Schreckgespenst Silvester

Von Martina Bartl

Der Jahreswechsel mit Böllern und Feuerwerk steht vor der Tür – und damit für viele Hunde Tage der Angst und des Schreckens. Doch es gibt Mittel und Wege, Ihrem Hund diese Zeit stressfreier zu gestalten.

Besonders in und rund um Großstädte ist es leider mittlerweile üblich, dass die ersten Böller bereits kurz nach Weihnachten abgefeuert werden. Somit beschränkt sich das Hundeleben in Furcht nicht mehr nur auf den 31. Dezember, sondern auf einige Tage davor und danach. Das bedeutet für die Tiere, dass sie oft zehn Tage und mehr nicht zur Ruhe kommen, gestresst sind, nicht fressen können, Spaziergänge zu Spießrutenläufen werden und sie sich physisch wie psychisch im Ausnahmezustand befinden. Auf beiden Seiten – bei Hundehalter und Hund – ist der Leidensdruck groß, und der Mensch weiß meist nicht, wie er aus dem zitternden Bündel Elend wieder seinen lebensfrohen und angstfreien Hund machen kann. Ein Teufelskreis, der aber an einigen Stellen durchbrochen werden kann.

Angst als Überlebensretter
Der Gemütszustand Angst ist für alle Individuen überlebenswichtig. Ohne Angst würden sich Menschen wie Tiere in Situationen begeben, die ihr Überleben gefährden. Zum Problem wird Angst dann, wenn sie sich in Situationen zeigt, die mehr oder weniger zum Alltag des Hundes gehören (z. B. Staubsauger, Autofahrten, …) und/oder unausweichlich (Gewitter, Silvester, …) sind.
Noch problematischer wird es, da sich diese Angst von alleine potenziert. Zu der ursprünglichen Angst vor Geräuschen oder einer Situation gesellt sich die Angst vor der Angst. Angst zu haben – besonders wenn diese länger anhält – ist für den Hund ein geistig und körperlich äußerst unangenehmer Zustand. Der Hund wittert das Gewitter, weiß, es wird wieder donnern und blitzen (= Angstauslöser) und fürchtet sich schon im Vorfeld (noch bevor es tatsächlich donnert und blitzt) davor, wieder Angst zu haben. Das erklärt, warum aus einer kleinen Unsicherheit echte Todesangst werden kann und die Angstsymptome des Hundes von Mal zu Mal schlimmer werden.

Anzeichen für Angst
Hunde haben eine sehr ausgeprägte Körpersprache, deren Repertoire auch Zeichen für Angst beinhaltet. Je nachdem wie groß die Angst ist können das z. B. flach am Kopf anliegende und zurückgezogene Ohren, eine eingezogene Rute, Hecheln, vergrößerte Pupillen, Lecken der Lefzen, geduckte Haltung, aufgestellte Rückenhaare sowie Beschwichtigungs- und Demutsgesten oder umgekehrt aggressives Verhalten sein. Akustisch zeigen Hunde oft durch Jaulen, Winseln, Knurren, Bellen oder Heulen ihre Angst. Parallel dazu verändert sich auch das Verhalten des Hundes: Aus dem sonst folgsamen Hund wird beim Spaziergang ein panisch an der Leine ziehendes Angstpaket, im Haus wandert das Tier ruhelos von Zimmer zu Zimmer, um einen sicheren Ort zu finden, und Hunde, die vor Angst panisch werden, handeln völlig kopflos und können im schlimmsten Fall sogar durch ein offenes Fenster springen, um der Situation zu entkommen. Es kann also – nicht nur für den Hund selber – gefährlich werden, wenn ein Hund in diese Angstspirale driftet.

Es gibt Hilfe
Die gute Nachricht zuerst: Es gibt Trainingsmöglichkeiten, damit Ihr Liebling der Angst die Stirn bieten kann. So ein Anti-Angsttraining ist wahrscheinlich die beste Variante, um dem Hund langfristig und nachhaltig die Angst vor Feuerwerk zu nehmen. Die schlechte Nachricht: Für das diesjährige Silvester ist es zu spät, denn dieses Training braucht – je nach Intensität der Angst – seine Zeit. Aber der nächste Jahreswechsel lässt nur 365 Tage auf sich warten, und auf den können Sie Ihren Hund mit einem entsprechenden Training vorbereiten (siehe unten).

