Eine lange Nase und eine lange Rute sind nicht automatisch ein Garant für einen gesunden »Inhalt«. Freunde von brachycephalen Rassen, die sich Gedanken um die gesundheitlichen Problematiken der Rassen machen, achten zunehmend darauf Hunde ohne äußerliche Qualzuchtmerkmale zu bekommen.
Gut gelaunt kommt Tammy mit ihrem Besitzer um die Ecke in mein Behandlungszimmer zur Physiotherapie und ich staune nicht schlecht, als ich sie sehe. Auf mich zu kommt eine Französische Bulldogge mit Nase und Rute. Und zwar jeweils eine lange! Die Nase schlägt keine Falten und die Rute geht bis zu den Sprunggelenken. Stolz erzählt mir der Besitzer, dass er darauf sehr viel Wert gelegt habe und sich andernfalls niemals einen Vertreter dieser Rasse gekauft hätte, da er das Leid dieser Tiere nicht unterstützen wolle. Ich frage also, warum Tammy heute bei mir sei, und ihr Besitzer fängt an zu erzählen: Vor ungefähr drei Monaten, da war Tammy zarte eineinhalb Jahre alt, ging es los. Den Besitzern fiel irgendwann auf, dass sie nicht mehr ganz so gerne spazieren geht wie früher. Sie lief oft langsamer und auch irgendwie nicht mehr ganz so rund. Deshalb waren sie mit Tammy bei ihrem Haustierarzt gewesen, welcher festgestellt hatte, dass ihr der Rücken weh tat und ihr deswegen ein Schmerzmittel verordnet hat. Tammys Besitzer massieren die Hundedame zusätzlich täglich und nach einigen Wochen Schonzeit scheint es ihr wieder gut zu gehen. Leider nur für eine kurze Zeit. Einige Wochen später kann sie sich von einem auf den anderen Moment plötzlich mit ihren Hinterbeinen nicht mehr bewegen. Sie kann nicht mehr stehen, kann nicht mehr laufen und möchte nicht gerne angefasst werden. Ihre Besitzer fahren mit ihr sofort in die nahegelegene Tierklinik, wo sowohl neurologische Tests mit ihr gemacht werden als auch eine Computertomografie durchgeführt wird. Der anfängliche Verdacht hat sich erhärtet: Tammy hat einen Bandscheibenvorfall. Um genau zu sein: einen großen und zwei kleinere. Sie wird noch in der gleichen Nacht operiert und ist nun bei mir zur Physiotherapie, um nach der Operation wieder stabil auf die Beine zu kommen. Ihre Besitzer sind fassungslos, dabei wirkte sie doch so gesund.
Verstecktes Leid
Tammy ist ein sehr gutes Beispiel für das, was »unter der Oberfläche« versteckt sein kann. Sind Französische Bulldoggen im Gespräch, denken die meisten vor allem an die Atemprobleme und die Luftnot, die durch die verschiedenen Folgen der Kurznasigkeit entstehen. Diese Probleme werden durch verschiedene anatomische Veränderungen im Nasen-Rachen Bereich verursacht, welche durch die kürzere und breitere Schädelform entstehen. Im Fachjargon spricht man von dem sogenannten Brachycephalensyndrom. Verengte Nasenlöcher, ein zu langes und zu dickes Gaumensegel oder ein Trachealkollaps (das Zusammenfallen der Luftröhre) können in unterschiedlichen Ausprägungen die Ursache für die Atemnot bilden, die sich über Röcheln und Schnarchen bis hin zum Bewusstseinsverlust zeigen kann (7). Zusätzlich dazu leiden die betroffenen Hunde oft auch an Symptomen des Magen-Darm-Trakts. Dazu gehören Schluckstörungen oder der Rückfluss und das Erbrechen von Futter, was vermutlich durch den ständigen Unterdruck im Brustraum hervorgerufen wird, der aufgrund des dauerhaft stark angestrengten Atmens entsteht (7). Ebenfalls konnte herausgefunden werden, dass bei Hunden, die an dem Brachycephalensyndrom leiden, häufig auch Entzündungen in Magen und Dünndarm vorliegen (16) und die Gehörgänge stark verengt sind (19). Als wäre das nicht genug, neigt die Rasse noch zu einigen weiteren Erkrankungen. Dazu zählen ein erhöhtes Risiko für angeborene Herzerkrankungen (13), eine höhere Neigung zu Ohrentzündungen, Futterunverträglichkeiten, Hautentzündungen, Defekten an der Hornhaut der Augen und allergischen Problemen (14). Neben all diesen Problemen sind Französische Bulldoggen auch häufiger von Bandscheibenvorfällen und Wirbeldeformationen wie Keilwirbeln und Schmetterlingswirbeln betroffen (3,4). Beides kann zu Ausfallerscheinungen und starken Schmerzen führen. Die hier benannten Probleme sind natürlich unerwünscht, jedoch liegen die Ursachen nicht selten in den angestrebten Idealen der Zucht.
