Quo vadis Hunderziehung? – Zwischen Stachelhalsband und Wattebausch

Von Angelika Prinz

Die Hundetrainerin Angelika Prinz hat sich mit dem Thema Watte­bausch contra Stachelhalsband auseinandergesetzt, indem sie zwei Hundehalter, die von ihrer Ausbildungsphilosophie nicht unterschiedlicher sein könnten, im Alltag begleitet und sie im Umgang mit ihren Hunden beobachtet hat. Welcher Hund ist der verlässlichere und welche Erziehungs­methode ist art­gerecht? Die Autorin stellt zwei aufeinander­prallende Philosophien ­wertfrei gegenüber.

Hundemassaker in Rumänien, Hundefleisch als ­Delikatesse in China, Peitschenhiebe als Strafe für Hundehalter im Iran. Hier­zulande herrscht hingegen ein un­gebrochen hundefreundliches ­Klima. Zehn ­Millionen Deutsche und rund 800.000 Österreicher leben mit einem Hund im Haushalt und auch 70 Prozent der Nichthundehalter mögen Hunde gern. Die Liebe zum Vierbeiner ist auch ein mächtiger Wirtschafts­faktor: Mehr als 5,5 Mrd. Euro geben die ­Deutschen und Österreicher für ihre Hunde jährlich aus. Doch dieses domestizierte Laufraubtier braucht, anders als die meisten anderen Haustiere, eine ­solide Er­ziehung, um sich problemlos in unsere Gesellschaft zu integrieren. Darin sind sich eigentlich alle einig. An den Methoden dazu scheiden sich aber in verwirrender Art und Weise die Geister.

Besonders das Thema körperliche Gewalt in der Hundeerziehung polarisiert. Früher waren aversive Methoden, die von unangenehmen Strafen wie Leinenruck, körperlichem Grenzen-Setzen, teilweise auch Stachelhalsband und Schlägen geprägt waren, an der Tagesordnung. Heute hat sich dies mit dem Bild des Hundes in der Gesellschaft vom „Gebrauchshund" hin zum sozialen Wegbegleiter und auch Familienmitglied ebenfalls gewandelt zu einem sanfteren Erziehungsstil. Ein Erziehungsstil, der aber, so die Verfechter „traditioneller" Methoden, viel Zeit erfordert und trotzdem oft unbefriedigend bleibt in seinen Ergebnissen. Auch die Frage, was eigentlich artgerecht ist, ist strittig. Denn auch Aggression, Druck und Grenzen haben ihren festen Platz im Zusammenleben der Caniden, der Hundeartigen, also jener Beutegreifer, die mit Wolf und Hund verwandt sind. Die Diskussion über Methoden und Forschungsergebnisse, über TV-Trainer und Ausbildungsstile wird hitzig geführt, besonders das Internet liefert eine Plattform für oft unerbittliche Grabenkämpfe zwischen den Vertretern unterschiedlicher Meinungen. Während sich die einen als Wattebauschwerfer belächeln lassen müssen, werden die anderen als Tierquäler beschimpft.

Der „Traditionelle"
Axel M. ist mit Hunden aufgewachsen. Im elterlichen Metzgerbetrieb lebten immer Rottweiler, meistens mehrere gleichzeitig. Dass diese keinen Platz auf der Couch hatten, sondern im Hof als Viehtreiber und Wachhunde lebten, war seinerzeit nicht anders denkbar. Stundenlang konnte er als Kind und Jugendlicher beobachten, wie die Hunde untereinander ein Rudel bildeten, sich mit offenen oder auch subtilen Signalen gegenseitig in die Schranken wiesen und dennoch ein erstaunlich harmonisches Miteinander lebten. Für ihn als Kind war der Hinterhof alleine tabu. Nur im Beisein von Erwachsenen durfte er zu den Hunden, die sich seinem Vater allerdings problemlos unterordneten. Er selbst führt heute einen Dobermann erfolgreich im sog. IPO-Sport, früher Schutzhundesport genannt. Dieser lebt im Gegensatz zu damals aber mitten in der Familie und im Haus. Vom natürlichen, souveränen Umgang seines Vaters mit den Rottweilern hat er viel übernommen, seine eigenen Ausbildungsmethoden aber durch Schulungen und im Austausch mit Trainern und Hundesportlern ständig weiterentwickelt.