Was Sie jetzt noch tun können
Es gibt aber Maßnahmen, mit denen Sie Ihrem Hund bereits den kommenden Silvester erträglicher machen können. Einige davon haben eine kurze Anlaufzeit, damit sie am Tag X greifen bzw. damit Sie probieren können, welche speziell Ihrem Hund helfen.

Massage: Die bekanntesten Massagegriffe, die auch der Hundehalter gut anwenden kann, sind die TTouches® von Linda Tellington-Jones. Es gibt einige Touches, die speziell ängstlichen Hunden helfen können. Im Idealfall lassen Sie sich die Grifftechniken von einem qualifizierten TTouch®-Trainer zeigen, als Nachschlagewerk eignet sich z. B. das e-book »TTouch für den Hund«. Vorteil: Sie können gleich mit dem Üben der Griffe beginnen und an Ihrem Hund ausprobieren. So sehen Sie, welcher bei Ihrem Hund am besten hilft.

Tellington-Körperband: Eine gute Ergänzung zu den TTouches® sind die ebenfalls von Linda Tellington-Jones entwickelten Körperbänder. Diese elastischen Bandagen werden in einer speziellen Technik um den Körper des Hundes gewickelt. Durch den sanften Druck, den diese Bandagen ausüben, entspannen sich die Muskeln, und die Herz- und Atemfrequenz sinkt – beides wirkt angstsenkend. Das richtige Anlegen des Körperbandes sollten Sie sich ebenfalls zeigen lassen und in Folge auch den Hund langsam daran gewöhnen.

Thundershirt: Eine ähnliche Wirkung wie das Tellington-Körperband versprechen die Hersteller des Thundershirts. Dieses Shirt, das an eine Decke erinnert, übt wie das Körperband sanften Druck auf den Körper des Hundes aus, wodurch er entspannen soll. Die Hunde haben in der Regel kein Problem mit dem Thundershirt, allerdings finden sich – wie bei den meisten Hilfsmitteln – unterschiedliche Erfahrungsberichte im Internet. Dem einen hilft’s, dem anderen nicht – deshalb empfiehlt es sich, auch das Thundershirt zu testen, damit Sie sehen, wie Ihr Hund darauf reagiert.

Geräusch-CDs/DVDs: Mit diesen CDs/DVDs können Sie Ihren Hund langsam (wieder) an die Geräusche eines Gewitters oder Feuerwerks gewöhnen. Die Geräusche werden (zuerst leise) in den Alltag integriert, und so wird die Geräuschkulisse eines Feuerwerks zu etwas Alltäglichem gemacht. Vorteil: Auch das können Sie schon im Vorfeld ausprobieren und sehen, ob Ihr Hund darauf anspricht. Nachteil: Es gibt Hunde, die auf diese CDs/DVDs nicht reagieren, sie zeigen ihr Angstverhalten nur bei echten Bedingungen.

Gehörschutz: Ein Gehörschutz ist ein auf den ersten Blick vielleicht recht unorthodoxes Hilfsmittel, aber manchen Hunden hilft es, wenn sie das Knallen nur noch gedämpft wahrnehmen. Für den Fall bietet der Markt speziellen Gehörschutz für Hunde wie die Mutt Muffs (erhältlich unter www.gehoerschutz-versand.de/MuttMuffs). So ein Gehörschutz kann für Hunde, deren Angstauslöser bereits die Knallerei vor und nach dem eigentlichen Silvesterfeuerwerk ist, ein wahrer Segen sein. Abzuraten ist von selber gebastelten Ohrenstöpseln o. ä: Diese können so tief in den Gehörgang des Hundes rutschen, dass das Innenohr des Hundes verletzt wird und der Fremdkörper nur vom Tierarzt wieder entfernt werden kann.