Gesunde Rassezucht?
Begibt man sich auf die Internetseite des VDH (Verband für das Deutsche Hundewesen) wird einem ein aufmerksam in die Kamera hechelnder und vermeintlich lächelnder Weißer Schäferhund angezeigt. Begleitet von einem gelben Icon »Kontrollierte Rassehundezucht ist keine Qualzucht«. Auch der »Französische Bulldoggen Verein Deutschlands« (FBVD) wartet als einer der beiden im VDH registrierten Mitgliedsvereinen für Französische Bulldoggen direkt auf der Startseite seiner Homepage mit diesem Icon auf.
Ist die Zucht einer gesunden Rasse wirklich so einfach?
Die 1911 gegründete Fédération Cynologique Internationale, kurz FCI, ist die Weltorganisation der Kynologie und legt für die von ihr anerkannten Rassen die Zuchtstandards fest (10). In diesen Standards werden detailliert die Zuchtziele hinsichtlich des allgemeinen Erscheinungsbildes, der Körperform, der Fellfarbe, des Verhaltens sowie des Charakters, der Größe, des Gewichts und der erwünschten Proportionen festgehalten. Ebenso wird notiert, welche Abweichungen von dem Idealbild als Fehler oder schwere Fehler zu bewerten und welche Fehler als disqualifizierend anzusehen sind. So schreibt der FCI-Standard für die Rückenlinie der Französischen Bulldogge vor: »Obere Profillinie: Zunehmend, aber nicht übertrieben, vom Widerrist zur Lende ansteigend. Diese Form, auch Karpfenrücken genannt, ist typisch für die Rasse« (9). Ein Karpfenrücken wird in der Fachsprache Kyphose genannt und Untersuchungen konnten zeigen, dass Französische Bulldoggen, die eben diese Kyphose aufweisen, zweimal häufiger von Bandscheibenvorfällen betroffen sind als Französische Bulldoggen ohne Karpfenrücken (11).
Hier drängt sich die Frage auf, ob dies im Sinne der gesunden Hundezucht ist? Markant für die Französische Bulldogge ist unter anderem ihr Kopf und Gesichtsausdruck. Der FCI-Standard formuliert dazu: »Der Kopf der Bulldogge ist gekennzeichnet durch den verkürzten Oberkiefer- und Nasenbereich sowie durch eine leicht nach hinten geneigte Nase. Die Nase ist etwas nach oben gerichtet (»aufgestülpt«).« (9). Ursprünglich für den Bullenkampf eingesetzt, war die Zucht auf den kurzen, breiten Kopf und kräftigen Kiefer sehr wahrscheinlich initial in der besseren Beißkraft begründet (8). Später und in der heutigen Zeit hingegen fanden und finden die Anhänger der brachycephalen Rassen vor allem das markante Aussehen der Rassen anziehend (15). Eine der Folgen dieses Zuchtziels ist jedoch das oben bereits thematisierte Brachycephalensyndrom. Auch das gegenüberliegende Ende bringt leider Probleme mit sich. Die Rute wird »von Natur aus kurz« (9) erwünscht. Zustande kommt diese kurze Rute durch Veränderungen in der Schwanzwirbelsäule. Die Wirbel sind fehlgebildet, teilweise miteinander verwachsen und ungefähr acht bis fünfzehn Schwanzwirbel fehlen komplett (12). Diese Umgestaltung beschränkt sich nicht nur auf die Schwanzwirbelsäule, sondern betrifft auch weiter vorn liegende Bereiche der Wirbelsäule. Unterschiedliche Formen von Wirbelfehlbildungen wie Keilwirbel, Halbwirbel und Schmetterlingswirbel sind oftmals die Folge dieser Umgestaltung.