Die gewaltfreie Gegenspielerin
Nadja B. züchtet seit 10 Jahren Kleinpudel, mittelgroße, temperamentvolle Haus- und Begleithunde. Selbst hat sie 3 Exemplare dieser Rasse und betreibt mit ihnen neben etwas Dogdancing vor allem die Sportart Agility. Erst spät konnte sich die dreifache Mutter den Kindheitstraum nach einem eigenen Hund erfüllen und las sich vorher umfassend in die Werke namhafter Trainer und Kynologen ein. Bei der Mitbegründerin des Projekts ­„Trainieren statt Dominieren", Manuela Zaitz, hat sie einige Seminare besucht, ebenso wie diverse Züchterschulungen, die sich unter anderem auch mit Prägung und Sozialisation des Hundes befassten. Ihre Welpenkäufer berät sie lange über den Abgabezeitpunkt hinaus in allen Erziehungs- und Aus­bildungsfragen. Sie möchte ihre Hunde vor allem gewaltfrei ausbilden und beschäftigt sich hierzu intensiv mit moderner Lernpsychologie.

Positive Verstärkung als Mittel der Wahl
Wir haben uns verabredet, um Hunde und Hundeführer zu beobachten sowie die Ausbildungsphilosophie zu hinterfragen. Im Garten von Nadja B. wuseln drei Kleinpudel bellend um mich herum. Die Freude der kniehohen Hunde über den Besuch ist unverkennbar, einer der drei, Janka, erst 10 Monate alt, springt immer wieder an mir hoch. „Am Unterlassen des Hochspringens arbeiten wir noch", erklärt Nadja mir, „das hat aber bei mir keine so hohe Priorität. Die Leute, die uns ­besuchen, kommen fast alle wegen der ­Hunde und haben kein Problem mit sich ­freuenden Vierbeinern. Für mich selbst ist es jedes Mal Seelenbalsam, wie die Hunde mich bei meiner Rückkehr begrüßen." Es sei zudem ein völlig natürliches Verhalten der Hunde. Ein von der Jagd zurückkommender Wolf werde genau in dieser Art und Weise von seinen Artgenossen, besonders den Jungtieren, begrüßt.

Für Nadja B. ist es am wichtigsten, die vielfältigen Signale ihrer Hunde richtig zu deuten und angemessen darauf zu reagieren sowie die jeweiligen ­Bedürfnisse zu erkennen. So könne eine fundierte Beziehung zum Hund aufgebaut werden, die dann auch die Erziehung leicht mache. „Methoden wie Sprühpistolen, körperliches Bedrängen oder der Leinenruck sind unnötig brutal, der Zweck rechtfertigt bei weitem nicht alle Mittel. Nachhaltiges Lernen geht anders. Ich arbeite mit rein positiven Methoden: das erwünschte Verhalten wird belohnt, sodass der Hund es mit der Zeit immer öfter zeigen wird, Unerwünschtes wird ignoriert oder in positives Verhalten umgelenkt und verliert so seine ­Häufigkeit."

Hundertprozentiges „Funktionieren" werde man mit keiner Erziehungsmethode erreichen, denn der Hund sei keine Maschine, sondern ein Lebewesen mit eigenem Willen und Gefühlen.