Hilfe aus der Natur …
Viele Hunde sprechen gut auf Phytopharmaka an, die zusätzlich zu allen vorher genannten Hilfsmitteln eingesetzt werden können. Kräuter wie Baldrian, Rosenwurz, Goldmohn, Melisse, Passionsblumenkraut oder Hopfen, die für ihre beruhigende Wirkung bekannt sind, können präventiv gegeben werden. Aber Achtung: Auf jeden Fall mit einem Fachmann die richtige Dosierung finden – auch Kräuter können falsch dosiert für den Hund gefährlich werden! Einfacher ist es, wenn man sich für Phytopharmaka entscheidet, auf fertige Mischungen oder Kombipräparate (Kräuter meist gemischt mit z. B. Grünteekonzentrat, Magnesium, Vitaminen, L-Tryptophan oder Folsäure) zurückzugreifen, da diesen immer eine Fütterungsempfehlung beigelegt ist. Ebenfalls natürlichen Ursprungs sind Präparate aus der Homöopathie. Die kleinen Kügelchen oder Tropfen müssen aber vom spezialisierten Tierarzt individuell auf den Hund abgestimmt werden und sind in der Regel bereits einige Zeit vor Silvester regelmäßig zu verabreichen. Keine Vorlaufzeit hingegen haben etwa die bekannten Rescuetropfen aus der Familie der Bachblüten, die bei Bedarf gegeben werden können.

… und aus dem Labor
Wer sich nicht allein auf die Natur verlassen möchte, der kann auf Präparate mit künstlich hergestellten Wirkstoffen zurückgreifen, die aber aufgrund ihrer Zusammensetzung noch nicht verschreibungspflichtig sind, sondern frei erhältlich, da sie als Nahrungsmittelergänzung eingestuft sind. Dazu gehört z. B. das auf einem Entspannungs-Pheromon basierende Adaptil®, das es als Halsband, Spray, Tabletten und als Steckdosen-Verdampfer gibt. »Mutterhündinnen kommunizieren mit ihren Welpen über einen natürlichen Botenstoff, der in die Umgebungsluft abgegeben wird. Diese für den Menschen oder andere Tierarten geruchlosen Entspannungs-Pheromone vermitteln ein starkes Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit«, so der Hersteller. Eine Wirkungsgarantie gibt es nicht, man findet aber durchaus viele positive Bewertungen im Internet.

Zylkene®, das ebenfalls frei erhältlich ist, setzt nicht auf Pheromone, sondern auf ein spezielles Protein (Trypsin-hydrolysiertes Rinderkasein), das beruhigend auf den Organismus wirken soll. Vom Hersteller Vétoquinol wird empfohlen, mit der Gabe von Zylkene® ein bis zwei Tage, bei manchen Tieren bereits fünf bis sieben Tage, vor Eintritt der Veränderung zu ­beginnen. Wie bei Adaptil® ist auch bei Zylkene® nicht garantiert, dass bei jedem Hund die beschriebene Wirkung einsetzt.

Nur für Härtefälle
Für all jene Hunde, denen der Silvesterlärm so zusetzt, dass sie vor Angst außer Rand und Band geraten und sich selbst und vielleicht sogar ihr Umfeld in Gefahr bringen könnten, findet sich in der Hausapotheke des Tierarztes Hilfe. »Wir besprechen mit den Hundehaltern, wie stark die Angst des Hundes ausgeprägt ist und empfehlen auch gerne pflanzliche Präparate. Zum Wohl des Hundes muss man aber auch ehrlich sagen, dass es oft besser wäre, das Tier mit dem richtigen Medikament so gut es geht angstbefreit über Silvester zu bringen«, weiß Dipl.-Tzt. Christoph Seemann-Hamm, Tierarzt aus Mödling bei Wien. »Die besten Erfahrungen haben wir mit einem relativ neuen Präparat gemacht, das den Wirkstoff Dexmedetomidin enthält. Dexmedetomidin wirkt angstlösend und nicht wie zum Beispiel Benzodiazepin nur beruhigend. Das Dexmedetomidin-­Präparat hat zudem den Vorteil, dass es keine Vorlaufzeit hat, relativ schnell wirkt, weil es über die Schleimhäute im Maul appliziert wird, gut zu dosieren ist und mehrmals gegeben werden kann. Im Gegensatz dazu müssen Präparate mit Benzodiazepin verabreicht werden, wenn das Tier noch ruhig ist und keine Anzeichen von Unruhe oder Angst zeigt, da sie sonst nicht wirken. Zudem ist die Dosierung oft eine heikle Angelegenheit, bei einer Überdosierung mit einem Benzodiazepin-Präparat kann’s schnell mal gefährlich werden, eine Unterdosierung hilft dann nicht«, beschreibt der erfahrene Tierarzt die unterschiedlichen Pharmazeutika.

