„Qualzucht“Was kann man tun?

Von Andrea Specht

Was ist Qualzucht?
Dr. Irene Stur (Institut für Tierzucht und Genetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien) über Qualzuchten: „Wenn kurze Nasen schöner sind, um wieviel schöner sind dann noch kürzere Nasen.“ Artikel 15 B-VG-Vereinbarung, Art. 3, Abs. 2c, definiert Qualzuchten als Züchtungen, die dem Tier oder dessen Nachkommen schwere Schmerzen oder Leiden bereiten oder mit Schäden oder schweren Ängsten für das Tier oder dessen Nachkommen verbunden sind. Und auch in der Europäischen Konvention beschäftigt sich der Europarat zunehmend mit dem Problem der Qualzuchten. Doch es gibt sie mehr denn je: unvernünftige Auswüchse im Hundewesen.

Rassestandard falsch interpretiert?
Dr. Irene Stur hat eine lange Liste betroffener Rassen aufgelistet und zu jedem gesundheitlichen Problem einen Lösungsvorschlag beigefügt. Sehr oft ist da der Begriff Standardinterpretation zu lesen, denn in vielen Fällen ergibt sich die Tierschutzrelevanz gar nicht aus dem Rassestandard, sondern aus übertriebenen Standardinterpretationen. Dr. Irene Stur: „So ist z.B. die extreme Brachycephalie mancher Rassen nicht im Standard fixiert, sondern ergibt sich wohl aus der Überlegung ‘Wenn kurze Nasen schön sind, um wieviel schöner sind dann noch kürzere Nasen’.“

Rassestandards überdenken
Bei anderen Rassen ist allerdings nur eine Standardmodifikation sinnvoll, nämlich dann, wenn der Rassestandard aus tierschützerischer Sicht als bedenklich anzusehen ist. Dr. Irene Stur fordert: „Die Zuchtverbände müssen ermutigt werden, Rassestandards zu überdenken und Tiere nicht nur unter Bedachtnahme auf ästhetische Kriterien, sondern auch auf Verhaltensmerkmale (beispielsweise in Bezug auf Aggressionsprobleme) und Fähigkeiten auszuwählen. Gute Information und Fortbildung für die Züchter und Richter sollen gewährleisten, daß die Zuchtstandards so interpretiert werden, daß sie der Entwicklung extremer Merkmale (Qualzucht), die zu Gesundheitsproblemen führen, entgegenwirken.
Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichend sein, müssen die Möglichkeiten eines Zuchtverbotes und der Abschaffung von Ausstellungen und Verkauf bestimmter Typen in Betracht gezogen werden, wenn die Merkmale dieser Tiere gesundheitsgefährdenden Zuchtfehlern entsprechen, wie in den Tabellen aufgelistet ist.

Öffentlichkeit sensibilisieren
Eine immer wichtigere Rolle kommt bei Aufklärung und Informationsarbeit den Veterinärmedizinern zu. „Die sollte sich jedoch nicht nur auf die Zuchtverbände und Formwertrichter beschränken, sondern – entsprechend der Europäischen Konvention zum Schutz der Heimtiere – die Öffentlichkeit für die Probleme sensibilisieren, die mit bestimmten Merkmalen des Körperbaus und des Verhaltens von Tieren verbunden sind, auch jetzige und künftige Hundebesitzer umfassen. Denn ein marktwirtschaftliches Prinzip gilt letztendlich auch in der Hundezucht: „Was nicht verkauft werden kann, wird auch nicht produziert.“ Zum aktuellen Thema Deutscher Schäferhund meint Dr. Irene Stur: „Es wird wohl noch lange dauern, bis die Vernunft siegt. Denn viele, die in den Verbänden etwas zu sagen haben, halten eisern am Alten fest.“

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Mit WUFF solidarisch
Dr. Dieter Fleig
, Gründer des Kynos Verlages und der Stiftung Kynos, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt „Quo vadis canis“, in Reaktion auf den Artikel im letzten WUFF.

Es ist mir ein wichtiges Anliegen, mich mit WUFF voll solidarisch zu erklären. Der Beitrag von Andrea Specht „Die Leiden des jungen B.“ spricht mir aus dem Herzen – prangert Qualzuchten an, die wir heute in einer ganzen Reihe von Hunderassen feststellen können.

Bedachtsames Vorgehen
Gewarnt sei aber davor, das Kind mit dem Bade auszuschütten – glücklicherweise gibt es auch in den angeprangerten Rassen Dank vernünftiger Züchter eine Vielzahl guter Hunde. An den Pranger gehören Spezialrichter, die groteske Standardübertreibungen noch überbetonen, Züchter, die wissentlich Hunde mit anatomischen Defekten in ihrer Zucht einsetzen.
Die Forderung geht aber in allererster Linie an die Rassezuchtvereine, welche die Verantwortung für die Rassestandards tragen, die durch missverständliche Formulierungen derartige Entartungen überhaupt erst ermöglicht haben.

Der Hund vom Aussterben bedroht?
Auf den gesamten Komplex bin ich ausführlich in meinem neuesten Buch „Quo vadis canis. Der Hund, eine vom Aussterben bedrohte Tierart?“ eingegangen, habe noch weitere wichtige Fehlentwicklungen aufgezeigt. Wenn wir die Zukunft unserer Hunde sichern wollen, ist es hohe Zeit, Fehlentwicklungen in der Hundezucht wie auch in der Hundeausbildung als solche zu erkennen und energisch dagegen anzugehen.
WUFF-Redakteurin Andrea Specht nochmals ein herzliches Dankeschön für ihren Beitrag.
Dr. Dieter Fleig, D-54570 Mürlenbach

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