Autoritäre Erziehung angesagt
Im Haus von Axel M. liegt Dobermann Aramis ruhig, aber gespannt auf seiner Decke im Flur und fixiert mich. Auf Kommando seines Herrn trabt er zu mir heran, beschnüffelt meine vorgestreckten Hände und trollt sich dann ins Wohnzimmer. „Als junger Hund wollte Aramis natürlich auch alle Be­sucher bellend und anspringend begrüßen. Das geht aber nicht, besonders bei dieser Größe. Wir haben also sehr konsequent das Ritual „Decke" eingeführt. Dort muss er liegen, bis ich die Freigabe erteile". Seiner Meinung nach brauchen Hunde im Alltag klare Grenzen. „Autoritäre Erziehung, und das ist nicht gleichbedeutend mit despotisch, schafft einen sicheren Rahmen, in dem sich alle bewegen können. Mein Hund akzeptiert mich uneingeschränkt als Ranghöheren, das nimmt ihm gleichzeitig aber auch Verantwortung ab, sodass er sich sozusagen entspannt zurücklehnen und meiner Führung anvertrauen kann."

Er erzählt von den Vorfahren der Hunde, den Wölfen, zu deren natürlichem Kommunikationsrepertoire eben auch die Aggression und gelegentliches ­In-die-Grenzen-Weisen gehört. ­„Viele versuchen in ihrer Beziehung zum Hund die Sehnsucht des Menschen nach dem verlorenen Paradies zu verwirklichen, Gewaltlosigkeit, blindes Vertrauen. Das ist aber unrealistisch und kann, da der Hund nun mal ein Raubtier mit tierischen Instinkten ist, auch sehr gefährlich werden. Leider kommt es ja immer noch sehr häufig zu Beißvorfällen durch Hunde, oft, weil Menschen tierische Instinkte falsch eingeschätzt haben."

Mit Axel M. und Aramis geht es nun raus zum gemeinsamen Spaziergang. Als wir die paar Straßen bis zum Feld­rand entlanglaufen, schießt auf der gegenüberliegenden Straßenseite bellend ein Collie an den Zaun. Blitzschnell will auch Aramis den ver­balen Angriff erwidern und versucht, ebenfalls loszustürmen. Er wird aber durch eine schnelle Linksdrehung, bei der der Hundeführer den Hund mit dem Knie nach hinten stößt, in die Schranken verwiesen. Mit scharfem Kommando „Fuß" geht es mit dem wieder ruhigen Hund weiter bis zum Feldrand. „Ohne die Korrektur von unerwünschtem Verhalten geht es nicht, dies macht sogar einen ganz großen Teil der Hundeerziehung aus", erklärt er mir. „Mein Hund ist in seinem Vertrauen zu mir gefestigt genug, dass ich ihn auch mal anschnauzen, rempeln oder im Genick packen kann, zumal das ja nicht ständig stattfindet. Er bekommt dann ein präzises ­Signal, wenn es erforderlich ist, hat aber ansonsten den ganzen Tag auch sehr viel Freiheit."

Aramis trägt oft ein Kettenhalsband, das auch auf „Zug" gestellt werden kann, dann also als Würgehalsband fungiert. Auf meine Frage nach dem Grund erklärt mir Axel M.: „Nur ein solches Halsband ist bei Prüfungen im IPO-Sport zugelassen, also liegt es nahe, es immer zu nutzen, zumal ich es ja im Alltag nicht auf Zug gestellt habe. Es ist praktisch, unverwüstlich und schont das Fell. Ich arbeite vor allem über Motivation und Lob, ein Leinenruck ist aber auch von Zeit zu Zeit erforderlich. Steht das Halsband auf Zug, muss ich viel weniger Kraft aufwenden, um beim Hund eine Reaktion zu erreichen und schone somit die Halswirbelsäule."

Da Hunde in Körperbau und ­Charakter unglaublich vielfältig sind, sieht er ­Differenzierungsbedarf bei der Notwendigkeit von solchen Einwirkungen: „Bei der sensiblen 10-kg-Hündin reicht vielleicht ein Leckerli oder sanftes Leinezupfen, um die Aufmerksamkeit wieder auf den Halter zu lenken. Der 50 kg-Rottweilerrüpel braucht dagegen eine andere Einwirkung, um ihn für seinen Halter besonders in Grenzsituationen wieder ansprechbar zu machen."