»Außerdem verpflichtet uns Tierärzte die sogenannte Kaskadenregel dazu, bei der Behandlung bestimmter Krankheitsbilder immer zuerst Medikamente zu verschreiben, die genau für diesen Zweck zugelassen sind. Das einzige Präparat, das derzeit für Geräuschangst beim Hund eine Zulassung hat, ist jenes mit dem Wirkstoff Dexmedetomidin. Die Abgabe von anderen Arzneien ist mit dieser Zulassung für den Tierarzt zu einem klaren Rechtsverstoß geworden,« erläutert der Tierarzt auch die heikle Rechtslage mit Medikamenten, die den Wirkstoff Benzodiazepin enthalten und die alle nur eine Zulassung für die Humanmedizin haben.

Knallfreie Silvester
Last but not least können Sie mit Ihrer Familie und dem Hund der ganzen Knallerei und Feuerwerken auch einfach den Rücken kehren und verreisen. Seit einigen Jahren gibt es hundefreundliche Hotels, die knallfreie Silvester anbieten. Meist sind das Apartmenthäuser, Hotels oder Pensionen in Alleinlage oder in Gebieten, in denen grundsätzlich Böller und Feuerwerk verboten sind. Eine große Auswahl an solchen sogar mit einem »Böller-
Barometer« gekennzeichneten Hotels in Deutschland und Österreich finden Sie z. B. unter www.hunde-urlaub.net/urlaubsidee/silvester-mit-hund/. Und wer gerne noch weiter weg möchte, der findet dort auch mehrere Reiseziele etwa in Frankreich, Italien oder in den Niederlanden – und auch Kroatien und Spanien haben einige knallfreie Hotels im Angebot. Gabriela Golob, Gründerin von hunde-urlaub.net, weiß, was ihre Kunden suchen:
»Die Gastgeber sind sehr kreativ. Sie haben viele Ideen wie etwa nachmittägliche Silvesterwanderungen über das Neujahrsleckerli für den Hund bis hin zum mitternächtlichen Steigenlassen von Glücksluftballons anstelle von Raketen. Eben alles, was eine gute Silvesterparty für Hunde ausmacht.« Weitere Internetplattformen, die böllerfreie und hundefreundliche Reisedomizile anbieten, sind etwa www.holidays-with-pets.de und www.hunde-ferienhaeuser.de/tipps/silvester-hund.html.

Es gibt also einige Möglichkeiten, um mit Ihrem Hund halbwegs gut ins neue Jahr zu kommen. Und egal wofür Sie sich entscheiden, am wichtigsten ist: Ihr Hund bleibt entspannt – denn dann können auch Sie den Jahreswechsel gemeinsam mit Familie und Freunden in aller Ruhe feiern.

Training gegen die Angst

Ines Levy, Hundetrainerin aus Baden bei Wien, erklärt, wie ein Anti-Angsttraining abläuft.

WUFF: Liebe Frau Levy, Sie arbeiten seit fünf Jahren als Hundetrainerin und bieten auch Anti-Angsttraining an. Auf welchem Grundprinzip beruht ein Anti-Angsttraining?
Ines Levy: Es gibt mehrere Möglichkeiten, das Training aufzubauen. Man unterscheidet zwischen systemischer Desensibilisierung und Gegenkonditionierung, wobei gerade beim Anti-Angsttraining beides häufig hintereinander bzw. gemeinsam angewendet wird. Bei der systemischen Desensibilisierung wird der Hund sukzessive an den angstauslösenden Reiz gewöhnt. Das bedeutet, dass der Reiz – in dem Fall ein Geräusch – ganz leise und so gering dosiert eingesetzt wird, dass der Hund es zwar wahrnimmt, aber keine Stressreaktion zeigt. Durch viele Wiederholungen und langsame Steigerung soll der Hund lernen, dass von diesem Geräusch nichts Böses ausgeht, sondern (Gegenkonditionierung) ein Spiel, eine Streicheleinheit, ein Leckerli – also etwas Positives – kommt. Damit wird eine Reiz-Reaktions-Kette unterbrochen und der angstauslösende Reiz mit einer positiv besetzten Reaktion verknüpft. Sehr erfolgversprechend ist der Aufbau einer konditionierten Entspannung. Dabei wird der Hund z. B. massiert oder gestreichelt, und während der Hund im Entspannungs- und Wohlfühlmodus ist, wird immer wieder ein Wort – z. B. »ruhig« – gesagt. Durch diese klassische Konditionierung verbindet der Hund dieses Wort dann mit dem entspannten Gefühl. Hört er dieses Wort dann in einer angstauslösenden Situation, lindert das den Stress und ruft ein gutes Gefühl hervor.