Aber wie kann es sein, dass Äusserlichkeiten mit derartigen gesundheitlichen Problemen zusammenhängen?
Vererbung
Um die Zusammenhänge besser verstehen zu können, müssen vorab einige Grundzüge der Vererbung erklärt werden: In der Genetik (Lehre von der Vererbung) unterscheidet man zwischen Genotyp und Phänotyp. Dabei ist der Genotyp die zugrunde liegende genetische Information, also die Ausprägungen von einzelnen Genen, die in einem Individuum vorliegen. Der Phänotyp ist das Erscheinungsbild, welches ein Individuum mit sich trägt und welches zu großen Teilen vom Genotyp beeinflusst wird. Bedeutet das nun, man kann anhand des Aussehens darauf schließen, was das Tier für Erbinformationen in sich trägt? Leider ist es etwas komplizierter. Ein Gen ist ein Teil der Erbinformation, welches Informationen für ein oder mehrere Produkte enthält. Jedes Gen kann in verschiedenen Varianten vorliegen. Diese unterschiedlichen Varianten nennt man Allele. Jedes Lebewesen besitzt zu einem Gen zwei Allele, nämlich das der Mutter und das des Vaters. Enthalten beide die gleiche Information, spricht man von »reinerbig«.
Spannend wird es nun, wenn sich die Informationen beider Allele unterscheiden und eine sogenannte Mischerbigkeit vorliegt. Welches Allel schlussendlich das Erscheinungsbild bestimmt, hängt davon ab, welches dominant und welches rezessiv ist. Das rezessive, also das »unterlegene« Allel wird quasi »stumm« mitgetragen, ohne eine Auswirkung auf das Erscheinungsbild zu haben. Ein Problem kann dieses Phänomen dann darstellen, wenn es sich bei den rezessiven Allelen um Ausprägungen handelt, die reinerbig vorliegend schwere Erkrankungen hervorrufen und gegebenenfalls unwissentlich über Generationen stumm weitergegeben werden (5).
Für die Zucht bedeutet das, dass Anpaarungen allein aufgrund von Äußerlichkeiten fatale Folgen haben und dazu beitragen können, dass ungünstige Erbinformationen, die über Generationen hinweg mitgetragen worden sind, dann in Erscheinung treten. Die Zucht steht allerdings vor noch weiteren Herausforderungen. In dem oben dargestellten Beispiel gehen wir von dem Idealfall aus, dass ein Gen für genau ein Merkmal verantwortlich ist. Die Realität sieht aber leider anders aus. Nicht selten ist ein Gen an verschiedenen Merkmalen beteiligt, beziehungsweise sind umgekehrt an einem Merkmal oft mehrere Gene mit beteiligt.
Diese Verschachtelungen sorgen für schwer zu durchschauende Zusammenhänge und stellen große Herausforderungen für die Rassezucht dar. Auch bei Französischen Bulldoggen treten solche Zusammenhänge auf. Der Vererbungsgang, der das Aussehen des Schädels beeinflusst, ist komplex, hier spielen mindestens fünf Gene eine entscheidende Rolle (8) (18). Manche davon wirken sich ausschließlich auf die Kopfform aus, andere beeinflussen auch andere Bereiche. So wirkt sich ein Gen, welches zum einen die Weite des Kopfes beeinflusst und die gedrungene Gestalt der Bulldoggen mitbestimmt, gleichzeitig negativ auf die Gesundheit der Bandscheiben aus (12). Ein weiteres Gen, welches ebenfalls einen Beitrag zur Kopfform leistet, indem es für einen kürzeren Oberkiefer und eine breitere Schädelbasis sorgt, trägt ebenfalls zu einer kurzen Rute bei und unterstützt somit das laut Rassestandard gewünschte Erscheinungsbild in mehr als einer Hinsicht. Eben dieses Gen ruft aber fast immer ebenfalls Veränderungen in der Brustwirbelsäule hervor (12). Durch die Auswahl von Hunden als Zuchttiere, die einen besonders schönen kurzen und breiten Kopf, eine angeborene kurze Rute sowie eine gedrungene Körperhaltung haben und dem gewünschten Bild der Rasse entsprechen, werden also als Nebenprodukt Bandscheiben von schlechter Qualität und fehlgebildete Wirbelsäulen gezüchtet. (1)
Nun hatte Tammy aber doch eine lange Rute und eine deutliche Nase, warum hat sie trotzdem solche Probleme?