Wenn seine 72-jährige Mutter sich während seiner gelegentlichen Geschäftsreisen um Aramis kümmere, gebe er ihr sogar immer ein Stachelhalsband mit. „40 kg Muskelpaket kann sie manchmal anders einfach nicht halten. Eine Situation wie vorher mit dem Collie am Zaun ist für sie nur so sicher händelbar und die Sicherheit für meine Mutter geht in dem Fall einfach vor. In dieser Zeit nicht mit ihm spazieren zu gehen ist ja auch keine Alternative." Eine Misshandlung des Hundes sieht er hierin nicht, er reiße ja mit keinem der Halsbänder an der Leine herum, sondern gebe gezielte Impulse. „Die Ablehnung aversiver Methoden ist auch nicht zwingend gleichbedeutend mit einem schönen, artgerechten Leben des Hundes. Denn der hat weit mehr Bedürfnisse als das nach einer gewaltfreien Beziehung zum Halter."

Erwünschtes Verhalten bestätigen
Auch mit Nadja B. und ihren Vier­beinern fahre ich hinaus auf eine nahegelegene Heide. „Zum Glück haben meine Hunde wenig Jagdtrieb. Ich kann sie problemlos ohne Leine laufen lassen, sie wissen genau, dass beim Rückruf ein Leckerli oder Ballspiel mit mir die Belohnung ist." Als vorn ein anderer Hundehalter in Sicht kommt, leint sie ihre Hunde zügig an. „Vor allem meine ältere Hündin, Sandy, hat manchmal Probleme mit anderen Hunden und reagiert aggressiv, wenn ihre Individualdistanz von fremden Hunden unterschritten wird." „Zur Seite", gibt sie Kommando, und die Hunde folgen ihr einige Meter vom Weg ab ins Gras. Als die Hunde sich setzen, ertönt von einem kleinen Kästchen in ihrer Hand ein schnelles „Click". Der andere Hundeführer kann in ausreichender Entfernung passieren. „Das ist ein sogenannter Clicker", erläutert mir Nadja, „meine Hunde sind darauf konditioniert. Das Geräusch bedeutet für sie nichts anderes als „fein gemacht". So kann ich schnell und punktgenau erwünschtes Verhalten bestätigen." Nochmal auf das Stichwort „Individualdistanz" angesprochen erklärt sie: „Einen Bogen zu laufen ist das natürliche Verhalten von Hunden bei Begegnungen. Frontal aufeinander zuzugehen oder sehr dicht aneinander vorbei bedeutet fast immer Angriff und wird mit entsprechendem aggressivem Verhalten quittiert."

Würde der Mensch sich mehr Mühe geben, Wesen und Verhalten von Hunden zu studieren, die vielfältigen Signale des Hundes frühzeitig zu lesen, könne er viele solcher Situationen im Vorfeld verhindern und müsse überhaupt nicht korrigierend, womöglich mit Körpereinsatz, eingreifen. Das sei für sie artgerechte Hundehaltung. Der Hund sei heute überwiegend kein Arbeitsmittel mehr, das funktionieren müsse, sondern diene fast ausschließlich der Lebensbereicherung. „Und gerade deshalb möchte ich in der Erziehung meiner Hunde auch meinen Idealen treu bleiben und keinem Lebewesen Schmerz zufügen."

Ob die Methode der rein positiven Bestätigung auch bei Hunden größeren Kalibers zur Erziehung ausreiche, frage ich. „Keinen Hund bringt Gewalteinwirkung in seiner Ausbildung weiter", erklärt sie mir, „ein Hund lernt genauso wenig wie Kinder unter Stress oder Angst. Wichtig ist, sich vor Anschaffung einer bestimmten Hunderasse ehrlich Rechenschaft abzulegen über seine zeitlichen und körperlichen Möglichkeiten, seinen Hundeverstand und seine Motivation zur Arbeit mit dem Hund. Bei später auftretenden Problemen liegt der Grund häufig bereits in der Auswahl des falschen Hundes begründet."