WUFF: Wie stellen Sie fest, welche Art von Training Sie anwenden müssen?
Ines Levy: Ich beginne jede Verhaltensberatung mit einem intensiven Erstgespräch, bei dem die gesamte Geschichte des Hundes (soweit bekannt), die Mensch-Hund-Beziehung und der gemeinsame Weg beleuchtet wird. So kann ich auch feststellen, ob es noch andere Probleme gibt bzw. wie gut die Mensch-Hund-Bindung ist und wie gut das Team aufeinander eingestellt ist. Ich beobachte am Anfang auch sehr genau, wie der Hund auf den Menschen reagiert und umgekehrt. Das ist wichtig, um zu entscheiden, ob zuerst die Hund-Mensch-Bindung aufgebaut/gestärkt werden muss, oder ob gleich mit dem eigentlichen Problem begonnen werden kann, also mit Desensibilisierung und/oder Gegenkonditionierung. Das eigentliche Anti-Angsttraining hängt dann von vielen Faktoren ab. Zum Einen muss abgeklärt werden, wie stark das Angstverhalten ausgeprägt ist bzw. bei welcher Intensität des Reizes, das Angstverhalten gezeigt wird. Reagiert ein Hund schon bei einem leisen Knall in der Ferne oder erst, wenn es in unmittelbarer Umgebung zu einem Knall kommt. Weiters ist das Angstverhalten an sich ein wichtiger Faktor: Erschreckt sich der Hund und bleibt aber ansprechbar bzw. ist zur Futteraufnahme bereit, oder will er die Flucht ergreifen, sich verkriechen und zeigt heftige Angstreaktionen. Auch muss man speziell bei Angst vor Feuerwerk differenzieren, was der angstauslösende Reiz ist. Ist es der Knall, der plötzliche Lichtschein, das Zischen oder andere Geräusche? Besteht generell Geräuschangst (Schussangst, Gewitterangst u. s. w.), oder beschränkt sich die Angst wirklich nur auf Feuerwerk? Ist das geklärt, wird eruiert, auf welche Maßnahmen der Hund am besten reagiert und auch, welche vom Besitzer am besten umzusetzen sind.

WUFF: Wie lange dauert das Training eines extrem ängstlichen Hundes, bis dieser bei Gewitter/Feuerwerk keine Angst mehr hat?
Ines Levy: Lange (lacht), aber eine Zeitangabe möchte ich keine abgeben, weil die Dauer von Hund zu Hund verschieden und von vielen Faktoren – wie intensiv bzw. gut wird trainiert, wie ist die Bindung zwischen Mensch und Hund u. s. w. – abhängig ist. Ich gebe generell nicht gerne Einschätzungen über die Dauer eines Trainings ab, weil dies oft zu falschen Erwartungen führt.

WUFF: Wie hoch ist die Erfolgsquote bei Hunden, die ein Anti-Angsttraining absolviert haben?
Ines Levy: Auch das hängt immer davon ab, welches Ziel man sich gesetzt hat und wie stark die Angstreaktion war bzw. wie etabliert dieses Verhaltensmuster ist. Grundsätzlich macht ein Anti-Angsttraining immer Sinn, vor allem wenn der Hund generell vor Geräuschen Angst hat.