Die Antwort setzt sich aus all den oben beschriebenen Phänomenen zusammen. Die Auswahl der Elterntiere erfolgt nach äußeren Kriterien, also dem Phänotyp. Wie bereits erwähnt, kann von diesem nicht unmittelbar auf die zugrunde liegende und vielleicht auch »stumm« vorliegende Erbinformation geschlossen werden. Die Zucht der Französischen Bulldoggen hat sich über mehrere Generationen etabliert. Dabei tragen eine Vielzahl von Genen zu dem typischen Erscheinungsbild und den damit einhergehenden Erkrankungen bei, die mittlerweile fester Bestandteil des Genpools der Rasse sind. Durch eine aktuell angestrebte Zucht auf entgegengesetzte Merkmale, wie beispielsweise längere Nasen, ist es leider nicht garantiert, dass auch die zugrunde liegende Genetik sich zurück zur ehemaligen Gen-Ausprägung entwickelt. In Tammys Fall liegt die Vermutung nahe, dass von den verantwortlichen Genen einige in einer vorteilhaften Variante vorliegen, sich durchgesetzt haben und so dafür gesorgt haben, dass ihre Nase und Rute schlussendlich lang gewachsen sind, hinsichtlich der Bandscheibengesundheit jedoch die unvorteilhaften Gene voll zum Tragen gekommen sind.
Herausforderungen für die Zucht
Verantwortungsvolle Hundezucht bringt die herausfordernde Aufgabe mit sich, passende Elterntiere auszuwählen. Bei einer Mitgliedschaft in einem Zuchtverein gilt es gleichzeitig, die Zuchtvorgaben des Verbands umzusetzen. Da viele Zustände von außen nicht sichtbar sind, schreiben die Zuchtverbände vieler Rassen die Anfertigung von Röntgenbildern vor, um beispielsweise Hüftgelenksdysplasien oder Ellbogengelenksdysplasien auszuschließen und auch bei Zuchten außerhalb von Zuchtvereinen sollte auf diese wichtigen Untersuchungen nicht verzichtet werden. Da so manche potenziellen Gefahren in »stumm mitgetragenen« Genen liegen, gibt es für einige Erkrankungen verpflichtende Gentests, bevor die Tiere zur Zucht zugelassen werden. Für Gendefekte, bei denen das verursachende Gen identifiziert ist und bereits ein Gentest entwickelt werden konnte, ergibt sich darüber eine gute Möglichkeit, Erbkrankheiten einzudämmen. Problematisch wird es bei Merkmalen, deren genetische Grundlage noch nicht abschließend geklärt worden ist oder für die noch kein Gentest verfügbar ist. Die Grenzen sind hier also durch das Vorhandensein von Testmethoden und der ungenügenden Erforschung komplexer Vererbungsgänge gesetzt, denn nur wenn die Auswirkungen einer Genvariante ausreichend erforscht und zusätzlich eine Testmethode entwickelt worden ist, kann daraus ein Nutzen gezogen werden. In Abhängigkeit von Untersuchungsbefund und Testergebnissen unterliegen die Zuchttiere den von Zuchtverbänden erstellten Regeln für die Verpaarung. Je nach Ergebnis darf ein Elterntier uneingeschränkt, gar nicht oder nur mit einigen Auflagen verpaart werden.