Die drei Pudel rennen schon wieder fröhlich miteinander spielend voraus. Immer wieder mal kommen sie zu Nadja zurück, wie um sich rückzuversichern, dass sie noch da ist, und erhalten dann ab und zu ein Leckerchen. „Diese Orientierung an mir ist sehr wichtig. Deshalb belohne ich die Hunde hierfür auch immer mal wieder. So kann sich das Verhalten am besten festigen." Auf einer abgemähten Wiese zeigt mir Nadja ein bisschen etwas aus dem Trickrepertoire ihrer Hunde. Mit körpersprachlichen Signalen lässt Nadja ihre Hunde sich wie in einer Choreografie drehen, durch die Arme springen, sich tot stellen, rückwärts laufen und vieles mehr. Wie man so viele unterschiedliche Bewegungsabläufe einüben kann, frage ich. „Das funktioniert nur über Motivation und punktgenaue Bestätigung des jeweils Gewünschten. Mit Druck oder Zwang geht da gar nichts." Fast alle Hunde wollen mit ihren Menschen arbeiten, dazu wurden sie in Jahrhunderten der Hundezucht selektiert. Die über­wiegende Mehrheit der Hund-Mensch-Beziehungen funktioniere deshalb auch ohne allzu viel Hunde­sachverstand erstaunlich gut. Auch darum halte sie die ganzen TV-Hunde­trainer, allen voran Cesar Millan mit seinen harten, überholten Ausbildungsmethoden, für fehl am Platz. Hiergegen formiere sich nun aber immer mehr Widerstand, was sie begrüße. Cesar Millan sehen viele Hundehalter als Inbegriff für Tierquälereien.

„Ich kann die Verbissenheit nicht verstehen, mit der manche Hundesportler von ihren Hunden perfekte Leistungen erwarten." Immer noch würden viele Hunde instrumentalisiert, auf offiziellen und inoffiziellen Abrichteplätzen mit diversen Gewaltmitteln traktiert und müssten Ventil für persönlichen Ehrgeiz ihrer Halter sein; diese „Sport"hunde sollen zu Ruhm, Anerkennung und einem Platz auf dem Treppchen verhelfen, was dem Hund selbst aber alles absolut nichts bedeute. „Wir holen den Hund in unser hochzivilisiertes Leben und stülpen ihm mittels Dressur unsere Ansprüche über. Er hat es aber nicht verdient, als Accessoire oder Sport­gerät zu dienen, er ist ein hochkomplexes, soziales Lebewesen."

Dobermann Aramis auf dem Feld …
Szenenwechsel zurück zum Dobermann. Wir sind inzwischen auf dem Feld angekommen, Aramis rennt frei schon eine Weile schnüffelnd über die Wiesen. Axel M. ruft ihn nun aber zu sich und legt ihm ein Geschirr samt 10 m-Leine an. „Das ist ein Fährtengeschirr. Ich war heute Morgen schon mal hier draußen und habe eine Fährte gelegt. Die Fährtenarbeit ist einer der drei Bestandteile des IPO-Sports. Aramis liebt das: bei dieser Nasenarbeit wird er körperlich und mental gefordert und kann seine Triebe artgerecht ausleben." Eben das gehöre für ihn zu einer guten Hundehaltung dazu. Axel M. setzt Aramis auf die Fährte an. Der kreist ein bisschen und folgt dann zielstrebig und konzentriert mit tiefer Nase einer für mich unsichtbaren Spur. Am Ende der mehrere hundert Meter langen Strecke erhält Aramis beim letzten Gegenstand ein dickes Lob. Wir setzen unseren ­Spaziergang fort, an einem Aus­siedlerhof vorbei, wo Aramis plötzlich aufgeregt schnuffelt. Axel M. packt ihn kurz im Genick, nimmt ihn mit ­scharfem ­Kommando „Fuß" an seine linke ­Seite und geht weiter, ihn nicht aus den Augen lassend. „Die Hündin auf dem Hof ist im Moment läufig, d.h. ­paarungsbereit. Am ­liebsten würde er ihr jetzt einen Besuch abstatten." Genau in solchen und ähnlich gelagerten Fällen, bei denen Ungehorsam, in diesem Fall Weglaufen zur Hündin, für den Hund eine hohe Triebbefriedigung ver­sprächen, komme man mit rein positiver Erziehungsarbeit nicht weit. „Ein Hund, dem nur mittels ­positiver Konditionierung ein Kommando ­beigebracht wurde, bleibt tendenziell un­sicher in dessen Ausführung, denn er hat immer die Wahl." Sei die ­lockende Belohnung für die Ausführung des Kommandos für ihn im Moment ­weniger wert als andere Reize, z.B. der Duft aus einem ­Mäuseloch oder einer läufigen ­Hündin, werde er diese vorziehen. „Wir haben ­leider heut­zutage viel zu viele schlecht erzogene Hunde, die den Ruf der ­Hundehalter insgesamt nachhaltig schädigen und hundelose Menschen aber auch andere Hundehalter und deren Hunde häufig belästigen, wenn nicht gar in Gefahr bringen".

