Rettung aus dem weißen Grab

Von Heike Chmielorz

In den letzten Tagen gab es viel Neuschnee und es herrschen traumhafte Tiefschneeverhältnisse. Abseits der Piste wurden schon einige Spuren in die Tiefschneehänge gezogen, und die Verlockung ist trotz der akuten Lawinenwarnung einfach zu groß. Warum sollte gerade jetzt etwas passieren, wenn doch schon so viele andere diesen Hang befahren haben? Der Schnee staubt bis über den Kopf, der Wintersportler ist in seinem Element, aber plötzlich ist alles anders als sonst. Der Hang bewegt sich unaufhaltsam unter den Füßen, und dann geht es im wahrs-ten Sinne des Wortes rund. Der Alptraum jedes Wintersportlers nimmt unaufhaltsam seinen Lauf: Er wird von den Schneemassen einer Lawine mitgerissen!

Begraben im Weiß
Es ist kalt! Durch die dichte Schneemasse dringt kein Lichtstrahl, und schnell geht das Zeitgefühl verloren. Schon bald machen sich die ersten Anzeichen der Kälte und des Sauerstoffmangels bemerkbar, eine bleierne Müdigkeit macht sich breit. Eine Selbstbefreiung aus dem weißen Grab ist unmöglich, denn die Schneemassen sind viel zu fest und ermöglichen so gut wie keine Bewegung, geschweige denn die Chance sich freizugraben!

Die Gedanken ziehen zu den vielen traumhaften Tiefschneeabfahrten abseits der gesicherten Pisten, und das damit verbundene Risiko kommt schlagartig zum Bewusstsein. Erinnerungen an Berichte von Lawinenopfern, die nur noch tot geborgen werden konnten, machen sich unaufhaltsam breit …

„Hund zeigt an!"
Plötzlich ertönt Hundegebell! Es wird von den lauten Rufen: „Such! Such!" begleitet. – Hoffnung auf eine baldige Befreiung kommt auf! Allerdings ist auch bekannt, dass selbst laute Hilferufe von Verschütteten sinnlos sind, da sie oberhalb der Schneedecke nicht einmal von den hochsensiblen Hundeohren vernommen werden können. So berichteten Überlebende von Lawinenabgängen schon mehrfach, jedes Wort gehört zu haben, das über ihnen im Lawinenfeld gesprochen wurde, sie selbst blieben aber trotz aller Anstrengung unbemerkt!

Jetzt bleibt alleine die Hoffnung auf die Fähigkeit der Lawinenhunde und ihrer Führer, rechtzeitig gefunden zu werden, bevor der Sauerstoffmangel und die Kälte zum sicheren Tod führen. Das Bellen der Hunde kommt deutlich näher, ebenso die Rufe der Hundeführer: „Hund zeigt an!"

„Opfer ansondiert!"

Man hört alles ganz deutlich direkt über sich, und im nächsten Moment registriert der Verschüttete den unsanften Stoß der Lawinensonde auf dem Oberschenkel, der mit Sicherheit einen gewaltigen blauen Flecken hinterlassen wird –wohl das kleinste Übel in dieser Situation! „Opfer ansondiert!"

Das Graben des Hundeführers mit der Lawinenschaufel wird von dem aufgeregten Bellen des Hundes begleitet. Kurze Zeit später dringen die ersten Sonnenstrahlen zum Opfer vor. Kaum ist der Zugang groß genug, zwängt sich Xeno, ein ausgewachsener Schäferhund, durch das Loch und nimmt das „Opfer" begeistert selbst in Augenschein.

In diesem Fall war es zum Glück nur eine der regelmäßigen Übungen, und der Hund bekommt seine verdiente Belohnung in Form von überschwenglichem Lob, Leckerle und Streicheleinheiten. Aber dies hätte auch die bittere Realität sein können, die in den Wintermonaten leider nur allzu oft passiert.

Für Droll, Sambo, Anka, Micky, Xeno, die ausgebildeten Lawinensuchhunde der Bergwacht, sind diese Einsätze im Rahmen der ständigen Fort- und Weiterbildung Routine.

Wettlauf gegen die Zeit
Leichtsinn, Selbstüberschätzung, Unkenntnis, die ständige Suche nach dem „Supererlebnis" und die Risiken der Naturgewalten bringen nicht nur Wintersportler immer wieder in Gefahr. Das Risiko der Lawinenabgänge ist gerade im hochalpinen Bereich öfter gegeben als viele vermuten, dies bewiesen auch die massiven Lawinenabgänge in den Alpen der letzten Winter, die oft durch die Wintersportler selbst ausgelöst wurden!

Ist das Unglück geschehen, wird die Bergwacht und mit ihr die Lawinenhundestaffel alarmiert. Ein Wettlauf mit der Zeit gegen den weißen Tod beginnt, wobei sich auch die Retter selbst oft in große Gefahr begeben, da das Risiko von Nachlawinen ständig gegeben ist. Viel zu oft setzen sie ihr eigenes Leben aufs Spiel, um das anderer zu retten. Ein hoher Einsatz, vor allem dann, wenn das Unglück auf Leichtsinn zurückzuführen war und somit durchaus vermeidbar gewesen wäre …

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