Auf den ersten Blick stellt sich die Frage, warum man Hunde, deren Gesundheitszustand nicht einwandfrei ist, nicht komplett von der Zucht ausschließen sollte. Dass dies jedoch nicht so einfach möglich ist, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2014. Alleine der Zuchtausschluss von Französischen Bulldoggen mit verengten Nasenlöchern würde dazu führen, dass rund 81 % der Population nicht mehr zur Zucht zugelassen werden würden. Dies würde den Genpool in einem solchen Ausmaß reduzieren, dass folglich ein hohes Maß an Inzucht entstehen würde (17). Je höher der Grad der Inzucht ist, desto mehr Krankheiten treten auf, die Neugeborenensterblichkeit nimmt zu und die Wurfgröße verringert sich. Es konnte ebenso gezeigt werden, dass Rassen mit höherem Inzuchtgrad mehr tierärztliche Betreuung während ihres Lebens benötigen (2). Und noch nicht mitberücksichtigt sind hier sämtliche anderen, ebenfalls gesundheitlich in höchstem Maße bedenklichen Probleme wie die Deformationen der Wirbelsäule, die Neigung zu Bandscheibenvorfällen, aber auch die eingangs genannten allergischen Probleme, Magen-Darm-Erkrankungen und angeborene Herzerkrankungen. So muss man den Tatsachen ins Gesicht blicken: Würde man ausschließlich rundherum gesunde Französische Bulldoggen zur Zucht zulassen, würde die Rasse Inzucht bedingt aussterben. Die derzeitige Lösung zur Sicherung des Genpools liegt darin, auch Hunde mit suboptimalen Merkmalen und Genetik zur Zucht zuzulassen. Die Verpaarung sollte dabei jedoch derart ausgewählt werden, dass die problematischen Bereiche durch das jeweilige Partnertier ausgeglichen werden. Es dürfen derzeit beispielsweise Hunde mit leichter Hüftdysplasie weiter in der Zucht eingesetzt werden, wenn die Verpaarung ausschließlich mit Partnertieren durchgeführt wird, die in diesem Merkmal keine Defekte aufweisen (20).
Man nimmt somit bewusst in Kauf, dass die Gesundung der Population länger dauert. In der Folge werden Hunde auf die Welt kommen, die zuchtbedingt Schmerzen, Leiden oder Schäden zu ertragen haben.
Seit 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel in Deutschland im Grundgesetz verankert und mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes im Jahre 2013 wurde festgehalten, dass es verboten ist, Wirbeltiere zu züchten, wenn zu erwarten ist, dass bei den Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen, untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.
Sind sogenannte »Rückzüchtungen« im Sinne des Tierschutzgesetzes zulässig? Ist es ethisch vertretbar, Generationen von Qualzuchten in Kauf zu nehmen, um am Ende eine möglicherweise gesunde Rasse hervorzubringen? Ein Gutachten im Auftrag der Landestierärztekammer Berlin hat sich juristisch mit dieser Fragestellung beschäftigt und ist zu dem Schluss gekommen, dass auch die Aussicht, nach mehreren Generationen eventuell leidensfreie Nachkommen zu haben, die Zwischengenerationen von dem Verbot nicht ausnimmt, wenn bei diesen zu erwarten ist, dass Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten. Designerische Belange, die Erzielung bestimmter Rassestandards oder anderweitig kulturell begründete Interessen können hierbei nicht als Rechtfertigung für ein solches Vorgehen angesehen werden. (6)
Von einer einfachen und rundum zufriedenstellenden Lösung sind wir also weit entfernt, daher ist es nicht verwunderlich, dass nicht wenige Stimmen laut werden, die ein Zuchtverbot für diese Rasse fordern. Auch wird immer wieder die Einkreuzung von Fremdrassen gefordert, was durchaus mittels geplanter Zuchtprogramme Rassen mit kleinem Genpool retten könnte. Diese muss jedoch ebenfalls sorgfältig durchgeführt werden und erfordert ein hohes Maß an züchterischem Wissen. Die Wurzel des Problems liegt jedoch ganz woanders. Nämlich in der Tatsache, dass in der Rassehundezucht etwaige Rassestandards und Zuchtziele bestimmte Erscheinungsbilder über den maximalen Gesundheitszustand stellen. Und von diesem Phänomen ist nicht nur die Französische Bulldogge betroffen, die in diesem Artikel als Beispiel dient.