Wer hat denn nun Recht?
Bei Nadja B. und Axel M. kann man zwei unterschiedliche Einstellungen und Ausbildungsmethoden kennen­lernen, und bei weitem nicht die extremsten. Hundeausbildung ist zu einem florierenden und regelrecht exotischen Markt geworden, es gibt fast nichts mehr, was es nicht gibt. Vom Natural Dog Feeling System, basierend auf indianisch-gewaltfreiem Training der Hunde, über die intermediäre Brücke, bei der dem Hund mittels „Markerwort" (z.B. la-la-la) deutlich gemacht wird, dass er eine ihm unangenehme Situation nicht mehr lange aushalten muss, bis zum „Contact your Dog", einer ­Methode, die ohne Lob und Befehle, aber mittels einer um den Bauch gelegten Leine funktionieren soll, durch Spannung und Entspannung. Die „ererbte Rudelstellung" soll nach der Theorie von Barbara Ertel den Schlüssel zu jeder weiteren Erziehung liefern, kann aber nur in kostspieligen Workshops diagnostiziert werden. „Thundershirt", Pheromonspray und natürlich Bachblüten sollen Angsthunden helfen. Ein „Halti"-Kopfhalter imitiert angeblich den zur innerartlichen Kommunikation des Hundes gehörenden Schnauzengriff und mache so schwierige Hunde kontrollierbar. Turid Rugaas klärt Hundehalter über deren Calming Signals, also sog. Beschwichtigungssignale auf. Und Linda Tellington-Jones will mittels TTouch, bestimmten manuellen Berührungstechniken, durch Einwirkung auf die Propriozeptoren die Kommunikation mit dem Hund erleichtern. Das La-Ko-Ko-Mentaltraining von Thomas Baumann wiederum setzt auf Langsamkeit, Kon­zentration und Koordination, um ein neues Führverhalten in der Problemhundetherapie zu etablieren. Daneben werden weiterhin z.B. Antijagdseminare oder Schutzhundeausbildung mittels Teletakt im benachbarten Ausland angeboten, wo dieses Hilfsmittel nicht verboten ist.

Der Durchschnittshundehalter steht ratlos und verwirrt vor all diesen Konzepten und Ansichten, fragt sich, wer denn nun Recht hat oder ob ein Weg in der Mitte vielleicht auch erfolgversprechend ist. Er fühlt sich möglicherweise an den Umschwung von Prügelstrafe und deutscher Zucht und Ordnung zur antiautoritären Erziehung, Summerhill und 68er-Revolution erinnert, was letztlich in der heute überwiegend anerkannten autoritativen Erziehung mit weiterhin zahlreichen Ausschlägen in alle ­Richtungen endete.

Fazit
Erziehung, egal ob von Zwei- oder Vierbeinern, ist und bleibt eben schwierig, ein fast lebenslanger, ­komplexer Prozess, und Patentrezepte für alle Fälle gibt es keine. 

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