WUFF: Welche Rolle spielt der Hundehalter bei diesem Training? Trainieren Sie Hund und Mensch gemeinsam?
Ines Levy: Ich trainiere immer das Mensch-Hund-Team. Der Hundehalter spielt eine ganz wichtige, ich würde sogar sagen eine entscheidende, Rolle. Gerade bei Angstverhalten braucht der Hund einen Menschen, auf den er sich verlassen kann – also die Bindung muss sehr gut sein. Der Mensch sollte seinen Hund sehr gut lesen können, da ansonsten die ersten Anzeichen von Angstverhalten übersehen werden. Darauf lege ich im Training sehr großen Wert. Der Trainer ist im Alltag nicht immer dabei, und so ist die Schulung auf das Ausdrucksverhalten für ein erfolgreiches Training essenziell. Der Hundehalter muss auch hinsichtlich seines Verhaltens geschult werden. Es gibt einige Verhaltensweisen von Menschen, mit denen er unbewusst das Angstverhalten des Hundes bestärkt. Ignorieren oder gar Bestrafen sind wohl die schlimmsten Fehler, die man als Mensch machen kann. Aber auch Trösten oder Bemitleiden sind nicht die richtigen Emotionen. Der Mensch sollte seinen Hund stärken, ihm Nähe anbieten und ihn souverän begleiten. Auf keinen Fall aber den Hund sich selbst überlassen, so nach dem Motto: »Da muss er halt jetzt durch«. Der Mensch muss die Angst erkennen und auch anerkennen. Nur dann wird er seinen Hund souverän durch die Situation führen können und ein starker Partner sein. Bei meinem Training geht es auf keinen Fall darum, den Hund zu unterwerfen und dadurch in ein Verhalten zu zwingen oder durch Härte und Zwang zu führen, sondern ihm wirklich ein Begleiter zu sein und ihm das Gefühl zu vermitteln: »Ja, ich weiß, du hast Angst oder fühlst dich unwohl, aber du kannst mir vertrauen. Ich werde uns da heil rausbringen«. Mir geht es um Vertrauensstärkung, um Selbstvertrauensstärkung und um Bindungsarbeit.

WUFF: Haben Sie für unsere LeserInnen noch ein paar Last-Minute-Tipps?
Ines Levy: Den Hund beim Spaziergang unbedingt gut sichern, im Zweifelsfall mit Brustgeschirr und Halsband. Um Silvester sollten die Hunde generell immer an der Leine geführt werden. Ich bin immer wieder geschockt, wie viele Hunde zu dieser Zeit entlaufen. Wenn es geht, die Spaziergänge nicht in die Abendstunden legen. Zu Hause einen sicheren Rückzugsort für den Hund schaffen, Fenster verdunkeln und geschlossen halten, Radio oder Fernseher aufdrehen und Knabberstangen anbieten. Wichtig ist vor allem, dass der Mensch ruhig und souverän bleibt und dem Hund Nähe und Sicherheit bietet. Hunde lesen Menschen so viel besser als umgekehrt, sie nehmen jede Beunruhigung bei Menschen wahr. Wenn ein Training in Frage kommt, dann unbedingt rechtzeitig damit beginnen. Ich denke, dass ein Anti-Angsttraining immer Sinn macht und es viele Möglichkeiten und unterstützende Maßnahmen gibt, die Silvesternacht mit seinem Vierbeiner so entspannt wie möglich zu verbringen.

WUFF: Vielen Dank für das Gespräch.

Finger weg von Acepromazin!

Lange galten Medikamente mit dem Wirkstoff Acepromazin als das Nonplusultra für Hunde mit Silvesterangst. Diese Ansicht ist längst überholt, aber leider noch immer nicht ganz aus der Welt geschafft. Acepromazin ist ein Neuroleptikum und Sedativum und macht die Hunde lediglich bewegungsunfähig. Die Hunde vermitteln zwar einen beruhigten Zustand, was aber nur darauf zurückzuführen ist, dass sie der Wirkstoff bewegungsunfähig macht. Das Geräuschempfinden und die damit einhergehende Angst sind nicht eingeschränkt – die Motorik schon. Der Hund hat also genauso viel Angst, allerdings ist er unfähig, erkennbare Reaktionen zu zeigen!

Pdf zu diesem Artikel: silvesterlaerm

 

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