Ein wichtiger und essenzieller Schritt wäre somit, der Gesundheit in den Rassestandards eine höhere Priorität zuzuschreiben. Erscheinungsbilder, welche die Gesundheit beeinträchtigen, sollten nicht nur als unerwünscht, sondern als schwere oder disqualifizierende Fehler bestimmt werden und es sollte konsequent danach gerichtet werden. Als Züchter empfiehlt es sich, über die Anforderungen der Zuchtverbände hinaus verantwortungsbewusst zu denken und jede Verpaarung genau zu prüfen. Möchte ein Züchter von einem Wurf einen Welpen zur Fortführung der Zucht behalten, sollten auch hier die Gesundheit und die Gene, welche durch nachfolgende Nachzuchten weitergegeben werden, vor das Erscheinungsbild der Tiere gestellt werden. Gegebenenfalls kann es mitunter auch sinnvoll sein, bereits im Welpenalter umfassende Untersuchungen durchzuführen und Trägertiere, die zwar selbst gesund sind, aber unvorteilhafte Gene oder Anlagen weitergeben könnten, an Privatpersonen ohne Zuchtambition abzugeben. Als Kaufinteressent ist es unerlässlich, sich gründlich über die angestrebte Rasse zu informieren. Nur ein umfassendes Wissen über die gesundheitlichen Risiken oder gar die mit schwerem Leiden verbundenen Merkmale einer Rasse ermöglicht es einem jeden Einzelnen, die Vertrauenswürdigkeit eines Verkäufers oder Züchters adäquat zu prüfen und die Verantwortung, die jeder Tierhalter auch gesetzlich zu erfüllen hat, nicht nur für das Tier nach dem Kauf, sondern schon im Voraus bei der Auswahl zu übernehmen.
Zu verhindern, dass Tiere geboren werden, die Schmerzen und Leiden erfahren, ist nicht nur unsere gesetzliche, sondern auch unsere moralische sowie ethische Pflicht und muss Priorität vor allem anderen haben. Es muss wichtiger sein als das Erreichen irgendwelcher Zuchtstandards und der Gewinn von Ausstellungen. Es muss wichtiger sein als das Bedürfnis, ein Tier günstig zu erwerben und es muss wichtiger sein als der Wunsch, ein Tier einer bestimmten Rasse zu besitzen.
Die Aussichten sind alles andere als rosig. Leider gibt es nicht die eine Lösung oder den einen Weg raus aus der Misere. Umso wichtiger ist es, dass jeder Beteiligte durch sorgfältiges Verhalten und verantwortungsvolles Handeln seinen bestmöglichen Teil dazu beiträgt.
Die Autorin
Friederike Rhein ist Tierärztin und promoviert unter der Betreuung von Univ.-Prof. Dr. Stephanie Krämer an der Professur für Tierschutz der Justus-Liebig-Universität Gießen zum Thema Lebensqualität bei Hunden und Katzen. Parallel dazu arbeitet sie in der Physiotherapie-Abteilung einer Kleintierpraxis in den Bereichen Akupunktur und Osteopathie, in welchen sie über die letzten Jahre hinweg zusätzliche Qualifikationen erworben hat. Die gesundheitlichen Probleme von Qualzuchtrassen, die ihr im Praxisalltag immer wieder begegnen, wurden durch die Mitarbeit im Team von Frau Prof. Dr. Krämer um die politischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkte der Thematik ergänzt, sodass die Aufklärung rund um das Brennpunktthema ihre Arbeit auf verschiedenen Ebenen begleitet. Vielen Dank an Jaqueline Winkel, Celina Pabst und Lea Benner für die Unterstützung!
Literaturquellen
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- Brown JD, Podadera J, Ward M, Goldsmid S, Simpson DJ. The presence, morphology and clinical significance of vertebral body malformations in an Australian population of French Bulldogs and Pugs. Australian veterinary journal 2021; 99 (9): 378–387.
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- Dupré G, Heidenreich D. Brachycephalic Syndrome. The Veterinary clinics of North America. Small animal practice 2016; 46 (4): 691–707.
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- FEDERATION CYNOLOGIQUE INTERNATIONALE. FCI – Standard Nr. 101 – BOULEDOGUE FRANÇAIS (Französische Bulldogge).
- Fédération Cynologique Interntionale. Präsentation unserer Organisation. https://www.fci.be/de/Prasentation-unserer-Organisation-4.html; abgerufen am 7. September 2022.
- Inglez de Souza MCCM, Ryan R, Ter Haar G, Packer RMA, Volk HA, Decker S de. Evaluation of the influence of kyphosis and scoliosis on intervertebral disc extrusion in French bulldogs. BMC veterinary research 2018; 14 (1): 5