Alltag kannten. Nicht immer entsprach die Auskunft jedoch der Wahrheit. Hunde, die gescholten wurden, obwohl sie sich gar nicht „schuldig“ gemacht hatten, zeigten ebenso „schuldbewusstes“ Verhalten wie jene, die wirklich den Leckerbissen verspeist hatten. Sie benahmen sich sogar besonders „schuldbewusst“. Und umgekehrt: Hatten die Hunde trotz Verbotes gefressen, ihre Besitzer wähnten sich aber in dem Glauben, ihr Hund sei brav gewesen, so blieb das Verhalten des Hundes bei der Rückkehr des Besitzers neutral oder freudig. Alles in allem können diese Beobachtungen als eindeutige Belege für die Mitwirkung des Menschen bei der Reaktion der Hunde gewertet werden.
Unterordnungs-Erziehung
Die Studie von Alexandra Horowitz brachte eine weitere relevante Erkenntnis hervor: Hunde, die mithilfe des Unterordnungs-Trainings (Obedience) erzogen worden waren, gaben sich „schuldbewusster“, wenn sie einem verärgerten Besitzer gegenüberstanden. Horowitz nimmt an, dass diese Hunde erlernt hatten, ritualisierte Unterwürfigkeitsgesten zu zeigen, also ganz besonders auf Hinweise im Verhalten der Besitzer achteten.
Horowitz’ Schlussfolgerung lautet: Das Verhalten der Hunde steht in deutlicher Abhängigkeit vom Verhalten des Besitzers. Sie schreibt: „What the guilty look may be is a look of fearful anticipation of punishment by the owner“, der schuldbewusste Blick sei also die Erwartung einer Bestrafung durch den Besitzer. Das gezeigte Verhalten, die Unterwürfigkeitsgesten oder Angstsignale standen also nicht im Zusammenhang mit der eigentlichen Tat oder dem zerstörten Objekt, sondern mit der Bestrafung durch den Besitzer in ähnlichen Situationen in der Vergangenheit. Allerdings: Dass Hunde in den beschriebenen Alltagssituationen kein Schuldgefühl zeigen, heißt nicht, dass sie nicht zu einem ähnlichen Gefühl fähig wären. Der wissenschaftliche Nachweis allerdings steht noch aus.
Unterwürfig statt schuldbewusst
Für uns Hundehalter lässt sich aus den bisherigen Erkenntnissen erneut ablesen, wie sozial Hunde veranlagt sind und wie sehr sie auf das Verhalten von uns Menschen reagieren. Es macht also keinen Sinn, dem Hund zu unterstellen, er wüsste schließlich, was er angerichtet hat, da er keinen Bezug zwischen seiner weiter zurückliegenden Handlung und unserem Ärger herstellt. Je mehr wir ihn schelten, desto unterwürfiger wird er vermutlich reagieren. Dies aber schlichtweg aus Angst vor dem folgenden „Donnerwetter“, also auch aus Angst vor uns. Er versucht uns durch eindeutige Beschwichtigungssignale milde zu stimmen. Dies aber eben nicht aus Einsicht angesichts seines Fehlverhaltens, sondern weil wir ihm unberechenbar, möglicherweise ungerecht erscheinen. Eine vertrauensvolle Mensch-Hund-Beziehung erreichen wir hiermit keinesfalls.
Hunde, die ständig gescholten und gemaßregelt werden – und dies noch völlig zu Unrecht – können kein gesundes Selbstvertrauen entwickeln und reagieren häufig auch in anderen Situationen unterwürfig, ängstlich oder panisch. Statt zu schimpfen sollten wir daher klare Regeln aufstellen und unseren Hunden ein artgerechtes Lebensumfeld schaffen. Die immer wieder herangezogene Erklärung, der Hund fühle sich schuldig, bringt uns demnach auf eine falsche Fährte.
Literatur
Verwendete Literatur (nach Erscheinungsdatum)
■ Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen, Hundepsychologie. Sozialverhalten und Wesen. Emotionen und Individualität. Franck-Kosmos Verlag, Stuttgart 4. Auflage 2004.
■ Jaak Panksepp, „Affective consciousness: Core emotional feelings in animals and humans“, Consciousness and Cognition 14 (2005), 30-80.
■ Dr. Udo Gansloßer, Verhaltensbiologie für Hundehalter. Verhaltensweisen aus dem Tierreich verstehen und auf den Hund beziehen, Franck-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2007.
■ Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen, Ausdrucksverhalten beim Hund. Franck-Kosmos Verlag, Stuttgart 2008.
■ Paul H. Morris, Christine Doe, and Emma Godsell, „Secondary emotions in non-primate species? Behavioural reports and subjective claims by animal owners“, Cognition and Emotion, 2008, 22 (1), 3-20.
■ Marc Bekoff, „Anthropomorphic Double-Talk: Can Animals Be Happy But Not Unhappy? No!“, Psychology Today, June 24 2009.
■ Alexandra Horowitz, „Disambiguating the ‚guilty look‘: Salient prompts to a familiar dog behavior“, Behavioural Processes 81 (2009), 447-452.
■ Dr. Ádám Miklósi, Hunde. Evolution, Kognition und Verhalten. Franck-Kosmos Verlag, Stuttgart 2011.
■ Marc Bekoff, Jessica Pierce, Vom Mitgefühl der Tiere (Im engl. Original: Wild Justice. The Moral Lives of Animals), Franck-Kosmos Verlag, Stuttgart 2011